A(lexander) muss B(iennale) lernen!

„B… Bh… Bh… ihh… Bi-äää… ähhh… Bierrrr“. Falsch, nochmals: „B… Bhhh… Bi… Das sind wir doch Alle.“ Gedacht: „Bin ich alle, leer.“ Sprachversuch: „Was soll ich nur anzieh’n?“ Kein Sakko, ausser dem des Nadelstreifenanzugs, passt noch. Heute definitiv keine der Polyesterjacken der A-Firma aus Herzogenaurach! Es muss ohne die drei Streifen der Berufsjugendlichkeit klappen. Jeans mit umgekrempelten Hosenbeinen, na ja – bei meiner Untergrösse bleibt mir nichts weiter, als sie so kreativ-prekär zu tragen. Der Sakkokragen ungebügelt, ein Desaster. Wo ist mein Glücksschal, der so gerne meine Thai-Suppen vorkostet? Hier, und sauber – gab’s die letzten Tage überhaupt Suppen? Er rettet mich vor meinen Knitterstellen. Jetzt nochmals die Haare gerichtet, letzthin noch 5 Jahre kürzer, vom Lieblingskurden geschnitten. Eigentlich geht das gar nicht, aber diese kurdischen Jungmänner, von wegen Lohndumping, was verschwende ich da immer an Trinkgeld, seufz… Ein letzter Blick in den Spiegel: „Bi… Bierr ja, ja die Ratstrinkstube… Bi-ä-nn… Bhh… Bh… Reiß Dich am Riemen!! Bienn-ah-le-PK. Endlich, wurde ja Zeit: Biennale-Pressekonferenz!“

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Biennale-Pressekonferenz am 24. November, 11 Uhr in der Ratstrinkstube im Rathaus am Marienplatz. Huch, zwanzig vor – und meine Begleitung friert am Fischbrunnen. Ein Anruf… Was mach‘ ich auch so unsinnige Sprechversuche, wo ich dort doch nichts sagen soll. Nochmals in die Wohnung, das Handy geschnappt und los. (…)

Meiner Begleitung trieft zwar die Nase, dennoch heitert sie mich auf. In das Gewölbe eingedrungen! Wo ist mein PR-Kontakt? Mit den wichtigeren KomponistInnen im Gespräch. Irgendein Praktikant möchte meine Daten, ich kritzle zwei Namen und meinen Projekttitel in die Email-Zeile. Der möchte mich dezent auf den Unsinn hinweisen, doch zerrt mich meine Begleitung gekonnt in Richtung bekannter Gesichter. Zur Entspannung streichle ich hochschwangere Bäuche, führe Wange an Wange ohne Brillenkollisionen, kitzle dumm von hinten manchen U50-Kollegen. Wo soll ich sitzen, doch was zu meinem Neda-Projekt sagen? Der technische Leiter der Münchener Biennale meint deutlich: „Niet“! Es sei nicht vorgesehen. So zwänge ich meinen Bauch an alten Butterbrezen mampfenden Wichtigkeiten vorbei, bleibe zwischen Säule und einem salzabwischenden breit auf seinen Stuhl fletzenden Herrn stecken: soll ich zu Lots Frau werden? Ein gekonnter Unterleibsstoss, der Herr wischt einige Salzkörner zuviel ab, er will sich umdrehen, ich bin aber schon durch. Ich finde einen Platz recht außen, an der Hauptbank, hocke so immerhin symbolisch in der Komponisten und Soundso-Wichtig-Reihe.

Der Biennale-Chef Peter Ruzicka eröffnet die Pressekonferenz. Neben den drei grossen Opern würde im Mai 2012 ein Rahmenprogramm stattfinden, wie lange nicht mehr erlebt. Ein Referentenvertreter-vertreter spricht von „Vernetzung“ und „Nachhaltigkeit“ von Biennale und Münchner Freier Musikszene. Goldig, dass im weissblauen Millionendorf mit zehn Jahren Verspätung diese überstrapazierten Begriffe Urständ feiern. Immerhin kritzeln die Pressevertreter selbst dies eifrig mit. Ich blättere emsig im Festivalflyer. Derweil höre ich nur halb die Werkerklärungen meiner grossen KollegInnen, wie Sarah Nemtsov über ihre Edmond Jabes-Oper „L’Absence“ flötet, Eunyoung Kim die Worte bei der Frage nach der Bedeutung der koreanischen Tradition für ihre Oper „Mama Dolorosa“ im Halse stecken bleiben, Arnulf Herrmann seine Oper „Wasser“ wortreich umhüllt und die Rede von „dezentrierten Schallplatten“ meine letzte Konzentration raubt: ganz rechts unten neben der Rubrik „Komponistengespräche“ prangt eine Veranstaltungswerbung, mit einer halbnackten Ankündigung eines Auftritts der Chippendales. Ob mit denen mal einer meiner kurdischen Friseure auf der Bühne stehen wird?

Meine Ohren allerdings sind voll dabei, als Ausschnitte aus den Opern bzw. von Werken auf dem Weg zu diesen Musiktheatern von der Konserve kommen: irgendwie rattern meine grauen Zellen wie ein Zeitmaschinendisplay durch den Raum und bleiben bei allen Dreien erstmal bei „1985“ hängen: der orientierungslose Protagonist in Herrmanns Wasser hört im Foyer seines Hoteltraums einen Tenor, dazu Instrumente von einer eiernden Platte, hört am Ende den Tenor leiern. Konzeptuell stimmig erklärt, dennoch spielte die Postmoderne schon tausendfach mit jener Schallplattennostalgik. Immerhin sei das Pressen angesichts unserer regen DJ-Kultur für ihn sehr kostenneutral ausgefallen. Eunyoung Kim ließ ein Orchesterwerk wabern mit dramatischen G-Saiten-Violinen und Posaunen. Gut instrumentiert, reiche Gestik, aber mitten im zwanzigsten Jahrhundert. Ehrlich, Koreaner dürfen dies, spüren sie doch unserer Musik nach. Festivaltauglich macht dies in diesem Falle ihr Sujet: eine koreanische Mutter bringt den lange erhofften Sohn zur Welt. Was für ein Glück, es gäbe nichts entwürdigenderes in der koreanischen Familie, als einer Tochter das Licht zu schenken. Der Traumjunge wird allerdings zum Mörder und Vergewaltiger, so dauert es seine Zeit bis die Wunschblase der Mutter zerplatzt, denn selbst dieser Raufbold ist besser als eine intelligente Tochter.

Zuerst hielt ich auch Sarah Nemtsovs Opernausschnitt aus einer ersten, kleineren Version ihrer jetzt vergrösserten Oper ein wenig für sehr konventionell. Ja, eine reine Oper! Allerdings ist der Gesang eigenartig jüdisch-modern, ohne eine Schtetl-Allegorie zu sein. Interessant wird diese Klanglichkeit durch das Geschehen in den Oberstimmen, die ohne spektral zu sein, eine herbe Eintrübung und zugleich emotionale Auflichtung bewirken. Man mag von einem weiteren Holocaust-Stück genervt sein. Allerdings nimmt mich der Plot, dieser ihrem Mentor Walter Zimmermann gewidmeten Oper, ziemlich mit: wie sich zwei vor der Deportation Liebende, nach ihrer Befreiung finden und doch nicht finden – das scheint offen zu bleiben. Liebe und Oper, das kann immer wieder unglaublich gut funktionieren. Das klingt bei Nemtsov zwar eher poetisch als episch. Da wird es einer starken Regie bedürfen, etwas positiv als Kontrapunkt dagegen zu setzen.

Und wo ist mein Projekt? Ich komme ganz am Ende dran, ist mein Projekt als letztes erst in den Münchenblock durch ein Stipendium geraten, welches traditionellerweise auf der Biennale realisiert wird. Also zuerst Blicke auf einen „Nucleus“ von Karl Wallowsky und Angela Dauber: vor jeder Aufführung der grossen Opern wird im Eingangsbereich des Spielortes ein Opernkern, ein Mikro-Musiktheater aufgeführt. Stellt sich die Frage, wie die das grosse Events liebende Festivalzuschauerschaft sich aus ihren Maiträumen damit herausreissen lässt. Dabei sind u.a. Manuela Kerer, Thomas Meadowcroft, Nikolaus Brass, Minas Borboudakis, Eva Sindichakis, na, und ich selbst. Ich schwöre Stein und Bein: lange bevor ich überhaupt mein eigenes Projekt einreichte, wurde ich hier mit ins Boot genommen. Das wird aufreibend! Nach Vorstellung der bereits alten, nun festivalversilberten Produktionen von Helga Pogatschar und dem Ensemble pianopossibile, Musik zum Anfassen für Schüler, endlich, endlich mein Neda-Elektronik-Projekt. Und schwups, ist es vom iranischen Aufstand vor zwei Jahren samt Lebens- und Identitätsverlusten im WWW-Orakel auf die Frage reduziert, ob ich auch wirklich biometrische Daten meiner Stückbesucher unproblematisch einfordern kann.

Am Ende noch eine kleine Fragerunde der Presse an Ruzicka bzw. die Vertreterin des Vertreters des Referentenvertreters, v.a. durch einen Vertreter eines konservativen Blatts, das angesichts der neuen Rechtsterrorgefahr sich links gibt: ob man endlich einen Nachfolger ab 2016 habe. Und grosses Skandalon, warum Nikolaus Brass noch keinen grossen Biennaleauftrag erhalten habe. Ruzicka gibt dies an den anwesenden Brass weiter, der Gott sei Dank abwehrt! Wie unangenehm und ungeschickt! Als Feuilletonist sollte man nie zum Leib- und Hofkritiker gerinnen wie der junge Mann vom Münchner Merkur. So flüsterte ich meinem PR-Kontakt zu, dass ich doch für den NMZ-Badblog was verfassen möchte, das muss man doch anders angehen!

Zuletzt mit knurrenden Magen, ich rührte die kleinen Gläschen mit rosa Kieselsteinen, darin Eiswaffeln mit Obazdn, auf Teufel komm raus nicht an, in der Rathauskantine eine toskanische Bratwurst, wohl eine in Olivenöl gebratene sossenlose Currywurst! Und schnell Shoppen! Leider gab es nur XL-Grössen, das Falsche für meinen XXL-Body. Na, ein wenig Fetisch musste nach all der Aufregung und Älterwerdung sein, kurdische Friseure in engen Jeans, die mir niemals passen werden. Wann gibt’s endlich eine PKK- oder Hethiter-Oper?

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