Martern aller Arten in Marzahn (4)/ Kammerphilharmonie Wien

Es scheint ja wirklich so zu sein, dass die Rotstiftschwinger in der Kultur sich immer dann rühren, wenn die große Masse der Menschen durch Schlimmes (Japan, Libyen etc.) abgelenkt sind. Und manchmal gehen sie dabei so perfide und gleichzeitig hilflos vor, dass es dann auch schon wieder unfreiwillig komisch ist.

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So erschien zum Beispiel vor wenigen Tagen im „Marzahner Abendblatt“ ein von der kommissarischen Schulleiterin Yvonne Moser lancierter Artikel (einem – oder mehreren? – armen Lohnschreiber/n mit dem Kürzel -tho/pm zuraunend), in dem die Reduzierung des Jugendorchesters pädagogisch verbrämt positiv begründet wird. Wie das gelingen soll, ist eigentlich gleich der Quadratur des Kreises gleich, aber unglaublicherweise wird es tatsächlich versucht, siehe hier:

Marzahn

Einmal abgesehen davon, dass der Artikel so öde geschrieben ist, dass sich die Lektüre des Marzahner Telefonbuchs wahrscheinlich wesentlich spannender gestalten würde, gibt es schon einige bemerkenswerte Punkte. So ist hier zum Beispiel die Rede davon, dass „die Mitbestimmungsrechte der jungen Musizierenden….weiter gestärkt werden sollten“. Der Redaktionsschluss dieses Artikels lag aber VOR dem Zeitpunkt, an dem das Orchester (die „jungen Musizierenden“ also) überhaupt über die bevorstehenden Kürzungen informiert wurden. Jegliche „Mitbestimmung“ wird also faktisch mit den Füssen getreten und der Artikel selber ist das beste Beispiel dafür.

Von „Kommerzialisierung“ ist die Rede (das soll natürlich den vielen linken Lesern in Marzahn suggerieren, dass hier mit ihren armen unschuldigen Kindern kapitalistischer Menschenhandel betrieben wird). Wenn die ohnehin schon nicht gerade überbezahlten Organisatoren des Orchesters ihre Freizeit und alle Energie opfern, um quasi ehrenamtlich das Orchester zu leiten, Reisen-und Probewochenenden zu organisieren, Noten zu besorgen, Programme zu erstellen, Folgekonzerte zu wuppen etc., dann ist das „kommerziell“. Wenn die Kinder und Jugendlichen alleine gelassen werden, und statt dessen gar nichts mehr mit dem Orchester passiert, dann ist das „unkommerziell“. Ich finde solche Tatsachenverfälschung weder kommerziell noch unkommerziell sondern einfach nur zum Kotzen.

Der unglaublichste Satz dieses ganzen traurigen Zeitdokumentes kommt aber am Ende: „Eine Reduzierung der Veranstaltungsfülle ermöglicht von nun an mehr Aufmerksamkeit für zeitaufwändige Lern- und Übungsprozesse für Schüler mit unterschiedlichsten Fähigkeiten“. Das klingt ja erst einmal scheinbar plausibel, bis man es sich mal genau auf der Zunge ergehen lässt: Moment einmal, wird hier etwa wirklich versucht zu sagen, dass ein Orchester, dass weniger spielt, weniger Projekte macht, den Schülern weniger Erfolgserlebnisse bietet, etwa….pädagogisch wertvoller ist????????
Aha, Fußballmannschaften die weniger Fußball spielen, werden dadurch besser? Schauspieler, die nur noch selten auf der Bühne stehen, bekommen mehr Bühnenroutine? Chirurgen, die möglichst wenig operieren, werden dadurch erfahrener und sicher?
Was für ein bodenloser, ja geradezu perverser Quatsch, der hier unter dem Deckmäntelchen der pseudoengagierten Pädagogik vor uns ausgebreitet wird. Gerade für „junge Muszierende“ ergibt sich doch die Freude am Musizieren dadurch, dass man für andere Menschen musiziert, sprich: Konzerte gibt. Genau deswegen lernt man ja das Instrument, nicht dafür, dass man im stillen Kämmerlein „zeitaufwändige Lern-und Übungsprozesse“ hinter sich bringt – der Spass kommt durchs Spielen für andere, dafür sind Instrumente da, und für nichts anderes.
Wie krank ist ein Land, wenn das als Bildungspolitik bezeichnet wird: „Ausdauer, Verlässlichkeit und Disziplin“ sollen gelehrt werden, aber am besten ohne Spass daran, ohne Erfolgserlebnisse, ohne Reisen nach Salzburg, ohne Applaus…und am besten nur in Marzahn-Hellersdorf konzertieren und auf keinen Fall den Bezirk verlassen, wo käme man denn hin, wenn andere Leute dieses Orchester vielleicht auch noch gut finden und die Kids aus Marzahn-Hellersdorf aller Welt zeigen dürfen, was sie drauf haben? Daher auch die „notwendige Anpassung der Mittelverteilung“, was glaube ich die lächerlichste schönfärbende Umschreibung einer Kürzung ist, die ich je gelesen habe.

Auch in Wien tut sich Unerfreuliches, sprich eine „notwendige Anpassung der Mittelverteilung“: Die Wiener Kammerphilharmonie hat jegliche öffentlichen Subventionen gestrichen bekommen (es waren ohnehin nur noch 14.000,-EUR im Jahr) und ist damit trotz internationaler Renommiertheit auch effektiv dem Untergang geweiht.
Hier gibt es eine Online-Petition, es macht wenig Mühe, diese zu unterzeichnen, bitt tut dies!

Moritz Eggert

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5 Antworten

  1. querstand sagt:

    Es ist schamlos, wie Geldkürzungen als pädagogische Verbesserung deklariert werden. Mag sein, dass es sinnvoll ist neue Schülerrservoirs zu gewinnen und diesen auch Ensemblearbeit anbietet. Nur: es gäbe ein bereits ein Nachwuchsorchester, welches genau für diese potentielle Klientel geeignet wäre oder man gründet ein noch niederschwelligeres Ensemble. So aber werden Fortgeschrittene und Studienkandidaten mit absoluten Greenhorns in einen Topf geschmissen: das frustiert beide Seiten, weil es für die einen viel zu leicht wird, für die anderen viel zu schwer sein müsste, um die Längererfahrenen zu fordern. Das ist nicht pädagogisch, das ist einfach nur blöd, strunzdumm! Und es verkehrt sich das Totschlagargument des „Kommerz“: mehr Schüler zum Preis schlechterer Pädagogik, das ist Ausverkauf, das ist Ramschkommerzialistik.

    Was auch nicht klappt, ist zu behaupten, dass durch die Veranstaltungsminderung mehr Zeit der Dozenten für Förderarbeit frei würde. Durch die Deputatsverringerungen wird deren Präsenz schlichtweg halbiert, hat ggf. das Jobcenter Berlin wieder einige Kunden mehr.

    Davon abgesehen hat Moritz vollkommen Recht, dass hier kein Kommerz vorliegt. Ja, durch den Echo für Pollicino und Kritik-Lorbeeren für den Plöner Musiktag ist das Orchester und sein Dirigent in aller Munde. So hat jemand durch künstlerische Arbeit für neidische Wohlfühlpädagogen zu großen Erfolg. Es ist wohl der alte Neid, den einige Dozenten gegen den Rest des Lehrkörpers hegen. Darin entblösst sich aber letztlich nur ihre eigene Unzulänglichkeit: dass andere es schaffen Laien nicht nur auf Batikkursniveau köcheln zu lassen, sondern künstlerisches Potential freilegen, was diesen Strickpullipädagoginnen komplett fehlt! Höchstwahrscheinlich wäre jedes bisherige Orchestermitglied ein aufregender Musiklehrer als diese Verhinderungsdidakten.

    Aus eigener Arbeit kann ich nur sagen: es mag Stücke geben, die für Anfänger zu schwer sind. Wenn sich aber Leistungswille wie Können von Schwächeren und Stärkeren einigermassen die Waage halten, kann man ihnen selbst fünfgestrichenen C’s zumuten. Die Pädagogik besteht hierbei, den Leuten diese schweren Stellen zu zeigen, ihnen langsam die Angst davor zu nehmen bzw. ggf. auch Mut zum Scheitern in diesem Falle zu geben, wenn der Rest des Stückes dann doch Spass macht. Kindern und Jugendlichen Probleme aber gar nicht zuzumuten, das ist wie heute noch älteren Kindern Rechner und TV total zu verbieten. So nostalgisch hübsch dies sein mag, nur wenn man sie und sich mit dem Gegenüber konfrontiert, ist ein verantwortungsvoller Umgang lern- und lehrbar.

    So ist dies aber nur Vogelstrausspolitik, Erfolgsneid, pädagogische Inkompetenz, politische Unfähigkeit, etc. Man hat mal leider wieder den Eindruck, dass hier ein ex-stalinistischer Maternalismus – all die Bezirks- und Leitungsdamen der Musikschule – , wie das Auftrittsverbot ausserhalb des Viertels an das DDR-Reiseverbot erinnert. Schade nur, dass keine dieser Damen wirklich die Musikschüler des bisherigen Orchesters „Wir sind das Volk“ weinen hören will. Was aber ist anderes von ehemaligen SED-Leuten und ihren modernen Erfolgsneidern zu erwarten?!? Da sei daran erinnert, dass die Musikschule nach einem Patron benannt ist, der durchaus vom damaligen Regime mehr geschätzt wurde, als jetzt diese Provinzposse seinen Namen durch den Dreck und uns Alle mit solchen Artikeln durch den Kakao zieht: Hans Werner Henze. Man sollte um das Büro der Musikschulchefin und das Bezirksamt eine Mauer aus zusammengeschweissten, stählernen Orchesterreisemetallkontrabasskoffern ziehen. Was hier an fiesen Dingen abgezogen wird und immer mal wurde, das gehört eigentlich in einen Tresor, der dann in Gorleben versenkt wird. Aber so kontaminiert wie das ist, wie hier Wiederaufbereitung betrieben wird, kann man nur sagen: in den Leitungsetagen herrscht dort nur ein geseitiger Super-Gau! Abtreten und Setzen – da hatte selbst der CSU-Freiherr am Ende mehr Räson…

    Grußlos,
    Alexander Strauch

  2. Erik Janson sagt:

    Liebe Leute,

    mir schwillt unendlich der Kamm, wenn ich so was lese wie den lancierten Artikel von „Madame Yvonne Moser“:
    „Laienmusizieren fördern“ – mehr „Übungsmöglichkeiten im Unterrichtsgeschehen“ etc. pepe.

    Eine Art neue „Cindy aus Marzahn“ scheint da um zu gehen; nur nicht als RTL-comedy sondern das soll auch noch ERNST gemeint sein bzw. genommen werden,
    was diese Dame anscheinend ihrem Ghostwriter oder wie auch immer zu flüstert.

    Eine zynische, schamlose Vertuschung des Tatbestandes, dass hochmotivierte Jugendliche, die gerne weiter viel mehr konzertieren möchten (und müssen!), die später einmal vielleicht Profimusiker werden möchten (oder zumindest die Möglichkeit dazu an die Hand bekommen wollen in der Musikschule erste Grundsteine dafür zu legen, DAS ist Aufgabe der Musikschule Frau Moser!!) dieser Möglichkeiten beraubt werden sollen.

    Erbärmlich: DAS ist genau der Neoliberalismus und Kulturfaschismus pur (nämlich faschistoid im Sinne: „Laien“- und Pseudokultur soll alles sein, Vorhaben mit gehobeneren Zielen werden wieder ausgemerzt!) pur auf den wir immer mehr zu steuern!

    Die perfekte Pseudo-Legitimation des Kaputtsparens von Hochkultur: nur noch eine Einheits-Sauce soll es geben.
    Kinder sollen nur noch „Spaß“ haben, sich nur noch „laienmäßig“ und wie in „Verwahranstalten“ betätigen (alles halb, nichts richtig machen, hauptsache der Medienkonsum stimmt), sollen nichts richtig lernen (z.B. ein INstrument richtig, mit Leidenschaft, wie aus den verzweifelten Hilferufen und Briefen der Jugendlichen klar ersichtlich ist, dass dieser Wunsch besteht!

    Es soll nur noch alles Nachmittagsbelustigung werden…
    ob in Musikschulen offenen Ganztagsschulen oder sonst wo.
    Es geht anscheinend nicht mehr darum, Kindern und Jugendlichen, die sich für eine SACHE interessieren (ernsthaft ein Instrument zu lernen) ernst zu nehmen, im Sinne dass man sie fordert/fördert und ihnen die Perspektive eröffnet, das mal zu studieren, früh seriöse und viel Konzerterfahrungen zu sammeln etc.
    Das müssen zukünftig wohl Kinder und Jugendliche (ob aus „Problembezirken“ wie Marzahn oder anderswo)im Privatunterricht mit den entsprechenden Leuten machen.
    Oder es müssen vielleicht kulturelle Bürgerwehren demnächst selbst private Orchester gründen.

    Mit Politik und Verwaltung (allen voran rot-grün) ist wohl nicht mehr als Unterstützer von anspruchsvoller Kultur und in Punkto Inschutznahme von „Randgruppen“ (nämlich die die noch vernünftig was lernen WOLLEN, Begabtenförderung etc.) zu rechnen. Wenn überhaupt jemals man das zu hoffen wagte (vielleicht zuletzt noch bis vor der Jahrtausendwende, aber dann gings steil bergab). Aber schwarz-gelb steht dem ja inzwischen kaum mehr nach.

    Quo vadis, Deutschland?

  3. wechselstrom sagt:

    Grauslich, welche Idioten in Marzahn regieren.

    Das ist die Fortführung der Kultur-Politik eines Mao-Tsedung mit demokratischen Werkzeugen. Kaum ergreifen Leute Eigeninitiative, werden sie von der Politik argwönisch beäugt. Stellt sich Erfolg ein, wird ihnen alles wieder abgedreht. Geiz, Missgunst und Neid sind hier die Leitlinien politischen Handelns, sie haben sich in Berlin auf Bezirksebene etabliert.

    Unfassbar, dass so etwas in die Politik einziehen kann.

    Ein sozial verantwortungsloses Polit-Gesindel tritt auf die Leute herum, die sich (da zum Großteil noch nicht im wahlberechtigten Alter) kaum zur Wehr setzen können. Pfui Teufel!
    Das Signal, das die Marzahner Kulturpolitik aussendet, lässt für intelligente junge Leute nur einen Schluss zu:
    SCHNELL RAUS AUS DEUTSCHLAND!!!

    – wechselstrom –

    Ähem: In Österreich regieren ähnliche Trottel, nur sind sie hier schwarz angefärbt:
    Unis werden finanziell ausgedünnt, ab 2012 sind alle Mittel zur Finanzierung wissenschaftlicher Publikationen
    auf Null gesetzt, Erwin-Schrödinger-Institut abgewürgt, da haben nicht einmal Proteste von Nobelpreisträgern ein Einlenken bewirkt – etc. etc. etc. – Marzahner Verhältnisse haben wir hier auf Bundesebene.

  4. querstand sagt:

    Im Musikschulnewsblog, auch auf Seiten der NMZ verlinkt, findet man am 29.Sept.10 einen Bericht über das JSO Marzahn-Hellersdorf. Ganz unten ein youtube-Film, auf dem die jetzige Musikschulleiterin stolz von der Namensgebung der Hans-Werner-Henze-Musikschule spricht, die Kontakte heraushebt, das Flötenensemble, welches beim Pollicino mitspielte – wohl auch ein Kontakt Jobst Liebrechts – , wie Jobst Liebrecht, den Leiter des JSO, auch als positiven Katalysator für das Renommee ihrer Musikschule heraushebt. Wie kann nach einem halben Jahr dann zu einem solchen Schwenk wie in jenem Kasbladl-Artikel kommen? Wenn man den Umkehrschluß zieht, war die bisherige JSO-Arbeit unpädagogisch. Es bleibt bei mir irgendwie der Stalinismusverdacht kleben: erst gehegt, dann vernichtet, je beliebter um so später gehasster. Streng betrachtet hat dies Alles nichts mit des Leiters Kompetenz zu tun. Es geht eindeutig nur um Kandare und Peitsche, eben Erfolgsneid gewisser Damen an gewissen Machthebeln. Und der Kinderstimme – besonders gut auch auf Facebook unter „Jugendsinfonieorchester Marzahn-Hellersdorf“ zu finden wird nicht zugehört, gönnt man selbst diesen die Krönung aller Didaktik, den Lernerfolg, nicht. Schon verrückt, wie man auf den BLOGS der NMZ so schnelle Sinnes- bzw. Unsinnswandel verfolgen darf…

    A. Strauch

  5. „Ich glaube – und hoffe – auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten.“

    Arthur C. Clarke

    Ob Politiker oder Theologen die dümmsten Menschen der Welt sind, ist eine müßige Frage. Sicher ist, dass für beide Berufsgruppen nur solange eine Nachfrage besteht, wie das arbeitende Volk daran glaubt, die Vertreibung aus dem Paradies müsse ein einmaliges Ereignis vor langer Zeit gewesen sein. Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert:

    http://www.deweles.de/willkommen.html