Offener Brief an die Donaueschinger Musiktage

"Vorplatz der Donaueschinger Donauhallen mit Käfer-Kunstobjekt"

Liebe Donaueschinger Musiktage,

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Dieses Jahr war es bei euch wieder – wie immer – sensationell. Eine Freundin von mir brachte es auf den Punkt:

Donaueschingen war dieses Jahr gar nicht so übel. Die Sonne hat geschienen und zwei gute Stücke bei fünf Konzerten und x Klanginstallationen und Performances sind doch ein guter Schnitt :-)

Das ist doch was! Deswegen ist auch immer noch wahr, was auf eurer Website ungefähr 40 mal steht, nämlich

Hier in Donaueschingen wurde und wird Musikgeschichte geschrieben.

oder

Die Donaueschinger Musiktage haben Musikgeschichte geschrieben. Sie waren und sind erfolgreich.

Überhaupt war und ist die Website „Über Uns“ von euch ganz fantastisch. Dort liest man, dass die Donaueschinger Musiktage ein „mythischer Ort“ sind. Warum?

In seiner fiktiven Komponistenbiografie „Doktor Faustus“ verewigte Thomas Mann Donaueschingen als magischen Punkt auf der Landkarte der Moderne und erhob ihn in den Rang der Weltliteratur. Sehr viel später findet er Eingang in Edgar Reitz filmisches Epos „Heimat“ – ohne überhaupt gezeigt zu werden (sic!). Allein der Name „Donaueschingen“ ist dort Klang: Klang der neuen Musik.

Ja, man wird mythisch, wenn man bei Edgar Reitz‘ „Heimat“ nicht gezeigt wird, sondern nur vorkommt. Das ist das Allermythischste überhaupt, in „Heimat“ nicht gezeigt zu werden. Das wusste ich schon immer: Nicht-in-Heimat-von-Edgar-Reitz-gezeigt-equalizes-Mythos. Warum ich das immer wiederhole? Ich versuche mich nur, in eure Textbehandlung einzufühlen.
Donaueschingen, allein Dein Klang ist Musik.
Donaueschingen, Donaueschingen, Donaueschingen.
Du bist die Quelle der Musik.
Labe uns mit Deinem Mythos.
Mache uns groß.
Oder klein.

Oder:

Bis in die aktuelle Gegenwart ist und bleibt Donaueschingen ein Ort, an dem die musikalischen Karrieren von Komponisten geschmiedet werden – oder aber auch scheitern können. Denn die Spannung der Donaueschinger Musiktage besteht nicht aus ihrem ständigen Gelingen, ihrem ewig gleichen Hochstand, sondern aus dem Wagnis, Musik immer wieder neu zu bestimmen.

Da kriegt man richtig Angst, wenn man das liest. Sind also Uraufführungen bei euch wie ein Vabanque – Spiel? Alles oder nichts? Rien ne vas plus?

Aber eigentlich wollte ich euch wegen etwas anderem schreiben. Mehrfach habe ich nämlich euer wohlfeiles Programm studiert, die klugen Texte gelesen, die schönen Bilder angeschaut…
aber mir scheint, dass ihr da etwas vergessen habt. Quasi nirgends in der Presse ist nämlich von einem Konzert die Rede gewesen, das in eurem offiziellen Programm gar nicht vorkommt (Korrektur: auf Seite 103 des Programmheftes doch, siehe Kommentar von Paul Hübner unten), nirgendwo gesendet wurde, in keiner Feuilletonkritik beschrieben wird, von Gerhard R. Koch und anderen also völlig ignoriert, totgeschwiegen! Ist hier ein Komponist … gescheitert? Wurde er aus den Akten gestrichen, sein Name ausgelöscht aus den ewigen Annalen des Mythos mit Namen Donaueschingen?

Wie gesagt, nirgendwo steht etwas über diese Uraufführung.
Oder vielmehr: fast nirgends,
siehe hier.

Dort steht:

Die Donaueschinger Musiktage gelten international als wichtiges Festival für Gegenwartsmusik. Mit einer ungewöhnlichen Uraufführung haben der Chor der Salvatorkirche Aalen und das Akkordeonorchester Penz aus Schwäbisch Gmünd den Abschlussgottesdienst gestaltet und erntete (sic!) dabei viel Lob und Anerkennung.

Abschlussgottesdienst? Was? Wie? Warum war da nirgends etwas zu lesen? Da waren die meisten doch schon wieder abgereist!
Wie kann es sein, dass einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart, nämlich Brent McCall, von euch derart totgeschwiegen wird? Immerhin war ein gewichtiges Ensemble beteiligt, nämlich das allseits bekannte „Akkordeonorchester Penz aus Schwäbisch Gmünd“ unter der Leitung von niemand anderem als….Udo Penz! Zusammen mit dem Chor der Salvatorkirche aus Aalen unter der Leitung von niemand anderem als…Hans-Peter Haas!!!
Penz und Haas! Zusammen! Wo gibt es das schon!

Es muss sich um ein monumentales Ereignis gehandelt haben, denn in der obengenannten Kritik lesen wir:

Der Donaueschinger Komponist Brent McCall hat eine Messe für Akkordenorchester, Chor, vier Solisten und zwei Harfen komponiert – mit Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei.Diese Uraufführung war die erste Uraufführung seit 1958 (sic!) in Sankt Johann in Donaueschingen. Im Jahre 1958 hat Igor Stravinsky seine von ihm komponierte Messe unter Mitwirkung von Paul Hindemith dort uraufgeführt. Der Chor befindet sich also in illusterer (sic!) Gesellschaft.
Mit Adjektiven wie „genial, überwältigend, supertoll“ wurden die Mitglieder des Chors und des Orchesters nach der Aufführung überhäuft.

Es scheint sich also um einen Publikumserfolg gehandelt zu haben. Die erste Uraufführung seit 1958 in Donaueschingen! In Sankt Johann! Aber was für ein Stück war es? Auf den Seiten des Programms der Donaueschinger Musiktage ist nichts darüber zu finden, aber

„Der Chor der Aalener Salvatorkirche, das Solistenquartett und das Akkordeonorchester Pentz leisteten Außerordentliches. Die Begeisterung und die Musizierfreude auch angesichts eines schwierigen, modernen Werkes waren hörbar. Der ‘normale’ Kirchenchor sorgte mit seinen 50 Mitgliedern, seinem wunderbaren Chorklang und differenzierter Stimmgebung für eine dichte, spannungsgeladene Aufführung der Messe. Das Solistenquartett fügte sich harmonisch in diesen Gesamtklang ein, und das 25 Spieler starke Akkordeonorchester war mehr als eine normale Chorbegleitung.

Klingt – wie ich finde – hochinteressant. Hier wurden eindeutig neue Stimmungssysteme ausprobiert, neue Klangwelten erforscht, in die noch nie jemand vorgedrungen ist. Warum also keinerlei Information über dieses Werk von euch?
Und es geht weiter:

Mit seinem akkordeonspezifischen, differenzierten Orchesterklang prägte es den geistlichen Gehalt der Messe, beeinflusst sicherlich auch durch das zauberhafte Spiel der zwei Harfinistinnen (sic!). Langer Beifall belohnte das Engagement der Gäste von der Ostalb. Und würdigte das Werk des Donaueschinger Komponisten Brent McCall, der das Kirchen-Werk selbst als neue Herausforderung begriffen hatte.
Brent McCall wurde zu dieser Komposition inspiriert, nachdem er in der florentinischen Kirche S. Felicita ein Gemälde von Jacopo da Pontorma sah. Es stellt die Kreuzabnahme Christi dar. Das Bild wurde 1526 gemalt und zeigt eine Gruppe von Menschen in Aufruhr und Trauer – eine ergreifende Szene, die sich in der Musik widerspiegelt.

Eine ergreifende Szene, widergespiegelt in hochaktueller, wagemutiger Musik! Warum darüber schweigen? Aber es kommt noch besser:

Und noch ein Kompliment erhielten die Gäste aus Aalen und Gmünd: Ihr Konzert gehöre zu den drei besten der Musiktage.

Das ist unglaublich – von den vielen Konzerten der Donaueschinger Musiktage war dies also das drittbeste, zweitbeste oder sogar….schauder….das ALLERBESTE????? Und ihr wollt uns darüber nicht berichten, keine Aufnahme davon senden? Vielleicht handelt es sich um ein neues, epochemachendes Werk, das genau wie Ligetis „Atmosphéres“ in die Geschichte eingehen wird?

Wenn es stimmt, dass dieses Werk bewusst von euch unterdrückt wird handelt es sich, und das muss hier angeprangert werden, um den größten Skandal der Neuen Musik in den letzten 20 Jahren.
Oder einfach nur darum, dass wieder mal ein Kritiker das Musikfest und die Musiktage in Donaueschingen verwechselt hat.

Kann ja mal vorkommen.

Moritz Eggert

4 Antworten

  1. Paul sagt:

    Auf Seite 103 des diesjährigen Programmheftes der Donaueschinger Musiktage sind Abschlussgottesdienst nebst Uraufführung angekündigt, als Sonderveranstaltung der Musiktage. Vielleicht wollte man nicht zu viel Werbung machen, damit der Gottesdienst nicht wegen Besucheransturm zweimal wiederholt werden musste, so wie die freikirchliche Konkurrenzveranstaltung mit Pfarrerin Saunders und dem Gospelchor der Music Factory.

  2. wechselstrom sagt:

    Die Strukturen in der Neuen Musik scheinen eine starke Ähnlichkeit mit den Adelspraktiken des Mittelalters zu haben:

    Aufführung beim IGNM-World-Musikfest: Plattform für die Rekrutierung von Hofschranzen – Stiefelknechte für des Kaisers Jagd-Gesellschaft.

    Aufführung in einem renommierten Opernhaus: Da darf man schon, wie ein Krautjunker, seine eigenen Kompositionsgesetze exekutieren.

    Aufführung in Darmstadt: Man hat gute Aussichten auf den Sprung in den Hochadel, zumindest kann man als Jungkomponist deren Fürze schnuppern.

    Aufführung in Donaueschingen: Ja, das ist der Ritterschlag – natürlich ohne Garantie, dass man dauerhaft in Lohn und Brot steht – das Damoklesschwert der Ächtung schwebt über den Häuptern.
    Aus den Einnahmen der dortigen Kompositionsaufträge kann man sich nicht wirklich etwas leisten; wenn man nicht in 2 Monaten mit dem Orchesterwerk fertig wird, ist die Harz-IV-Option lukrativer. Aber es winken natürlich ein paar Folgeeinladungen, Artist-in-Residenz-Hundehütten, vielleicht ein Lehrauftrag für 2 Stunden Tonsatz mit Aussicht auf Professur nach 15 Jahren ist sicher auch drin. Ausser es trifft einem die Ächtung – aber das ist wieder die Freude und die Hoffnung der Konkurrenz.

    snip

    Man kann Darmstadt, soziologisch betrachtet, auch als eine ehemals revolutionäre Einrichtung auf dem Gebiet der Musikkultur betrachten, die vor 90 Jahren stattfand. In diesem Zusammenhang hätte A. Köhler dann die Funktion eines Tugendwächters der Modernen Musik inne, mit all ihren Vor-und Nachteilen, z.B. Revolution frisst eigene Kinder …
    Gegenrevolutionäre Bestrebungen á la A(de)vantgarde sind dann in eine Geschichtsbetrachtung enger einzubeziehen.

    Welche Geschichtsschreibung/deutung sich als treffender erweist, überlasse ich euerem Geschmack.

    Es ist jedoch erstaunlich zu lesen, dass sich Donaueschingen nicht nur als mythischer Ort selbstbeschreibt, sondern dass auf besagter Homepage
    http://www.swr.de/swr2/festivals/donaueschingen/ueberuns/-/id=2136968/16ba9us/index.html
    die Donaueschinger Musiktage ihren Gründungsmythos in einen kräftigen Bezug zum Adel stellen und diesen mehrmals stolz herausheben:

    …1921 unter fürstlicher Protektion begründet, steht es…

    Seit die Donaueschinger Musiktage 1921 als Forum avancierter Kammermusik durch den fürstlichen Musikdirektor Heinrich Burkhard gegründet wurden, waren sie nicht nur ein interner Branchentreffpunkt der jeweiligen Gegenwartskomponisten …

    Wo leben wir eigentlich
    fragt sich

    – wechselstrom –

  3. t. sagt:

    wechselstrom, was verdient man denn in Donaueschingen mit einem Orchesterauftrag? Dass man davon nur 2 Monaten leben kann, wage ich zu bezweifeln.

  4. wechselstrom sagt:

    @t,
    ich sprach von „sich etwas leisten können“. Ich denke da, dass Sie mit Ihrem Honorar in den nächsten Autosalon gehen und mit Ihrem frisch erworbenen Kleinwagen von Donaueschingen nach Hause fahren.
    Nein, Sie werden sich in den Zug 2. Klasse setzen und dort mindestens 3 Stunden (falls Sie das Glück haben, ohne Verspätungen zu fahren) das unendliche Gequatsche Ihrer Mitfahrerinnen anhören müssen, die in endlosen Tonbandschleifen ihre monatlichen Menstruationsprobleme durchdeklinieren.

    – wechselstrom –