In der Fremde (2): Arne Gieshoff in London

Nach der großen Resonanz auf Stefan Pohlits Bericht aus der Türkei, möchte ich die Reihe mit „Komponisten in der Fremde“ über deutsche Komponisten, die sich entschieden haben, im Ausland zu studieren oder zu wirken, fortsetzen mit dem jungen Komponisten Arne Gieshoff.

Arne Gieshoff

Arne Gieshoff

Arne ist Jahrgang 1988 und machte schon früh sowohl als Pianist wie auch Komponist auf sich aufmerksam (mehrfacher Preisträger Bundeswettbewerb Komposition der Jeunesses Musicales, Andreas Werckmeister-Förderpreis für sein erstes Orchesterwerk „Der Denker“, erster Preis Bundeswettbewerb „Jugend Musiziert“ in Klavier 2005). Er studierte bei Gerhard Fischer-Münster, Theo Brandmüller und Martin Christoph Redel, später bei Cord Meijering und Kenneth Hesketh, bei letzterem in England.
Arnes Musik ist von einer großen Erntshaftigkeit und Genauigkeit – er ist weder Schnellschreiber noch macht er es sich besonders leicht. Erfreulich ist auch sein innerer Drang, sich nicht nur mit Musik sondern auch mit Menschen zu beschäftigen, so wählte er als Arbeitsplatz für seinen Ersatzdienst die Arbeit in einer geschlossenen Psychiatrie. Im besten Sinne schaut seine Musik hinter die Dinge und gibt sich nicht mit Oberflächlichkeiten zufrieden, ist dabei von erstaunlicher handwerklicher wie musikalischer Reife.

England gehört nicht zu den Ländern, in die es junge deutsche Komponistinnen und Komponisten in Scharen zieht – ähnlich wie ich bei meiner Entscheidung vor vielen Jahren nach London zu gehen, erntete auch Arne viele verwunderte Blicke oder bekam die Frage: „Was willst Du denn dort?“. England wird zwar international als Musikland wahrgenommen – immerhin bringt es regelmäßig Musiker hervor, die international Karriere machen – aber es besitzt auch eine gewisse Hermetik, kocht quasi im eigenen Saft. In deutschsprachigen musikgeschichtlichen Werken wird England gerne als eine Art ewiges musikalisches Entwicklungsland dargestellt, das erst durch einen Haydn „befreit“ werden musste – was natürlich angesichts eines Landes, das Größen wie Purcell oder Tallis hervorgebracht hat, ziemlich fragwürdig ist. Tatsache ist allerdings, das das englische Königshaus jahrhundertelang eher die bildenden Künste gefördert hat, und der archetypische englische Komponist eher „Laie“ ist, vielleicht sogar einen ganz anderen Beruf ausübt. Eine Biografie wie die des skurrilen Havergal Brien ist in England als typisch anzusehen. Bis heute werden selbst herausragende und überregional berühmte britische Komponisten wie Benjamin Britten von der deutschen Musiktheorie immer als etwas fragwürdig und „zu publikumsfreundlich“ dargestellt. Hinzu kommt eine Musikszene, die quasi mit Minimalhonoraren funktioniert (für Musiker wie Komponisten) aber gerade aus dieser Armut ein größeres Ehrgefühl entwickelt hat als hierzulande (so ist es im Gegensatz zu uns in England üblich, dass Ensembles oder Solisten die Aufträge an Komponisten aus eigener Tasche bezahlen). Aber das kann Arne alles selber viel besser erzählen….(Moritz Eggert)


1) Was hat Dich damals bewogen, nach Großbritannien zu gehen? Waren es musikalische oder private Gründe, oder einfach nur Neugier auf eine andere Kultur?

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Nach dem Ende meiner Schulausbildung im Jahre 2008 und während meiner Zivildienstzeit stellte sich die Frage, wo ich mich als Kompositionsstudent am besten aufgehoben fühlen würde. Der naheliegendste Gedanke wäre natürlich eine der vielen Musikhochschulen in Deutschland gewesen. Allerdings fühlte ich mich zu der Zeit der zeitgenössischen Musik Großbritanniens und ihrer – verallgemeinernd gesagt – überwiegend undogmatischen Art eher verbunden. Darüber hinaus riet mir mein damaliger Lehrer Cord Meijering die Aufnahmeprüfungen in London zu absolvieren. Neben ästhetischen Überlegungen reizte mich die Offenheit der englischen akademischen Welt. Obwohl ich mich auch für Aufnahmeprüfungen an deutschen Hochschulen beworben hatte, stand für mich nach erfolgreich bestandener Prüfung und dem Erhalt eines Stipendiums am Royal College of Music relativ schnell fest, diesen Weg zu wählen. Und so entschied ich mich – mit der Überheblichkeit eines Studienanfängers – nicht die typische Studierendenlaufbahn eines anstrebenden deutschen jungen Komponisten einzuschlagen. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ich mich mehr als nur physisch von dem musikalischen Deutschland, distanziert habe. Vielmehr hat sich durch das Leben in der Fremde meine Zuneigung zur und Wertschätzung der deutschen Musikszene verstärkt. Ein weiterer Aspekt meiner Entscheidung und wohl der Wichtigste war, dass ich mit Kenneth Hesketh einen Lehrer gefunden hatte, der gleichzeitig ein hervorragender Komponist und Lehrer ist und mit dem ich auch persönlich sehr gut zu Recht komme. Des Weiteren war London als Schmelztiegel verschiedenster Kulturen und ständiger Betriebsamkeit – insbesondere kulturell – interessant für mich. Noch als Schüler, ein Jahr vor meiner eigenen Aufnahmeprüfung, reiste ich einige Male als Klavierbegleiter eines befreundeten Geigers nach London und war sofort beeindruckt von der Stadt und ihren akademischen Einrichtungen. Sicherlich war mein Enthusiasmus für diese Entscheidung ins Ausland zu gehen, teilweise der Faszination durch das Fremde geschuldet; und so haben sich viele, aber nicht alle Erwartungen erfüllt; Unerwartet Positives aber auch Negatives hat sich in den knapp zwei Jahren, in denen ich nun hier lebe, ergeben.

2) Was würdest Du als die gravierendsten Unterschiede zwischen der Deutschen und Britischen zeitgenössischen Musik(szene) beschreiben? Welche Probleme gibt es/ was ist besser (in Großbritannien)?

Der gravierendste Unterschied ist wohl auf eine generelle gesellschaftsspezifische Eigenheit zurückzuführen: Stark verallgemeinernd gesprochen, ist man als Ausländer mit einer fast schon übertriebenen Höflichkeit konfrontiert, die sich auch im musikalisch-ästhetischen Diskurs widerspiegelt. Dies macht es schwer, offene und aufrichtige Diskussion über essentielle Fragen zu führen und so scheint man allzu oft nur an der Oberfläche zu kratzen. Es braucht seine Zeit um zu lernen, die Essenz dessen was gemeint ist, aus dem was gesagt wird zu destillieren. Es wäre unfair, der britischen Musikszene deshalb Antiintellektualismus vorzuwerfen; obgleich ich vermute, dass sich hinter der oberflächlichen Verweigerung des ständigen Verfechtens von ästhetischen Prinzipien auch eine Verweigerung des Dogmatismus steht, der traditionell mit der deutschen Musikszene – teilweise zu Recht, teilweise zu Unrecht – verbunden wird. Trotzdem verbirgt sich hinter einem vermeintlichen Konservatismus bei den interessanten Figuren der Szene (nicht immer und immer häufiger nicht die großen Namen) ein großer intellektueller und künstlerischer Anspruch, auch wenn die Musik an der Oberfläche vielleicht nicht einem einseitigen Avantgarde-Begriff entspricht (Ich verfechte hier nicht einen Konservatismus-Begriff im Sinne einer Neoromantik, Post-Minimalismus o.ä. – ganz dezidiert nicht und im Gegenteil). Ich denke, dass es für einen Studenten durchaus erfrischend sein kann, einige Zeit in einer Umgebung zu verbringen, in der er sich nicht ständig zu rechtfertigen braucht. Dies wird dann zum Problem, wenn die Musik selbst allzu „höflich“ wird. Überraschenderweise scheint gerade eine Gruppe von jungen Komponisten eine „lingua franca“, die technisch einwandfrei und „pleasant“ ist, zu entwickeln, die keinem „wehtut“. Insofern unterscheiden sich Deutschland und Großbritannien wohl nicht: Man weiß, was man zu schreiben hat, um den und den Preis, Auftrag etc. zu erhalten. Die Frage ist, ob man sich diesem – wohl auch finanziellen Druck – hingibt oder nicht. Damit meine ich nicht, dass man stilistisch nicht flexibel sein kann. Ein weiterer Aspekt, der auf diese „lingua franca“ Einfluss nimmt, sind praktische Erwägungen: Zu kurze Probezeiten u.ä. zwingen auch die großen Namen in Kompromisse. Das ist wohl normal und bedingungslose Aufträge sind quasi nicht existent; wenn jedoch Praktikabilitätserwägungen überhand nehmen, wird das meiner Ansicht nach zum Problem. Das ist allerdings ein globales Phänomen, das einen risikofreien „globalen Stil“ fördert, der mal mehr „deutsch“, mal „französisch“ oder „britisch“ klingt. Das Aufregende an London ist die Internationalität, die von den Komponisten absorbiert wird. Anders als in Deutschland, wo die Szene eher um sich selbst zu kreisen scheint, gibt es in Großbritannien keine in dem Maße manifestierten Schulen. Das birgt die Gefahr von Beliebigkeit und den Verlust einer ästhetischen Richtung. Überwiegend positiv ist jedoch, dass man erst mal die Freiheit hat, zu machen, was man will. Obwohl meine Lehrer in Deutschland dies immer gefördert haben, schien die allgemeine Atmosphäre von einer „Das-macht-man-nicht (-mehr)“ – Einstellung bestimmt zu sein. Ich erinnere mich an eine Situation auf einem Ferienkurs, in der der Dozent, sämtliche Oktaven aus meinem Stück eliminierte. Das konnte ich zwar intellektuell nachvollziehen, hatte aber mein Gefallen an „Löchern in der Textur“ und mag die auch ganz gerne… Darüber hinaus ist interessant zu sehen, dass, obwohl wir in einer Zeit leben, die immer globaler wird, die Musikszenen relativ isoliert sind. Große Namen in England sind teilweise fast gänzlich unbekannt in Deutschland und vice versa und die Osmose braucht immer eine Weile. (Manchmal ist das auch besser so…) So sind die so genannten englischen „Wunderkinder“ z war auf der Insel unfehlbare Größen, spielen aber in Kontinentaleuropa nur eine untergeordnete Rolle. Da die Gesellschaft in sie so viel investiert hat, sind sämtliche Projekte zum Erfolg verurteilt – etwas, dass natürlicherweise der Qualität einzelner Werke nur bedingt entspricht und mich oft mit Verwunderung zurücklässt bei der Lektüre der (gelegentlich allzu positiven) Kritiken. Dies muss man jedoch eher dem Musikbetrieb als dem einzelnen Künstler vorwerfen. Ähnliche Probleme gibt es wohl in jedem System, das auch wirtschaftlichen Kriterien unterworfen ist. Vor dem Hintergrund von großen finanziellen Einschnitten werden sich die Probleme in Großbritannien in Zukunft wohl noch verschärfen. Förderprojekte außerhalb des einem Effizienzgedanken unterworfenen Konzertbetriebs werden geschlossen werden. Der Umgang und die Auseinandersetzung mit diesem finanziellen Notstand bietet allerdings auch die Möglichkeit kreativer Lösungen und der künstlerischen Aufarbeitung. Das aus dem Prekären entstandene kann gelegentlich mehr Kraft entfalten, als das aus einer sicheren Position stammende. (Dieser Ort des Überflusses muss allerdings wohl erst erfunden werden.)

3) Lässt Du Dich selber von musikalischen Erfahrungen in Großbritannien (oder auch anderen Ländern) beeinflussen, oder gibt es einen Teil von Dir, der vollkommen unabhängig agiert?

Für mich ist Komponieren immer auch Reaktion auf Gegenwärtiges – sowohl zeitlich als auch örtlich -, wenn auch mit der Hoffnung und dem Anspruch, außerhalb dessen Relevanz und Gültigkeit zu haben. Allerdings spielt sich dies in meinem Fall eher als unterbewusster Prozess und Manifestation im Abstrakten ab und nicht als konkrete Reaktion auf etwas Spezifisches. Außerdem ist der kulturelle Unterschied zwischen Großbritannien und Deutschland im Vergleich zum globalen Spektrum eher marginal, was es schwierig macht nationenspezifische Erfahrungen und deren Einfluss auf meine Musik festzumachen. Ich versuche im Moment eher den Teil von mir zu verstehen, der vermeintlich unabhängig ist – abgesehen von der Eingebundenheit in eine Gegenwart – und eine originäre (nicht originelle!) Sprache zu entwickeln. Natürlich spielen dabei Einflüsse von Lehrern und Kommilitonen sowie des sich in „Opposition-Dazu-Verhaltens“ eine Rolle. Es war und ist interessant für mich durch das Leben in der Fremde festzustellen, wie „deutsch“ und was „deutsch“ a n meiner Musik ist. Natürlich hinkt dieser Nationenbegriff in der stilistischen Beschreibung und es ist schwer zu fassen, was „deutsch“, „französisch“ o der „britisch/englisch“ etc. ist (wenn man hinter die technische Fassade blickt). Die Begrifflichkeiten bleiben Klischees. Meine Musik bedient sich Systemen als Katalysator für kreative Prozesse. Diese Systeme versuche ich zu entdecken und im Laufe des Kompositionsprozesses zu mutieren, zu verbiegen, zu durchbrechen und zu zerstören um das Spannungsfeld zwischen Bewusstem und Unbewusstem, dem Geplanten und dem Improvisatorischen, dem Apollinischen und dem Dionysischen auszuloten. Seit ich in London lebe, habe ich mehr Mut zum Risiko, zur Komik und zum Verrückten. Ob das jedoch im Zusammenhang mit dem Leben in einer anderen Umgebung steht, die verspätete Reaktion auf meinen Ersatzdienst in einer geschlossenen Psychiatrie oder eine natürliche Entwicklung ist, fällt mir schwer zu beurteilen.

4) Wie hat sich Dein Blick auf die musikalisch/ästhetische Diskussion in Deiner Heimat (D) durch Deine Zeit im Ausland verändert?

Wie schon gesagt, gestaltet sich der musikalisch-ästhetische Diskurs in Großbritannien eher in einer verschleierten Form. Aber natürlich kennt man seinen Kreis von Menschen, mit denen offene und wertvolle Diskussionen stattfinden. Daher ist wohl das, was sich am ehesten seit meinem Umzug nach London verändert hat meine zunehmende Wertschätzung für die Direktheit der Diskussion in Deutschland. Zumindest empfinde ich das von meinem jetzigen Standpunkt aus so. Ob dies nur der Tatsache geschuldet ist, dass man oft das ersehnt, was man im Moment nicht in dem Maße hat, oder ob es eine objektive Beobachtung ist, kann ich schwer sagen. Obwohl ich den Egozentrismus der deutschen Szene – verallgemeinernd gefasst – grundsätzlich kritisiere, ist mir die Aufrichtigkeit mit der über musikalische Probleme gesprochen wird, sympathisch. Abgesehen von inhaltlichen Differenzen, ist mir am wichtigsten, dass der Dialog mit Ernsthaftigkeit (nicht ernst) geführt wird.

5) Würdest Du Deine Zeit im Ausland als „karriereförderlich“ bezeichnen? Oder eher als persönlichkeitsbildend (was für Musik natürlich wichtiger sein kann)?

Für mich als Studienanfänger wäre es wohl etwas überheblich von „Karriere“ z u sprechen und ich bin mir auch nicht ganz sicher, was das überhaupt ist. Die Frage, die ich mir Stelle, lautet, ob ich „gute“ Musik schreibe oder zumindest „bessere“ als zuvor. Dies kann ich für mich selber und vollkommen subjektiv bejahen, weiß jedoch auch, dass das ein andauernder und schwieriger Prozess ist. Insofern ist „Karriere“ und „Persönlichkeitsbildung“ im Moment wohl deckungsgleich. Ob ich bessere Chancen habe, haben werde oder gehabt hätte, wenn ich in Deutschland geblieben wäre, ist hypothetisch. Ich kann mich allerdings bezüglich Aufführungen sowie in Sachen Studienmöglichkeiten außerhalb der Hochschule (Meisterkurse etc.) hier sowie in Deutschland im Moment nicht beklagen. Alles Weitere ist zumindest gedanklich noch nicht in Reichweite und liegt wohl auch nur bedingt in meiner Hand.

6) Wo möchtest Du selber am liebsten dauerhaft leben?

Das ist schwer zu sagen. Im Moment fühle ich mich sehr wohl in London, überlege jedoch für meinen Master nach Deutschland zurückzukehren. Ich hoffe, dass mir manche Entscheidungen durch äußere Umstände abgenommen werden.

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