A Fistful Of Guttenbergs

Jetzt ist es passiert: Karl-Theodor von und derer zu Guttenberg von Enochs Gnaden (kurz: KT, ich habe wirklich keine Lust, das jedes Mal auszuschreiben) hat seinen Doktortitel zurückgegeben! Nach neuestem Stand (FAZ von heute) beträgt der Anteil der nicht näher bezeichneten „Fremdarbeit“ in seiner Doktorarbeit 70% (Tendenz steigend). Was natürlich bedeuten könnte, dass es sich auch bei KT nicht mehr um KT handelt, sondern in Wirklichkeit um

Werbung

Steve Guttenberg

Steve von und derer zu Guttenberg

bekannt aus Filmen wie „Police Academy“ Teil 1-18.
Angeblich tauscht man ja alle 7 Jahre alle seine Zellen aus und ist sowieso ein anderer, warum also nicht KT?

Nun ist es dennoch interessant, dass „Fremdarbeit“ in der Wissenschaft so verpönt ist – will sagen, hätte KT all das, was er abgeschrieben hat, auch in langweiligen Fußnoten genau bezeichnet, hätte ihm keiner einen Strick draus drehen können. Es soll Doktorarbeiten geben, die nur aus Zitaten und Fußnoten bestehen, Eigenanteil gen 0%. Soll man die auch alle zurückgeben?

Aber schauen wir mal, wie es in der Musik steht. Nicht nur seit Johannes Kreidler ist „Fremdarbeit“ in der Musik gang und gäbe. Schauen wir mal, ob einer die 70% Marke knackt, Boys und Girls! Wer hat den höchsten „Guttenberg-Faktor“ (auf einer Skala 1-10)???

I give you – als Hommage an den großen Regisseur Sergio Leone….

A FISTFUL OF GUTTENBERGS

Wolfgang Amadé Mozart

Wolfgang Amadé Mozart

1) Wolfgang Amadé Mozart
Der „sympathische Salzburger“ (Achtung: contradicto in adiecto, wie der Akademiker sagt) hat den Ruf eines bienenfleißigen Komponisten, der sogar beim Billiardspielen die Feder nie ruhen ließ. Andere wiederum sagen, er habe nur beim Billiardspielen überhaupt Lust bekommen, zu komponieren. Wie auch immer: der Typ hasste Rezitative. Und zwar sowas von! Daher ließ er sich die meist von irgendwelchen Schülern schreiben, so geschehen zum Beispiel in seiner Monsteroper „La Clemenza di Tito“.

Fußnoten: nicht vorhanden, wahre Urheber unbekannt
Fremdanteil: ca. 30%
Urteil: Rezitative findet eh keine alte Sau irgendwie interessant, und die meisten Sänger beeilen sich eh, irgendwie schnell durchzukommen. Daher
IM ZWEIFEL FÜR DEN ANGEKLAGTEN, Guttenberg-Faktor: 1

Igor Stravinsky

Igor Stravinsky

2) Igor Stravinsky
Der Whisky-Connoisseur und ewig verschuldete Russendandy wurde auch als der „Nekromant des 20. Jahrhunderts“ (NZ, irgendwann in den 80er Jahren) bezeichnet, da er sich so gerne Fremdmaterial „aneignete“. Dies geschah aber leider immer total offen und ehrlich, wie zum Beispiel in „Pulcinella“ (Pergolesi) oder „The Owl And The Pussycat“ (basierend auf einer von Schönbergs endgeilsten 12-Tonreihen). Uncool! Aber einmal hat er sich verzockt, der Gute. Sein Hauptwerk „Sacre du Printemps“ nämlich basiert auf irgendwelchen öden alten osteuropoäischen Volkswaisen, die er sich aus einem Buch seines Lehrers Rimsky-Korsakow aneignete. Die „wikipedia“ hierzu:

Strawinski behauptete, dass lediglich das Fagottsolo des Anfangs auf eine litauische Volksweise zurückginge. Tatsächlich ließ sich nachweisen, dass eine beträchtliche Anzahl der verwendeten Melodien ihren Ursprung in einer von Nikolai Rimski-Korsakow herausgegebenen Sammlung osteuropäischer Volksmelodien haben und Strawinski dies aus unbekannten Gründen leugnete.[1]

Fußnoten: nicht vorhanden. Wahre Urheber unbekannt, da schon vor tausenden von Jahren verstorben.
Fremdanteil: ca. 100% was Melodien, Harmonik und Rhythmus angeht. Der Rest ist aber von Stravinsky.
Urteil: Diese alten Melodein hätten keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorgelockt, hätte DJ Igor sie nicht so was von krass checkermäßig aufgepeppt und remixt. Daher
IST TROTZDEM GEIL, ABER SCHÄM DICH, IGOR! Guttenberg-Faktor: 2

Hans Werner Henze

Hans Werner Henze

3) Hans Werner Henze
Der Whisky-Connoisseur und ewig reiche Westfalendandy mag ein überraschendes Beispiel sein, aber Kenner wissen natürlich, dass die unglaubliche Kompositionsmaschinerie Henzes (durchschnittlicher Ausstoß pro Jahr: 3 Opern, eine Hundeoper, 5 Orchesterstücke sowie 20 Kammermusikstücke) eindeutig durch „Fremdarbeit“ befeuert werden muss. Glaubt man zumindest. Leider ist die Beweislage äußerst unklar, und es gehört sich auch nicht, einem der größten Deutschen Komponisten so etwas vorzuwerfen.
Fußnoten: gelegentlich werden Bearbeiter und „Hilfen“ liebevoll genannt und in Autobiografien erwähnt.
Bezahlung: gut, nach Berichten zufolge.
Fremdanteil: ungeklärt, besteht eventuell allein aus Instrumentationen hochdetaillierter Particells.
Urteil: Henze ist Henze, wer ihm soetwas vorwirft, kriegt es mit mir zu tun! Daher
KLAPPE HALTEN UND BEWUNDERN! Guttenberg-Faktor: 0

Tommi Ades

Tommi Ades

4) Thomas Adès

Der Shooting-Star unter den englischen KomponistenPianistenFestivalleiternDirigenten ist eigentlich über jeden Zweifel erhaben und schon zu Lebzeiten eine britische Ikone wie Dr. Who und die Queen. Und ja, an letztere denkt man bei ihm gerne! Und es ist bekannt, dass er alles selbst schreibt, in eigener Handarbeit (oder auch Mundarbeit, siehe zum Beispiel „Powder her Face“). Aber aus gut informierten Quellen der britischen jüngeren Komponistengeneration musste er sich mindestens einmal in seinem Leben ein bisschen durchschummeln, nämlich als ihm bei seiner Oper „The Tempest“ ein bisschen die Zeit knapp wurde, und er in seiner Wohnung in jedem Zimmer wochenlang mehrere „junge“ Komponisten beschäftigte, um die letzten 400 Seiten der „größten Oper der englischen Geschichte“ (The Times, The Guardian, usw.) irgendwie fertigzubekommen.
Fußnoten: Keine Zeit.
Bezahlung: Unbekannt.
Urteil: „Der größte Komponist in der Geschichte der Menschheit“ (The Times, The Guardian, usw.). Daher:
DUBIOS, DUBIOS. Der Junge sollte den Titel „Sir“ wieder aberkannt bekommen. Den hat er noch gar nicht? Naja, kommt noch…Guttenberg-Faktor: 6

Bilder von Scelsi darf man nicht zeigen, nur irgend so ein Esoscheiss-Symbol, daher hier ein Bild seiner Stieftochter (stimmt wirklich!) Katie Boyle als Platzhalter

Bilder von Scelsi darf man nicht zeigen, nur irgend so ein Esoscheiss-Symbol, daher hier ein Bild seiner Stieftochter (stimmt wirklich!) Katie Boyle als Platzhalter

5) Giacinto Scelsi
Der Multilmilliardär und wiedergoberene Assyrer war in gewisser Weise der Extrem-KT, da er in seinem ganzen Leben nachweislich keine einzige Note geschrieben hat! Stattdessen ließ er diverse Gehilfen endlose Improvisationen notieren, die er in seiner römischen Villa nackt an seinem Harmonium sitzend um 3 Uhr morgens zu spielen pflegte. Erstaunlicherweise entstand daraus aber ein total abgefahrener „Personalstil“ (=alle Instrumente spielen den selben Ton in verschiedenen Oktaven), der seine Kritiker verstummen ließ. Heute gilt er als das Allergeilste überhaupt, zumindest bei Musikwissenschaftlern (wahrscheinlich weil er ihnen das Partiturquellenstudium so leicht macht).
Fußnoten: keine, aber es wurden ca. 100 Komponisten und Interpreten bei der Herstellung seiner Werke beschäftigt. Und 1000 Musikwissenschaftler hätten ohne seine Musik kein Auskommen und müssten auf der Straße betteln.
Bezahlung: Dem Vernehmen nach gut.
Urteil: Move over, Guttenberg. Du hast Deinen Meister gefunden. Daher:
SCELSI HAT EINFACH DAS GEWISSE ETWAS, DEN „X-FAKTOR“!!!! Guttenberg-Faktor: 10. Nein, 11. „It goes to eleven“ (Nigel Tufnel)

Das wollte ich hier einfach mal „anprangern“. Danke für Eure Aufmerksamkeit.

Euer

Moritz Eggert

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

28 Antworten

  1. David sagt:

    Hab mich wieder mal sehr amüsiert, Yeah!
    Besonders auch über das Bild von Scelsi und die Unterschrift…

    viele Grüsse,

    David

  2. Felix Ka sagt:

    Hach ja, die Künste. Da wurde und wird in der Tat ständig kopiert aber auch zurecht. Kunst ist nunmal Wiederverwerten und manchmal Verfremden. In der Wissenschaft ist Verfremden hingegen nichts Neues und Aufregendes sondern der Karriereknick. Vielleicht sind daher so wenige Physiker erfolgreiche Maler oder Komponisten geworden.

  3. Und wo ist Kreidler?

    Wo
    ist
    Kreidler?

    Wo?

    Ansonsten: Bestens unterhalten.

  4. Max Nyffeler sagt:

    Ich möchte Guttenberg einerseits in Schutz nehmen und anmerken, dass es sich bei den Plagiaten m.W. nicht um 70% seiner Doktorarbeit handelt, sondern dass sie auf 70% aller Buchseiten vorkommen, was die Textmenge stark verringert – wenn man den eifrigen Detektiven denn glauben kann.
    Dann muss man zu seinen freizügigen Verfahren aber doch feststellen, dass es einen Unterschied zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher „Abschreiberei“ gibt. Im künstlerischen Bereich kann man immer von „Assimilation“, „Inspiration“, „Verarbeitung“ etc. sprechen, bis hin zur Parodie Bach’scher Art. Die Grenzen zum Plagiat können hier nicht so klar gezogen werden, und eine ästhetische Bewertung folgt anderen Kriterien als eine wissenschaftliche.
    In der Wissenschaft gibt es klare Regeln, wie Fremdmaterial behandelt werden soll. Die hat Guttenberg offenbar missachtet. (Ich schreibe bewusst „offenbar“; warten wir – anders als die seit langem auf Guttenberg-Hatz spezialisierte SZ und die hinter ihr herhechelnde Meute, wo Vorverurteilung zum Prinzip gehört – auf das verbindliche wissenschaftliche Urteil der Uni Bayreuth, auch wenn es kaum noch überraschen dürfte).
    Was mich bei dem intelligenten Mann erstaunt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der er offenbar ganze Textpassagen übernommen hat, ohne sie als Zitate zu kennzeichnen. Ich kann mir das eigentlich nur mit der Tatsache erklären, dass er zu einer neuen Generation von durch das Internet sozialisierten „Textverarbeitern“ gehört, für die Copy/Paste die normalste Sache der Welt und die Sensibilität für fremdes geistiges Eigentum auf seltsame Weise verkümmert ist. Deinen Hinweis, Moritz, auf entsprechende Praktiken bei den Komponisten finde ich zutreffend.
    Eine ganze Reihe grundsätzlicher Fragen stellen sich in Anbetracht dieses hochoffiziellen und -öffentlichen Falles. Vielleicht stehen wir wirklich an einem Wendepunkt, wo alles einmal Geschaffene plötzlich allgemein verfügbar ist und von allen ungestraft geplündert werden kann? Das pseudosozialistische GEMA-Bashing hätte in diesem Zusammenhang seine Logik. Hat sich Guttenberg, ohne Rücksicht auf seine herausgehobene Stellung, vielleicht unreflektiert in diesen Trend eingereiht, weil er insgeheim dachte, das mit dem Copyright sei doch sowieso alles irgendwie kalter Kaffee und seine Praxis so cool und trendy wie die Bilder, die er am Times Square von sich machen ließ?
    Wie auch immer, sprachlos macht einen die Sache schon. Aber vielleicht ist dieser Fall fruchtbar, zwingt er doch dazu, das in der ganzen Gesellschaft als Kavaliersdelikt geltende Kopieren und Klauen von geistigem Eigentum einmal zu reflektieren. Wenn nun die Linken die großen Moralisten spielen, ist das m.E. genau so verlogen wie die machtpolitisch begründete Abwiegelei von Mutti Merkel, denn es gibt genügend Beispiele, wo sie aus angeblich sozialen Gründen das Klauen und das Parasitentum toleriert haben (z.B. die Hausbesetzungen in Berlin oder die Propagierung einer „sozialfreundlichen“ Flatrate für das Copyright, mit der die illegale Aneignung von Musik partiell legitimiert werden soll.)
    Übrigens: Bei Deiner Liste der Patriarchen, die von der Arbeit junger, karrierehungriger Zulieferanten profitiert haben und noch immer profitieren, hast Du Stockhausen vergessen (und sicher noch viele andere). Erwähnenswert wären auch die vermutlich Hunderte von Uniprofessoren, die schamlos die unveröffentlichten Arbeitsresultate ihrer Assistenten und Studenten für ihre Seminare und Publikationen ausbeuten, alles anonym und ohne Quellenangabe…

  5. hufi sagt:

    Nein Max, dem Guttenberg muss man keine Ehre erweisen. Und es ist auch keine Sache der SZ. Und eine Hatz schon gar nicht. Für den Stoff sorgt der „Selbstverteidigungsminister“ schon selbst.

    Zur Sache des Plagiats möchte ich ein Gedichtlein vortragen, das mein vereehrter Alfred Lichtenstein 1912 reimte – was aber vom Guttenberg mehr zu trennen ist, anders als bei den „GEMA-Bashern“:

    Die Plagiatoren

    Ein jeder ist ein Teil vom Schicksal anderer,
    Die vor ihm waren und die um ihn gehen,
    Die auch nur einmal, eilge Weiterwanderer,
    Den Weg ihm kreuzend, flüchtig bei ihm stehen.

    Sie kommen, kommen ohne Zweck und Sinn,
    Entfernen sich mit leichtem Wanderschritt.
    Sie bringen alle etwas zu ihm hin.
    Sie nehmen alle etwas von ihm mit.

    Aus: Die Gedichte des Aliwi (5.1.1912)

  6. Max Nyffeler sagt:

    @Hufi:
    Das Gedichtlein scheint mir eine vorzeitige Definition dessen zu sein, was ein halbes Jh. später als Intertextualität „entdeckt“ wurde.
    Apropos SZ: Natürlich ist das eine Hatz. Die sind doch seit zwei Jahren hinter diesem Platzhirsch her, und jetzt haben sie ihm triumphierend den Blattschuss verpasst. Ich glaube, das letzte Mal, dass die SZ einem einzigen Thema mehrere Seiten ganz vorne gewidmet hat, war beim Fall der Mauer. Welche Relationen.
    Mit diesem personifizierten Skandal kann man perfekt ablenken von den wirklich skandalösen Vorgängen, die für die ganze Bevölkerung relevant sind, weil sie allen ans Portemonnaie gehen werden: Die Euro-Politik der Frau Merkel. Du bist Dir offensichtlich nicht bewusst, dass die Herrschaften quer durch die Parteien (und Banken) gegenwärtig dabei sind, in aller Stille Deine künftige Altersrente durch Geldentwertung um 10-20% zu senken. Warum macht die SZ dazu keine Riesenstory? Warum macht die FAZ den Rücktritt des Bundesbankpräsidenten Weber zum Problem seiner persönlichen Psyche, wo er doch den ganzen Scheiß, der jetzt kommt, nicht mitmachen wollte? Warum sparen die ÖR das Thema aus ihren Talkshows aus? Da ist ein hübsches Komplott im Gang, natürlich völlig unabgesprochen, und klammheimlich werden die nächsten 100 Milliarden nachgedruckt. Dafür gibt’s aber nun den Guttenberg – dem ich keineswegs die Ehre erwiesen habe – als Volksbelustigung und Schießbudenfigur: Wer hat noch nicht, wer will noch mal?! Sehr witzig.
    PS: Und das gegenwärtig größte Thema, die Revolutionen in Nordafrika und die Schlächterei in Libyen, das wird in den Medien auf den zweiten Platz geschoben. Das finde ich den größten Skandal. Ist zwar verständlich bei der Ratlosigkeit und Tumbheit der Politiker, die auf dem linken Fuß erwischt wurden und nach Worten suchen, aber unverständlich, was die Menschenrechtsprotestierer angeht, die sich offenbar lieber über fehlende Fußnoten als über einen kranken Massenmörder empören. Man schaue sich mal die Bilder hier an und setze sie in Relation zu Fußnoten:

  7. Willi Vogl sagt:

    @Eggert @Nyffeler @Hufner
    „Zitat“, „Kopie“, „Adaption“ oder „Transformation“ haben in der Kunst keine andere Funktion als in der Wissenschaft auch. In beiden Bereichen ist man auf Input von Materialien aus bereits vorhandenen Arbeiten angewiesen. Sieht man von jenen wissenschaftlichen Arbeiten ab, die zum Ziel eine Zusammenfassung bestehender Positionen haben und somit überwiegend aus Zitaten und unkommentierten Fußnoten bestehen, haben beide Bereiche eine „selbstständige“ Aussage mit einem maximalen Anteil an Alleinstellungsmerkmalen zum Ziel. Auch methodisch gibt es starke Parallelen: In beiden Bereichen muss man sich durch Kenntnis der für die eigene Position relevanten Vorlagen sowohl zunächst Substanz als auch Verarbeitungstechniken aneignen. (Quellenstudium in der Wissenschaft oder Stilübungen in der Kunst)
    Zu welcher tatsächlich lesenswerten, sehenswerten oder hörenswerten Unverwechselbarkeit jedoch eine wissenschaftliche oder künstlerische Position sich entwickelt, hängt entscheidend vom Grad der Transformation, von der Temperatur der Verschmelzung, in der Wissenschaft auch von der Stringenz der Argumentation, in der Kunst auch von der Qualität der Vernetzung mit Traditionen ab. Warum sollte ich ansonsten eine wissenschaftliche Arbeit lesen oder eine neues Werk eines Kollegen hören wollen, wenn ich damit nicht AUCH einen NEUEN Standpunkt kennen- und genießen lerne. Sollten die verwendeten Quellen zu wenig eingebunden erscheinen, lese ich lieber oder höre ich mir lieber das Original an.
    Ein Problem mag oft der mangelnde Überblick über die Fülle an Texten und Musik sein. Bei allzu bekannten Schlüsselwerken gibt man lieber gleich die Quelle an, um dem Vorwurf des Plagiats zu entgehen.
    Hans Zender hat in seiner Winterreise nicht nur vorbildlich zitiert sondern im Untertitel „Eine komponierte Interpretation“ für sich und wohl mehr noch für das Original Schubert kräftig Werbung gemacht. Womit nicht gesagt sei, dass hier und bei allen von Moritz Eggert aufgeführten Beispielen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, ein intensives Hören mit dem Fokus auf die VERARBEITUNGSQUALITÄT nicht auch zu höchstem Genuss führen kann.
    Unabhängig von den urheberrechtlichen Verwicklungen und den wunderbaren kreativen gedanklichen Provokationen die sich heutzutage aus den nahezu barrierefreien Kopiermöglichkeiten entwickeln lassen, muss sich so auch ein Johannes Kreidler bei seinen Musik nach dem rein psychoakustischen Reizpotential fragen, nach einer ästhetischen Relevanz, die allein auf der Wahrnehmung des klingenden Produkts basiert.

  8. Markus Elsner sagt:

    Ich glaube nicht, dass in Wissenschaft und Kunst mit zweierlei Maß gemessen wird. Das, was mich die letzten Tage so unglaublich auf die Palme bringt, ist, dass die Geringschätzung des geistigen Diebstahls im Vergleich zum materiellen sich wieder mal offenbart, und sowohl KT als auch Bundeskanzlerin und viele andere zementieren dies. Hätte KT in die Kasse gegriffen, dann wär er schon weg. Geistiger Diebstahl ist aber nur „Schummeln“, um Gottes Willen keine Straftat. Und da nimmt sich Wissenschaft und Kunst nichts: Wissenschaftler erkennen die Tragweite einer geklauten Doktorarbeit. Komponisten erkennen die Tragweite einer geklauten Melodie. Otto Normalverbraucher würde einen Komponisten, der abkupfert, aber nur dann hart bestrafen, wenn er mit der geklauten Melodie reich geworden ist. Den Urheber also nicht nur seiner Ideen, sondern seines potentiellen Verdienstes beraubt hat. Der reine geistige Diebstahl, ohne sich daran materiell zu bereichern? Eine Bagatelle. Das macht mir Bauchgrummeln.

  9. wechselstrom sagt:

    Der Artikel von eggy kommt einer versteckten „Reinwaschung“ von Guttenberg sehr nahe.
    So im Sinn von: Ist ja nicht so schlimm – die anderen, selbst die Künstler machen es auch so….

    Der Vergleich mit Komponisten zieht schon deshalb nicht, weil das Kommunikationsmedium der Künstler die Kunst ist, während das Kommunikationsmedium der Politiker die MACHT (!) ist.

    @ Hufner
    Kreidler ist nicht wegen seiner Sampelei zu kritisieren (da soll er einen Pauschalbetrag in Form einer erweiterten Leerkassetten-Abgabe wegdrücken und fertig).
    Die Kritik richtet sich gegen sein verquirltes POLITISCHES Engagement. Er möchte die Urheberschaft in Frage stellen und das Urheberrecht abschaffen.
    Und als Begründung kommt nichts anderes als die „Neuen Zeiten“, die „Neuen Techniken“ daher – gedankenfreies nachplappern von Google&Co., denn diese Argumente können ebenso als Begründung dazu dienen, das Urheberrecht auszubauen und zu stärken.
    Wie war das nochmal mit Ursache-Wirkung?
    Über seine künstlerischen Werke sind genug andere eingeschlafen – ob live oder vor dem Bildschirm beim Internet-Stream.

    Grüße

    – wechselstrom –

  10. querstand sagt:

    Mit Nietzsche will es ich es mal versuchen:
    „Gelehrte als Politiker. — Gelehrten, welche Politiker werden, wird gewöhnlich die komische Rolle zugeteilt, das gute Gewissen einer Politik sein zu müssen.“ (aus Menschliches, Allzumenschliches I, 469.)

    Wagen wir mal flapsig einen totalen Umkehrschluss, das gehört ja zum Alltag eines Juristen, so auch K.T. zu Guttenbergs:
    „Politiker als Gelehrte. – Politiker, welche Gelehrte werden, wird gewöhnlich die un-komische Rolle zugeteilt, das schlechte Gewissen einer Gelehrtheit/Wissenschaft sein zu müssen.“ Das ist der wirklich „bittere Kelch“, den sich die Wissenschaft ins Stammbuch schreiben muss.

    Darüberhinaus glaube ich nicht, dass K.T. zu Guttenberg im Plagiieren speziell als Angehöriger der „Copy&Paste“-Generation agierte, wie Sie, Herr Nyffeler, sagen. Garantiert hat ihm, oder wer auch immer das Machwerk schrieb, der Rechner samt DSL-Zugang in die Suchmaschinenwelt geholfen, erleichtert. Auch hat dieses Medium das Aufdecken der Plagiate ungemein vereinfacht. Dennoch wurde schon früher immer wieder in Doktorarbeiten fussnoten- und quellenangabenfrei plagiiert. Es mag heute einfacher geworden sein, aber eben auch das Aufklären.

    Viel trauriger ist, wie wir immer noch an Titeln und Herkunft kleben. Das lässt mich sofort an die meisten Komponisten denken, die sich genauso ahnväterlich verorten lassen wollen, den Schein einer Tradition hochhalten, stolz auf eine Lehrergenaologie bis zu C.F. Zelter oder dgl. sind – ich schliesse mich darin selbst mit ein. Familie in welcher Bedeutung auch immer spielt heute immer noch dieselbe unhinterfragte Rolle wie zu monarchisch-militaristischen Zeiten des Preussenreichs. Und dazu tritt jetzt noch diese blinde Verehrung für den angeschlagenen Baron, die an die italienische Begeisterung für Berlusconi denken lässt. Da beginnt wieder was ganz Altes, gegen das zu rufen ist:“Wehret den Anfängen!“

    Traditionen auf Teufel komm raus brechen? Vielleicht gerade diese o.g. immer wieder. Dagegen die Tradition des selbstehrlichen – nicht selbstherrlichen – eigenen künstlerischen Arbeitsethos, das sich in der Komponistengenalogie auch immer wiederfindet, hochhalten.

    Weiters sollte man Wissenschaft und Kunst wieder mehr trennen. Nur: als Komponist, der nicht ganz oben mitschwimmt, wird heute oftmals nur der ernst genommen, der einerseits solide künstlerische Arbeit leistet UND gleichzeitig mit akademischen Titeln aufwarten kann, wozu immer stärker auch eine Promotion gehört. Es gab noch niemals in der Geschichte soviele Doktorkomponisten wie heute. Sei es via Uni-Studium, über Musiktheorie und Lehramt oder gleich im Rahmen eines Promotions-Aufbaustudiums, das auf der schriftlichen, wissenschaftlichen Diplomarbeit des Kompositionsstudiums beruht, wie jetzt in NRW oder oft im angelsächsischen Raum üblich, wo sogar ein eigenes Stück zum Sujet einer solchen Hutverleihung taugt! Was soll dies eigentlich? Sind wirklich all diese Kompositions-Dr. nötig? Haben die Hochschulen gar kein Vertrauen mehr in ihre eigene künstlerische Ausbildung, dass ihre Absolventen auch als theoretisch firme Künstler zu Dozenten taugen? Oder geht es hier um die massenweise, angeblich messbarer Generierung akademischer Bedeutung, um die Daseinsberechtigung der Institution zu beweisen? Das stinkt doch mächtig nach den „Elite-Leuchttürmen“ aus der Schröder-Zeit, zu der und kurz vor dieser jene Bedeutungsmaschinerie angeworfen worden ist…

    So wird es wohl Zeit massenweise mit dem Begriff „Elite“ zu brechen! Eigentlich müsste man mal wieder an die Abschaffung dieses Adelstiteltands denken, Promotionsrechte nur richtigen Universitäten gestatten, diese ganzen Künstlerdoktoren einfach nur Künstler sein lassen, Akademien der Schönen Künste abschaffen. Das Letzte, das Schliessen der Akademien würde ich aber doch davon ausnehmen, so elitär und dem Senioratsprinzip verpflichtet sich diese Institutionen geben, wie die Berliner Akademie der Schönen Künste: sie leisten doch immer wieder Hilfe, gerade wenn es karrieretechnische Durststrecken zu meistern gilt. Da springen diese Häuser auch mal über das Genealogische hinaus.

    Bleibt die Frage der Transformation. Richtig ist, dass Wissenschaft wie Kunst fremdes Material in etwas Eigenes verwandeln müssen. Es gibt aber zwei Unterschiede: Kunst sollte nach der Transformation wirklich einen gewissen ästhetischen Reiz besitzen, vulgo einen „Unterhaltungswert“. Doktorarbeiten erfreuen, wenn sie flüssig geschrieben sind. Wenn sie dennoch einen triftigen Sinn schlussfolgern und dazu grausig zu lesen sind, nimmt es ihnen aber nicht den wissenschaftlichen Wert. Darin kann man mir wohl allgemein folgen. Der zweite Punkt ist aber hier im Komponisten-Badblog streitbarer, allerdings auch wieder nur als Geschmacksfrage: das Transformieren fremden Materials selbst ist heute auch schon Kunst, wenn das Trans-Format an sich die Ästhetik ist! Und warum ist es überhaupt plötzlich „Ästhetik“? Weil sich Menschen offen hinstellen, laut posaunen, dass es so sei, man damit auf Entwicklungen oder Mankos des aktuellen Kunstschaffens hinweisen möchte, mit grösstmöglicher Deutlichkeit. In der Wissenschaft nun ist der stärkste Hinweis die korrekte Fussnote und Quellenangabe. Hat sich aber ein wissenschaftlicher Plagiator, also ein Quellenverschweiger, jemals hingestellt und laut dies als Movens seiner Doktorarbeit verkündet?!? Hätte KTzG dies von vornherein getan, wäre es redlich ihn und Intertextualität zu vergleichen. Er tat es aber erst im Nachhinein, verleugnete sein Machwerk. Ein wahrer Künstler tritt aber für seine Haltung ein, verkündet dies mit Herausgabe seiner Arbeit und untermauert es verbal wie schriftlich.

    Solches Künstlertum mag manchen mit Schaudern grausen lassen. Dennoch ist es offen und gibt seine Arbeitsweise bekannt, fordert die rechtliche Seite heraus, die es benötigt, um legal arbeiten zu können. Natürlich kann man dem entgegenhalten, Lieber Markus Elsner, dass da jemand nur mit dem Material anderer Erfolg hat. Denkt man an die berühmten Diabellivariationen, die zum Fremdmaterial Mozart führen – da hatte Beethoven Erfolg mit Diabelli und Mozart, ist die Arbeit weniger das direkte Ergebnis. Nein, der himmlisch-lange Transformationsvorgang ist das Substrat, macht das Werk zu einer Anklage der damaligen Kunstwirtschaft: Diabelli erhoffte sich höchsten Ruhm, Beethoven heimste ihn ein. Gut, Mozart konnte er nicht mehr fragen und verwendete das zu Allgemeingut gewordene Motiv aus Don Giovanni. Hätte er die Witwe fragen sollen? Wenn offen mit Fremdmaterial umgegangen wird, sollte sich der Verwendete auch heute nicht zu sehr weigern dürfen. Hat der Verwender mehr Erfolg, wird der Verwendete ja entspr. mitbeteiligt, auch wenn das Stück nicht immer zu seiner Ehre geraten muss. Das dürfte doch auch der ursprüngliche Gedanke bei der Gründung des GEMA-Vorläufers gewesen: finanzielle Beteiligung. Wenn ein Werk einmal der Öffentlichkeit übergeben worden ist, muss man auch einen kontroversen Fremdumgang damit einstecken können. Wenn natürlich das Werk als solches direkt zur Aufführung kommt, ist es natürlich klar, den Intentionen exakt zu folgen. In Fremdverwendung wird weniger das Werk an sich als seine Reduktion auf eine Meta-Bedeutung eingesetzt. Wirklich kritisch wird es allerdings, wenn solch eine Verarbeitung am anderen Ende der Welt geschieht, sogar mächtige Rechteverwalter dahinter beteiligt sind. Und da ist das jetzige Urheberrechtssystem noch zu schwach. Andererseits verhindert es im direkten Umkreis eine Weiterverwendung, wie es all unsere Ahnherren betrieben, wie es subkutan mit jeder Idee auch heute verläuft, man sich heute aber lieber mit künstlerischer Autarkie gegenseitig belügt. Da ist mir jede intertextuelle Offenheit lieber als das Beharren auf Veränderungswürdigem.

    Mir ergeht es selbst so, dass ich gerade an einer kleinen Elektrobox, einer Weltbox, herumschraube, die sehr wohl in der Absteckung der inneren Mess- und Ausgabeparameter eine ästhetische Setzung meinerseits ist, so simpel die sein mögen. Diese Box kann nur dann Musik machen, wenn ihr ein anderes Stück des „Weltrepertoires“ vorgesetzt wird, sie mit ihren Sinustönen dazu jaulen kann, in der Differenz des Weltrepertoires und des Jaulens die Trauer um das Eigene offenbar wird oder gar sich dann wieder verflüchtigend etwas kleines Eigenes des Moments entsteht, dies dann aber das Eigene des Wahrnehmers ist. Auch das ist natürlich meine verbale Setzung dazu. Denn die Box funktioniert auch, wenn ihr nur Alltagsgeräusche vorgesetzt werden. Es ist also immer die Frage des Ortes und der Zeit sowie der Offenheit, mit der eine Setzung vorgenommen wird. Aufgrund der ganzen Täuscherei, über Jahre erfolgt, bleibt dem Sohne des so vertrauenswürdigen Klangverwalters Enoch nur eine Setzung: Setzen, 6, Abtreten!

    Gruss,
    Alexander Strauch

  11. Max Nyffeler sagt:

    Zum Nietzsche-Zitat: Man könnte das Wort „Gelehrte“ auch durch „Künstler“ ersetzen, dann hätte man die schönste Beschreibung des sogenannten engagierten Schreibens, Komponierens etc. Darin zeigt sich auch die Clownerie derer, die nach einer „Klassenherrschaft der Sinnvermittler“ (Schelsky) in Kunst und Medien streben, aber noch nicht gemerkt haben, dass ihre Strategien durch das Web 2.0 längst untergraben worden sind.

    Dies als kleine Nebenmerkung. Ich will aber vom Hauptthema Plagiat nicht weiter ablenken. Vielleicht kommt die Diskussion wieder in Fahrt, wenn man an die schön hinterfotzige Umdrehung des Nietzsche-Zitats durch querstand anknüpft. Oder anders ausgedrückt: Ich bin gespannt, wer die nächsten Opfer der Dissertations-Detektive sein werden.

  12. querstand sagt:

    Na, das Schönste hier im Abschnitt ist doch das Adés-Foto! Insofern nicht ganz falsch, weil er mit Guttenberg den gleichen Jahrgang teilt: 1971! Wenn ich mich richtig erinnere, derselbe Jahrgang den auch Pintscher teilt. And last but not least: moi même! Fazit: fürchtet Euch vor uns.

    Ob Adés nun Plagiator ist oder nicht bzw. hat plagiieren lassen, das kann hier nicht stichhaltig geklärt werden. Allerdings bemüht seine Musik eine Sprache, die wie eine Verquickung von Britten und Turnage klingt. Also eine mehr oder minder offen tonale bzw. modale Musik, angereichert mit rhythmischen Aufreizungen a la Holzkisten oder Mülltonnen von Soho bis Harlem, mit Heterophonien, die ganz entfernt an Ligetische Spät-Mikropolyphonie erinnern könnten, falls es die wirklich gegeben haben sollte. So liegt eine Schreibe vor, die so ein wenig an Alles und Nichts erinnert. Höchstwahrscheinlich wird Adés sich darin selbstehrlich ausdrücken. Das dies Festland- wie Insel-Avantgardisten (die wahre Neue Musik-Insel liegt aber auf dem europäischen Kontinent, im Oberrheintal!) zwar aufstossen mag, hindert dies ihn noch lange nicht, trotzdem Erfolg bei den britischen Veranstaltern zu haben, gelegentlich sogar bei einem breiteren Publikum. So jemand steht im avantgardistischen Sinne sofort unter Plagiatverdacht, da „tonal“ und „modal“ doch nicht neu, ergo nicht eigen sein kann. Was allerdings „wirklich“ den Avantgardisten im tiefsten Herzen ärgert, dass Adés so schamlos erfolgreich ist. Würde so ein Mensch auch nicht hierzulande über kurz oder lang z.B. die Opernszene beherrschen? Frankfurt/M. und Kiel spielten doch eben erst das kritisierte, angebliche Plagiat „The Tempest“, damit keine kleinen Bühnen, sondern ein grosses wie ein mittleres Haus. Erstaunlich ist tatsächlich, wie die Presse grösstenteils durchaus positiv auf diese britische Klassikeroper reagierte. Dem nebulös umrissenen Avantgardisten ist dies noch mehr Plagiatsbeweis: da ruht sich einer auf den Lorbeeren der Vorväter aus, geniesst musikalisch weitestgehend risikofrei den Aufstieg. Mir fällt dazu immer wieder ein: Rihm soll ob „Asyla“ jubliliert haben, dass da endlich einer so schreibe, wie er wolle, wie er selbst in den Siebzigern gerne viel freier komponiert hätte, so mein Kollege Carl Chr. Bettendorf.

    Von Moritz nicht erwähnt, wohl zurecht, da er ein wirklich purer Komponist ist, sein Handwerk kann, auch wenn seine „Nacht-Ästhetik“ schon mal nerven kann, ist Matthias Pintscher. Allerdings wirft man ihm nun wiederum gerne vor, die Avantgarde zwischen Nono, Boulez und Henze mit einem Schüsschen Lachenmann zu imitieren, kopieren. Unausgesprochen hockt da genauso der Plagiatsverdacht wie beim Altersgenossen Adés im Hintergrund. Dieselbe Presse die Adés bejubelt, der wirklich eine andere Musik schreibt oder zusammenzimmert als Pintscher, berichtet gerne euphorisch über den sich genauso selbst oder auch anderes wie der Brite dirigierenden Deutschen. Es ist schon verflixt, was da Alles zusammengeschustert wurde.

    Der wirkliche Unterschied zwischen beiden ist, dass Pintscher beim Publikum bisher nicht den Erfolg wie Adés einfahren konnte, also ein Feuilleton- und Veranstalterliebling ist. Denn hier richtet sich der Erfolg noch nicht ganz fernab öffentlicher Subvention nach privater Hand. Dennoch dürfte im jetzt immer finanzbewussteren Intendantendenken Adés eher ein Plätzchen finden als Pintscher. Das gentlemaneske Auftreten zeichnet allerdings beide aus. Adés ist sogar mal in Sneakers anzutreffen, Pintscher ist der „correct german“. So wirkte bisher und wirkt wohl sogar noch mächtiger allen Vorwürfen zum Trotz Herr Guttenberg, diesen „bester Schwiegersohn“-Nimbus teilt sich dieser Generation-Golf-Jahrgang in diesen Dreien allzu gerne. Schade nur, dass v.a. darauf und weniger auf die wirkliche Substanz der Musik die Schwiegermamas hereinfallen.

    Mit dieser Süffisanz erinnere mich noch gerne eines Konzerts des „musica-viva-Festivals“ 2008. Es gab Widmann, Pintscher und Reimann. An allen drei Stücken konnte man was aussetzen, aber handelte es sich um ordentliche Arbeiten, mich beeindruckte sogar Reimanns Klarinettenkonzert mit Widmann und dieser im Terzett mit Bass- und Kontrabassklarinette, mon dieu. Aber parbleu, wie roch es schlimmer denn je in diesem Konzert nach Parfüm, starrten die alten Herren im Publikum auf den Ausschnitt von Frau Montalvo während Pintschers Hérodiade. Da hätte man von „Erfolg“ reden können. Ganz ehrlich, ein Stück von Adés und mehr junges Publikum wäre auch hübsch gewesen, ganz anders „Dufte“. Auffallend war, dass die jüngeren Kollegen, zum Teil noch um Hochschuldunstkreis ihre Plätze im Saal frech um so weiter einnahmen, je mehr sich ein Bezug zu Pintscher & Co. herbeideklinieren liess. Wie steinalt wirkten da all unsere Junggenies so ganz plötzlich.

    Was ist nun also „Erfolg“ in unserem Lande, ist er nur durch gefühlte Plagiate erreichbar, plagiiert der Erfolg des einen den des Anderen, damit niemand masslos erfolgreicher wirkt, im Reich der knapper werdenden Neue-Musik-Fördermittel? Früher hatte ich das Gefühl, dass tatsächlich das Erfinden einer neuen Technik, das Vollenden eines grösseren Stücks, der bescheidene Gewinn eines Preises oder Stipendiums aufgrund eines handwerklich sauberen Stückes der eigentliche Erfolg, eben der gefühlte Erfolg sei. Das ist es immer noch! Aber die Musik spielt doch wo anders, die ganz grosse. Die spielt nicht in unseren noch so grossen Festivals, die spielt ab Adés aufwärts.

    Aber was soll das? Die Namensbreite ist doch längst einer Namensdichte gewichen, wenige Mittel werden nicht unter vielen aufgeteilt, wenig Geld ergibt für ganz wenige Empfänger auch wieder eine grosse Menge, mit der man seinen Erfolg abgesegnet glaubt. Immerhin ist es nur wirtschaftlicher Erfolg. So also zurück zu Nietzsche! Künstler sind also weniger Politiker, auch wenn es in der „Szene“ beinhart um Macht gehen mag, die dann wirtschaftlich abgelesen werden kann. Gestern geriet ich total ins Dilemma: ich sah eine alte Partitur von mir, damals für den Schulmusikchorleitungsunterricht gemacht, dazu eine weitere Skizze, die ich tatsächlich schnell beendete. Mich plagte dabei der Hintergedanke, dass dies nun eine Musik sei, die von sehr guten Laienchören machbar sei. Als ich dann fertig wurde, brach es aus: eigentlich müsste diese Musik noch viel ausziselierter werden, damit sie wirklich höheren eigene wie auch der Kollegen Ansprüche genüge. Andererseits war mir sofort klar, dass sie dann nur von nicht einmal einer Hand Chöre gesungen werden könnte. Im vorhandenen Material ist es durchaus eine saubere, in jenen begrenzten Chormitteln sogar ein wenig eigen. Was aber nun tun? Ich wollte damit eigentlich nach zwei Wochen Ruhe wieder „reinkommen“, jetzt fühlt es sich ungemein leer an.

    Deshalb habe ich die Zeit, hier über echte oder gefühlte Plagiate zu schreiben. Da kommt eine Mail eines Kollegen rein, der sich ein wenig unsachgemäss bei meiner Doktorkomponistenschelte verarztet vorkam. Liebe Kollegen, macht Eure Doktoren wie Ihr Eure Kompositionsabschlüsse machtet. Fällt Euch aber trotzdem nicht auf, wieviel Komponisten mit Titel unterwegs sind? Ein älterer Kollege erzählte mal nach einer Jurysession für Orchesterwerke, wie ihm mit böser Ironie die Partitur eines Kollegen unter die Nase gehalten worden ist, der in seinem Lebenslauf seine Promotion erwähnte. Das Werk landete auf den Haufen der „unter ferner liefen“-Einreichungen, obwohl es ein sehr gutes Stück gewesen ist. Heute wird man sich sowas nicht mehr trauen. Aber ein wenig schlug es schon ins Gegenteil um: je länger und höher abgeschlossen man studiert hat, um so grösser das Ansehen. Der Nur-Komponist hat es schwerer denn je. Das ist kein Angriff auf all die Doppelbegabungen, zumal die wissenschaftlich weitergebildeten Kollegen letztlich das gleiche Manko teilen im Gegensatz zu den leicht bevorteilten Instrumentalisten-Komponisten, die immer ein Projekt mit Musiker von sich anbieten können. Als Nur-Komponist bietet man aber zu wenig Messbares als Bewertungsvehikel an. Beim Promovierten liegt es schwarz auf weiss vor, beim Interpretierenden sieht man es an der Abrechnung, beim Nur-Schreiber gibt es nur die Partitur. Es liegt also nicht bei uns, es liegt an der Wahrnehmung durch das Aussen, die Veranstalter, die Hochschulen, etc. Und wie auch immer: an den Akademien gibt es vermehrt den Hang, den reinen Komponisten gegenüber den Doppelbegabungen zu vernachlässigen. Lass den Rektor selbst Wissenschaftler sein – da hat ein genauso promovierter Komponist sofort den grösseren Stein im Brett als der Nur-Komponist. Der kann dies wiederum nur durch übermässige Protektion ausgleichen. Verzwickt, verzwackt… Oder man behilft sich anderer Mittel, schreibt Populärer, gerät aber somit unter Plagiatverdacht. Oder sollte man doch endlich mal lieber für Gel sparen?

    Gruss nach Dresden,
    Alexander Strauch

  13. Erik Janson sagt:

    Heute mal mehr als Kritiker des hier im Thread Gelesenen:
    Freunde der KUNST!

    Es erstaunt mich eigentlich sehr, wie massiv hier – überhaupt in unseren Kreisen, auf Facebook und überhaupt sonst überall, egal zu welcher Uhrzeit man TV oder Computer anwirft [drum sollte man sich bald vielleicht am liebsten Papp-Pagiate derselben besorgen und diese Dinge ganz verbannen]- diesem „KTG“ Beachtung geschenkt wird, die er überhaupt nicht verdient. Lasst ihn doch „beliebt sein“, smart sein, wie er will und von mir aus soll er auch in ein paar Wochen und Monaten noch/wieder die tollsten „Umfragewerte“ haben, rauf und runter alle neuesten neoliberalen Haargel-Kollektionen plagiieren und sollen ihm die „Leute auf der Straße“ oder seine Medienlobby-Maschinerie alles verzeihen etc….

    Aber bitte verschont mich ansonsten damit. Was er sich leistete ist unter aller Kanone. Und das wissen alle! Alle Pseudo-Diskussion über „darf man das?“ „darf man das nicht doch ein bisschen?“ sind nichts als Show. Am allerbesten wohl weißt das er selbst, trotz seiner Beteuerungen, angeblich NICHTS „absichtlich“ in seine Diss. geschleust zu haben, die eher in die Kategorie „Umgang mit eigener Scham/mit Peinlichkeit“ bzw. „Stolz/das eigene Gesicht und Macht wahren“ fallen meiner Ansicht nach. Genauso wie eigentlich klar sein sollte, dass man zumindest nicht zynisches „Fremdarbeiteln“ als großes „politisches Engagement“ und eine „neue Revolution der Digitalisierung“ den Leuten verkaufen kann ohne dann eines Tages jäh abzustürzen.

    Sollte doch unzweifelhaft sein, dass in Kunst und Wissenschaft das absichtlich/wissentlich verwendete aber nicht gekennzeichnete Plagiat gleichermaßen etwas sein sollte, das – wenn nicht (bzw. von mir aus nicht) „bestraft“ – so doch zumindest ignoriert und müde ausgelacht gehört. Die GEMA, das Urheberrecht und vielleicht noch die wissenschaftliche Wahrhaftigkeit und wieviele Werte noch…? Das kann man vielleicht mit der Zeit aushebeln.

    NIEMALs aber das Bestreben nach Redlichkeit und Wahrhaftigkeit, zumindest das Bemühen darum und die Wertschätzung gegenüber diesen leider heute auf dem Altar des Massenmedien-Hypes verramschten Werte.

    Wir leben heute anscheinend zusehends in einer sterilen, unkreativen, nur noch auf Blendwerk und Äußerlichkeiten zählenden „Burger“-„Kultur“, wo zusehends den Leuten egal wird, wenn ein Ei dem anderen gleicht oder wo es völlig „egal“ ist angeblich, was nun das Nachgemachte und was das Original ist, wo Substanz, Formwille etc. hinter steckt und wo nicht. Genauso wie wir immer mehr Genmanipuliertes essen ohne es zu merken, so lässt sich jeder immer mehr mit künstlerischem Fast Food und Copy and Paste abspeisen. Nicht nur immer die „Chinesen“ – auf die wir so gerne mit dem Finger zeigen – sind da Weltmeister im schamlosen „Klauen“. Vielleicht sie weniger als die westlichen Industrienationen. Packen wir uns im Westen mal an die eigenen Nasen!

    Und @Strawinsky z.B. (sorry, aber ist meine Meinung): er wurde nicht umsonst tw. als Dandy bezeichnet und auch von Adorno in seiner Philosophie der Neuen Musik gerügt. Er hat ein paar „geile“ Sachen gemacht, oder besser: Sachen die beim ersten Hören ganz geil klingen im rhythmischen Bereich/ Instrumentation, diese aber auch nicht aus der eigenen Fantasie und Kreativität gewonnen, größtenteils.

    Einzig Markus Elsners und Wechselstroms Beiträge hier
    scheinen mir insgesamt Herz erfrischend und sprechen mir aus der Seele.

    Einzig, Christoph: @

    Der Artikel von eggy kommt einer versteckten “Reinwaschung” von Guttenberg sehr nahe. So im Sinn von: Ist ja nicht so schlimm – die anderen, selbst die Künstler machen es auch so….

    Da muss ich Dir, Christoph, doch wiedersprechen. Ich glaube nicht, dass dies so gemeint ist. Ich lese doch aus Moritz` Blogbeitrag auch Kritik/Infragestellung musikgeschichlich vielleicht überschätzter „Größen“ wie
    Strawinsky, Henze, Scelsi ob ihrer oft allzu „pragmatistischen“ – gewinnbringenden – Praktiken heraus.
    Also den Moritzschen Ironie X-Faktor oder „Käsebrot-„Faktor… ;-) [für alle Badblog-Insider und die, die unsere 10-Bändigen, je Band 5000-Seitigen „Memoiren“ bzw. Badblog-Kommunikationsstränge demnächst wissenschaftlich auswerten und auf den großen Festivals vertonen werden].

    Und – last but not least – auch die Ermutigung, dass sich unsereiner, der gerne seine Brötchen mit NICHT-Plagiatarbeit und dem Bemühen um Wahrhaftigkeit und Nicht-Beirren-Lassen verdienen möchte, sich nicht unterkriegen lassen solle.

    Oder sollte ich mich da irren?

    Buona Notte, Euer Berlusconi-Plagiator ;-)

  14. querstand sagt:

    Erfolg 2: Seht mich nicht als Propagandisten für die Soft-Briten Ades&Turnage. Auch ist deren „Erfolg“ ja so ein zweischneidig Ding. Ades ist allerdings ein Modell, in dessen Folge sich auch noch Einfacheres an den deutschen Operhäusern breit machen könnte. Wie simpler es geht bewiesen die Briten die letzten Tage mit Turnages Busenwunder-Oper Anna Nicole am ROH. Wenn man es so clipartig serviert bekommt, kann man natürlich nicht viel dazu sagen. Dennoch hat es was von „gefühltem Plagiat“, wie auch die FR im übertragenen Sinne meinen könnte. Nun ist es weniger ein Plagiat als ein Stilmix, eine anbiedernde Anklingerei an Musical, Revue. Da können sogar bekannte Motive Anderer mal unterlaufen werden, sogar ganz unbewusst. Auf der Ebene könnte dann ein eigener Erfolg mit Noten, wenn auch nur fast, Anderer eintreten. Aber wen interessiert es wirklich? Wenn interessiert bei Pulcinella das Original, beim Sacre die Liederquelle? Wen kümmert heute noch Messiaens Reihe in Boulez‘ Structures? Was ist mit Liszt bei Marko Nikodijevic? Oder gar das © an Stockhausens Techniken, auf die sich Andere massenhaft wieder beziehen? Es geschieht dies Alles offen, man nivelliert sich zu Trash oder nennt es Musik über Musik, da brechen gleich die Wutstürmer hier wieder aus… Oder man nennt es Trauer, Variation, Betrachtung mit, etc. Und wehe es ist bekömmlicher konsumerabel als das so als „Eigenes“ verteidigte, dass ohne direkten Bezug auf Kollegen gesetzt sein mag, aber in der für Lieschen Müller klingenden harmonischen Indifferenz, so ausgeklügelt sie sein mag, dennoch klingt wie der 8765. oder 974. oder 9999. der geschätzten 10000 europäischen Komponisten? Unsere Neue Musik klingt für den Aussenstehenden als ein Dauerplagiat selbstreferentieller Repetitionsausdifferenzierung des Parameter-Grau-in-Grau, die für ihn als Eigenes oder gerade am Plagiat vorbeigeschrammte breitere, traditionelleren Mustern verpflichtete Sosse erkennbare Musik ist uns Neue-Musik-Freaks eine Repetitionsausdifferenzierung des Tonalitäts-Bunt-in-Grell. Es ist einfach verflixt. Und wie gesagt: die letzten Tage fiel ich in meine eigene Falle, schraubte an Beköömlichen rum, was mich an dessen Ernsthaftigkeit zweifeln liess. Die Über-Ernsthaftigkeit unserer Gralshüter, wie sie über Leichteres Schimpf und Schande giessen, brachte mich schier zum Verzweifeln. Ich stand kurz davor, all meine mikrotonalen Sachen, Zitherversuche und Hyperepigramme und Zeitausuferungen der Tonne zu übergeben, spielte Emotionaleres jemand vor, der es dann als „spröde“ titulierte, da wohl nur Hockulturbreitengesuhle, als auch umsonst, dann die mittelprächtigen Erfolge mit leichteren Gedudel… Manchmal ist der ganze Laden hier reinste Depression, alle hier, wie wir uns beissen, ich selbst verletze, diese Ausfälle gegen Web 1 und 2, gegen komplexere und seichtere Sachen. Da fühlt man sich bei Laienchören und Revuefreunden geschätzter. Es plagiiert sich irgendwie Alles, da ist kein Bereich ein Jota besser als der andere.

    Ach, vernichtet habe ich bisher noch nichts. Ich erlaube mir einfach, in komplexerer, elektronischer wie leichterer Art weiterzumachen. Und manchmal möchte ich den Nur-eine-Musik-Vertretern oder Doppel-Begabungen entgegenschleudern: gönnt Euch einerseits mal mehr selbst bzw. weniger ist mehr, je nachdem. Aber jeder soll sein Ding einfach gut machen, denn Respekt verdient Alles, was ehrlich erstellt wurde, egal ob autoreflexiv oder intertextuell…. Aber das Dauergekrittel geht weiter, da es ja immer Wichtigeres gäbe, wie der Hauptkritisierte KTG die Wochen öfters sagte.

    Guten Morgen,
    Alexander Strauch

  15. Erik Janson sagt:

    @querstands,

    Unsere Neue Musik klingt für den Aussenstehenden als ein Dauerplagiat selbstreferentieller Repetitionsausdifferenzierung des Parameter-Grau-in-Grau, die für ihn als Eigenes oder gerade am Plagiat vorbeigeschrammte breitere, traditionelleren Mustern verpflichtete Sosse erkennbare Musik ist uns Neue-Musik-Freaks eine Repetitionsausdifferenzierung des Tonalitäts-Bunt-in-Grell. Es ist einfach verflixt.

    Ich wusste nicht, dass mein kleiner nächtlicher – zugegeben schlecht gelaunter – [aber zu den Meinungen stehe ich dennoch] Beitrag Dich zum relativistischen morgentlichen Noch-Eins-Drauflegen inspirieren würde. Aber: so „oag“ plagiativ wirkend treib´mers nu aa wiader net…mir „Neutöner“..“ [ich hör schon auf, das Bayerische zu plagiieren]. Aber zum Inhaltlichen Aspekt vom Zitat oben: Da wage ich Dir zu widersprechen. Gut gemachte, ehrlich und wahrhaft gemachte Musik, die übt auf Neue Musik erfahrene wie unerfahrenere Leute immer noch Neugier und einen Reiz aus. Und ich denke nicht, dass das Meiste als „Dauerplagiat“ oder „Grau in Grau“ wahrgenommen wird noch dass wir uns selbst dann so „bunt“ überschätzen. Das einzige, was hier im Blog rauf und runter plagiiert und immer wieder gebetsmühlenartig bemüht wird ist Krisengejammer, Endzeitstimmung und ein implizites Schaffen-wir-uns-doch-selbst-ab oder ein Passen-wir-uns-doch lieber gleich dem Werteverfall/Kulturverfall/dem Plagiatkult an. Und dieses dauernde, perspektivlose „Es ist alles relativ“ oder „bissel Schummeln/dekadent sein etc. ist doch charmant“, das machten die „großen Meister“ auch..“ etc. Als ob der pure Erfolg oder Popularität allein (sei es bei Strawinsky, Henze oder Ades etc.) alles legitimieren würde…

    Was hier so argumentiert wird teilweise bzgl. Thema Plagiat und @ Guttenberg und Guttenberg-Faktor-Thematik,
    das bringt einen schon zum Heulen. Denn: Natürlich ist alles schon mal da gewesen. Jeder Ton. Jede Improvisation ist Plagiat-verdächtig. Wenn ich atme, dann plagiiere ich auch abermilliarden von Lebewesen die VOR MIR schon geatmet haben…
    Es geht doch aber um die Fragen vor dem inneren, dem künstlerischen Gewissen (klingt „altmodisch“ ich weiß – aber ich erwähne es trotzdem nochmal): WILL/MUSS ich wirklich anderes zitieren/plagiieren etc. Wo ist die Notwendigkeit?
    Und 2. Wenn ich schon plagiiere, dann sollte ich mir dessen BEWUSST sein, eine Intention dahinter haben, wenigstens WISSEN, DASS und WAS ich verwende und WARUM.
    Plagiat als Folge rein unbewusst-intuitiven Dahinwurschtelns oder aus Motiven des „eh egal, merkt keiner“ etc.das geht nicht. Und als Betrug und Karriere-Beschaffung und um „gut anzukommen“ geht es schon mal gar nicht. Und da beschummeln sich leider immer mehr Leute selbst bei dieser selbstkritischen Frage (um die es eigentlich gehen sollte in der Substanz), hab ich den Eindruck: nicht nur der „gute Karl Theodor“ sondern leider immer mehr Komponisten. Denn: unmotiviertes oder unredlich motiviertes Plagiieren ist für mich eine unsägliche Respektlosigkeit vor der musikalischen Tradition, gepaart mit Unwissen und Ignoranz. Und davor mögen selbst große Namen nicht gefeit sein. Auch wenn das vielen (z.B. Kreidler vermutlich) eh egal oder als „Quatsch“ erscheinen mag. Ich erwähne es dennoch.

    Buon giorno diesmal.–

  16. wechselstrom sagt:

    die Deutschen sind ein sentimentales Volk, und wen sie einmal lieben, den geben sie nicht so gerne her – gleichgültig, was er angestellt hat.
    halten wir fest, wer von den bloggern ein Guttenberg-Fan ist und bleiben möchte:
    1. eggy, ganz klar
    2. querstand – fast ebenso klar, etwas nachdenklicher.
    3. Max Nyffeler – na ja ein wenig Selbstzweifel schimmert bei ihm zwar durch, aber sein Herz sucht dann doch nach „Lichtgestalten“
    4. Willi Vogel – ein strammer CSU-Parteigänger
    5. Felix Ka – detto
    6. Martin Hufner – wackelt hin und her – es beutelt ihn arg.
    7. P. Hahn – denkt wie immer das, was gerade opportun ist.
    KTvG stilisiert er zum „Künstler“ – die Subventionen werden weiter fließen, so viel ist sicher.

    Die anderen (Erik Janson, Markus Elsner und meine Wenigkeit) haben sich konsequent abgewandt, wenn sie denn jemals zugewandt waren.

    Es ist nicht verwerflich ein Fan von jemanden zu sein.

    Ekelhaft wird es dann, wenn hier die Verfehlungen des Mächtigen aktiv kalkulierend schöngeredet werden, die Leute (Journalisten), die den Schwindel entlarvten, in die Nähe der Täter oder zumindest der „dummen Jungen“ gerückt werden, wie versteckt angedeutet in P.Hahns Artikel – :

    ist er nun die helene hegemann der bundespolitik. vielleicht ist das problem auch ähnlich gelagert wie bei ihr: wähnten literaturkritiker sich hintergangen, nachdem sich die gefeierte prosa als samplingkunststück entpuppte, spotten nun die politikjournalisten die hinter der kompetenzkompetenz des freiherrn nichts anderes mehr vermuten können, als eine geschickte samplingstrategie.

    KTvGs Schwindel zu einem Fall von „unterlassenen Anführungszeichen“ heruntergeredet werden:

    was ist der unterschied zwischen deutschland und italien? der italienische ministerpräsident stolpert über mädchengeschichten. der deutsche verteidigungsminister vermutlich über einige unterlassene anführungszeichen.

    So etwas würde nicht einmal im Bayernkurier stehen!

    Bei so viel Reinwaschung wird einem speiübel, und auch die Reinwaschung (mit kleinen harmlos „kritischen“ Einsprengseln) von eggy kann ich nicht gutheißen.
    Das sind alles Artikel im Andienen an die CSU und im Dienste der eigenen Karriere – kotz, speib, würg.

    wechselstrom

    Fußtritte statt Fußballette – das sollte das Motte jedes Komponisten sein, der noch etwas zu sagen hat.

  17. querstand sagt:

    Da kommt ja Lagerfeuerstimmung auf. Alle in eine Ecke stellen, dann lustig Liedlein singen, Feuer in der Mitte oben weg lassen und Allen eine rein schlagen. Nur zur Erinnerung: hier gehts um Musik, Parallelen zu KTG wurden rein aus der Perspektive gezogen: Wäre er Künstler statt Halbjurist, könnte man mit ihm über Ästhetik reden. Da er leider nicht nur für Soldaten, sd. auch für Bundeswehrunis zuständig ist, sein Weglaufen vor den beinharten Konsequenzen des Plagiierens soldatisch hart nach Desertion klingt, also sehr wohl ein Zusammenhang zw. Amt und Dr. besteht – bis auf einmal 4, jetzt 5, haben alle Bundesminister des Merkelkabinetts einen Dr. – sollte er sich auf sein Kreisratmandat zurückziehen! Punkt. Dass hier Gnade waltet, man ihm im Musickblog den musikal. Papa gönnt, also ein wenig aus dem Musikeck nur schaut, ist keine Zustimmung zu den Vorgängen, die erstaunl. kritisch von FAZ, NZZ und Welt begleitet worden sind, gerade wo diesen Blättern der haut gout der Hofberichtstattung gegenüber dem konservativen politischen Lager voraus duftet. Ausserdem: künstlerische Plagiate plagen durchaus, haben aber eine andere Konsequenz als der Konnex Politiker/Gelehrter, können sehr unterschiedlich gefühlt und betrachtet werden. Wie gesagt, jeder Opernkomponist amerikan. Provenienz, der puccinit, wagnert und strausselt, durch die Weill-Bernstein-Glass-Brille säuselt, steht für Hardcore-Avantgardisten unter Abschreibeverdacht, intertextuelles Schreiben ist für manchen hier wie Knoblauch und Vampyr… In polit. und wissenschaftl. Hinsicht wird es aber eng mit Plagiaten, wäscht hier keiner KTG rein. Im Gegenteil: man sollte mal ganz schnell auch über die deutschen, us-amerikan. und noch schneller österreichischen Kunstdoktortitel nachdenken. Was hilft all das Qualifiziere, wenn die Kunstunis nicht zuvörderst über das künstlerische Examen Komponisten auch zu Lehrern befähigen, sd. das Vehikel MuWi vonnöten ist, um künstlerisch wie pädagogisch lehrkompatibel zu sein. Da schoss dem ACDC aka wechseltrom mal wieder zuviel Gleichstrom durch den Sauerbraten… Schäm er sich für seine undifferenzierten Pauschalisierungen, die nicht besser sind als KTGs nachhinkende Verzichtserklärungen: so eilt er voraus im Niedermähen des Blogs, reiht die Menschlein in gefühlter Nähe zu Eggert, gönnt nicht mal Erik eine eigene Position, denn Erik ist ja so beschrieben nur Theilers divide et impera. Ich halte Erik für genauso autark, wie ich mich selbst. Ich bin eher meinen Gefühlsselbstdarstellungen verpflichtet als jemand Anderen. Aber die Hose herunterlassen konnte Theiler bis auf wenige Ausnahmen noch nie, es sei denn beim Gegenüber, um dem Anderen den blanken Po zu paddeln… Gleichstrom, so sollte man Theiler nennen, im Gleichschritt der ewig selben Bitternis… brrrr…

    A.S.

  18. eggy sagt:

    „Ich selbst, wenn ich am Schreibtisch saß
    Des Nachts, hab ich gesehen
    Zuweilen einen vermummten Gast
    Unheimlich hinter mir stehen.

    Unter dem Mantel hielt er etwas
    Verborgen, das seltsam blinkte,
    Wenn es zum Vorschein kam, und ein Beil,
    Ein Richtbeil, zu sein mir dünkte.

    Er schien von untersetzter Statur,
    Die Augen wie zwei Sterne;
    Er störte mich im Schreiben nie,
    Blieb ruhig stehn in der Ferne.“

    (mit Dank an Heine)

  19. wechselstrom sagt:

    @ querstand,

    Ihr oberbayrische Temperament fährt mit Ihnen Schlitten.
    Sie haben ja recht, wenn Sie die österreichischen Titelverhältnisse anprangern – aber das in ein Reply auf meinen Beitrag zu stellen …. ts, ts , ts

    Áuch die Özis haben ihren Plagiator (ist natürlich landestypisch unter dem Teppich gekehrt worden und der „Dr.“ Hahn sitzt jetzt in Brüssel – war vorher Wissenschaftsminister.)

    Und bis 2002 hat man hier den Medizin-Doktor hinterhergeworfen bekommen, eine eigene Arbeit war nicht notwendig. Das per Diplom abgeschlossene Studium reichte.

    Ich bin eher meinen Gefühlsselbstdarstellungen verpflichtet als jemand Anderen

    Das entbindet gänzlich vom Argument – sie argumentieren zwar in der Regel (diesmal nicht), stellen aber das, was in der Diskussion erstrangig sein sollte in den zweiten Rang und schieben das (Ihr) Gefühl in den Vordergrund als letztendliche Ursache ihrer Aussagen.

    Wenn mir beim Lesen von Eggys und Patrick Hahns Artikel zum Kotzen ist, kommt das (geben Sie es zu) aus einem zunächst undefinierbaren Bauchgefühl meinerseits – insofern sind Sie und ich vom gleichen Holz – ich aus der oberfränkischen, Sie aus der oberbayrischen Ecke – –

    Die Stellen, die in Hahns und Eggys Artikel besonders säuerlich aufstoßen lassen habe ich korrekt zitiert.

    Nennen Sie bitte im Gegenzug die Stellen aus beider Artikel, die Sie für besonders gelungen halten.

    Beste Grüße aus dem Umspannwerk

    – wechselstrom –

    @ eggy:

    Dem Beilträger hast du wieder einmal das Maul gestopft – ähem redigiert – hier also das gesamte Heinegedicht:

    CAPUT VI

    Den Paganini begleitete stets
    Ein Spiritus familiaris,
    Manchmal als Hund, manchmal in Gestalt
    Des seligen Georg Harrys.

    Napoleon sah einen roten Mann
    Vor jedem wicht’gen Ereignis.
    Sokrates hatte seinen Dämon,
    Das war kein Hirnerzeugnis.

    Ich selbst, wenn ich am Schreibtisch saß
    Des Nachts, hab ich gesehen
    Zuweilen einen vermummten Gast
    Unheimlich hinter mir stehen.

    Unter dem Mantel hielt er etwas
    Verborgen, das seltsam blinkte,
    Wenn es zum Vorschein kam, und ein Beil,
    Ein Richtbeil, zu sein mir dünkte.

    Er schien von untersetzter Statur,
    Die Augen wie zwei Sterne;
    Er störte mich im Schreiben nie,
    Blieb ruhig stehn in der Ferne.

    Seit Jahren hatte ich nicht gesehn
    Den sonderbaren Gesellen,
    Da fand ich ihn plötzlich wieder hier
    In der stillen Mondnacht zu Köllen.

    Ich schlenderte sinnend die Straßen entlang,
    Da sah ich ihn hinter mir gehen,
    Als ob er mein Schatten wäre, und stand
    Ich still, so blieb er stehen.

    Blieb stehen, als wartete er auf was,
    Und förderte ich die Schritte,
    Dann folgte er wieder. So kamen wir
    Bis auf des Domplatz‘ Mitte.

    Es ward mir unleidlich, ich drehte mich um
    Und sprach: „Jetzt steh mir Rede,
    Was folgst du mir auf Weg und Steg
    Hier in der nächtlichen Öde?

    Ich treffe dich immer in der Stund‘,
    Wo Weltgefühle sprießen
    In meiner Brust und durch das Hirn
    Die Geistesblitze schießen.

    Du siehst mich an so stier und fest –
    Steh Rede: Was verhüllst du
    Hier unter dem Mantel, das heimlich blinkt?
    Wer bist du und was willst du?“

    Doch jener erwiderte trockenen Tons,
    Sogar ein bißchen phlegmatisch:
    „Ich bitte dich, exorziere mich nicht,
    Und werde nur nicht emphatisch!

    Ich bin kein Gespenst der Vergangenheit,
    Kein grabentstiegener Strohwisch,
    Und von Rhetorik bin ich kein Freund,
    Bin auch nicht sehr philosophisch.

    Ich bin von praktischer Natur,
    Und immer schweigsam und ruhig.
    Doch wisse: was du ersonnen im Geist,
    Das führ ich aus, das tu ich.

    Und gehn auch Jahre drüber hin,
    Ich raste nicht, bis ich verwandle
    In Wirklichkeit, was du gedacht;
    Du denkst, und ich, ich handle.

    Du bist der Richter, der Büttel bin ich,
    Und mit dem Gehorsam des Knechtes
    Vollstreck ich das Urteil, das du gefällt,
    Und sei es ein ungerechtes.

    Dem Konsul trug man ein Beil voran
    Zu Rom, in alten Tagen,
    Auch du hast deinen Liktor, doch wird
    Das Beil dir nachgetragen.

    Ich bin dein Liktor, und ich geh
    Beständig mit dem blanken
    Richtbeile hinter dir – ich bin
    Die Tat von deinem Gedanken.“

  20. wechselstrom sagt:

    uups, shit … Qellenangabe vergessen:

    http://www.literatur.org/klassic/HEINE/WINTMAER/heine106.htm

    n´tschuljung

    – wechselstrom –

  21. Max Nyffeler sagt:

    @Wechselstrom
    Ich verstehe nicht ganz, weshalb Sie glauben, in der Sache Guttenberg suche ich nach Lichtgestalten. Vielleicht, weil ich die Pranger-Justiz der SZ und das massenhafte Geheul in deren Windschatten nicht toll finde und das Wort „offenbar“ benutzt habe, mit der Begründung, man solle erst mal das Urteil der Uni Bayreuth abwarten?

    Ich bin der Meinung, man müsste auch einem Guttenberg zubilligen, was man einem Mörder zubilligt: So lange sein Verbrechen nicht vom Gericht offiziell festgestellt worden ist, darf man ihn eigentlich nur als „mutmaßlichen Mörder“ bezeichnen. Die rechte Bild-Zeitung nimmt sich regelmäßig die Freiheit heraus, diesen Grundsatz zu brechen. Die linksgrüne SZ und die anderen Parteiblätter nehmen sich dieselbe Freiheit bei Guttenberg heraus. Nun ja, so sind eben die Verhältnisse und Machtverteilungen. Man kann nicht sie beeinflussen. Doch man kann sich individuell entscheiden, ob man bei der angesagten Hatz mitmachen will oder nicht. Inzwischen hat die Uni Bayreuth ihr Urteil gesprochen, und das Problem ist damit erledigt – bis zum nächsten Mal.

    Ich möchte aber noch einen kleinen Vergleich ziehen, der zeigt, wie relativ alle Empörung ist.

    Als Joschka Fischer noch Außenminister war, gab es eine – diesmal von rechts – angezettelte Kampagne gegen seine Aktion in den siebziger Jahren in Frankfurt, bei der er nachträglich per Foto als mutmaßlicher(!) Gewalttäter identifiziert wurde: Er soll damals auf einen am Boden liegenden Polizisten eingeprügelt haben. Vor irgendwelchen Untersuchungsausschüssen hat sich Fischer wortreich herausgewunden, und die gleiche Öffentlichkeit, die nun über Guttenberg herfällt, hat das damals schmunzelnd zur Kenntnis genommen. Genau so ging es auch mit seiner früheren Bemerkung als grüner Abgeordneter im hessischen Parlament gegenüber dem Ministerpräsidenten Börner (SPD): „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch.“

    Ich finde eigentlich beides gleich verwerflich von den zwei sauberen Ministern: Einen am Boden liegenden Polizisten zu malträtieren und bedenkenlos fremdes geistiges Eigentum zu klauen. (Die Arschloch-Petitesse kann man hier weglassen, sie fällt auf den Außenminister selbst zurück.) Guttenbergs Aktion stellt einen Affront gegen die gesamte Akademikerschaft Deutschlands dar und ist darüber hinaus eine Beschädigung der Institution Wissenschaft. Fischers Gewaltaktion stellte einen Affront gegen alle Uniformierten der Republik dar und stellte darüber hinaus das Gewaltmonopol des Staates in Frage. Der eine wurde ein erfolgreicher Außeniminister, der andere wird vermutlich demnächst von der Bildfläche verschwinden.

    Was nun die Medien angeht, so ist es interessant, die unterschiedlichen Reaktionen in den beiden Fällen zu beobachten. Warum hat man beim einen ein Auge zugedrückt, während auf den andern aus vollen Rohren geschossen wird? Vermutlich hängt das damit zusammen, dass ein Doktor einen viel höheren gesellschaftlichen Prestigewert hat als ein Polizist (man denke an die gängige linksautonome Bezeichnung „Bullenschwein“, die bis in die TAZ hinein als salonfähig zitiert wird – das Wort „Denkerschwein“ existiert nicht), und dass die Wissenschaft in den Augen der meisten Medienvertreter mehr gilt als die staatlichen Ordnungsgrundsätze. (Das wäre einer genauen Untersuchung wert.)
    Doch die Antwort ist vermutlich noch viel einfacher und setzt sich aus 2 Teilen zusammen:
    a) Wahrheit ist nicht unabhängig von subjektiven Interessen.
    b) In den Redaktionen gibt es viel mehr Akademiker als Polizisten.

    Coda und ceterum censeo zum Thema Empörung: Was sich bei uns aufschaukelt, sind zum Zweck der Auflagensteigerung medial genährte Partialempörungen. Sie wirken – und da komme ich auf mein früheres Posting zurück – leicht provinziell im Vergleich zu den riesigen, gesamtgesellschaftlichen und mit Blut bezahlten Empörungsschüben, die sich zur Zeit in Nordafrika abspielen, besonders in Libyen, wo die Menschen wie Tiere abgeschlachtet werden. (Hat jemand meinen Link angeklickt?) Ausländische Medien sind da etwas interessierter. Aber wir schauen weg, so lange der Benzinpreis noch halbwegs akzeptabel ist. Wir machen unseren beschaulichen Osterspaziergang, während weit hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen (Vorsicht, Zitat.)
    Angesichts der Verlogenheit der politischen Empörungsdebatten kann ich aber diejenigen gut verstehen, die einfach abschalten und sich auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren. Irgendwann kippt Empörung in Zeitverschwendung um. Damit möchte ich auch für mich das Thema abschließen.

  22. querstand sagt:

    @ Nyffeler: Verwerfliches mag erstmal als Verwerfliches erscheinen und so bleiben. Ich möchte dabei dennoch gerne den Faktor Zeit mitberücksichtigt sehen. Der ist solange wirksam, wie das Verwerfliche die Grenze zum Kapitalverbrechen nicht überschreitet. Als die Bilder Fischers als Polizistenlattenschreck durch die Presse rollten, hatte sich die Person doch bereits gewandelt, so dass seine Schlägerpose von anno dazumal nicht wirklich die Zündkraft hatte, die Guttenbergs Plagiat vielleicht doch noch entfalten wird. Bei Fischer waren die Verjährungsfristen schon abgelaufen, bei Guttenberg beginnen sie vielleicht überhaupt erst zu ticken. Seit 28.01.2009, dem Erscheinungsdatum des Plagiats, durfte er sich einen richtigen Dr.jur. nennen und das des. weglassen, 15 Tage später, am 15.02.2009 wurde er zum Bundesminister für Wirtschaft, etc. ernannt. Zwischen Fischers Untat 1975 und dem Aufkommen im Jahre 2001 liegen unendlich viele Tage. Sein Glück war wohl das Verschwinden älterer Ermittlungsakten, was ihn vor Strafverfolgung bewahrte. Genauso unschön, wie der Wegschluss von weiteren Doktorarbeiten vieler Politiker. Der Unterschied Guttenberg zu Fischer ist, dass ihn der Plagiats-Doktortitel just kurz vor Erreichen höchster bundesrepublikanischer Ämter zierte, somit der Zahn der Zeit noch frisch herausragte und um so tiefer, nicht stumpf, nicht mal zwei Jahre später sein Fletschen zeigt, derweil bei Fischer schon etliche Brückentransplantate für den Zeitzahn vonnöten waren, um noch als solcher wahrgenommen zu werden.

    Das verbindende Verwerfliche zwischen beiden ehemaligen „Lichtgestalten“ ist, dass sie sich gross als Alternative zum Polit-Establishment ihrer Jugend gerieren, im Hintergrund aber über lange Zeiten am Rande des Gesetzes agierten, verwerflicher als es jeder blassere Politiker macht. Wenn man nun so ins durch die Politikeruntaten getrübte Sonne blickt, schwebt tatsächlich die Kanzlerin mitunter am reinsten in der Reichstagskuppel. Aber was verbessert dies am politischen Alltag, dessen Wahrnehmung. Nichts! Das Volk freut sich über so „Leute wie wir“, wenn sie Fischer und Guttenberg sehen. Dass sie allerdings in der erdrückenden Mehrheit weder das Geknüppel Fischers noch den Reichtum Guttenbergs jemals erreichen können, es sich also um doch sehr volksunähnliche Typen handelt, will die Wählerschaft nur ungern zur Kenntnis nehmen, da sie sonst allzu schmerzlich sich ihre Mittelmässigkeit eingestehen müsste, die doch um so ehrlicher von ganz normalen, farblosen Politikern repräsentiert wird. Es ist dieser vollkommen veraltete Robin-Hood- oder Barbarossa-Glaube, der in der Politik wohl nichts verloren hat, in der Filmkunst bisher ebenfalls kaum zu Meisterwerken führte.

    Erstaunlicherweise taugen solche Gestalten in der Oper doch wieder für Grösse, wenn der Komponist, wohl selbst ein wenig abgedreht wie sein Sujet, eine Verarbeitung vornimmt, selbst am Rande des Verwerflichen agiert, denkt man an Wagners Lohengrin, dem doch auch viel Kyffhäuser innewohnt. Im heutigen Alltags also lieber Kaufhäuser, und Fischer wie Guttenberg im Kaufrausch vergessen, vielleicht sich sogar mal statt eines Ledersofas oder einer Flatscreen eine CD mit Neuer Musik leistend oder gar ein Abo für die Musica Viva?

    Gruss,
    A. Strauch

  23. wechselstrom sagt:

    @ Max Nyffeler,

    Angesichts der Verlogenheit der politischen Empörungsdebatten kann ich aber diejenigen gut verstehen, die einfach abschalten und sich auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren.

    „Empörungsdebatte“ bezeichnet vermutlich weniger die Debatte über Empörendes, vielmehr eine empörtes Debattieren über Sachverhalte, die eigentlich keiner Debatte wert sind.

    Die tragischen Verhältnisse in Lybien können aber in Europa auch nur Empörungsdebatten auslösen – in der einen oder anderen Richtung.

    Die Debatte über Guttenberg ist etwas anderes als eine Debatte über steigende Benzinpreise.

    Bei all den besoffenen Fahrerflüchtigen (Otto Wiesheu – ehem. bayr. Wirtschaftsminister), Old Schwurhands (Friedrich Zimmermann – ehem Innenminister), stur- und stiernackigen Spendensammlern (Helmut Kohl – ehem. Bundeskanzler) etc., die man ertragen musste, hat KTvG noch eins draufgesetzt:

    Er hat das große Vertrauen, das er durch sein Auftreten und sein Sprechen auf sich gezogen hat – gleichgültig, ob durch seinen Spin-Doctor trainiert oder aus seiner eigenen Persönlichkeit gezogen – er hat dieses Vertrauen, das die Leute wieder zaghaft auch in die Politik zu setzen begannen, schändlich zu Grunde gerichtet. Denn er hat mit Ehrlichkeit, verständnisvollem Zuhören und Nachdenklichkeit für sich geworben und für sich gewonnen – alles Eigenschaften und Tätigkeiten, die er beim Verfassen seiner Studienarbeit nachweislich nicht erfüllte.

    Es muss gefragt werden, wo und wann die Verantwortung eines Politikers beginnt, wenn sogar das, was einer der Grundpfeiler von demokratischer Gesellschaft ist, nämlich das Vertrauen selbst, einer Politkarriere zur disponiblen Verfügung gestellt wird.

    Dass sich Wahlbeteiligungen demnächst auf die 50%-Marke zubewegen, ist somit weniger eine Folge nutzloser oder nutzvoller Emörungsdebatten, sondern die Folge der Aufgabe der Polit-Debatte selbst.

    „Lichtgestalt“ ist natürlich ein stark übertriebener Ausdruck – aber ich würde mir einen Schmidt, Brandt, Weizsäcker wünschen – oder wie wäre es mich einem Gauck – na ja, unsere Bundesmutti musste ja unbedingt ihren CDU-Heini ins Bundespräsidentenamt hebeln – wie ist nochmal sein Name? – ach Gott – wurscht – – – auf zu den Achtelnoten.

    Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  24. eggy sagt:

    Wechselstrom als der Vollstrecker meiner Gedanken im Sinne von Heine? Na gut, wenn er das gerne sein will, man hat ja gerne „Zuarbeiter“.
    Mir kam es eigentlich eher auf diese Zeilen an:

    Er schien von untersetzter Statur,
    Die Augen wie zwei Sterne;
    Er störte mich im Schreiben nie,
    Blieb ruhig stehn in der Ferne.

    Denn die treffen’s irgendwie ganz gut.

  25. Willi Vogl sagt:

    @Wechselstrom 26.02.2011
    Herrlich! Wie anregend die profund argumentierte parteipolitische Zuordnung der Blogger!
    Man kann darauf hin in einen politischen, ethischen oder gesellschaftskritischen Disput einsteigen, als Komponist den Dichter sprechen lassen und sich ansonsten auf sein Metier besinnen oder einfach die nackten Tatsachen nennen. Hier sind sie:
    Tatsächlich warte ich seit dem 23.02.2011 auf den Anruf meines Parteifreundes, General Alexander Dobrindt, der mir einen Kompositionsauftrag zur Inthronisation von König Theodor, dem Guten, erteilen möge – ein Auftrag für einen Marsch, der sich geblasen hat. Die Parteitage der strammen Königstreuen sind schließlich seit dem Niedergang des Mäzenatentums alter Monarchien das legitime Nachfolgepodium für kulturelle Innovation. Natürlich wird die Partei, urheberrechtlich verantwortungsvoll, der Gema meinen Namen in der richtigen Schreibweise übermitteln, damit die Tantiemen nicht dem falschen Kollegen zugute kommen.
    Richard Wagner (Brief vom 03.05.1864 an König Ludwig II.) sei Dank, darf auch ich bald verkünden:

    „Theurer, huldvoller König!

    Diese Thränen himmlischester Rührung sende ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, dass nun die Wunden der Poesie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebebedürftiges Leben getreten sind! – Und dieses Leben, sein letztes Dichten und Tönen gehört nun Ihnen, mein gnadenreicher junger König: verfügen Sie darüber als über Ihr Eigenthum!

    Im höchsten Entzücken, treu und wahr

    Ihr Unterthan“
    Willi Vogl

  26. wechselstrom sagt:

    @ eggy:

    ausgerechnet Du als Obercensor bemühst Heine:

    – – – –
    — —- — – – –
    – – – – –!

    —– —– —— [auch zitierte Beleidigungen werden entfernt] —- —
    — – – – – – –.
    —- – -?
    — — — —– — —– —— — — – — –.

    Frei zitiert nach Heine aus dem Buch „Le Grand“

    Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  27. Erik Janson sagt:

    Kaum ist man mal ein paar Tage nicht hier, da quillt dieser Blog über mit KTvG-Meta-Kommunikation und Angifterei (sei´s direkt oder ironisch oder heinisch …)
    dass es nur so kracht un scheppert. Die meisten Prügel gingen da – rheinisch gefühlt unberechtigt – von der Isar wieder in Richtung Donau, wo doch Wechselstrom eigentlich oben nur zusammen fasste, wer eher das Plagiatsthema etwas entschuldigte und wer dagegen klare Kante zeigte.

    Was muss dieser Mann doch wichtig sein, dass man über ihn so in Rage geraten kann und in virtuelle, überaus „gefühlstriefende“, sich im KReis drehende Metadiskurs-Massenschlägereien sich verbeißen kann. Dabei ist die Sache vom ethischen und inhaltlichen Standpunkt aus eigentlich indiskutabel. Oder muss er auf Teufel komm raus verteidigt werden, weil er Bayer ist?

    Ein – nicht erstes – Alarmzeichen für unsere Demokratie (pardon: Mediokratie) ist: die Leute scheinen für das Amt eines Politikers sowieso keine Ehrlichkeit mehr als notwendige Schlüsselqualifikation/Tugend zu erwarten. Da tun es medial erklärte Beliebtheit und gegelte Haare und ein paar – zugegeben – sympathische auf Offenheit machende Äußerungen.

    @ Max Nyffeler: Den Mörder-Vergleich bzgl. der Plagiatsaffäre fand ich nun doch etwas übertrieben.
    Bzw.: Er hat ja selbst schon zugegeben, dass er Fehler machte und auf seinen Titel wohlweißlich schon selbst verzichtet, wenig vor der offiziellen Aberkennung des Titels durch die Uni. Es geht doch inzwischen nur noch um die Frage, inwiefern der Ruf der Wissenschaft dadurch Schaden nimmt, dass die Politik weiter am Amt, an der Macht eines Menschen festhält, der einen entscheidenden Codex verletzt hat. Da sprechen die Beschwerdebriefe übergeben an Kanzlerin Merkel (folgerichtig) eine klare Sprache.

    Unbegründetes Aufregen?

    Wenn Medienhype und Beliebtheits-Skalen in Deutschland mehr wert sind/ am Ende mehr wiegen sollten – als Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit von Anfang an, dann ist das nur noch pervers zu nennen.

    @ querstand

    so eilt er voraus im Niedermähen des Blogs, reiht die Menschlein in gefühlter Nähe zu Eggert, gönnt nicht mal Erik eine eigene Position, denn Erik ist ja so beschrieben nur Theilers divide et impera.

    Schäme er sich. Er übertreibt maßlos. Zeige er mir die Stelle, wo Wechselstrom mir meine eigene Position nicht gönnt, angeblich.

    Nochmal zusammenfassend: Ich habe meine Meinungen oben klar Kund getan: Das Plagiat, das unangegebene und unerlaubte Abschreiben gehört nicht nur in der Wissenschaft sondern auch mal mehr in der Kunst/unserer Musikszene gegeißelt. Das reflexartige „Mit zweierlei Maß -Messen“ (dort die Wissenschaft – in der Kunst darf man das), Gutheißen oder als Kavaliersdelikt erklären, das tun vor allem diejenigen, mit deren eigener Phantasie bzw. mit deren Streben nach Originalität, eigener Einfälle und/oder Authentizität es nicht besonders weit her ist.

  28. Jens sagt:

    haha! Göttlicher Beitrag über den Herrn KT! Ich persönlich finde ja den „Igor Stravinsky Guttenberg“ am besten. Liegt vielleicht an meiner Neigung zu dem Produkt, das er vertreibt. :-)