Die Ferien sind zu Ende!

Liebe Baddies,

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Max Nyffeler machte mich auf ein interessantes Interview aufmerksam, das schon Anfang Mai in der Frankfurter Rundschau erschien. Es wurde mit Herbert Beck, dem Geschäftsführer der Gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main GmbH geführt, der die Zukunftspläne dieses Fonds bis zum 22. (?) Jahrhundert entwirft, und dabei auch en passant andeutet, was mit den Darmstädter Ferienkursen passieren wird.

Viele von euch wissen, dass die Stadt Darmstadt wie viele anderen Deutschen Städte im Moment pleite ist, und daher die Zukunft der Darmstädter Ferienkurse alles andere als gesichert ist. Daher wurde eilig schon Ende letzten Jahres ein Freundeskreis der Darmstädter Ferienkurse gegründet, der in einer großangelegten Briefaktion unter anderem auch mich um Geld zur Unterstützung der Ferienkurse bat, auch „wenn es vielleicht in der Vergangenheit Differenzen gab“ (so Klaus Zehelein, Direktor der Bayerischen Theaterakademie und äußerst verdienter Theatermann, unter anderem Intendant von Stuttgart in seiner glorreichsten Zeit als „Theater des Jahres“, der Verfasser des Briefes).

Nun habe ich mit Darmstadt weder Differenzen noch zu den Ferienkursen irgendein tieferes Verhältnis. Ich war tatsächlich nur ein einziges Mal in meinem Leben dort, als Jungstudenten des Hochschen Konservatoriums Frankfurt kriegten wir so eine Art Gesamtfreikarte für die Ferienkurse, ich war glaube ich 18 oder 19 und noch sehr naiv und von dem Glauben an das Wunder Musik beseelt. Daher traf es mich wie ein Schock, in den muffig stinkenden linoleumbeflurten Gängen des Instituts lauter fahlgesichtige, schlecht ernährte und schlechtgelaunte Komponisten zu treffen, die entweder versuchten, ihre Kompositionen irgendwie an den Mann zu bringen, oder ausgebuht wurden, weil es ihnen schon gelungen war. Ich hörte haufenweise Konzerte, die ich heute mit milder Altersweisheit anders beurteilen würde, die mich aber damals zutiefst verstörten. Schnappschussartig erinnere ich mich an folgendes:

Kevin Volans, wütend schimpfend aus einem Konzert mit einem Orgelstück von ihm stürmend, anscheinend hatte es der Organist in halbem Tempo gespielt (es klang aber ganz gut).

Ein Pianist der auf einen nagelneuen Konzertflügel so lange mit einem Rinderknochen einschlug bis dieser vollkommen hin war (ich verschweige jegliche Namen).

Mathias Spahlingers vollkommen fahriger und hochnervöser Vortrag über sein Violine/Klavier-Duo, ein Stück, dass dann später in einer Turnhalle aufgeführt wurde und mir unvergesslich bleiben wird durch eine Stelle, in der die Geigerin „absolut unhörbar“ (Spahlinger) ein kleines Hölzchen auf die 5. doppelt punktierte 16tel einer Septole zerbrechen musste (oder so ähnlich).

„Augenmusik“ von Klaus K. Hübler, der damals noch Partituren schrieb, die unter 8 Notenzeilen pro Musiker nicht auskamen, dabei ein zupfender Cellist, der Töne hervorbrachte, die tatsächlich wie zerplatzende Augäpfel klangen (wenn man wüsste, wie die klingen).

Wolfgang Rihm, damals schon der Jungstar, dem es gelang, selbst bei 5-minütigen Streichquartetten von Ferneyhough gleichzeitig ostentativ etwas anderes zu komponieren, mit aufgeschlagenem Notenbüchlein in der ersten Reihe.

Morton Feldmans legendärer Vortrag zu „For Philip Guston“, der kein Ende nahm und einen gefühlten Tag lang dauerte (das dazugehörige Stück dauerte dann 2 Tage glaube ich). Der Unterhaltungswert des Vortrags lag wesentlich höher!

 

 

All dies prasselte auf mich ein – ich fand es faszinierend und erschreckend zugleich, denn eines war sicher: Spaß zu machen schien es keinem der Anwesenden! Die Lehrenden hatten ständig das Gefühl, sich einem oft negativ eingestellten Publikum gegenüber beweisen zu müssen, während die Studierenden sich ständig zu kurz gekommen fühlten und irgendwelchen Berühmtheiten hinterliefen, um ihnen Partituren aufzudrängen. Die Freudlosigkeit des Ganzen deprimierte mich, tatsächlich hörte ich erst einmal auf zu Komponieren und schrieb ein ganzes Jahr nichts (manche werden sagen: Das war der positive Effekt der Ferienkurse!).

Danach war ich nie wieder dort – es hätte sich sicherlich die eine oder andere Gelegenheit ergeben, aber so richtig hinziehen tat es mich nie wieder. Was nicht heißen will, dass es keine wichtige Erfahrung war. Aber irgendwie war mir das „legendäre“ Darmstadt aus den Erzählungen von zum Beispiel Hans-Ulrich Engelmann immer lieber als das echte, schon auch ein bißchen heruntergekomme neue Darmstadt. Was mir fehlte war der echte Hunger nach Erlebnis, nach Musik, Begeisterung, Leidenschaften – alles schien irgendwie düster politisiert und dogmatisiert. Als reiner Beobachter, nicht Beteiligter, blieben mir aber frustrierende Erlebnisse am eigenen Leib erspart, insofern meinte ich es schon ernst mit meinem neutralen Verhältnis zu Darmstadt, das weder durch Liebe noch durch Haß geprägt ist, eher durch ein Stirnrunzeln ob des vor sich gehenden.

Nun sind das natürlich vollkommen persönliche Erinnerungen, jeder mag seine eigenen Darmstadterinnerungen wachrufen, als Einstimmung auf den Artikel über den ich hier sprechen will:

HIER GEHT ES ZUM INTERVIEW IN DER FRANKFURTER RUNDSCHAU

Habt ihr ihn genau gelesen, den Text? Tatsächlich sind diese Zeilen die interessantesten – ich erlaube mir, sie zu zitieren und zu kommentieren:

Beck: Die Ferienkurse haben ein großes internationales Renommee (will sagen: VOR ALLEM im Ausland, nicht mehr unbedingt in Deutschland). Alle zwei Jahre kommen 300 Musiker zusammen, um über Aufführungspraxis, um über Musiktheorie, über Kompositionsfragen zu diskutieren. Soeben wechselt der Leiter der Ferienkurse. Mit dem Wechsel der Leitung wurden Überlegungen angestellt über mögliche Veränderungen der traditionellen Konzeption der Ferienkurse (da gab es wohl von irgendeiner Seite scharfe Kritik – wird am Ende Arno Lücker mitschuld sein?). Das ist die eine Seite. Andererseits ist da das Ensemble Modern (Ups! Da stehen die beiden Kombattanten, einer hüben, einer drüben!). Uns liegt sehr daran, das Ensemble Modern, auf das auch andere Städte sehr begehrliche Blicke werfen (wenn sie es sich denn leisten könnten), hier in der Region zu halten. Deswegen haben wir die Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt und das Ensemble Modern an einen Tisch gebracht, um gemeinsam zu überlegen, was kann man verbessern im Zusammenhang mit den Ferienkursen und im Hinblick auf ein neu zu gründendes Festival für Neue Musik in Frankfurt (Nachtigall ick hör dir trapsen). Da werden wir dann zu gegebener Zeit einen dritten Partner am Tisch sitzen haben: die Alte Oper (hui, noch ein Partner). Einerseits, weil sie schon mit dem Ensemble kooperiert, andererseits bietet sie eine Plattform, die leichter Beachtung findet, als weniger eingeführte Aufführungsstätten (soll das bedeuten, die Ferienkurse leiden unter Publikumsschwund? Dass sie zu wenig „eingeführt“ sind?).

Rebelliert da nicht Darmstadt?

Nein (Warum nicht? Würden die Frankfurter nicht rebellieren, wenn die Eintracht plötzlich nur noch im Stadion der Offenbacher Kickers spielen dürfte? Was ist mit Darmstadt los – Verzweiflung?) . Es gibt keine Rebellion, sondern wir haben die genannten Partner eingeladen, nach dem wir sie gefragt hatten, ob sie an einem solchen Gespräch interessiert wären im Hinblick auf die genannten, gemeinsamen Ziele. Sie waren alle drei sehr einverstanden. So kam es zu gemeinsamen Gesprächen, die einen guten Verlauf nehmen.

Die machen seit 1946 die Ferienkurse und jetzt soll ein Festival für Moderne Musik hier entstehen. Das aber nicht am traditionellen Ort, in Darmstadt also, sondern in Frankfurt.

(Und jetzt kommt der Brüller:) Das schließt Aufführungen auch in Darmstadt nicht aus (!!!!!!!!!!! Also es soll etwas besonderes sein, wenn bei den Darmstädter Ferienkursen auch etwas in Darmstadt stattfindet? Heißt das die ändern den Namen? Sind das dann die „Frankfurter Aufführungen in Darmstadt nicht ausgeschlossene Ferienkurse“, kurz FADNAF?). Die Idee kam aus Darmstadt (What the…..was ist da los, um Gottes Willen! Haben die Frankfurter euch mit Äppelwoi willig gemacht?). Die Zuneigung zur Alten Oper ist in Darmstadt sehr ausgeprägt (Als ehemaliger Frankfurter kann ich sagen, dass dies kompletter Blödsinn ist, allerdings stimmt es, dass Frankfurter Theaterbesucher oft aus lauter Verzweiflung auch im Staatstheater Darmstadt gesichtet werden). Das ist regionales Denken.

darmstadtSoweit also Herr Beck. Nun weiß man noch nicht genau, inwieweit dieses Interview den tatsächlichen Entscheidungen entsprechen wird, vieles ist hier ja wohl nicht ganz ausgegoren, noch nicht zu Ende geplant. Aber eines steht fest, momentan ist es um die Ferienkurse nicht sehr gut bestellt.

Und wesentlich bösere Zungen als ich würden jetzt sagen: Anscheinend sind die Ferienkurse jetzt nicht nur hirntot sondern auch klinisch tot.

Aber das sagen wie gesagt nur die ganz Bösen,

Euer

Bad Boy

(Moritz Eggert)

3 Antworten

  1. peh sagt:

    Bei aller berechtigten Kritik und allen Merkwürdigkeiten, die im Kulturpolitikersprech des zitierten Artikels zu finden sind. (Nebst kulturpolitischer Kurzsichtigkeit, die man sicher in NRW genauso finden wird, wie im abgeKOCHTten „Zweistromland“, wie Hessen im Artikel bezeichnet wird.)

    Darf es denn nicht auf der anderen Seite hoffnungsvoll stimmen, dass der Mensch, der auf Seiten der Ferienkurse die Neuausrichtung konzeptionell trägt, Thomas Schäfer heisst? Und vielleicht ein wenig von dem frischen Wind hinein tragen könnte, den manche dort so vermissen?

    Danke für das schöne Feldman-Foto! (Und den Tagebuchseitenausriss des einmal-und-nie-wieder-d’stadt-jungstudenten)

  2. Erik Janson sagt:

    Hallo Blogger,

    lassen wir doch erstmal Herrn Dr. Thomas Schäfer seine Arbeit machen, bevor man mit Kritik (aber auch mit eiligen Vorschusslorberen) daher kommt. (Naja der Name des neuen künstlerischen „Chefs“ ist derselbe wie der des Vorgängers, sodass ich zuerst – horribile dictu – an Verwandtschaftsbeziehungen dachte). Aber das ist hier mal eher Zufall, denke ich, also: Asche auf mein Haupt.

    Darmstadt wurde schon so oft „tod gesagt“ (sowohl ästhetisch als auch nun finanziell/kulturpolitisch)und lebt doch immer weiter. Das ist auch gut so, sage ich ohne jede Ironie! Man sollte bei allen Unkenrufen und auch Negativerlebnissen, die fast jeder mal als Jungstudent o.ä. dort hatte (auch ich als alter Hase mit meinen Partituren hinter Musikern oft „her laufen“, die dann kaum oder keine ausreichende Zeit und Räume haben zum Proben in Darmastadt!).

    Man muss es nicht mehr glorifizieren dieses Darmstadt: die Zeiten von „Darmstadt-Schulen“ etc. sind sicher vorbei. Aber ohne Darmstadt wäre die Neue Musik sicherlich wesentlich ärmer! (ob nun die „Hab mich lieb“-Neue Musik, oder „widerbostige Musik“ oder die unter Zuhilfe Nahme von Wassereimern, die dem Publikum über den Kopf geschüttet werden)

    Darmstadt bietet doch zu allermindest einiges Belebendes
    für die gesamte Neue Musik-Szene(n):
    – ästhetische und kulturpolitische Reibungspunkte
    und Gelegenheiten, wo man sich noch streiten/diskutieren/aufregen etc. kann
    – Synergieeffekte/neue Kontakte zwischen jungen Komponisten und Interpreten etc. aus denen sich dann
    Zusammenarbeiten ergeben und Neues entsteht.
    – und: ab und zu (gar nicht so selten!)werden da ja auch
    sehr hörenswerte, immer noch epochenmachende Komponisten
    und Werke präsentiert.

    Dies alles sollte man nicht vergessen.

    Also hier sollte auch gelten: demokratisieren, transparenter machen, die Planungen verbessern (z.B: mehr planerischen Vorlauf, mehr Möglichkeiten DORT wirklich mit mehr Probenzeit/Probenräumen etc. und in spannederem Rahmen als in nach Schweißfüße riechenden Turnhallen neueste Werke noch unbekannterer und junger Komponistinnen und Komponisten auf zu führen).

    Das ist doch auf einem guten Weg alles, seit einigen bereits positiven Veränderungen (z.B. Zusammenarbeit mit der Akademie für Tonkonst) bzgl. Rahmen, Ambiente etc.! Warum also nicht auch die Fusionierungen mit der Rhein-Main-Region?
    Also: Darmstadt STÄRKEN an das Die Hoffnung-stirbt-zuletzt denken an statt: eindampfen, Unkenrufe etc.

    Nun wieder an die Arbeit.
    Schönen Tag Euch Baddies und Goddies

  1. 10. Juli 2009

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