Die Visionen des Marko Nikodijevic
Quasi als Nachtrag zur Diskussion über „methodisches“ Komponieren unter Zuhilfenahme von algorithmischen Programmen etc. möchte ich euch heute den deutsch/serbischen Komponisten Marko Nikodijevic vorstellen, dessen Arbeit mir außergewöhnlich gefällt.
Nikodijevic schreibt einerseits fast ausschließlich für akustische und geradezu „normale“ Ensembles – Orchester oder Kammerorchester z.B. – ist aber stark geprägt von Einflüssen elektronischer Musik und Vorgehensweisen, wie man sie aus dem DJ-oder Technobereich kennt, z.B. digitale Klanganalyse oder -veränderung, harmonische Prozesse, Zuhilfenahme von Computerprogrammen, etc.. In vielerlei Hinsicht stellt er also erst einmal den Komponistentypus dar, den Peter Köszeghy in seinem letzten Artikel kritisiert hat. Doch etwas ist anders bei Nikodijevic: seine Musik ist tatsächlich im besten Sinne „auratisch“, nirgendwo vermisst man die künstlerische Kontrolle über das, was musikalisch passiert, nirgendwo entsteht der Eindruck von Beliebigkeit oder „Füllmaterial“. Vielmehr spürt man deutlich, dass das, was letztlich klingt und in Partitur festgehalten wird, Ausdruck eines langen Arbeitsprozesses ist, bei dem „Methodik“ letztlich nur einen Teilaspekt ausmacht. Er weiß, was er will, und das ist in jedem Takt zu spüren.
Nikodijevics Partituren sind im Vergleich zu den meisten Vertretern einer „New Complexity“ (zu denen er definitiv nicht gehört) eher sparsam und übersichtlich, fast zurückhaltend in ihren Mitteln. Tatsächlich ist er ein langsamer und gewissenhafter Arbeiter, der seine Stücke stets revidiert und verbessert und nicht „herausschleudert“. Hinter seinen Stücktiteln steht oft „provisorische Fassung“ oder „endgültige Fassung in Vorbereitung“. Typisch für ihn ist quasi das verlängerte Hineintauchen in einen Klangmoment, der sorgsam ausdifferenziert aber eben auch nicht überdifferenziert wird. Kompositorische Eitelkeit ist dieser Musik fremd, es geht um eine Sache, ein Thema. Nikodijevic liebt eigenartige Klangostinati, die nicht langweilen und sich nicht abnutzen, da sich stets neue poetische Schichten auftun.
Harmonisch haben wir es hier mit einer Musik zu tun, die sich weder einer Dissonanztheorie noch einer Rückkehr zum Wohlklang verpflichtet fühlt, sich aber auch nicht in einem vagen Zwischenraum befindet, der sich jeglicher Definition entzieht (in der Beschreibung von Nancarrows Musik wurde dafür einmal der Begriff Pantonalität verwendet). Vielleicht ist es eine Musik, in der diese Frage gar nicht mehr vorkommt, weil sie ohnehin eine Illusion ist und wir es eigentlich vor allem mit unterschiedlichen Graden von Dichte und Komplexität zu tun haben, wenn wir über Musik sprechen. Insofern fühlt man sich beim Hören seiner Musik nicht an einem neuen „Endpunkt“ sondern tatsächlich am Anfang von etwas noch Undefinierten, das Potential in alle möglichen Richtungen hat. Und das hat etwas Befreiendes und Frisches. Nikodijevics Musik ist morbide, seltsam, nebelverhangen, ominös…aber eben auch „schön“ im besten Sinne.
Interessanterweise bezieht sich Nikodijevic in vielen seiner Werke auf andere Komponisten, genannt seien zum Beispiel Ligeti, Strawinsky und vor allem der posthum immer mehr an Bedeutung gewinnende frankokanadische Komponist Claude Vivier, dessen früher Tod eine Frage hinterlassen hat, die nach wie vor konstruktive musikalische Antworten fordert (z.B. in Nikodijevics Stück „chambres de ténèbres/tombeau de claude vivier“ von 2005-2009, auch bei diesem Stück ist schon die dritte Fassung „in Arbeit“ – wird es die „endgültige“ sein?). In Nikodijevics Orchesterstück „cvetic, kucica…/la lugubre gondola“ wird sogar eines der berühmtesten Spätwerke Liszts hervorgeholt und einer orchestralen (und digitalen) Analyse unterzogen, die in keinem Takt gewollt oder angestrengt klingt, sondern ganz im Sinne von Liszt eine anrührende Begegnung mit dem Vergänglichen ist. Der erste Teil des Stücktitels bedeutet auf serbisch „Kleine Blume, Kleines Haus“ und ist der Titel einer Zeichnung aus einem Notizbuch eines kleinen albanischen Mädchens aus dem Kosovo, dessen Leiche in einem von der serbischen Polizei versenkten Tiefkühlcontainer in der Donau gefunden wurde – eine ganz andere und schrecklichere Form einer „Trauergondel“, die sich auch Liszts Vorstellungskraft entzogen hätte (aber nicht der von Edgar Allan Poe, dessen Zitat „While from a proud tower…“ der Partitur als Motto vorangestellt ist). So etwas zu versuchen, ohne in eine triviale Betroffenheitsäthetik abzudriften, ist mutig, aber hier voll gelungen.
Über Nikodijevic ist trotz vieler Erfolge in jüngerer Zeit (1. Preis beim Gaudeamuswettbewerb, Baldreitstipendium, Preis der Brandenburger Biennale) noch nicht viel im Internet zu finden, daher habe ich mir erlaubt, hier zwei seiner Stücke online zu stellen, damit man auch etwas hören kann.
Hier das eben genannte Stück Funeral Music after Liszt, gespielt von Holland Symfonia unter Leenders. In dem Stück gibt es bei ca. Minute 4 einen irren Moment, in dem ein einziger neuer Akkord einsetzt, der der vorherigen „Einleitung“ rückwirkend einen ganz anderen Charakter gibt. Wie Nikodijevic in diesen Akkord „eintaucht“ ist ganz besonders gut gelungen.
Und hier das ebenso eindringliche Stück Gesualdo Transcriptions (provisorische Fassung, Studie für ein Klavierkonzert), gespielt vom Ensemble Modern/Perez. Aus einer extrem simplen, fast an Schnittke oder Killmayer gemahnenden Klavierfigur entsteht auch hier ein seltsames Panoptikum der Klänge, das den Hörer nicht so schnell loslässt. Wie aus dieser dezidiert antivirtuosen Musik jemals ein Klavierkonzert entstehen kann? Man darf darauf gespannt bleiben, wie auch auf weitere Stücke von Marko Nikodijevic.
Moritz Eggert
Nachtrag (20.2.2011): Auf diesem Blog sind noch mehr Musikbeispiele von Nikodijevic zu finden
Komponist
musik, die polarisiert, würde ich mal sagen. ein könner, zweifelsohne. danke für die eingestellten tracks!
Zweifelsohne eine außerordentliche Metierbeherrschung. Dazu hübsch, jung und sportlich- ein gefundenes Fressen für den lebensmüden „neue Musik“-Betrieb.