Lob der Provinz
Freitag, 8.5.2009:
Ich folge mal Arno Lückers Beispiel und werde privat – in diesem Moment sitze ich im charmant betonbetonten „Congress-Hotel“ direkt neben der Lausitz-Halle Hoyerswerda (von seinen Bewohnern liebevoll Hoywoy) genannt, und die ganzen Querelen, die der unschuldige Anfang unseres Blogs schon jetzt im Forum erzeugt hat, wirken seltsam fern, wie hinter einem Gazeschleier.
Dies ist der Blick auf den Platz vor der Lausitzhalle.
Nicht immer ist er so belebt wie auf diesem Bild.
Warum ich hier bin? Ich sitze hier und kann nicht anders – Achtung, schamlose Eigenwerbung:
Hoyerswerda ist den meisten Deutschen nur durch negative Schlagzeilen bekannt (die mit den Bildern von vollgepissten Trainingshosen und gereckten Händen), weniger bekannt ist die Tatsache, dass es sich tatsächlich auch um eine „richtige“ Stadt handelt, eine Stadt unweit der Grenze, eine Stadt mit bewegter DDR-Historie, eine Stadt mit überaus lieben, mutigen und engagierten Menschen, mitten in der Oberlausitzschen Landschaft fast idyllisch gelegen, ein seltsamer Widerspruch aus gescheiterter aber irgendwie auch wiederbelebter und lebendiger sozialistischer Plattenbauästhetik und sorbischer „Krabat“-Romantik, lange Jahre Wohnort von Brigitte Reimann, einer der wichtigsten Autorinnen der ehemaligen DDR, deren Buch „Franziska Linkerhand“ Grundlage für meine Oper ist.
„Hoywoy“ hat 30.000 Einwohner und dennoch einen eigenen Fernsehkanal, einen von Brigitte Reimann mitgegründeten Kunstverein der unter der Leitung von Martin Schmidt jetzt speziell zur Oper Rundgänge durch die Stadt anbietet , aber – da beißt die Maus keinen Faden ab: wir sind hier fern, sehr fern von der Bayerischen Staatsoper, dem Konzerthaus Berlin und der Elbphilharmonie, sodenn letztere überhaupt je einmal fertiggebaut wird….
Wir sind – sprechen wir es aus, machen wir uns nichts vor: In der sogenannten Provinz.
Eigentlich müsste ich mich als Komponist hier sehr unwohl fühlen – obwohl auch hier engagiert Musik gemacht wird, Musik unterrichtet wird – es ist nicht so, dass hier jemals ein Lachenmann, ein Rihm, ein Pintscher leibhaftig einmal aufgetaucht ist. Ich werde hier keinen „Szenepokal“ gewinnen, mich nicht an der Verbrauchtheit des Materials und dem Umgang desselben durch andere Kollegen abarbeiten können. Niemand wird mich bewundern, niemand mich hofieren. Das ist sehr gesund.
Aber ich lerne Demut – Demut vor Umständen, die einen ganz pragmatischen Umgang mit der „Machbarkeit“ von Musik erfordern, Demut vor Menschen, die gegen alle Widerstände finanzieller wie kulturpolitischer Art eben doch Kunst machen, dort, wo es nicht angenehm ist, wo einem kein Teppich ausgerollt wird, wo es härtere Arbeit ist als in den Kulturmetropolen.
Basisarbeit nennt man das. Für die, die hier leben ist es harte, aber sehr lohnende Arbeit. Vielleicht die wichtigste Arbeit überhaupt, viel wichtiger als das eitle Posieren in den Großstädten, fernab der Aufmerksamkeit der großen Feuilletons.
Was ist anders als in München, Hamburg, Berlin? Zum Beispiel, dass die ganze Stadt Hoyerswerda dieser Aufführung geradezu entgegen fiebert. Schon seit Jahren hat man hier diesen Sonntag mit unglaublichem Enthusiasmus vorbereitet, es scheint fast, als sei diese Opernaufführung das wichtigste Ereignis der letzten Jahrzehnte hier (von der Wende mal abgesehen). All dies hat – gottseidank! – gar nichts mit mir zu tun. Es hat allein mit dem Thema der Oper zu tun, denn es ist eine Oper über „ihre“Autorin, „ihre“ Brigitte, diese mutige, schöne, faszinierende Frau, die auch Jahre nach ihrem zu frühen Tod den Menschen hier etwas zu sagen hat.
In der Zeitung lese ich, dass es für die Stadt eine Schande wäre, wenn die Lausitzhalle (fasst 840 Menschen) am Sonntag nicht bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Seit diesem Appell ist die Aufführung ausverkauft. Natürlich ist es genauso eine Schande für München, wenn der Herkulessaal in München bei einem tollen Konzert nicht bis auf den letzten Platz gefüllt ist, aber einen solchen Appell würde man nie in der Zeitung lesen.
Sebastian Ritschel, der Regisseur, ist ein junger Dramaturg des Theaters Görlitz, der ganz kurzfristig die Regie dieses Stückes übernommen hat.
Ritschel ist (noch) kein Neuenfels, kein Castorf, kein Guth. Und das ist in gewisser Weise gut – denn er muß keine Erwartungshaltung erfüllen, keine Kritiker befriedigen, keinen „Stil“ zelebrieren. Er ist an der Sache, er versucht, seine Sache gut zu machen, sie zu „seiner“ Sache zu machen, ohne Eitelkeit, gegen widrige Umstände, nie „gegen“ das Stück, pragmatisch aber liebevoll. Das ist ein große Leistung und er macht seine Sache sehr, sehr gut.
Ein junges Team von Sängern und Schauspielern steht ihm zur Seite, alle wunderbar, auch der Chor, hier Einzelnamen herauszustellen (kann man nachlesen) wäre eine Sünde, denn es ist Teamarbeit, die hier gefragt ist.
„Sie sind jung und werden ihren Weg machen“, wie es so schön heißt.
Mir geht hier vieles durch den Kopf – und das hat auch mit dem Thema dieses Blogs zu tun. Wir sind zu satt, zu selbstgefällig geworden. Kunst findet nicht allein in den großen Städten, und den großen Festivals statt. Unsere Kunst dreht sich – und das sage ich immer wieder – zu oft um sich selbst und selbstgemachte Probleme, arbeitet sich nicht an der Realität ab. Wir müssen auch in „der Provinz“ bestehen, ja sogar gerade dort, denn nirgendwoanders werden wir so ehrliche Antworten auf die Fragen bekommen, die wir mit unserer Musik stellen wollen. Und nirgendwo werden die Antworten so interessant sein, fernab von jeglicher Großkopfertheit.
Aber versuchen wir das? Um Klartext zu reden – wir alle wissen, dass das „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Lachenmann ein wichtiges, gutes Stück war und ist (wichtig wurde es auch vor allem dadurch, dass die Szene in einem riesigen Umarmumgsakt diese Musik auch gegen die negative Kritik von Klaus Umbach im „Spiegel“ verteidigte, wir erinnern uns).
Eine Aufführung dieser Oper erfordert höchste Ansprüche (und wir alle wissen, dass Helmut Lachenmann sehr, sehr kritisch ist, was die Umsetzung seiner Musik angeht). Sie erfordert höchst ausgebildete Sänger, Orchestermusiker, alle müssen umfassende Kenntnisse in schwierigsten Spieltechniken moderner Musik haben, die man nicht mal eben auf die Schnelle lernt. Schon mit den besten Orchestern dieses Landes stößt diese Musik auf unglaubliche Schwierigkeiten und Widerstände, die gar nicht unbedingt etwas mit der Ästhetik sondern mit rein spieltechnischen Anforderungen zu tun haben.
Ein Staatstheater Stuttgart kann dies leisten. Ein Ensemble Modern kann dies leisten. Ein Ensemble Intercontemporain kann dies leisten.
Die Neue Lausitzer Philharmonie, ein überaus wackeres, fleissiges aber eben auch unterbezahltes (ca. 1/10 der Gehälter von Kollegen in Berlin, etc.) Häufchen, das Uraufführungsorchester meiner Oper, unter der Leitung des fantastischen Eckehard Stier (siehe unten), bestehend aus polnischen und deutschen Musikern mit stets unsicherer Finanzierungszukunft könnte dies nicht.
Dies hat nichts damit zu tun, dass die Musiker dieses Orchester irgendeinen Dünkel haben, gegen ein solches Stück wären oder unfähig sind – ganz im Gegenteil. Es würde an ganz pragmatischen Dingen scheitern – von der Größe des Orchestergrabens angefangen bis zu der Unmöglichkeit, für ein Stück wie „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und dessen besondere Probenaufforderungen das ganze Theater monatelang lahmzulegen – das Theater Görlitz, das die Uraufführung meines Stückes für Hoywoy produziert, kann nur überleben, wenn es eben auch „My Fair Lady“ spielt und einen möglichst abwechslungsreichen Spielplan aufrechterhält. Und das mit vollkommener Unterbesetzung – das ganze Haus hat nur eine Handvoll fest engagierter Sänger, die stets in mehreren Produktionen gleichzeitig spielen, unterbezahlt wie alle.
Das ist die ganz einfache Realität – ein Großteil der Werke Neuer Musik, auch Meisterwerke wie Zimmermanns „Die Soldaten“ z.B. können nie an Orten wie Görlitz und Hoyerswerda aufgeführt werden, niemals, außer es ändern sich grundlegende Dinge.
Dazu würde auch gehören, das wir als Komponisten, Produzenten von Musik unseren Dünkel gegenüber dem „normalen“ Publikum und den pragmatischen Umständen verlieren (die man viel häufiger antrifft, als die „idealen Umstände“). Das Publikum ist nur so normal, wie wir es machen. Wir würdigen es selber herab. Können wir es den Menschen in Hoyerswerda, in Görlitz zum Vorwurf machen, dass sie unsere Musik nicht kennen, wenn wir es selber unmöglich machen, dass diese dorthin kommt? Dadurch dass wir Musik von Experten für Experten schreiben, die auch nur noch von Experten gespielt werden kann? Kann das ewig gut gehen?
Ich habe keine Ahnung, ob die Aufführung am Sonntag ein Erfolg werden wird. Es kann gut sein, dass mir Buhstürme entgegen wallen werden, dass die Menschen hier nichts mit meiner Musik anfangen können. Ich will nicht pseudoidealistisch sein, scheitern kann man überall.
Aber eines weiß ich, nach dieser Aufführung werde ich mehr wissen, mehr gelernt haben, mehr erfahren haben als bei tausend Aufführungen in Darmstadt, in Donaueschingen, in wasweißichwo. Hier spielt die eigentliche Musik, das weiß ich ganz genau. Hierhin müssen wir als Komponisten gehen, Hans Werner Henze hat es uns vorgemacht, als er für ein kleines Dorf in der Toskana seine vielleicht schönste und persönlichste Oper schrieb („Pollicino“).
Und nirgendwo sonst als in Görlitz/Hoyerswerda werde ich beim Griechen einen Salat vorgesetzt bekommen, der so aussieht.
All das, aber nicht nur das, war die Reise schon jetzt wert.
Moritz Eggert
Komponist
Mein lieber Moritz,
Deine Worte und Gedanken bewegen mich sehr! Und Du hast mit dem Grundgedanken dieses Artikels so ins Schwarze getroffen! Er sollte veröffentlicht werden, dort wo die Köpfe der großen Musikmaschinerie sitzen und allerortens diskutiert werden!!! Seit 2003 lebe ich nun in dieser bezaubernden Stadt Görlitz und komme auch nach großen Gastspielen gerne wieder zurück hier in die Provinz. Warum? Weil die Menschen unsere Kunst annehmen, man mit Vertrauen einen Konzertbesucher auch einmal keine gängige Klassik vorsetzen darf und die Leute immer neugieriger werden. Waren es 2003 noch im Schnitt 300 Besucher in einem Görlitzer Konzert sind es heute im Schnitt fast 1000….
Mir ist es eine Freude, „unsere Oper“ am Sonntag aus der Taufe zu heben und ein Vergnügen, an Deiner Arbeit teilhaben zu können!
Herzlich Ecki
Guter Einblick, der die Bewohner dieser Gegenden und ihr Leben sympathisch vorstellt.
Abschicken, Moritz Eggert,
bitte abschicken diesen Artikel an viele Adressen. Das ist eine bewegende gute Sicht auf uns in den Provinzen und an den Fürstenhöfen, die heute Geldhöfe heißen.
Bitte auf XING und Facebook und sonstwo überall verbreiten, ich habe größte Lust auf eine Diskussion darüber allenorten.
Freue mich jetzt noch mehr auf Franziska am 16. Mai in Görlitz, herzlich aus demselben,
axel krüger.
http://www.goerlitz-kocht.de
Hoyerswerda hat ja einen ganz schlechten Ruf, den man sich als Lausitzer kaum vorstellen kann. Eine Freundin erzählte mir, dass sie einmal mit ihrem Freund, der aus Münster stammt, mit dem Zug durch die Lausitz gefahren ist. Als Hoyerswerda angekündigt wurde, verkroch der sich, so gut er es eben konnte, und schielte ängstlich aus seiner Ecke auf den Bahnsteig. Er vermutete da die Braunen Horden.
Ich selbst hab Hoyerswerda aus einer ganz anderen Perspektive kennen gelernt. Und zwar haben wir für die Regisseurin Andrea Moses die Proben für ein Stück aufgezeichnet, das sie dort mit Laiendarstellern einübte. Es gibt eine Menge kulturbegeisterte Menschen in Hoyerswerda. Und das stammt noch aus DDR Zeiten, wo alle Betriebe einen Kuturbeauftragten hatten, der ständig etwas für alle organisierte. Die Hoyerswerdschen hatten zum Beispiel einen Theaterclub und fuhren zusammen mit dem Bus zu Theateraufführungen in der ganzen Lausitz.
Hier gibt’s noch einen Text über die Hoyerswerdschen von meinem lieben Kollegen René Beder:
http://www.neisse-nysa-nisa.de/Hoyerswerda-die%20hoyerswerds…
Viel Glück und Erfolg für dieses Projekt.
herzliche Grüße, arielle kohlschmidt
Eggert zeigt seiner Klasse, wie es unten aussieht.