In der Fremde (6): Ludger Kisters in Neuseeland (Teil 2)

…und hier der zweite Teil des Interviews mit Ludger Kisters über seine Erfahrungen als Deutscher Komponist in Neuseeland:

3) Lässt Du Dich selber von musikalischen Erfahrungen in der Neuseeland (oder auch anderen Ländern) beeinflussen, oder gibt es einen Teil von Dir, der vollkommen unabhängig agiert

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Einige meiner Kompositionen wurden stark beeinflusst bzw. inspiriert durch die Zusammenarbeit mit Interpreten traditioneller Maori-Instrumente wie Richard Nunns und Horomona Horo. Beide Musiker lernte ich zunächst bei Workshops und Konzerten kennen und konnte sie glücklicherweise auch für Aufführungen meiner Stücke in Deutschland gewinnen. So entstanden u.a. die Achtkanalkomposition Takutaku a story line und Te Raekaihau für Orchester und Taonga puoro (traditionelle Maori-Instrumente). Aber auch natürliche Klänge Neuseelands wie z.B. Vogelstimmen verarbeitete ich in meinen elektroakustischen Kompositionen. Des Weiteren beeinflussten Naturerlebnisse und zwischenmenschliche Erfahrungen generell meine Arbeiten in eher unbewusster Form. Für eine andere Komposition, Colours für Ensemble und Zuspielband, konnte ich mit dem indonesischen Musiker Dody Satya Ekagustdiman zusammenarbeiten, welcher als artist-in-residence in Wellington weilte. Besonders faszinierend war es dabei für mich, die klanglichen Möglichkeiten des Kacapi, ein dem Cymbalon bzw. Hackbrett verwandtes Instrument auszuloten. Bis heute sind Reisen/Aufenthalte in verschiedenen Ländern für meine Kompositionen eine wichtige Inspirationsquelle, 2008 nahm ich beispielsweise an einer Expedition im Amazonas-Regenwald
Expedition in Amazonien teil, um dort Naturklänge für einen Kompositionsauftrag des Bayerischen Rundfunks aufzunehmen. Beim kubanischen Festival für elektronische Musik Primavera en la Habana war es andererseits sehr interessant, die ästhetische Diskussion im südamerikanischen Raum kennenzulernen.

Expedition in Amazonien



4) Wie hat sich Dein Blick auf die musikalisch/ästhetische Diskussion in Deiner Heimat (D) durch Deine Zeit im Ausland verändert?

Es war weniger eine Veränderung, sondern vielmehr eine gewisse Bestätigung meiner Überzeugung, dass die musikalisch/ästhetische Diskussion in Deutschland nicht absolut zu setzen ist, sondern bedingt ist durch die spezifischen kulturellen und gesellschaftlichen Erfahrungen in Mitteleuropa; keinesfalls können diese Diskussion oder ihre Ergebnisse / Erkenntnisse Allgemeingültigkeit im globalen Kontext beanspruchen, obwohl sie die Tendenz dazu immer wieder zeigen; z.B. wird es z.T. noch immer belächelt, wenn man als Mitteleuropäer Instrumente einer außereuropäischen Musikkultur zu erlernen beabsichtigt. Oft schwingt in Diskussionen auch das unterschwellige Vorurteil mit, dass außereuropäische Musikkulturen in den meisten Fällen geschichtslos seien, gewissermaßen in einem archaischen Urzustand bis zur Begegnung mit den Europäern verharrt hätten. Dies ist in zahlreichen musikwissenschaftlichen Publikationen widerlegt worden, und auch Maori-Musik hat sich entwickelt und entwickelt sich immer noch.

5) Würdest Du Deine Zeit im Ausland als „karriereförderlich“ bezeichnen? Oder eher als persönlichkeitsbildend (was für Musik natürlich wichtiger sein kann)?

Ich denke, die Zeit in Neuseeland hat meine Persönlichkeit stark geprägt, gleichzeitig aber auch berufliches Vorwärtskommen ermöglicht. Einfluss auf meine persönliche Entwicklung hatten nicht nur die intensiven Naturerfahrungen in der neuseeländischen Wildnis mit ihren Vulkanen, Seelöwen und Hochgebirgspapageien, sondern auch die zwischenmenschlichen Begegnungen mit verschiedensten Menschen in Aotearoa, z.B. wirkte ich bei der Aufführung von Maori-Musik/Tanz zur Graduation Ceremony der Musikhochschule mit und feierte Weihnachten 2003 in einer Maori-Community in Rotorua. Bei diesen Begegnungen waren Erfahrungen auf zwischenmenschlicher und musikalischer Ebene untrennbar miteinander verbunden. In beruflicher Hinsicht mündeten diese Erfahrungen in verschiedene Kompositionen, welche u.a. mit dem Prix Residence Bourges und dem Wellington City Council Music Prize ausgezeichnet wurden. Außerdem folgten Einladungen zu Kompositionskursen (IRCAM, Royaumont, Acanthes) und Konzerte mit bedeutenden Interpreten (Richard Nunns, Horomona Horo) traditioneller Maori-Instrumente in Deutschland. Zudem konnte ich Erfahrungen in der Hochschullehre sammeln und wurde als Gastdozent eingeladen. Ob meine Nebenrolle als Ritter von Rohan im Herr der Ringe eher persönlichkeitsbildend oder karriereförderlich war, weiß ich allerdings immer noch nicht.

6) Wo möchtest Du selber am liebsten dauerhaft leben?

Havanna, Paris oder Wellington

Quellen:

Archer, John: New Zealand Folk Song, http://folksong.org.nz/ka_mate/actions.html und http://folksong.org.nz/he_puru/index.html, 2010

Dashper, Mark: Neuseeland, in: Finscher, Ludwig: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil Bd. 7, S.130ff

Flintoff, Brian: Taonga Puoro – Singing Treasures. The musical instruments of the Maori, mit Audio-CD, Nelson 2004

Freedman, Sam: Solid Gold Maori Songs. Traditional and Contemporary Maori Music, Wellington 1967

Grey, Sir George: Legends of Aotearoa, Hamilton 1988

McLean, Mervyn und Orbell, Margaret: Traditional Songs of the Maori, Auckland 1975

Ministry for Culture and Heritage, Te Ara – the Encyclopedia of New Zealand, http://www.teara.govt.nz, 2010

Nunns, Richard und Melbourne, Hirini: DVD Te Hekenga-a-rangi, Neuseeland 2003

Shennan, Jennifer: The Maori Action Song, Wellington 1984

(Das Interview führte Moritz Eggert)