Off I
Donaueschingen ist wie Ostern, nur im Herbst. Es ist eine Eiersuche. Manchmal findet man schöne mit Schokolade und manchmal faule, die noch vom Vorjahr rumliegen.
Vorabend.
Die Anreise gestaltete sich als schwierig. Wir gerieten in den Stuttgarter Berufsverkehr und kamen eine Stunde zu spät im Foyer der Donauhalle an. Dort ist jetzt alles neu, der Provinzcharme gegen modernen Weltstadthochglanz getauscht. Sie haben das letzte konservative Bisschen zerstört. Nach dem Abendessen, wie immer gesponsert von der Fürstenbergbrauerei, der Transfer nach Villingen, in die Jugendherberge.
Transfer
Einige neue Gesichter sind dabei, aber auch viele bekannte. In Villingen unterhalte ich mich mit S., der ganz aufgeregt ist, weil er Angst hat, dass alles, was er sagt, morgen im Blog steht. Jetzt wird er nicht einmal namentlich erwähnt. Nach einigen Runden Kicker gehe ich ins Bett.
Tag I
Transfer
nach Trossingen. Ich lese im Programm einen Text über die Donaueschinger Musiktage. Sie sind einzigartig in der Welt. Und von internationalem Rang, groß im Kleinen und klein im Großen. Oder so. Ich beschließe, mich mehr mit mir selbst zu beschäftigen, das scheint gutzutun.
Wir werden von Frau Prof. Gutjahr begrüßt, sie spannt in einer furiosen Rede einen Bogen von der griechischen ὀρχήστρα bis zum Elektriker, der eine neue Lichtanlage installiert hat. Hinterher das Eröffnungskonzert mit studentischen Stücken. Manche Ausdrucksoffenbarungen, die Fortsetzung der Romantik mit anderen Mitteln.
Dann gehen wir in die unterschiedlichen Workshops: ich gehe zu Stefan Fricke: Musik und Raum. Er sagt uns, dass es keinen Frontalunterricht geben wird. Dann möchte er, dass wir alle Stühle, also die, auf denen wir sitzen, so langsam wie möglich zur Seite räumen. Dies tun wir, bis auf eine Ausnahme. Dann erzählt uns Stefan etwas über Musik, Raum und Klangkunst, das war dann doch irgendwie Frontalunterricht, nur, dass es für uns etwas unbequemer war, weil wir auf dem Fußboden sitzen mussten. Danach Mittagessen, Gulasch in der Mensa zu 3,50 €.
Nach dem Essen gings weiter mit Stefan Fricke. Er ließ uns verteilt im Raum Texte aus dem aktuellen Südkurier lesen. So entstanden kleine Textgeflechte. Am Ende mäanderte dies in ein Gespräch aus, Stefan sagte, Freiheit sei das Beste, was uns passieren könne. Das Schlusswort war ein Luther-Zitat: „Ein Christenmensch ist niemand untertan. Ein Christenmensch ist jedermann untertan“. So entließ er uns. Danach begann ich, dies zu schreiben (aber nur bis zur Mitte von Tag I).
Transfer
In Donaueschingen hörten wir dann die Generalprobe von François Sarhans Die Enzyklopädie des Professor Glaçon in den Fürstlichen Sammlungen. Ein Sammelsurium, kammermusikalische Stücke, eingebettet in einen originellen, bizarren Rahmen: einer gefakten Enzyklopädie, die vor allem aus Collagen nostalgischer Drucke besteht. Das Duo für Flöte, Fender-Rhodes und Zuspielung konnte musikalisch überzeugen, die Präsentation des Streichtrios im Trophäenkabinett war ein schöner Einfall. Nichts desto trotz beschlich mich die Frage, wozu dies alles, und ich konnte sie mir nicht beantworten. Das finde ich auch eigentlich nicht schlimm, ich hatte allerdings auch nicht das Gefühl, dass das Stück unbedingt sein muss. Also alles irgendwie ganz nett, aber eben auch harmlos.
Zwei Stunden Pause. Zunächst besorgte ich mir noch eine Zahnbürste, die hatte ich in Leipzig vergessen, dann verbrachte ich die restliche Pause im Cafe Central bei einer Heißen Zitrone.
Spaziergang
zum Thema Musik live spezial, der alljährlichen, auftaktigen Rundfunkpodiumsdiskussion. Dieses Jahr mit dem unglaublich langweiligen Thema „Ich kenne kein Weekend“ (Beuys) – Von Festival zu Festival. Also eine Selbstbespiegelung. Glücklicherweise gab es in der Runde Christina Kubisch, die den Festivalmachern neben sich mitteilte:
ohne uns Künstler hättet ihr keine Arbeit!
Christine Lemke-Matwey wurde wieder von allen geärgert. Noch zwei Zitate aus der Runde, die für sich selbst sprechen:
Ein Spezialpublikum ist nichts besonderes. (Eleonore Büning).
Und:
Die Musik braucht einen Ort, an dem sie zu sich selbst kommt. Also Donaueschingen. (Armin Köhler).
Dann musste Armin Köhler nochmal betonen, das Donaueschingen das älteste und traditionsreichste Festival der Welt ist, woraufhin ein Mann aus dem Publikum korrigierend dazwischenrief. Es gibt wohl noch ein älteres skandinavisches Festival. Köhler sagte darauf, dass Donaueschingen aber das älteste nur mit neuen Stücken sei. Also was jetzt? Alt oder neu?
Die viel interessantere Frage, warum das denn wichtig sei, dass Donaueschingen das älteste und traditionsreichste Festival der Welt ist, konnte Armin Köhler indes nicht beantworten. Dann
Transfer
zur Jugendherberge Villingen-Schwenningen. Hier ist jetzt noch ein bisschen Party. Soweit für heute, herzlich grüßt
eure Laus im Pelz von Donaueschingen.
Es ist wieder soweit! Donaueschingen!!! Das mit dem Christenmenschen und dem Frickeschen Langsamstuhltragen scheint bisher das Exotischste zu sein. Das Rundengerede, wie wichtig alt oder alt wichtig ist, die Publikumszu-/beschreibungen – das kennen wir doch von jedem Festivalründchen.
Mir Vorausschaupsycho gerinnt allerdings das Blut angesichts von Flöten-Fender-Fuspielungen… ffff. Wenn das den jungen Autoren gefällt und dennoch die war-da-eigentlich-Frage generiert. Und Schweiss bricht mir aus der Stirn, dass ich dieses Jahr schon wieder Donaeschingen verschwitzte. Ich freue mich auf den Äther, Tage später.
Wie sympathisch ist dagegen die Münchner freie Szene: man kann nun ganz frei und unbesorgt die momentan ultravielschalligen Konzerte besuchen, ein Fest, Festival, fast schon. Man weiß alle Premiumkritiker und Frei-Szene-Beseufzer in Donauquellstadt. Was diese bemitleidenswerten Leider nun erwartet, leider unkt es schon der Møller-Monrad hier.
Im Provinznest hier konnte und kann man zuletzt bestaunen: am Dienstag Preisabend mit den Münchner Musikstipendiaten, Mittwoch Moritz Eggert im Verhör, Donnerstag pianopossibile mit Köszeghy, Schedl, Nova, Gordon – wie das fenderte, immerhin dramaturgisch perfekt komplett durchglänzte, Freitag die Wiederauferstehung Boses samt Brass und Nickel sowie ein Liederabend mit Lothar Vougtländer, Samstag die Feldmanspezialfrau Sabine Liebner, Samstag und Sonntag die Herbstausgabe des Musiklabors der Musikhochschule, sonntags die Taschenphilharmonie und die Flötenvirtuosin E. Weinzierl und abends Laura Konjetzky mit ihrem O. Klenk – man weiss gar nicht wohin man soll. Spannend allemal, kontrovers, kontrastreich, streitbar, mal neuer, mal konventioneller – dennoch x-Positionen, Namen, die man zum grossen Teil selten hört.
Donaueschingen wohl der übliche Cafe mit Rihm, Billone, Stache, Mitterer, Thomalla, Poppe, Newski, Saunders, Nemtsov, ter Schiphorst, Hagen, Dohmen, Haddad, etc….
Alles nette, sehr gute KollegInnen – aber reihum bekannt, von Event zu Event geschleust, nichts Neues an Positionen als die Vertiefung der bereits bekannten. So interessant das ist: man hat aber einen sehr soliden Erwartungsrahmen der erfüllt wird, Donaueschingen so spannend wie die Reihen der Bach- und Mozartkonzerte e.V. hierzustadte. Das werden die Premiummedien feiern, auch Teile der NMZ.
Und dieses Fachpublikum samt der restlichen Entourage, die sich immer auf den Festivals trifft und den „Wind“ dort macht erlebt gute Namen, mal wieder in der SWR-Mikrowelle ausgetrocknet. Das erinnert an fade, ewig wiederholte Kreissparkassenwerbung im Lokalkino, wie spannender, aufregender sind da selbst die Olds der Neuen Musik in meinen o.g. Konzerten: das ist wenigstens die berühmte Eiswerbung vor der Filmvorschau, wenn man sich auf das alte-neue Magnum freut.
Ich kann nur rufen: Polizei, Polizei – legt Brass und Schedl in Ketten! Die leihen wir nie wieder in die SWR-Ödnis aus, auch wenn der eine oder andre von den zweien dort sich geliebter fühlt als im mit schlechter Musik unterversorgtem Freie-Szene-MUC… Wann übrigens verkauft der SWR, der ewig kürzend wollende, die Musiktage endlich an BR und ORF-Tirol? Wäre das eine Freude zwischen Münchner Pseudokleingeist aka hoher Anspruch und Schwazer Sonne – das scheint aber keiner der D-Programmierverantwortlichen und -bejubelnden selbstkritisch genug aushalten zu wollen, lieber die netten KollegInnen mit ihrer Sosse einlullen, sie an das ewig Gleiche fesselnd als sie fliegen zu lassen, freier denn je zu machen, wirklich Luft und Geist zu ermöglichen…
Schade, so versickert Neue Musik mal wieder in arrogance wie die Donau bald hinter D-eschingen.
Gute Nacht, Ihr Neue-Musik-Ödnis-Michels!
A. Strauch