Nächstes Mal bestrafe ich Dich!
Heute bei Mäc-Geiz, einem Laden, in dem man preiswert Schreibwaren und Haushaltswaren bekommt: Ich stehe an der Kasse, ein junger Mann, er sieht ein bißchen aus wie Jan Delay, befindet sich zwar irgendwie vor mir, aber doch sehr links außerhalb der Warteschlange, scheint nichts in der Hand zu haben, nichts kaufen zu wollen. Also packe ich meine Sachen auf das – nicht vorhandene – Laufband, der junge Mann hat sich inzwischen komplett in die andere Richtung abgewendet, dreht sich plötzlich herum, ich entschuldige mich schon einmal prophylaktisch, ich hätte nicht gedacht, dass er auch in der Schlange wartetete, doch zu spät, Mr. Prekariat mit Zigarette hinter dem Ohr rastet schon aus: „Wenn du draußen bist, dann bestrafe ich dich!“ Fassungslos glaube ich an einen Scherz, zumal ich behaupten würde, zu den zehn höflichsten Menschen der Welt zu gehören und mich noch nie irgendwo vorgedrängelt habe, ja, noch nicht einmal auf Vordrängler reagiere, mich also auch nie beschwere, wenn sich jemand anderes anschickt, unhöflich zu sein. „Entschuldigung, ich habe nicht gesehen, dass Sie auch hier gewartet haben.“ „Alter, du hast dich vorgedrängelt! Wir sehen uns draußen wieder!“ (Ich zu der Kassiererin:) „Sie sind Zeuge, dass dieser Herr mich bedroht hat, wenn mir draußen etwas passieren sollte, ja?“ (Die Kassiererin tut so, als ob sie kaum etwas mitbekommen hätte. Vielleicht ist sie auch nur fassungslos und verängstigt zugleich. Vielleicht ist ihr auch ein scheues „Ja“ über die Lippen gekommen, ich weiß es nicht.) Kurz überlege ich, ob ich Lust habe, diesem Herrn, dem ich körperlich weit überlegen bin, Gewalt anzutun. Was für ein kindischer Gedanke. So etwas habe ich noch nie getan! Dann denke ich an heute Abend. Ich habe Gäste. Wie soll ich etwaige Kampfspuren in meinem hübschen Gesicht rechtfertigen? Der Herr verabschiedet sich: „Nächstes Mal bestrafe ich dich!“ Ich, jetzt doch irgendwie provokativ gelassen: „Ok, alles klar.“
Im Herbst 2011 organisiere ich mit anderen eine Veranstaltungsreihe, bei der ich Menschen, wie diesen möglicherweise entflohenen Häftling auf ein Podium setzen und mit ihnen über Neue Musik sprechen möchte. Das ist eine sehr dumme Idee, ich weiß. Ich möchte aber mal mit Menschen diskutieren, die gar nicht wissen, dass es etwas so grandios Abseitiges, wie Neue Musik, gibt. Ich möchte mit Leuten diskutieren, die so etwas vermutlich hassen. Und dann möchte ich fragen, warum das so ist. Die Reihe wird übrigens vermutlich „Neue Musik und Sport“ heißen. Ich fordere, dass einfach mal reflektiert werden muss, dass es eine anonyme Masse gibt, beispielsweise im Fußballstadion, die jederzeit bereit wäre, Menschen, die so etwas wie Neue Musik schreiben, zusammenzuschlagen. Komponisten und Veranstalter auf Diskussionspodien, die sich alle duzen und sich gegenseitig Anekdoten von Proben und Uraufführungen erzählen, sind doch langweilig. Ich möchte die Gegner der Neuen Musik als Diskussionspartner.
Bitte nicht fragen, was der obere Absatz mit dem unteren zu tun hat.
Bitte keine Hasskommentare, die das Niveau von Mister Strafe noch unterschreiten.
Bitte mehr Liebe, wie hier auf dem Zettel, den ich vorhin beim Aufräumen alter Post fand, zu sehen ist.
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.
Okay, alles klar.
Es stimmt. Aber ich fürchte, zwischen dem Gehalt der Trompeter-Anekdote und dem „draußen dann“ wird etwas ähnlich sein.
Lieber Arno, wie findest Du denn Lena Meyer-Riefenstuhl? Oder den derzeitigen Verbleib Deines letzten erstmals gebrauchten Tempo-Taschentuchs? -rätselt im Banne Deiner jüngsten Reflektionen: Dein Theo
Ja, ja… – damals hattest Du noch eine schöne Schrift, die Du stets mit roter Tinte zu Papier brachtest.
+
Gegnerschaft kann nur aus einem minimalen Wissenstand erwachsen.
So ist „Mr. Strafe“ auch Ihr Gegner, Herr Lücker, und nicht meiner.
Das eigentliche Problem liegt aber darin:
Jemand, der Designer-Klamotten trägt, sollte nicht im Sozial-Markt einkaufen gehen.
Das ist nicht höflich.
Grüße aus dem Labor
– wechselstrom –