Dionysos, sozialversichert: Rihms handgreiflicher Zugriff

Einen weiteren Eindruck von der Rihm-Uraufführung in Salzburg wollen wir unseren geschätzten Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten. Aufgrund einer Koordinationspanne meinerseits war der Termin für nmz Online doppelt besetzt, sodass folgender Text nicht zum Zuge kam. Ich danke Frieder Reininghaus für seine Nachsicht und sein Einverständnis, seinen Text nun hier zu veröffentlichen. Besonders die Passage zu Rihms Schaffensweise dürfte auf Interesse stoßen:

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Zum Zweitletzten: Wolfgang Rihms „Dionysos“ bei den Salzburger Festspielen

Im Mai 2009 wurde bei den Schwetzinger Festspielen Wolfgang Rihms „Proserpina“-Monodram uraufgeführt, gestützt auf Textelemente des jungen Geheimrats Goethe. Präsentiert wurde da von Mojca Erdmann ein grandios gesungener Monolog einer in der Hölle vereinsamten Frau. Nach wenigstens 15-jährigem Vorlauf schrieb Rihm zwischen dem 6. Dezember 2009, 9 Uhr in der Frühe, als ihm Frauenlachen ins innere Ohr kam, und Mai 2010 für die Salzburger Festspiele mit „Dionysos“ ein weiteres Musiktheaterwerk über die Einsamkeit. Dieses Mal galt es der eines Mannes. Der belesene Musiker stützte sich dabei auf die späten „Dionysos-Dithyramben“ von Friedrich Nietzsche. Er dekonstruierte die Worte und sortierte sie sich neu. Und natürlich wussten die üblichen Verdächtigen der Musikologie schon vorher, dass dem Meister da neuerlich ein „Wurf“ gelungen ist. Wirklich theaterkundige Experten wurden zu ihren Salzburger Exegesen nicht geladen.

Ein Wurf, fürwahr! Da kommt einem der gute alte Ernst Bloch in den Sinn, welcher dergleichen nach dem Erscheinen des „Rosenkavaliers“ schon den Gründern der Salzburger Festspiele, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, attestierte (was allerdings bei dem von Thomas Mann als „Kegelbruder Strauss“ portraitierten Komponisten auch nicht verwunderte): Letzterer sei „weiterhin gesinnungslos und nimmt sein Material, wo er es findet; aber zu Zeiten findet er auch etwas Gutes“. Der Festspiel-Vordenker Hofmannsthal ordnete das dann auch für Salzburg so bedeutsame Werk in sein Konzept „schöpferischer Restauration“ ein. Welch eine Koinzidenz! Denn Strauss, so Bloch, „überrascht zum großen Teil nur deshalb, weil er sich im Grund nicht entwickelt“ („Geist der Utopie“, S. 91).

Wie es guter Brauch des Festivals an der Salzach von Anfang an ist, haben sich auch heuer für die Eröffnungsshow fünf Geschäftsleute zusammengefunden, die im größeren Geschäft mit neuer Musik und zeitgenössischem Musiktheater unter den Branchenführern rangieren: Wolfgang Rihm, Karlsruhe, von der Holding Innerlichst & Espressiv, Jonathan Meese aus Berlin-Mitte als Geschäftsführer von Hübsch-Ungebärdig, Pierre Audi von der Regie Edelstill mit Firmensitz in Amsterdam, Ingo Metzmacher vom Dienstleister Modern Solide sowie, last not least, Jürgen Flimm als amtlicher Generalunternehmer von Adabei. Moderiert wurde der lässige Auftritt vorm „Light lunch“ in der „Kulisse“, dem neuen Penthouse hoch über der Hofstallgasse, von Charles Naylor, dem leitenden Unternehmenskommunikator der Credit Suisse. Zur Erinnerung: es handelt sich dabei um eines jener helvetischen Bankhäuser, um deretwillen der vorletzte bundesdeutsche Finanzminister die Kavallerie ausrücken lassen wollte. Hier aber wäre äußerstenfalls die Stadtreinigung gefragt gewesen: Meese forderte die „Diktatur der Kunst“. Rihm prahlte mit der Geschwindigkeit, mit der er nach jahrzehntelangem Ringen dann am Ende eine Partitur aufs Papier zu schleudern vermag.

Sehr sympathisch wirkte dazwischen Metzmacher. Der lobte – übrigens zurecht – die Einsatzbereitschaft und Improvisationsgabe der Interpreten, die den „Dionysos“ in so bemerkenswert kurzer Zeit aus der Papierform auf die Bühne transportierten und die sechs Szenen zum zweitletzten Lebensabschnitt Nietzsches über die Rampe brachten. Die Szenen spielen auf finale Lebensstationen an: Zuerst geht der Blick auf einen Alpensee und damit auf die unerfüllte erotische Obsession des Philologen und Philosophen hinsichtlich der multifunktionalen Cosima von Bülow (geb. de Flavigny), die zum fraglichen Zeitpunkt bereits mit dem aus Dresden geflohenen Kapellmeister Wagner liiert war: „Ich bin dein Labyrinth“. Die Partie der Ikone wird hinreißend gesungen (als wäre sie neuerlich Proserpina!) von der mit Leichtigkeit in höchste Höhen abhebenden Mojca Erdmann. Doch das blonde Wesen will nicht Ariadne sein, möchte sich das Schicksal der Frau mit dem roten Faden ersparen. Für N. bleibt nur Einsamkeit des Gebirges, inklusive Unwetter und Absturzgefahr. Jonathan Meese setzt große Symbole, z.B. spitze Pyramiden als Stellvertreter der Bergspitzen neben seine breiten Pinselstriche und nimmt die „Opernphantasie“ ziemlich „naivisch“. Die Wüste wächst.

Mit dem Besuch im Salon und im Bordell bei vier Hetären (die alle Esmeralda heißen) wird die Sache theatral lebendiger: Den Protagonisten bestritt Johannes Martin Kränzle vorzüglich – als distinguierter Denker wie als in Strudel gerissener Mann stets mit guter Verständlichkeit der Worte, die als Kulturgesten in den Raum gestellt werden. Der Wanderer N. gelangt in eine Art Atelier, das optisch von großen, grellbunt beleuchteten Kugeln geprägt ist; dort gibt er mit ironischem Augenzwinkern zuerst einen Liederabend. Dann zieht ihm der für den Gesang zuständige Gott Apollo die Haut ab. Die wird dann Zeuge, wie in Turin das legendäre Pferd geschlagen wird (eine übergroße, wie aus Papier ausgeschnittene „Horsebee“ stellte Meese da bereit). Der Gaul und die Pelle sinken in Ariadnes Arme. Die Wahrheit, heißt es, sei gefunden, und alle, die an dieser Opernphantasie beteiligt waren, verbeugen sich. Der Rest im Saal fragt sich lieber nicht, wieweit das delikate Menü an Nietzsches Denken und dessen Folgen heranreicht.

Wolfgang Rihm lieferte, gestützt auf Aphorismen von ausgelebter Einsamkeit und zögerlicher Seligkeit, ein reflektiertes Oratorium mit changierenden Partien und differenzierten Fließgeschwindigkeiten, das zu Theater erklärt wurde. Der Sound erweist sich als vielgestaltig, süffig oder immer noch kantig, mancherorts parodistisch oder sogar grell grimassierend: Da finden sich kurze Anflüge von „Rheingold“-Glanz, hinreißende Sirenegesänge am Abgrund, Fortschreibungen der „Proserpina“-Sopranlineatur, eindringliches Trommeln in der heraufziehenden Nacht (auch unter Einsatz der aus der Karibik stammenden Steeldrum), leicht schlüpfriges Zungenspiel, aufgewühlte Bach-Überschreibungen mit Chor-Wucht, Mahler-Reminiszenzen, sogar feinfühlige Weill-Adaptionen. Vor allem aber wunderbare „Straussiana“ – bis hin zum Rückgriff auf die „Alpensinfonie“, Echolote und Terzenseligkeit, die das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin lustvoll auskostet. Richard Strauss erscheint ohnedies als großes Vorbild. In Salzburg kommt das allemal gut an (und Rihm will im emphatischen Sinn gefallen, jenseits aller „Gesinnungen“). Auch er überrascht zum großen Teil nur deshalb, weil er sich im Grund nicht entwickelt.

Dem Komponisten wurde in der Packungsbeilage großformatig „visionäre Geistigkeit“ bescheinigt. Doch zeichnet sich dieser offensichtlich mit großer Arbeitsdisziplin produzierende Tonsetzer in auffälligerem Maß durch „handgreiflichen Zugriff auf das Material im Kompositionsprozess“ (Ulrich Mosch) aus. Die Philologie späterer Zeiten wird vermutlich eruieren, wie der Komponist en détail produzierte – nicht zuletzt vermittels „dazuschreiben“. Das geht dann so: der Meister lässt sich Passagen von bereits vorhandenen Arbeiten in mehr oder minder reduzierter Form ausdrucken und ergänzt diese um Neues. Das mag auch die Schreibleistung für eine Partitur, die zwei Aufführungsstunden in Anspruch nimmt, in knapp sechs Monaten erklären.

Insgesamt war im „Haus für Mozart“ ein erfahrungsgesättigter, handwerklich versiert gefertigter Musikabend zu erleben. Rihm kredenzte Kunst vor dem Ruhestand: Das Dionysische gleichsam sozialversichert und streng im Rahmen der Brandschutzverordnung. Es ist, als hätte sich einer, der weiß, wie schwer er sich stets mit der Emotion in seiner Kunst tat, aus gutem Kalkül auf ein Thema gesetzt. Dessen vitale Sachwalter sind allerdings eher auf der Love Parade zu finden und müssen, wie dies beim Dionysischen in der Geschichte stets drohte, möglicherweise das Leben lassen für die Obsession.

Frieder Reininghaus

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Chefredakteur der neuen musikzeitung

15 Antworten

  1. peh sagt:

    Wie schön, solches „Gespräch“ auf diesem Blog angezettelt zu sehen. Für mich ohnehin eine der interessanten Möglichkeiten dieses Mediums, eine Pluralität von Meinungen einander gegenüber zu stellen und ein prismatisches Bild von Ereignissen zuzulassen. Eine mögliche Möglichkeit, die dieses Medium der holzverarbeitenden Industrie voraus hat.

    Passenderweise habe ich auch noch Herrn Peter P. Pachl auf dem roten Teppich vor der Lulu getroffen, mehr Zwiegespräch also auch zu diesem Stück demnächst hier.

    Zwei Dinge anzumerken darf ich jedoch nicht verabsäumen.

    1. Auch Herr Reininghaus hat diesen Text an unterschiedlichen Ecken und Enden unterschiedlichen „Urdruckorten“ verkauft und zu diesem Zweck auf andere Weise fortgeschrieben. Die ökonomische Notwendigkeit, so zu arbeiten ist mir wohl bewusst, ein Salzburgaufenthalt ist teuer und will gegenfinanziert sein. Wer als Journalist die Arbeitsweise eines Komponisten aufs Korn nimmt, und in seinem Text eine Kritik an der Praxis des Fortschreibens impliziert sollte sich klar sein, welches Glashaus er gerade einschmeisst. Das Stück stand, wie auch ein Text stehen kann, dem eine andere Einleitung hinzugefügt ist. Ich finde diese herablassende journalistische Attitüde peinlich.

    2. Unbegreiflich finde ich es aus redaktioneller Sicht, dass man diesen unsäglichen Loveparade-Vergleich, den Herr Reininghaus bereits an unterschiedlichen Stellen abgelassen hat, zulässt. Ich selbst habe an dieser und anderen Stellen auf den Massenungeist, der im Ruhrgebiet fröhliche Urständ feiert, hingewiesen, und finde es entsetzlich, auf welch unsagbare Weise die Befürchtungen wahr geworden sind. Es ist aus meiner Sicht unerträglich, die Opfer eines Planungswahnsinns in den mythologischen Zusammenhang einer dionysischen Feier zu stellen und diese als Giftpfeil gegen eine Festspielpremiere einzusetzen. Herr Reininghaus sollte sich was schämen und sowas möchte ich hier auch eigentlich nicht lesen.

    Ein Gruß aus dem Zug,

    Patrick Hahn

  2. querstand sagt:

    @all:hätte es nicht genügt, den Reininghaus-Artikel einfach aus einer seiner anderen Quellen hierher zu verlinken? Ob und wie das natürlich unlauter wäre, möchte und kann ich als Pressefremder nicht beurteilen. Ok wäre die Sache dann allemal gewesen, wenn einer der drei „Ur-Blog-Autoren“ den Text oder Link hier hereingestellt hätte oder Hr. Reininghaus höchstselbst ihn als Kommentar zu z.B. Patrick Hahns gepostet hätte. Merwürd’ger Fall… Aber mir als PR-Laien entzieht sich das eigentlich, richtig verstanden habe ich es wohl auch noch nicht. Online kann man den Artikel übrigens auch beim Deutschlandfunk finden.

    Bisher war mir der Blog eher als Ort bekannt, an dem Artikel zum Zuge kommen, die entweder fast schon vergriffen sind oder sonst in anderen Medien keine Chance hatten. Die Chance Deutschlandfunk hat aber fast schon was Globalisiertes!

    Zur Arbeitsmethode Rihms: Herr Reininghaus ist Vieles, aber kein Kompositionsprofi! Es ist durchaus möglich ernsthafte Stücke, die auch 2 Stunden dauern können, in 6 Wochen oder 6 Monaten zu komponieren. Ob aus alten Stücken kompiliert oder komplett neu geschrieben ist dabei nebensächlich. Rihm dass hier jetzt im Speziellen anzulasten zieht keinenfalls. Was man nun von den „work in progress“-Stadien seiner Stücke hält, kann wohlwollend oder ablehnend ausfallen. Nur komponiert Rihm erklärtermassen doch sein ganzes Leben schon so, mal besser, mal schlechter.

    Dies mag in den letzten Jahren tatsächlich strausslastiger denn je sein und damit ungemein nervenaufreibend, wenn einem die Postmoderne zuwider ist. Es findet bei Dionysos nicht zum ersten Mal statt und ist hier nicht anzukreiden. Man denke auch an die Meisterkompilierer Lachenmann und Nono, die Teile ihrer Musiktheater wortwörtlich vorausgehender Stücke entnahmen – oft auch nur zur Not, ohne diese Teile je für ein Opernganzes konzipiert zu haben. Dass die Qualität dieser eine andere sein mag als die Rihms, ist wieder was Anderes (es kursiert von dem schon mal zitierten Münchner Kollegen (applausverlängernde Massnahmen) die Story, wie Rihm einmal im besten badisch Nono fragte:“Du Schischi, wie machscht denn Du des mit de‘ Tonhöhe(n)?“, worauf Nono nichts als ein entsetztes Stirnrunzeln übrig hatte – dies erklärt ggf. auch Rihms klangliche Absicherung in der Spätromantik, die dann einfach zerstäubt wird, um „modern“ zu sein.)

    Aber noch eines: Rihm wurde mit Begeisterung gefeiert, als er ständig in seinen 20ern nach Mahler klang. Heute kann er qua Erfahrung wirklich mit Materialien besser umgehen als damals. Was ist eigentlich an Strauss Ritschis Benutzung soviel schlechter als an Mahlergebrauch? Mahler nudelt doch heute jeder Filmschreiberling rauf und runter, Strauss ist viel schwieriger zu imitieren. Ist Strauss ein „schlechterer“ Mensch als Mahler? Deshalb diese Brechreize? Oder sind dessen unerreichte Qualitäten noch heute Grund für Futterneid? Man vergesse im Verhältnis Mahler-Strauss nie, dass die vielgehasste Alpensinfonie auch als eine Art „Abgesangsszene“ auf Mahlers Tod komponiert worden ist. Und zu dem Vorwurf – passend zur Münchner „Frau ohne Schatten“-Festspielpremiere (Zweig!)- er würde Menschen nur stützen, sofern sie ihm wirtschaftlich taugen: jeder echte Liberale verteidigt besonders aufgrund des wirtschaftlichen Altruismus die Freiheitsrechte des Anderen. Nicht dass Strauss je ein Liberaler gewesen wäre, ein schlechterer Mensch als Mahler war er wohl nicht! Was er zur Neuen Wiener Schule Schönbergs sagte, das ist dann wieder was Anderes, seine Wagnerstadt-München-Unterschrift gegen Thomas Mann eine Katastrophe. aber als Material für Rihms Verwertungsmaschinerie nicht ungeeigneter als Mahler. Früher Begeisterung und jetzt hasst man seine damalige Begeisterung anhand einer Straussdemaskierung?

    Zur Loveparade: hier einfach nicht der Ort dafür, ausser Entsetzen und Trauer zu formulieren und zu hoffen, daß jeder Musikgrossveranstalter sein Geschäft und seine Leidenschaft ordentlich gemeistert bekommt. Dionysos aber unbedingt damit gleichzusetzen? CSD und Grosstanzfeste haben vielleicht was bacchantisches, ihnen fehlt aber jegliche Mystik der Antike. Warum nicht Dionysos einfach mit Strauss‘ Daphne vergleichen? Aber dazu scheint Herrn Reininghaus die Attitüde zu fehlen!

    Aus der Ohrenwerkstatt,
    A. Strauch

  3. Erik Janson sagt:

    @ Alexander und @ all:
    Ob nun mit oder ohne Sozialversicherung, ob gefeiert oder nicht. Ob handwerklich gut oder von allen offiziell hoch gelobt (z.B. bzgl. Rihm), spielt für mich weniger eine Rolle, das mag ja alles zutreffen in gewisser Weise, Alexander (es könnte auch für viele andere im Konzertleben etablierte Komponisten gelten):

    Ich empfehle mal die Lektüre von Alain Badious: Dritter Enfwurf eines Manifestes für den Affirmationismus, Merve, Berlin.

    Affirmationismus, provokant gesagt, ist dort da NICHT verstanden z.B. als die These „Kunst soll die gegebenen
    politischen/ökonomischen/sozialen Verhältnisse affirmieren“. Sondern es ist für Künstler (nach Badiou) wieder mehr zu affirmieren, dass Kunst eben nicht affirmieren soll, dass sie sich nicht um Massen/Publikum und „Vermittlung“ (i.Sinne von eingängig) scheren soll. Dass sie nicht nicht postromantisch oder gewollt „dionysisch“ oder auch mit der Biographie verknüpft sein oder postmodern soll oder ständig vom „Ende der Kunst“ reden soll. Sondern dass wahre Kunst gegen diese Tendenzen widerstrebig sein muss. Dass auch z.B. die zunehmende Auflösung oder Verhöhnung des Werkbegriffs uns nicht ästhetisch weiter geführt hat. Im Gegenteil.
    Was zählt ist allein das WERK. Und was bleibt von einem Werk entscheiden weder allein der Künstler, der es schuf
    noch die Massenmedien etc. (auch wenn heutzutage überall der Anschein erweckt wird, dass es so sei, ob nun in Salzburg, Bayreuth, Kulturhauptstadt 2010 oder sonstwo).

    Insofern ist mir Herr Reininghaus hier gebloggter Artikel zu Rihm in Salzburg nicht unsympathisch, wenngleich er auch pauschal und polemisch in manchen Punkten ist, auf die ich nicht näher eingen will. Aber das MUSS man sein zu einem gewissen Grad, „unverschämt“ ja im Sinne unserer immer weiter ausverkauften Demokratiebegriff sich – sogenannt – „intolerant“ geben, um überhaupt mit Kritik noch durch zu dringen. Wenn auch ich Partick Hahn Recht gebe, dass z.B. die Loveparade-Vergleiche o.ä. unangebracht sind.

  4. eggy sagt:

    @Erik: Dass die Kunst nicht ständig vom „Ende der Kunst“ reden soll: hier würde ich Herrn Badious aus vollem Herzen recht geben.
    Das genau war für mich immer ein Hauptproblem eines Großteils der Moderne – dass keine neuen Wege eröffnet werden, man Wege verbietet (a la „Das darf man nicht mehr machen“ – was noch nie sehr fruchtbar war) und dass man sich generell als Endpunkt einer langen Entwicklung sieht, quasi als Auflösung alles bisherigen. „Nach uns kann nichts mehr kommen“.
    Genau diese Haltung macht es der jungen Generation so schwer, etwas zu beginnen. Dass viele da erst einmal in eine vermeintliche Beliebigkeit ausweichen mag zu kritisieren sein, ist aber eigentlich verständlich, denn momentan geniesst man einfach auch wieder den Hauch von Freiheit, den man so lange vermisste. Das ist nicht „Beliebigkeit“, das ist ein sich Ausprobieren, ein Ausloten – wie ich finde legitim in der Kunst.

    Das sich vieles jetzt nicht mehr so schön einordnen lässt, beunruhigt diejenigen, die es sich in ihren Dogmen bequem gemacht haben. Die einfachste Form sich ihrer eigenen Beunruhigung zu entziehen ist, das Neue als „beliebig“ oder „unwichtig“ abzustempeln. Das ist schnell dahin gesagt und klingt erst mal nach was, letztlich ist es aber nur eine hohle Abwehrgeste.
    Je verhärteter die Positionen vorher waren, desto größer ist der Wunsch nach Freiheit. Wenn die vorherrschende Meinung in der Neuen Musik lange Zeit war, dass „Vermittlung“ eigentlich unter ihrer Würde ist, dann ist ein Fortsetzen dieser Tradition ja auch etwas „Affirmatives“, oder?
    „Neue“ Neue Musik darf nicht verharren, ganz richtig, aber eben auch nicht in der Affirmation von überholten Haltungen der Moderne. Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte.

    Moritz Eggert

  5. Erik Janson sagt:

    Lieber Moritz, @ all,

    Schnell leere Worthülsen sind aber in einem solchen Diskurs (wenn man kritisch mal Worte wie „Beliebigkeit“ „Postmoderne“ in den Mund sich zu nehmen wagt…)weniger die von mir benutzten sondern eher/bzw. zumindest genauso – Deine bei Deiner Abwehr-Argumentation ins Feld geführten Begriffe wie „Freiheit“ oder „Vermittlung“ oder das vom „Wieder-Ausloten nach angebl. langem „Verbot“ durch die Moderne… etc.

    Badiou stellt z.B. die nicht unberechtigte These auf, dass wenn „alles Möglich ist“ (anything goes) zugleich nichts mehr möglich ist (i.S. dessen, was wieder „revolutionär“ (nicht einseitig im Sinne politischer Revolution(en zu verstehen!) oder konkret utopisch, wie auch immer in der Kunst sein kann).

    Und: Wie definieren wir z.B. Begriffe wie „Freiheit“ oder „Affirmation“ oder „Vermittlung“ oder auch „Demokratie“?
    Das ist es, was Badiou z.B. kritisiert in seinem kleinen Manifest, dass diese Begriffe meist einseitig definiert werden im Sinne dessen, was gerade „Status quo“ von Massenmedien oder gerade dominierender Kulturpolitik/ -kulturindustrie als vermeintliches Non plus ultra von einem (zumeist dem westlichen) System gesetzt und den Leuten eingeredet wird.

    Ich behaupte klar: Dass viele heute sagen oder innerlich sich denken „ich mache halt irgendwas“ „bediene Publikum“
    schreibe so dass „für jeden was dabei ist“ oder „so dass ich keinen verschrecke“ ähnliche Denkmuster gerade bei uns Komponisten… Gerade das ist ja ein nicht unbedeutender Grund für die Krise in der Kunst. Gerade das schafft ja viel Überflüssiges, was keiner braucht, bzw. was dann mal schnell gehypt und dann sogleich wieder schnell vergessen ist und die Leute nicht (tief) zum Nachdenken bringt, das in Wahrheit NICHT-Individuelle, Nicht-Kreative, das Nicht-Mutige, was sich nur hinter Begriffen wie „ich schreibe wie ich fühle“ oder „ich bin (bei aller Kühle um mich herum) romantisch“, „ich nehme mir die FReiheit, heute wieder „harmonisch“ oder „vermittelnd“ zu komponieren“ oder auch hinter („ich bin so zwanglos, so direkt, so geradeaus“ – siehe z.B: die LENA-Vermarktung!) tarnt. Wie immer man dann auch (in welchen Parametern, Stilmerkmalen man das dann definiert, das ist sekundär, darüber kann man schwer diskutieren, es ging/geht mir erst mal um die KomponierHALTUNG. Also, ich würde hier auch nie pauschal sagen: wer die oder jene Stilelemente (z.B. Dur-Moll, trad. Figuren, Gesten etc.) benutzt, der ist gleich „reaktionär“ oder „pseudoromantisch“ oder „postmodern“ oder „verwerflich“ oder ähnliches).

    Aber solche Denkmuster, die ich eben kritisierte, die haben in Wahrheit wenig bis nichts mit der Verwirklichung echter Freiheit zu tun, sondern es ist letztlich ein Diktat der „Mehrheiten“ oder Kulurindustrie und des Kommerzes auch, ohne dass es viele so recht merken.

    Wie gesagt: ich will hier keinen persönlich angreifen, weder einen Wolfgang Rihm, noch Henze oder Moritz Eggert noch querstand oder wen auch immer. Meine Kritik hier ist als Denkanregung gemeint bzw. als Ermutigung zu mehr Perspektivwechsel und wieder Mut von uns Komponisten – gerade von den Etablierten – , Wege HERAUS aus dem Anything goes zu suchen und auch mutig zu gehen. Das heißt: was zu RISKIEREN, dass man z.B. nicht bei vielen „ankommt“, „verstanden wird“ oder was schreibt, das für „jeden etwas dabei hat“… o.ä. Denn nur ein solcher Mut gegen das Anything goes wäre eine echte „zweite Moderne“, die wirklich aus der Postmoderne und dem fälschlich beschrieenen „Ende der Kunst“ und dem „Ende der Erzählungen“ heraus führen würde.

    Ich weiß durchaus, dass Kulturkritiker und -philosophen, wie z.B. Badiou oder Zizek leider sehr oft in die linke Ecke gedrückt oder als so eine Art „Extremisten“ „Enfants terribles“ stigmatisiert werden. Aber dies zu Unrecht; denn viele Leute, die das tun sind natürlich direkt ideologisch bzw. ideel auf der anderen Seite oder/und setzen sich dann nicht ernsthaft oder gar nicht mit deren Theorien, Hypothesen und Argumentationen dahinter auseinander; oder im schlimmsten Falle sind Leute schon Gehirn-gewaschen von einer einseitig Pro-Westlichen Lebensphilosophie, die aus allen Sendekanälen des Alltags auf uns einströmt.

    Also, nichts für Ungut.
    Und ich würde eher sagen: die „Wahrheit“ liegt weniger in der Mitte sondern deren Findung (bzw. die ständig von konkreter Utopie angetriebene Suche danach) ist ein dialektischer Prozess. Wenn z.B. der eine sagt: die „Wahrheit“ ist für mich, nur Geld zu verdienen und andere zu betrügen/zu bestehlen“ und ein andere sagt, dass das wahre Handeln das sozial Verantwortliche sei. Dann liegt z.B. die Wahrheit ja auch nicht in der Mitte von beidem.

    Erik Janson

  6. querstand sagt:

    Mich nerven Rihm wie Reininghaus!

    Nochmals ein paar Schritte zurück: Rihm schreibt seit seiner künstlerischen Autogenese an ein und demselben Werk. Da unterbrachen ihn bekannterweise früher nicht mal Konzerte. Im Gegenteil! Er soll mit Papier und Griffel im Konzert komponiert haben. Ob das ein Mit-Komponieren oder eine exklusive Inspirationsquelle gewesen ist, die er so mir nichts, dir nichts ungenerös anzapfte, das kann ich nicht sagen. In der damaligen Mahler-Hochrenaissance verschuf ihm diese Attitüde natürlich ein Auffallen, ganz ohne gefährliches Gebaren eines vielleicht fünf Jahre älteren Altachtundsechzigers. Ein kleiner Bär, so ähnlich wie der in den damaligen Bärenmarkenspots, der wie dieses Laktosetier die Brustknospen der Mutter Neue-Musik-Szene prall werden ließ und seitdem immer noch nicht entwöhnt werden konnte, die ganze Szene hat sich inzwischen daran gewöhnt. Jedes Bäuerchen wird zum Kunstwerk deklariert – was man getrost nur grossen Rülpsern zuschreiben sollte, wie etwas nicht ganz so grosse, um eindrücklichere wie In-Schrift oder das Bratschenkonzert sowie noch einige andere Werke – Jakob Lenz z.B. oder Die Eroberung von Mexiko. Das Meiste sind aber nur gnadenlos outrierte Skizzen, die nach dem Selbstverständnis, welches die Szene inzwischen fast zur Gänze adaptierte, vollgültige Musik sein soll. Ich weiß, dies ist das Konzept, nicht nur „work in progess“, nein „whole life in progress“.

    Das wird wohl mit „Entwicklung“ gleichgesetzt! Es ist aber auch Stillstand darin. Das erinnert an ein Lieblingsbild postmoderner Komponisten: die rasende Comicfigur, die wegrennen möchte, aber nur an der Stelle tritt. Das führte wohl auch zu Rihms „moonwalk“ am Musikbusen, inzwischen verfolgt einen diese Brust wie Woody Allen in dem Film – ich erinnere unscharf den Titel „Was Sie schon immer über Rihm wissen wollten“. Mit welcher Körbchengrösse ist sie zu bremsen?

    Unser Nachkriegswolferl fängt sich selbst mit Rück-, Über-, und Angriffen auf die gesamte gelebte Musikhistorie. Das geht virtuos, ganz ohne Technik, es wird einfach sich selbst eingemeisselt, als ob sein Kopf wirklich die Wand durchbrechen würde statt diese die Schädeldecke! Die läßt natürlich manchem den Kragen platzen, wie nun mal Hr. Reininghaus. Wobei ihm der oberste Hemdknopf noch ganz gepflegt vom Revers fliegt.

    Absurd ist es allerdings ausgerechnet Richard Strauss aus als Klamotte auftreten zu lassen. Wie oben gesagt, gab Strauss unsägliches von sich, betrieb Zweigs Ehrenrettung zur Schweigsamen Frau Uraufführung wohl durchaus aus Angst vor einer geplatzten Premiere. Allerdings hatte er doch die Grösse, den Namen des Librettisten, so gnadenlos er ihn für seine Zwecke ausgezuzelt haben mag, auf dem Plakat unter seinem prangen sehen zu wollen. Das kostete ihn sein Reichsmusikkammeramt, das machte ihn immerhin mit den Sympathiegrenzen der Nazis vertraut, ihn vielleicht vorsichtiger, nicht mehr ganz so angeblich nur künstlerisch offensiv, wie bei der Anti-Thomas-Mann-Hetze, dem Toscanini-Einspringer. Zurecht schlich sich dann Klaus Mann bei ihm als US-Soldat getarnt ein und kolportierte Einiges über ihn, zurecht ließ man den verdienten Künstler aber dann auch in Ruhe.

    Dieses Verdienst ist nun das, woran sich Reininghaus aufhängt. Bevor Klaus Mann die Villa in Garmisch betrat, kam ein uniformierter amerikanischer Oboist vorbei. Dem und den zuvor schon die Villa beschlagnehmend wollenden Amerikanern stellte er sich korrekt mit seinen Verdiensten vor, mit denen er sich einmal zu einem wichtigen Komponisten entwickelt hatte:“Ich bin der Komponist von Till Eulenspiegel, Don Juan sowie von Salome, Elektra und Rosenkavalier.“ Die vier letzten Lieder können nur wir dazuzählen – was für ein Wahnsinn der Nähe dieser Lieder zu den nicht mal zehn Jahren später geschriebenen „Gruppen“… Alles spätere Straussens zehrt davon, man hat hell-lichte Momente, wenn der junge Strauss im Alterswerk durchscheint, wobei er wohl richtig gefordert immer der „junge“ Strauss war. Nur wusste er auch was ihn fordert: gute, gut gemachte Texte, gnadenlos geeignet für seine Musik. Das äusserte er immer wieder.

    Nun zum angeblichen Antipoden Mahler, der sich in einer Zeit entwickelte, parallel zu Strauss. Der uns aber aufgrund seines Todes 1910 kein Alterswerk hinterlassen konnte. Dieser Mahler wurde zu Beginn des Künstlers Rihm auch von diesem in seiner neu aufkeimenden Kraft genutzt, mithineingenommen in die ersten Orchesterwerke. Neben den o.g. begeistern die auch heute noch, mal ab und an, wenn man sie unbedingt hören mag.

    Spannend ist nun, daß z.B. neben Rihm auch von Bose als Altersgenosse im Laufe der Neunziger Jahre nach einer Mozart und Strawinsky-Phase auf Strauss‘ rein technische Bedeutung stiess, auch die des Alterswerk. Dies scheint wohl Komponisten mit einem gewissen Grad von Arriviertheit zu unterlaufen, wenn sie nicht Granden der Neuen Musik blieben. Erstaunlich, wie Strauss weniger als vielleicht eine Verwandschaft zu Wagner eine Rolle für Stockhausen spielte, wie z.B. Nono da gar nichts unterlief, Henze immer zwischen Strauss und Mahler zu mäandern scheint, worauf man ihn besser nicht anspricht, Boulez sich zumindest als Dirigent auch für Strauss einsetzte, für Reimann sicherlich nicht unbedeutend ist, höchstwahrscheinlich auch Lachenmann ihm insgeheim was abgewinnen dürfte, den Klangsinn mit diesem gemein hat, man allgemein öffentlich über eine Straussliebe schweigt, offiziell ganz eifrig seine Treue zu Mahler beteuert, aber von Oboenkonzert und Metamorphosen nicht genug bekommen kann.

    Da schwingt viel Affirmation zu einem Vorbild mit, das man PR technisch vor 10 Jahren besser noch leugnete, dem eigentlich nur Rihm unverblümt huldigt, auch darin Maxima in seinen Wellenbewegungen zu Tage fördern kann, zuletzt mit „Das Gehege“ als Vorspiel zur „Salome“ – offener geht es nicht. Affirmativer aber auch nicht.

    Und nun zu Reininghaus nuch kurz: daß die Salzburger Sommernockerln mit Musik als Forum des Affirmativen par excellence gelten, das weiß unter uns Klassikfreaks jeder. Daß sie von vornherein auch bewußt ein Festspiel für die Masse sein sollten, macht der Jedermann klar. Daß sie nun als Eskapade des Jet-Sets bekannt sind, weiß seit Harald Schmidts Netrebko Anmoderation auch jeder. Daß Neuwirth-, Pintscher-, Lachenmann-Musiktheater auch verschleppt oder verhüstelt abgesagt worden sind, vergisst man leicht, daß Flimm immerhin ein Quasi-Moderne-Akzentchen mit Rihm zu Gebote stand, sollte man da nicht nur schelten. Zumal Rihm nach wie vor auch zu Hardcore-Festivals wie Witten, Darmstadt, Donaueschingen und den beiden grossen Berlinern passt. Daß er nicht auf die Tage für zeitgemäße Musik in Bludenz paßt (wer weiß es?), das regt nicht viele auf. Also wenn Alle soviel wissen, ist es auch kein besonders journalistisches Ereignis, Rihm nun die gesamte Salzburg-Suppe auslöffeln zu lassen, den Stab auch über den Gründer und Strauss-in-Salzburg-Förderer Hoffmannsthal brechen.

    Wie Moritz sagt, könnte man hier übertragen, daß Rihm also eine Wahl der Mitte gewesen ist, wobei Flimm ihn schon auch was Radikales zu spüren scheint. Es ist wohl mehr das Unabdingbare, weniger das Radikal-Revolutionistische, wie o.g., was Rihm ausmacht. Er komponiert schon immer mittendrin aus der Mitte der Musik heraus, oft Mittelmaß, aber eben manchmal auch mehr. Und in seinem Ansatz, immer Künstler zu sein, ob privat oder offiziell, was zugegebenermassen auch attitüdenhaft nervt, ist er so total, daß Rihm eigentlich Affirmation wie Antipathie auslöscht. Man muß ihn nicht mögen, man kann ihn nicht hassen. Eigentlich eine ex-negativo-Konzeption des gesamten Lebens, wie es Metzger oder Lachenmann es als Exkludiermethode für den Bereich Neue Musik vorgeschrieben wissen wollten. Also den Holzhammer auf Buddha?

    Das ist fast schon ein wenig wie das Wagner-Phänomen, das Reininghaus vielleicht gerne wiederaufleben lassen würde, als man nur für ihn oder nur gegen sein konnte oder Neues irgendwann nur aus seiner Negierung gewinnen konnte. Das gelang beispielsweise der Group des Six, was wieder zu einem kleingeistigen Klassizismus führte, das funktioniert bei Debussy, solange Wagner als Neuartiges in ihm steckt, auch wenn er sich bewußt von ihm wegbewegt, das geht noch bei Bezügen zu Satie und Chabrier, das verlandet auch bei Debussy, wenn das sich der anbahnende Neoklassizismus Spur schlägt.

    Ja Erik, man hat recht, wenn man die affirmierte Affirmation des Affirmativen angreift, loswerden möchte. Allerdings ist sie aber auch das Nadelöhr, durch das man hindurch muß, wenn man sich weiterentwickeln möchte. Solange man keine wirklich neue Sichtweise oder Technik erfindet, wird man sich im Schaffensprozessen immer bewußt oder unbewußt Vorbildern viel zu stark annähern oder negieren, man eignet sich förmlich kurzzeitig eine andere Haut an, die einem aber nicht einschnüren sollte. Und da liegt auch die Gefahr der Mitte: diese nimmt man ein, wenn man sich zu sehr der Aneignung öffnet, sie ein einziges Mittel bleibt, um sich zu entwickeln, in einem kumulativen Sinne.

    Es ist, sofern man das quasi-schauspielerische Element dabei gut beherrscht, ein sehr guter Rollenvirtuose auch in der Öffentlichkeit ist, schnell und effektiv völlig fremde Schreibarten und Wesenhaftigkeiten einverleiben. Es ist ein Weg, der einem durchaus ansatzweise von Musik auch finanziell leben lassen kann. Es ist eigentlich neben der Analyse der einzige Weg. Selbst die Analyse hilft nicht weiter, wenn man nicht in die Haut des Erfinders schlüpfen kann, wenn man nicht nur dessen Geistesnektar schlürfen möchte, sondern sich ganz und gar darin auflösen möchte. Das muß einem mit Strauss wie Grisey wie Ferneyhough und Lachenmann passieren oder wen auch immer. So hat man eine Chance, das analytisch Ertastete auch in den Händen zu behalten.

    Es kommt aber hoffentlich auch der Zeitpunkt, wo man das neu Er- und Begriffene aus den Händen fallen lassen kann. Vielleicht hat Rihm so einen Moment erreicht, daß er vollkommen glücklich in seinem Universum nun schweben kann, daß er nicht unbedingt von der Titte der Musikmutter entwöhnt werden musste oder gar das laufen lernen sollte. Nein, er fliegt und schwebt – und fliegt dabei auch immer mehr an einem aus den Augen hinfort. Für sich mag er im Elysium angekommen sein, es immer weiterauskosten, veredeln oder auch nur verwursten, uns nur noch gelegentlich begeistern, es sei denn, das Begeistern ist Pflichtübung und leicht wie im Nockerln-Kastell. Hat er UNS überhaupt nötig? Wohl eher nicht. So wie wir ihn dann nicht mehr benötigen, brauchen wir allerdings auch nicht Holzhammerelogen Reininghaus. Das können wir im Blog auch selbst, wie man am Anfang meines jetzigen Beitrags sehen dürfte.

    Und die Affirmation? Man mag über siesSchimpfen und lästern, man freut sich sofort wenn das jemand registriert, gut findet, also affirmiert. Es bleibt wohl die Mitte, aus der aber die Kunst der Affirmation, also der genaue und fleischgewordene Umgang mit echter Zustimmung und richtiger Zustimmung, immer wieder erhebt. Affirmation und Kritik sind so nicht Antipoden sondern die Geschwister der Mitte, bei soviel Muttermilch. So kann auch ein Dieb sozial verantwortlich handeln, wenn er mit dem Gestohlenen seine Familie vesorgt, sich so sein Überleben sichert oder warum auch immer psychologisch betrachtet nicht anders kann. Mitte bleibt Mitte, egal von welchem Pol man sie aus betrachtet. Wenn man neugierig ist, wird man immer auf sie stossen, sie einen wieder abstossen. Ein wenig läßt mich das immer wieder an den Form/Medium-Begriff Luhmanns denken, indem ständig die Grenze und somit auch die Mitte ossziliert und somit das System sich erhält und auch verändert…

    Aus dem Jobgefängnis bald befreit,

    Euer Alexander Strauch

  7. Elf Aquitaine sagt:

    Für mich persönlich die mit Abstand kritischste Kritik zur Rihm – Premiere schrieb in der Zeit die Schweizer Sängerin Sophie Hunger: (Ausschnitt)

    Der dritte und letzte Tag bricht an und mit ihm die Pressekonferenz zu meinem letzten Schauprozess, im Haus für M. Es ist die bereits zur Legende gewordene neue Oper des allergefragtesten zeitgenössischen Superkomponisten. Die Presseveranstaltung heißt »Credit Suisse Sommerbegegnung«. Die Credit Suisse ist, verehrter Thomas Bernhard, einer der größten privaten Bankenkonzerne der Welt und Hauptsponsor der Salzburger Festspiele. Deren Sprecher für Kulturelles zitiert einleitend O. W.: »This shall be a life-long romance!« Da haben sich zwei gefunden!

    Die Oper, um die es geht, sei eine Auseinandersetzung mit dem letzten literarischen Werk von F. N. (einem der weltberühmtesten Philosophen, der unter anderem Gott vernichtet hat), den D.-D. Auf der Bühne sitzen nun Starkomponist W. R. und Starbühnenbildner Me. zur Abfrage bereit. Der Bühnenbildner Me., von dem ich lese, dass er eigentlich ein Aktionskünstler sei – niemand in Salzburg ist kein Künstler –, trägt einen schwarzen A.-Trainingsanzug, lange ungepflegte Wildhaare und eine Sonnenbrille. Er ruft zur »Diktatur der Kunst« auf, beschreibt, wie er an alles wie ein Kind herangegangen sei (Sie denken jetzt: »Das Kind und Salzburg – undenkbar.«) und dass man Tradition nicht brauche. Sagt er, in Salzburg, bei der Credit Suisse Sommerbegegnung über ein Werk der europäischen Philosophiegeschichte. Wäre man nicht in Salzburg und folglich im Selbsturteil gehemmt, wäre man nicht instruiert, dass hier der herausragendste Bühnenbildner seiner Generation zugegen sei, man würde intuitiv von einem angeschlagenen Vollidioten sprechen.

    Es kommt zur Publikumsdiskussion. Ob jemand eine Frage habe? Ich würde gerne wissen, wie lange Me. morgens vor dem Spiegel steht, um sich so authentisch künstlerisch anzuziehen. Wirklich fragen tu ich nicht, ich bin natürlich ein verklemmter Angeber. Aber das haben Sie, Thomas Bernhard, sicher längst gemerkt, nicht?
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    An Mercedes an Mercedes an Mercedes an Mercedes vorbei, trete ich meinen letzten Gang an den Hof der Meister an. Die Oper beginnt. Da steht es, Me.s Bühnenbild, atmet, zieht mich in seinen Bann. Wie erschlagen sitze ich auf meinem Platz. Ich weiß: Das ist gewaltig! Man möchte in die Bühne wie in einen Mund hineintauchen, man möchte immerzu in diesen Mund hinein. Und immerzu unter seinen Brauen stehen und immerzu darin Platz nehmen.

    Die Musik, von der mir nichts geblieben ist, stürmt an mir vorbei. Sie ist unfassbar, genialisch vielleicht, aber unfassbar allemal. Das muss der äußerste Zipfel der Moderne sein. Der Text, der aus den Sängern fällt, ist ein wildes Konstrukt an N.-Vokabular, das man, um zu folgen, synchron mitlesen muss. Die Geschichte, so konfus und kryptisch, bleibt ein Rätsel sondergleichen. Die Experten werden sagen: »Genau darum geht’s! Genau darum geht’s!«

    Reuig aber schiele ich, doch viel zu spät, auf die 150 Seiten Sekundärliteratur des Programmheftes, das vor mir, ungelesen, auf dem Boden liegt. Aber es ist einerlei, nicht sattsehen kann ich mich an Me.s enormen Visionen. Der Festsaal explodiert, die Mär geht zu Ende. Zwei Sekunden Stille. Ich frage mich verzweifelt: Wie geht’s den anderen? Siehe da, es erhebt sich aus dem Dunkel des Palastes ein Sturm des nicht enden wollenden Beifalls. Sie haben es alle geschafft? Sie haben alles erkannt? Ich wollte fast schreien: »Salzburg, ich falle auf die Knie vor dir, ich bin an dir gescheitert. Du, du brauchst nur dich allein.«

    Thomas Bernhard, ich sitze im Zug in die Wüste. Nach Salzburg gibt es nichts, keine Zivilisation kann mich noch halten. Ich habe ihre Spitze gesehen und war verloren. Und wenn die Welt auch untergeht – Salzburg wird’s nicht merken.

    http://www.zeit.de/2010/32/A-Salzburg?page=4

  8. Erik Janson sagt:

    @querstand,

    siehst Du? und genau gegen diese Selbst-Inszenierungen, Geniekult und Ichbezogenheiten, die Du vor allem in den ersten Absätzen Deines letzten Bloggings beschreibst, wendet sich u.a. auch Badiou in seiner Schrift.

    Man darf gespannt sein, ob sich da nochmal was ändert-..

    Ich glaube es – bei der momentanden Kultur- und Kulturpolitischen Situation – leider eher nicht.

  9. eggy sagt:

    @Erik: Deinen (sehr guten!) Kommentar in allen Ehren, aber ist

    die “Wahrheit” liegt weniger in der Mitte sondern deren Findung (bzw. die ständig von konkreter Utopie angetriebene Suche danach) ist ein dialektischer Prozess.

    nicht auch gefährlich nah an einer Worthülse? „Dialektischer Prozess“? „von konkreter Utopie angetriebene Suche“? Was genau sagt das außer „es wäre ganz gut, wenn man etwas will und dann viel drüber redet“? Wobei man ersteres eigentlich ohnehin grundsätzlich voraussetzen soll (oder, Du hast ja recht, heute leider nicht immer erfüllt findet).

    Dialektik for Dialektik’s sake – it’s a problem!
    (Atanasio Khyrsh, Manifest der Präsenz)

    Moritz Eggert

  10. Erik Janson sagt:

    @ Moritz,

    Was genau sagt das außer “es wäre ganz gut, wenn man etwas will und dann viel drüber redet”? Wobei man ersteres eigentlich ohnehin grundsätzlich voraussetzen soll

    Was Du damit meinst, weiß ich nicht so recht. Ich für meinen Teil versuche immer, das was ich will künstlerisch auch in die Tat um zu setzen. Inwiefern einem das gelingt oder nicht, beurteilen immer andere bzw. die GEschichte.
    Das ist aber bei Dir ebenso der Fall.

    Ich weiß nicht, was an meinem Zitat Worthülse sein soll, wenn es nun mal meine Meinung ist bzw. mein Movens, auf diese Art nach Wahrheiten zu suchen. Mich störte nur das „die Wahrheit liegt in der Mitte“. Denn dies besagt ja auch alles und nichts.

    In der allergrößten Not ist der Mittelweg der Tod.
    An diesem vielleicht nach Volksspruch oder Stammtisch klingenden Bonmot ist nicht nur Unwahres dran.

  11. eggy sagt:

    Der Mittelweg bringt definitiv den Tod, denn das ist ja nur ein Synonym für „Durchschnitt“ – aber die Wahrheit liegt tatsächlich oft in der Mitte zwischen extremen und verhärteten Positionen. Wahrheit und Weg sind zwei verschiedene Sachen, mein Lieber!
    Wenn es zum Beispiel tatsächlich gelänge zwischen den jeweils sehr starren Positionen Palästina und Israel eine Wahrheit in der Mitte zu finden (die dauerhaften Frieden bringt), so wäre das nicht der „Mittelweg“ sondern eine wagemutige und sensationelle Geschichte die uns alle begeistern würde.
    Und „die Findung der Wahrheit ist ein dialektischer Prozess“ ist tatsächlich Dein Hauptmovens als Komponist? Ich würde doch mal stark annehmen, dass es da noch mehr gibt…

  12. Erik Janson sagt:

    @ Moritz,

    die Findung der Wahrheit ist ein dialektischer Prozess” ist tatsächlich Dein Hauptmovens als Komponist?

    Lieber Moritz, natürlich ist das nicht mein Hauptmovens sondern eines von vielen, und es ist ja ein ständiges Suchen. Oft weiß man gar nicht wonach man konkret sucht, wenn man beginnt zu komponieren. Und das ist ja das Spannende daran, für mich zumindest. Aber es schält sich immer irgendwie – ob bewusst oder unbewusst, langsam kommend oder plötzlich – heraus, was man für sich als „gut“ oder „wahren Weg“ im Nachhinein dann ansieht. Mit Palästina und Israel, der Konflikt ist wieder eine andere Geschichte und meines Erachtens ja in seinem Ausmaß und Ausweglosigkeit viel tragischer und nicht mit unseren ästhetisch-kulturpolitischen Meinungsunterschieden unbedingt vergleichbar, die wir hier austauschen, finde ich. Sicher wäre es aber, da stimme ich Dir voll zu, begeisternd und für viele andere Konflikte in der Welt ungeheuer motivierend, wenn im nahen Osten endlich Friede einkehren würde. Aber ob da ein „sich in der Mitte finden“ immer das „Richtige“ wäre? Wir Europäer sehen das manchmal so einfach. Denn: wie sollte dieser Mittelweg für die Betroffenen aussehen? Problem ist: Jeder würde da was anderes darunter verstehen: Israel, Palestina und wiederum Amerika, Europa (die sich für meinen Geschmack auch zu viel oder besser gesagt zu unsensibel oder rechthaberisch mit ihren Vorschlägen in den Konflikt einmischen (was nur zu noch mehr Verhärtungen auf beiden Seiten führt); denn die Länder können nur selbst wirklich den Konflikt lösen). Genial finde ich, was u.a. Baranboim dort angestoßen hat: Versöhnung schrittweise, erst mal über gegenseitigen Respekt über gemeinsames Musizieren/musikalische Verständigung, gemeinsame kulturelle Wurzeln/Vorlieben etc. Wahrscheinlich ist das der einzig mögliche Weg zum langfristigen Frieden dort, bzw. ich würde vorsichtiger Formulieren: um die Utopie am Leben zu erhalten. Denn wer glaubt schon noch daran, dass dort nochmal Friede einkehrt? Und dennoch hoffen wir weiter…

  13. querstand sagt:

    @all: Warum hier erst Loveparade, jetzt Naher Osten? Das schießt nach meinem Geschmack zu weit über Rihms Dionysos hinaus! Die Rede vom Mittelweg steht immerhin noch im Konfliktfeld zwischen Nietzsche-Bacchanalien und dem apollinischen Aristoteles. Die Verwurzelung in den Einführungsgespräche- und Premierenzirkus Salzburgs kann man natürlich krass gegen Nahen Osten, Dritte Welt oder linke französische Differenzphilosophie! Ich würde bei der letzteren gerne bleiben, die Frage der Affirmation ist ein genügend weites Feld. Und Erik, affirmierst selbst den 1. Teil meines letzten Beitrags, der weitere Gedanke, daß Affirmation bzw. ein klarer Umgang auch zum kompositorischen Handwerk gehört, findet keine Antwort…

    Ja, Salzburg die eine Hölle sein, wenn das Sponsorentheater überhand nimmt, wenn man nur noch Repräsentationsgehabe sieht, dem Musik wie Regie sich in Form von Rihm und Audi zu sehr anschmiegen. Ist Rihm nur noch Establishment? Oder ist er in seiner von mir ihm unterstellten Szenentotalität – er passt ja zu jeder „Nische“ – zu unaufmerksam den Nebenwirkungen gegenüber geworden? Die Beiträge Reininghaus‘ und der jungen Sängerin in der „Zeit“ lassen mich v.a. letzters vermuten, wobei die junge Dame auch generell das alles in sich Aufsaugende und immer hörbar bedenkende Gebirge „Rihm redend“ etwas stirnrunzelnd empfindet. Da mag sie ein echtes Gefühl geäussert haben. Nur: Neue Musik und sprechende Komponisten lösen auf Podiumsdiskussionen immer stirnrunzeln aus, egal ob Witten oder Kontinent Rihm in Salzburg. Externe dürfte das am Allerwenigsten an die Musik heranführen. Wann ist denn eine Einführung wirklich stückvermittelnd? Es ist v.a. eine Bühne der gegenseitigen Selbstbeweihräucherung. Da kann man die härtesten komponierenden oder kritikschreibenden Systemkritiker draufsetzen – im besten Fall gilt die hl. Renitenz als wuscheliger Wirrkopf, normal ist dies aber die reinste Szene-Affirmation. Selbst geschriebene Kritik daran wird dieses abgehangene Modell nicht abschaffen. Einzig totschweigen könnte diese Foren beenden! Ob Medien aber schweigen wollen?

    Das Problem heute ist doch, daß nichts mehr nur mit totaler Konfrontation oder Zustimmung betrachtet werden kann, beide paaren sich als Gleichgewichtsausloter in unserem System von „checks and balances“. So einfach wie vor 1970 ist das heute mit „dafür“ und „dagegen“nicht mehr. Man weiß, daß man gegen systembedrohende Extremismen sein muß, das ist eine einfache Wahrheit. Innerhalb des Systems geht es aber immer Hin und Her im Ausloten von dafür/dagegen, wird Vermittlung, also Mitte gesucht. Das führt schon mal zu gordischen Knoten, die dann schon langsam aufgedröselt werden können oder nur unter massivsten Zustimmungsverlust der eigenen Freunde bei Machtbesitz tiefgreifender durchgeschnitten werden können, dann wird das Lager eben gesichtswahrend gewechselt. Das hat jetzt nichts von Treue bis in den Tod, sichert aber Allen das Überleben!

    So betrachtet affirmiert man diese prüfen und ausbalancieren immer, und der schärfste Kritiker ist auch ein Teil dieses Netzes. Bleibt nicht die Verbannung der Affirmation, aber der richtige Umgang mit ihr.

    Nochmals zu den Festivals: die Sponsorenschelte und das Übermaß von Mäzenateneingriffen in Festivals ist schon gut. Nur angesichts dessen, dass wir auf kein Geld verzichten wollen, der Staat auf die Grossfinanz auch nicht verzichten kann,
    die in BWL geschulten Kulturmanager Sponsorenpflege auch als ihren ureigensten künstlerischen Beitrag betrachten (letzteres s. Links unter das-servus-feuilleton), setzt sich jedes Festival der Übergriffsgefahr aus, ist schon mittendrin, wenn entspr. Karten verteilt werden müssen, Logos gedruckt werden, schon allein auf Empfängen und Eröffnungskonzerten der Sponsor das Wort ergreifen darf! Da kann man als Kritik schweizer Banken auftreten, da muss man aber genauso Siemens, Deutsche Bank, Sparkassen, Allianz, Generali, Audi, Daimler, BMW, etc., etc. verteufeln, sollten Medienkünstler ihre Äpfel überkleben. Das gilt für das kleinste wie für das grösste Festival!

    Künstler im allgemeinen können sich heute dem Affirmativen gar nicht mehr entziehen: dagegen sein lässt sie dennoch zum System gehören, verschwinden wie Scelsi geht aber auch nicht mehr. Vielleicht sollte man nicht ganz so auftreten wie Rihm. Das eigentliche Problem aber ist doch, dass wir Alle hier in einer Selbstaffirmation erstarrt sind: wir halten uns doch immer noch – Hand aufs Herz – für Originalgenies oder wären es im mozartschen leichten oder beethovenschen schweren Sinne oder irgendwo dazwischen gerne und wenn wir es nicht sind oder noch nicht erkannt, tröstet es schon mal, wenn man es uns ehrlich oder fadenscheinig suggeriert.

    Selbst ein Luigi Nono kam doch nicht um die Lust an der Zustimmung: als er fast nur noch Tonbandmusik machte, um den Hochkulturensembles zu entgehen, dann aber wieder in Hochkulturtrmpeln wie RAI oder später SWR fabriziert, sollen die sozialistischen Fabrikarbeiter dann doch „Wir wollen Milva!“ – die durchaus ein linker ist – gerufen haben. Oder noch was: wer ist lehreraffiner als Kompositionsstudenten, gerade solche wie die Nonos. Selbst Kritik dieser am Professor soll ihn doch auf den Hardcorepfad zurückholen. Was macht Nono gegenüber diesen, die ihn am meisten liebten zu seiner Berliner Zeit. Er kreidet „Nono streikt“ an die Tafel, schwieg das Seminar stundenlang an und ging dann, zum bald dann letzten Male. Und wie affirmativ war der doch so systemkritische Salonkommunist zu seinen Musikern: statt den Instrumentennamen liest man Spielernamen – ein wundervolles Zeugnis von Affirmation! Ich höre übrigens gerade viel Nono, gerade weil sein doch einfacher Umgang mit Live-Elektronik mir Vorbild sein kann. Fern aller MAX oder opensource-Mätzchen zeigen doch die einfachen Hall-, Delay- und Transpositionseffekte mit wie wenig Mitteleinsatz man viel erreichen kann. Man kann da noch soviel ausloten, gerade weil ein Studio der 80er Jahre in einen PC passt. Bedenkt also Eure Selbstaffirmation wie die bedingslose zur E-Technik. Davon abgesehen bleibe ich dabei: Affirmation und Affront gehören zusammen, bedingen sich gegenseitig und bilden die Mitte, inmitten der Erik wie Moritz stehen. Bedenkt dies, redet über Rihm, Kulturpolitik, Philosophie, aber dann nicht gleich die Totschläger Loveparade (das war ja Hahn contra Reininghaus) und Naher Osten! Da fällt mir nur ein: ob Mankell oder Bootskaperung durch Israel: beide Parteien standen da so mittelmässig da wie die fast kritiklose Empörung des Westens… da war einfach alles sowas von fehl am Platz – aber das sollte hier doch aussen vor bleiben, dafür gibt es Blogs bei Zeit, FAZ und Bild. Hier gilt’s der Kunst, die aber doch immer wieder, selbst die politischste Neue Musik so establishmentverknüpft ist – wehe die staatliche Mitte fördert’s nicht…

    Eure taube Nuss,

    A. Strauch

  14. Erik Janson sagt:

    @ alexander,
    da ich Deinen Beitrag ziemmlich treffend und gut fand, wollt ich ihn in einigen Punkten kommentieren:

    @all: Warum hier erst Loveparade, jetzt Naher Osten? Das schießt nach meinem Geschmack zu weit über Rihms Dionysos hinaus!

    Da gebe ich Dir Recht, Alexander, wir sind wirklich was vom Thema abgeschweift. Aber das hat zuvor hier auch kaum Leute gestört und passierte immer mal wieder.

    Und Erik, affirmierst selbst den 1. Teil meines letzten Beitrags, der weitere Gedanke, daß Affirmation bzw. ein klarer Umgang auch zum kompositorischen Handwerk gehört, findet keine Antwort…

    Ja, das würde ich natürlich affirmieren: Handwerkbeherrschung ist wichtig aber natürlich nicht alles. Was für mich aber eher negativ ist (oder auch wieder zu anschmiegend-affirmativ) ist, wenn man perfekt eben das „Handwerk“ beherrscht, so zu schreiben, dass für „jeden was dabei ist“, dass man romantisch-dionysisch rüber kommt, damit mal wieder das Szene-Stamm- oder aber Gemäßigt-Moderne Abopublikum verzückt (oder auch nicht).

    Selbst geschriebene Kritik daran wird dieses abgehangene Modell nicht abschaffen. Einzig totschweigen könnte diese Foren beenden! Ob Medien aber schweigen wollen?

    Da sagst Du was Wahres. Eigentlich sollte man sich gar nicht mehr über andere aufregen sondern einfach sein Ding machen und die anderen Reden lassen. Mach ich nun auch.

    Man weiß, daß man gegen systembedrohende Extremismen sein muß, das ist eine einfache Wahrheit. Innerhalb des Systems geht es aber immer Hin und Her im Ausloten von dafür/dagegen, wird Vermittlung, also Mitte gesucht.

    So sehe ich das nicht, denn: gerade paradoxerweise, die Extremisten , die erhalten das System, stabilisieren den Status Quo, weil sie ihm das nötige Feindbild außen bieten und Stabilität nach Innen. Sie sind der „Feind“ gegen den man sich wieder – über alles Hinterfragen/Selbstkritik und Differenzen hinweg gehend – zusamnen schließen muss. Also ist es (lt. Badiou, Zizek et. al) vielleicht besser GAR NICHTS ZU TUN, keine Kritik mehr zu üben, nicht auf aktivistische Kulturkritik zu setzen etc. sondern eher sein Ding zu machen im eigenen WERK und ansonsten zu schweigen.

    Künstler im allgemeinen können sich heute dem Affirmativen gar nicht mehr entziehen: dagegen sein lässt sie dennoch zum System gehören, verschwinden wie Scelsi geht aber auch nicht mehr. Vielleicht sollte man nicht ganz so auftreten wie Rihm. Das eigentliche Problem aber ist doch, dass wir Alle hier in einer Selbstaffirmation erstarrt sind: wir halten uns doch immer noch – Hand aufs Herz – für Originalgenies oder wären es im mozartschen leichten oder beethovenschen schweren Sinne oder irgendwo dazwischen gerne und wenn wir es nicht sind oder noch nicht erkannt, tröstet es schon mal, wenn man es uns ehrlich oder fadenscheinig suggeriert.

    Das ist das, was ich oben andeutete. Ja, der
    Aber ich finde, im protestierenden Rückzug bzw. Verschwinden (vielleicht nicht a la Scelsi) liegt immer noch ein Potential. Ich glaub nicht mehr, dass wir uns noch für Originalgenies halten a la Mozart (leicht) oder Beethoven (schwer). Und fraglich, ob die es damals selbst taten und nicht vielmehr von der Musikgeschichtsschreibung zu Genies und „Sich-für Genies haltenden“ stilisiert wurden. Und ich denke weder, dass wir unkritisch gegenüber uns selbst noch dass wir in „Selbstaffirmation erstarrt“ sind. Und ich denke, dass es mit „WIR halten uns für…“ sowieso immer gefährlich ist. Jeder kann eigentlich nur für SICH von seinem Standpunkt aus sprechen und nicht für andere.

    Deinen letzten Absatz find ich auch super, Alexander, was Du über Nono schreibst und über den Umgang mit Elektronik ohne (MAX-Mätzchen). Nur paar Worte meinerseits und Ergänzungen dazu: ich wollte sicher damals mit „Loveparade“-Erwähnung keinen angreifen, es kam einfach aus meiner Schockiertheit durch diess Ereignis heraus; und ich glaube auch nicht, dass Moritz wiederum den Nahost-Vergleich (bzgl. Mitte finden) wählte, um hier eine Diskussion ab zu würgen. Aber Du hast Recht, primär geht es hier um ästhetische Fragen- Ist halt aber manchmal schwer zu trennen. Aber warum sollte man hier nicht mal über das schreiben, was einen sonst noch umtreibt. Denn gerade das wird ja andererseits unserer Szene vor geworfen, wir würden zu intellektualistisch um uns selbst und unsere ästhetisch, innermusikalischen, mathematischen, Max- oder Elektronik-Programmiersprache-Problemchen kreisen, würden uns aus dem Alltag ausklinken, nicht oder viel zu wenig an den „Zeit“-Themen dran sein etc. Und das stimmt ja bei Leibe nicht, gilt zumindest nur für einen Teil von uns. Als Komponisten stehen wir immer mitten im Leben und/oder sollten zumindest dort stehen, auch mit unserem Schaffen. Wenngleich das nicht gleichbedeutend damit ist/sein muss: „gewollt aktivistisch“ gewollt politisch“ zu sein oder eine definierte „Botschaft“ transportieren zu wollen. Deshalb meine ich auch (in freier Anlehnung an Badious Plädoyer für die Renaissance des Werkes): das WERK, was man loslässt, spricht immer für sich selbst. Es bedarf keiner Manipulationen mehr, WIE es „zu verstehen“ oder auch „zu vermitteln“ sei, weder gegenüber dem „normal sterblichen“ Publikum noch gegenüber den hochdotierten Musikkritikern und den allmächtigen Medien, die auf den Festivals über die Werke schreiben.

  15. eggy sagt:

    Euren guten Gedanken bliebe nur noch hinzufügen, dass es mir nur darum ging, den Unterschied zwischen „Mittelweg“ und „Wahrheit in der Mitte“ zu versinnbildlichen – allein diesem bescheidenen Wunsch war das Palästina/Israel-Beispiel geschuldet, das ansonsten tatsächlich nichts mit der Diskussion zu tun hat. Aber man kann auch durchaus Beispiele aus der Politik anbringen, um künstlerische Prozesse darzustellen – und damit wären wir dann schon wieder bei Nono (der sich mehr gewünscht hat, als er erfüllen konnte).