Einige Gedanken über Alfred Schnittke

Liebe Baddies,
Gerade befragte mich die Musikwissenschaftlerin Ulrike Boehmer per Email zu Alfred Schnittke. Dies ist was ich ihr auf ihre 3 Fragen antwortete – vollkommen subjektiv natürlich:

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Schnittke

Welche Bedeutung hat das Werk Schnittkes für Sie?

Ich halte ihn für einen der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, insofern habe ich seine Musik immer sehr geliebt. Für mich ist er gedanklich und musikalisch schon wesentlich weiter als manche andere seiner Zeitgenossen, wozu auch seine Fähigkeit gehört, ein größeres Publikum mit seiner Musik zu bewegen und zu begeistern. Gerade letzteres hat ihm natürlich den Neid seiner Kollegen eingebracht, daraus resultieren viele unglückliche und abschätzige Äußerungen über sein Werk, zum Teil von Komponisten, die eigentlich klüger sein sollten. Zu einer gewissen Zeit war Schnittkes Werk fast „überpräsent“ und sehr en vogue, das erzeugt natürlich auch Eifersucht. Im Moment findet eine Art Korrektur statt, in der relativ wenig seiner Musik gespielt wird, ich bin aber sicher dass seine Musik – ähnlich wie die Musik von Mahler – gerade aus einem gewissen zeitlichen Abstand wieder eine enorme Wirkung entfalten wird, überhaupt erst richtig begriffen werden kann. Sicherlich war Schnittke – ähnlich wie sein großer russischer Vorgänger Schostakowitsch – auch ein Vielschreiber, daher gibt es auch immer wieder Stücke, die etwas abfallen, man darf aber nicht vergessen, dass dies zum Teil auch aus einer extrem schwierigen Lebenssituation geschuldet ist, anders als z.B. vielen Deutsche Komponisten waren ihm Stipendien und staatliche Unterstützung lange verwehrt. Man hat bei ihm aber selbst bei den schwächeren Werken das Gefühl, dass es um alles oder nichts geht, es ist kein Wischiwaschikram, das ist eine große Qualität.

Wie stehen Sie Schnittkes „polystilistischer“ Ästhetik gegenüber?

Für mich ist „Polystilistik“ ein relativ hohler Begriff, der eigentlich überhaupt nichts aussagt, sondern dem Komponisten allein eine Fähigkeit attestiert, die er ohnehin haben sollte. Einen Komponisten „polystilistisch“ zu nennen ist ungefähr so aussagekräftig wie einem Geiger zu bescheinigen, dass er neben arco auch das pizzicato beherrscht (was nichts über die Qualität seines Spiels aussagen würde). Ausnahmslos alle Komponisten der sogenannten „Klassik“ waren Polystilisten, ein Mozart zum Beispiel wäre beleidigt gewesen, hätte man bei ihm von einem einzigen Stil gesprochen, von einem Komponisten wurde erwartet, dass er alle Stile seiner Zeit kennt und in seiner Musik zu einer eigenen Tonsprache amalgamieren kann. Erst mit der Moderne und der parallel verlaufenden Industrialisierung kommt dem „Stil“ als eine Art „Brand“, eine Art „Marke“ eine überschätzte Bedeutung zu. Viele Komponisten beginnen sich nun künstlich in ihren Mitteln zu beschränken, im Dienste einer Idee oder einer Technik. Schnittke gehört wieder zu einer neuen Generation von Komponisten, die diese splendid isolation überwinden – daher ist Stil bei ihm vollkommen bedeutunglos als Kriterium, allein auf die Inhalte kommt es an.
Insofern schlägt Schnittke eine durchaus fruchtbare Brücke zur musikalischen Tradition der Vergangenheit bei gleichzeitigem Blick in die Zukunft – ähnlich wie Bernd Alois Zimmermann, mit dem er viele Ähnlichkeiten hat – bewegt er sich auf vollkommen unverkrampfte Weise zwischen dem was man oft dumm und abschätzig „Gebrauchsmusik“ nennt, also Musik für Radio, Film, Theater, und der sogenannten Kunstmusik. All dies spielt in seiner Musik eine Rolle, daher spricht sie zu den Menschen im Gegensatz zu manch elfenbeintürmernen Musikmasturbationen.

Hat Schnittkes Werk ihr eigenes Schaffen in irgendeiner Weise beeinflusst?

Ganz sicher – besonders auch seine unterschätzten oder wenig bekannten Arbeiten. Zum Beispiel die Filmmusik für „Die Kommissarin“, die mit der Verwendung eines einfachen russischen Volksliedes eine unglaubliche emotionale Tiefe erzeugt, und damit eine Brücke zu Mussorsgskij schlägt. Die unter einer Nahtoderfahrung geschriebene Cellosonate, die mit relativ reduzierten kompositorischen Mitteln eine gnadenlose Sogkraft entfaltet, die morbiden „Concerti Grossi“ die einerseits brilliante Virtuosität entfachen, dabei aber auch eine Mahlersche Tiefe des Ausdrucks erreichen.
Ein bißchen schade finde ich, dass seine Opern wie zum Beispiel „Leben mit einem Idioten“ unter so schwierigen gesundheitlichen Bedingungen entstanden, dass ihnen zum Teil etwas Unfertiges anhaftet, auch hier eine interessante Parallele zu Mussorgskij.
Beeindruckend finde ich besonders seine Vielfalt – experimentelle, Ligeti nahe stehende Orchesterwerke wie „Pianissimo“ stehen in seinem Werk gleichberechtigt neben Filmmusik oder Bühnenmusik. Er machte da selber nie einen Unterschied, für ihn war alles möglich -das finde ich großartig und bewundernswert!

Und was meint ihr? Ich nehme schon mal hinter der nächsten Kokospalme Deckung :-)

Euer
Bad Boy
Moritz Eggert

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23 Antworten

  1. Benjamin Schweitzer sagt:

    Na, dann mach ich mal den Anfang…:

    Schnittke und Bernd Alois Zimmermann allen Ernstes in so einen Zusammenhang zu stellen, ist schon bizarr. Aber über Zimmermann gibt es ja mehr dergleichen „Äußerungen (…) von Komponisten, die eigentlich klüger sein sollten“.

    Sorry, Moritz, aber mit Zimmermann hab ich mich intensiv beschäftigt. Der ist Schnittke, der immer wieder den einen Kaffesatz neu aufgießt, weil er beim ersten Mal so schön nach Vivaldi geduftet hat, so dermaßen überlegen, daß dieser ihn nicht mal „mit dem Fernglas erkennen könnte“ (courtesy of U. Hoeneß).

    Obs der Kommentar in die Rülps-Ecke schafft?

  2. mehrlicht sagt:

    @Benjamin: es kann doch kein Komponist „Schnittke überlegen sein“, wenn der Vergleichskomponist völlig unterschiedliche Intentionen / Ästhetik / Kompositionsansätze aufweist. Eine Rangfolge unter zeitgenössischen Komponisten wäre mir (außer natürlich innerhalb der „persönlichen Charts“) etwas suspekt.

    Die beiden in einem Atemzug zu nennen wäre aber zumindest innerhalb des Teilthemas „Zitate / Referentialität / Tradition“ aber schon legitim, oder?

    Das mit dem Kaffeesatz möchte ich auch nicht unterschreiben, dazu ist Schnittkes OEuvre nicht auf einen „Aufguß“ zu reduzieren. Man beachte nur so unterschiedliche Werke wie die 1. Sinfonie (und frühere Werke!!) contra etwa die 5. Sinfonie, die a-cappella-Chorwerke und dazu im Gegensatz die „Gebrauchsmusiken“

  3. Mario sagt:

    Polystilistik – jaja, aber zufällig hat Schnittke unter den vielen, vielen vorhandenen Stilen fast immer ausgerechnet die bürgerlich-kitschigsten ausgewählt, so dass doch wieder harmlose, etwas modernistisch angefönte Konzertsaalmusik, rauskommt, ähnlich wie bei Zender, der’s nie unter Brahms macht. Da war B.A. Zimmermann nun wirklich radikaler.

  4. wechselstrom sagt:

    Hallo Leute,

    natürlich gehören B. A. Zimmermann und A. Schnittke in den gleichen Topf – die ästhetischen Ansätze, die beide zeitverschoben aber unabhängig voneinander entwickelten, haben ein Potenzial, das mit Sicherheit weit über das 21. Jahrhundert hinausreichen wird.

    Als Schnittke am 3. August 1998 starb, besuchte ich gerade die Darmstädter Ferienkurse … Glaubt ihr, dass dort der Tod Schnittkes irgend eine Erwähnung/Reflexion/Gedenkminute fand? Nichts dergleichen – – – blödes Pack dort!
    Kein Wunder, die haben ja seinerzeit schon den Zimmermann hinausgebissen.

    @ Eggy: „Die Kommissarin“ ist einer der wenigen Filme, bei denen ich die ganze Zeit rätselte, wer wohl diese hervorragende Musik komponierte …

    Schönen Tag wünscht
    wechselstrom

  5. Erik Janson sagt:

    Und was meint ihr? Ich nehme schon mal hinter der nächsten Kokospalme Deckung :-)

    äh.– wieso Kokospalme?
    Moritz, machst Du gerade Urlaub in der Karibik?

    :-)

    @Schnittke: ich hab nichts gegen Schnittke, schätze z.B. teils seine Streichquartette und hab den sogar mal aufs Programm genommen, weil das Minguet Quartett es eine gute Idee fand bzw. das beim Publikum, auch so zwischen „avandgardistischen“ Werken, immer gut ankommt.
    So war es dann auch. Aber ich schließe mich dennoch dem musikästhetischen „Rülpser“ von Benjamin Schweitzer an, dass man Schnittke vielleicht nicht unbedingt in einem Atemzug/Kontext mit B.A. Zimmermann nennen sollte.

    Und zudem freue mich wie ein Schneekönig, dass Gladbach 3:2 in Hamburg gewonnen hat, während die großkopferten Bayern es wieder nicht über eine Nullnummer hinaus brachten…

    Ist das nicht ein schöner polystilistischer Beitrag?
    Von Hölzchen auf Stöckchen…

    „Happy Halloween“ alle miteinander,
    Euer „linksradikaler Rheinländer“ und Kokosnuss-werfender
    „Saupreiß“,
    Erik

  6. querstand sagt:

    @ all
    Will mich auch mal wieder melden:
    Ich habe immer ein Problem mit dem Begriff Polystilistik. Das klingt wie eine Kompositionsmethode, die dann auch immer klingt, wie sie benannt ist: also der Klassiker Mikropolyphonie klingt irgendwie immer nach Mikropolyphonie, Komplexismus klingt immer nach komplexeren als komplexeste Stücke – ist natürlich grob vereinfacht und auch etwas absichtlich dumm formuliert ;-)

    Nun, Polystilistik klingt immer nach den Stil, der als Zitat oder Allusion dient – auch zwei sehr feine Unterschiede in der Polystilistik, die meist grob übersehen werden. Also Polystilistik klingt niemals nach Polystilistik, ist aber eine Ansammlung von weniger oder vielen Stilen. Der einzige Gegensatz zur Polystilistik ist dann die Monostilistik… was, wenn nun ganz polystilistisch der Komponist nur einen Stil, der nicht sein staatlich TÜV-geprüfter Personalstil ist, in Zitat oder Allusion bringt? Ist eigentlich nicht jedes verwenden gewisser Schreibarten/-methoden nicht sofort polystilistisch, also, entkommt man eigentlich fast gar nicht mehr dem Vielstil? Und, liebe Leute, wer von uns Mädels und Jungs erfindet tatsächlich immer einen neuen Stil bzw. eigentlich vielmehr eine neue Variante innerhalb einer Methode? Das ist dann auch vielleicht das Problem Zimmermann/Schnittke! Schnittke kommt aus einer Gebrauchsästhetik die doch immer gerne an Schostakowitschs leichtere Muse denken läßt sowie immer auch an die russischen Futuristen. Bei Zimmermann denkt man immer gerne an Strawinsky und Alban Berg. Natürlich erscheint dann Zimmermann gerne als viel strenger denn Schnittke – wenn man z.B. an Intercommunicazione im Gegensatz zu Roi Ubu denkt. Bei Schnittke hört man im inneren Ohr eigentlich immer gleich Vivaldi. Ist aber falsch!! Der schießt dann aber wieder genauso wüst in den Stilen herum wie Zimmermann im Roi Ubu. Wichtig also, die beiden nicht im Gegensatz, sondern innerhalb ihrer Traditionen zu sehen, auch gerade bei Schnittke, der ja vehement aus diesen kommunistischen Gebrauchsmusikverdikten auszubrechen bemüht war, ja als Lebenskampf… Und wir drehen ihm dann aus dem Gebrauchstralala des sowjetischen Komponistenverbands wieder einen Strick!

    Was ist eigentlich mit Berio? Den sehe ich eigentlich lieber in zeitnäherer Konkurrenz zu Zimmermann – beide ganz wichtig in den 60ern – Schnittke eigentlich erst Ende der 70er…

  7. wechselstrom sagt:

    fein herausgearbeitet von querstand.
    insbesondere die Unterscheidung Zitat – Allusion ist ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der Möglichkeiten des ästhetischen Konzeptes von Zimmermann/Schnittke.
    Eigentlich ist es weniger ein ästhetisches, denn ein musik-systemisches Konzept, das hier entwickelt wurde.

    Ausgerechnet in Darmstadt habe ich einen Komponisten kennen und schätzen gelernt, der dieses Musik-Konzept auf eine ganz eigenartige, neuartige und, unabhängig von Zimmermann/Schnittke, selbständige Weise weiterentwickelt hat:
    Julio Estrada

    Ein weiterer Schlüssel dreht sich übrigens um die Frage, was Stil überhaupt ist, was ihn auszeichnet und unter welchen Bedingungen wir ihn erkennen (können).

    Schönen Tag bei Vivaldi, Zimmermann und co.

    – wechselstrom –

  8. Erik Janson sagt:

    @ all, vor allem @ querstand und moritz,

    mag ja alles sein, dass Polystilistik, gezielt eingesetzt, und gut gemacht, Gewinnn bringend für Komponist und Hörer sein kann. Oder auch dass es schwer ist, nunn Grenzen zu ziehen zwischen Begrifflichkeiten (Was ist „polystilistisch?“) Aber hier geht es – für Kritiker dieses Konzepts – nicht darum, wie etwa „spießige Beamte der Avandgarde“(?) ein „TÜV“-Siegel einzuführen auf so etwas wie Originalitätskriterien oder vermeintlich „authentische Personalstile“ etc.

    Aber ich persönlich würde mich bei dem Gedanken, beim Komponieren mich z.B. gezielt auf einen bestimmten Stil dauernd zu beziehen, mal hiervon, mal davon zu nehmen…(ob nun von meinen eigenen (früheren) Ideen oder von anderem) unzufrieden fühlen. Obwohl man das sicherlich zwangsläufig tagtäglich unbewusst irgendwie tut. Wir sind alle Teil von Tradition, Geschichte und uns Umgebenden/Einflüssen.

    Damit möchte ich sagen: der Originalitäts-Vorsatz (ich meine NICHT „Anspruch“, das wäre vermessen..), den man sich auch beim Komponieren nimmt ist sicher – wenngleich in letzter Zeit und auch in der Postmoderne (die eigentlich überwunden schien) immer wieder gescholten – sicherlich nichts „Schmutziges“ oder etwas, das nach „anmaßender“ oder „Elfenbein-türmiger“ Avandgarde riecht oder dazu erklärt werden sollte.

    Wir leben heute mehr als die Komponisten früher in einem Zeitalter des Kopierens, des Copy and Paste, umgeben von Übernahmen, Marken- und Ideenklaus etc. pepe …
    Das ist einerseits sehr verlockend und KANN dann wieder originell und produktiv sein, aber spätestens dann nicht mehr, wenn dies unkritisch, unreflektiert oder nur mit Blick aufs (Abonnement.)publikum geschieht und schon gar nicht, wenn so etwas zum Non-plus-ultra der Kunstmusik erhoben würde.

    Meint Erik an einem grauen Novembermorgen,

  9. querstand sagt:

    Stil ist höchstwahrscheinlich der falsche hintere Teil im Bereich „Polystilistik“. Im Gegensatz zu Bezeichnungen wie Spektralismus, Aleatorik, Serialität etc. beschreibt „Polystilistik“ nicht wirklich eine Technik bzw. Methode, die sich hinter dem klanglichen Ergebnis verbirgt, sondern die offene akustische Erscheinungsform und disavouiert somit sofort diese Erscheinungsform als ein Derivat der wiederbelebten Tradition. Und im Bereich des Traditionellen können wir gleich mit Stilen nur so um uns schiessen und streiten wie Else Kling sich beim Lindenstrassen-Dreh in Köln fragen konnte, was am dortigen Dom jetzt gotisch oder ost- oder westgotisch oder gar neogotisch sei. Will sagen, es sind mit diesem Begriff sofort Nebelkerzen gezündet, die damit etiketttierte Musik des Techniklosen und Methodefernen bezichtigen. Damit erklärt man aber so nebenbei auch die Filmkunst und samt „plasticiens“ zu reinen aus den Bauch schöpfenden… Denn wie diesen sind der sog. „Polystilistik“ Collage, die Montage sowie die filmische Schnitttechnik die wichtigsten Methoden. Collage als das lose Übereinanderstapeln oder Nebeneinanderstellen von ähnlichen bis ganz verschiedenen Musiken, Montage als eine offene oder unsichtbare Verbindung zwischen diesen Stilen und als schärfste Kontrasttechnik eben die Schnitttechnik, die Unverbundenheit behauptet auch wenn eigentlich wunderbar montiert worden ist. Na, im Namen Schnittke liegt ja fast schon von vornherein die Schnitttechnik. So nimmt es kein Wunder, daß er eher collagierte als montierte, was ich wieder eher bei Zimmermann vermute. Letztlich ist da also die Frage des Stils eher hinfällig. Die Technik ist ausschlaggebend. Und der Technikbegriff in der Neuen Musik Deutschlands macht dann manchem Teilnehmer hier Zimmermann natürlich vertrauter und fassbarer als den münchhausischeren Schnittke, der sich nun aber wiederum – soviel ich weiß – als sehr deutsch sah. Man könnte fast stammtischartig behaupten: Collage Schnittkes ist doch sehr föderal (also fast schon freistaatlich bayrisch – grins) wohingegen Zimmermann mit all seiner weltumspannenden Kugelgestalt der Zeit bzw. subkutanen seriellen Zusammenhaltmethode mehr der Zentralist ist. Universell im Anspruch sind ja Beide! Bei Zimmermann nerven mich sogar sehr stark seine Versuche in absoluter Collage (ich mag gar nicht das Requiem), wenn allerdings der Geist absoluter Subversion mitschwingt wie bei der Ubu-Musik, da kann ich nicht genug bekommen. Die Frage ist also, welche Inhalte man technisch mit Collage oder Montage angeht. Zweifelsohne, die Collage verlangt den grösseren Mut, denn die Peinlichkeit wartet immer am Rande. Wenn es nur um Witz oder „Musik darf doch auch lustig sein“ geht, führt die Collage in den Abgrund! Da muß man dann nicht wie ein heimlicher passiver Cowboy am Rand stehen, sondern wild herumgrölen in verschiedenen Musiksprachen wie ein frischgef***** Pfingstochse auf dem Folsom-Street-Fest unter vielen breiten und festen echt schwulen Cowboys ;-)) Sonst lieber Montage, auch wenn man dann sofort an schwitzende reifentragende Mechaniker mit von der Brust heruntergerutschtem Overall denkt… Was hat das jetzt noch mit Schnittke und Zimmermann zu tun? Die Herren waren dann doch etwas ernsthafter bzw. litten ja richtig am Leben und verschwanden immer kraftloser werdend vom Erdkreis. Deshalb sind wir eben heute gefordert, sie nicht weiter verschwinden zu lassen! Und müssen für die Beiden Square-Dance aufführen bis die Balken im Saloon krachen.

  10. querstand sagt:

    Hier scheint die Sonne!

    Nun mal ganz ernst: es kann kein Non-Plus-Ultra irgendeiner Technik geben, jeder muß sich die seine ihm gemäße aus sich selbst herausschälen. Das sollte ja z.B. auch guter Kompositionsunterricht vermitteln. Das Problem heute aber ist, daß man sich kaum wirklich Selbstfinden kann. Wenn es die Exklusionsmethode ist, steht man am Ende höchstwahrscheinlich fast nackt da, nicht mal mehr mit einem Personalstil-Feigenblatt, eher mit einem dreiblättrigen Kleeblatt… Das seltene vierblättrige hat dann die Größe eines Schnittlauchblatts… Es ist eben sehr eng, wirklich neue Techniken zu finden. Für mich läuft das immer mehr auf neue Kombinationen heraus. Zudem herrscht innerhalb der zu Stilen erhobenen Techniken eine solche Disversifizierung, daß man da gar nicht mehr rausfinden kann und es dann mal mit neuem Anlauf a la Strawinsky in einer neuen Technik versucht. Dieser Mut ist heute nur schwer aufzubringen und dann zu vollziehen. Wenn Du in Deiner Ecke festsitzt, kommst Du da nicht mehr heraus. Und wehe man legt Dich von Aussen fest, dann geht sowieso nichts mehr.

    Ich möchte mich ehrlich gesagt auch gar nicht in der einen oder anderen Ecke festlegen. Das ist mir zu sehr in den Kategorien einer kleinen Polis gedacht. So wundervoll in diesen kompositorischen Stadtstaaten gedacht und geschrieben wird. Ich halte es eher mit den eklektizistischen Römern. Die waren viel praxisorientierter, schwärmten durchaus für die kulturellen Errungenschaften der Polis, wie ich es auch für etliche Techniken unserer Zeit tue. Und natürlich sind die heute noch stehenden mörtellosen Tempel der Griechen fantastisch. Nun, den ziegelsteinzusammenhaltenden Beton erfanden die Römer und montierten zusammen was nicht zusammengehörte und schufen doch was Neues, sogar Dauerhaftes…

    Und darum geht es eben um den Mörtel, also die Technik, die Nicht-Zusammenhängendes verbinden kann. Und genau das ist ja das Problem der reinen Collagisten der Neuen Musik, sofern sie da noch hinzugezählt werden können. Sie arbeiten wenn technisch dann mit Alleskleber aus dem Baumarkt. Aber von Mörtel und Beton haben sie ausser im Sinne von „Betonköpfe Darmstadts“ noch nichts gehört.

    Ich arbeite seit Jahren an einem harmonischen Mörtel aus dem Spektralismus kommend, mal hält er gut, mal kracht mir Alles zusammen. Und ab und an bröckelt im Prozeß des Schreibens alles Akzidentielle ab und plötzlich bildet der Mörtel eigene Formen und Formeln. Es hängt eben immer davon ab, was für ein Stück entsteht. Sobald man im Musiktheater, in der Oper, der Revue unterwegs ist, was ich bin, wird es eben bunter, dann muß man sogar mal an die Regie oder die Bühnentechnik denken und dann vielleicht sogar mal an die richtige Länge, die dann auch gleich zum Publikum und sogar zum Abopublikum führen kann. Ich habe jahrelang Personalstilsuche, Publikumsbedienung und Chorarrangement hermetisch versucht unverbunden sein zu lassen. Nun fließt es dank meines Mörtels immer mehr ineienander. Und es fühlt sich besser an denn je. Unsauber ist es natürlich, aber ich saß als Pubertierender immer noch gerne im Schlamm des Sandkastens derweil die Anderen an ihre Frisuren herangingen – endlich war soviel Platz im Kasten, derweil die Anderen ihre erwachsenen Ängste kultivierten. Und so kommt es mir auch heute immer wieder vor, wenn ich mich nach meiner vollzogenen Erwachsenwerdung nun wieder gerne quer zu Quotengerede und Nischengetue in alle Sandkästen plumpsen lasse.

  11. querstand sagt:

    @ erik
    @ wechselstrom
    @ all

    ich vergaß oben in beiden Postings die @-erei

  12. eggy sagt:

    @alle
    Das ist eine hochinteressante Diskussion, Freunde, Danke! Und es bestätigt meine Vermutung, dass die Stildiskussion (zu Zeiten von z.B. Boulez‘ Darmstadt ja eine ganz wichtige Frage, der man sich unterzuordnen hatte) sich bei der jüngeren Generation doch sehr verändert hat. Gottseidank!
    Die oben angesprochene Bemerkung, dass bei neugierigem Komponieren die Grenzen zwischen Genres quasi zwangsläufig verschwimmen, halte ich für sehr wichtig (wenn ich Dich so richtig verstanden habe, Querstand). Ebenso die Erkenntnis, dass das was zum Beispiel Mario als „bürgerlich-kitschig“ bezeichnet hat, nur aus unserer (deutschen) Sicht so ist.
    Wir können uns manchmal kaum vorstellen, dass das, was uns „bürgerlich“ erscheint, anderswo höchst subversives Material darstellt. So ist es etwas vollkommen anderes, wenn sich ein Komponist hierzulande auf Vivaldi bezieht, als wenn er dies in der Sowjetunion der 70er Jahre tut (die ja zu Zeiten von Schnittke absolut noch Sowjetunion war). Dort is Vivaldi natürlich etwas ganz anderes, längst nicht so abgenudelt wie bei uns.
    Diese jeweilige Verortung eines Komponisten ist immer mit zu bedenken, auch wir sehen ja einen Beethoven nicht isoliert vom Wien seiner Zeit, denken also seine Geschichte fast unbewußt in seiner Musik mit.

    Ein anderes Beispiel: Ein Großteil der momentanen chinesischen Begeisterung für klassische Musik westlicher Manier hat vor allem damit zu tun, dass genau diese Musik zu Kulturrevolutionszeiten (so lange ist das noch nicht her) absolut revolutionäres Potential hatte. Es gibt Musiker, denen dort die Hände zertrümmert wurden, weil sie Impromptus von Schubert spielten.
    Für uns ist diese Musik nichts besonderes mehr (natürlich ist es sie dennoch), dort riskierten Menschen buschtäblich ihr Leben, um sie zu spielen.
    Kein Wunder, dass uns viele asiatische Musik eher gefällig und kitschig vorkommt, für uns ist das alter Tobak, für dortige Ohren ist das aber alles unglaublich frisch und aufregend. Natürlich wird sich das in 20 Jahren schon wieder geändert haben.
    Und hier gibt es auch wieder eine Brücke zum vielgescholtenen Artikel „Zu schräg für unsere Ohren“ – die physiologischen Erklärungsversuche für die Qualität von Musik darin sind – da sind wir uns alle einig – hanebüchener Quatsch. Kein Quatsch ist aber die Tatsache, dass wir in unserem Schaffen die kulturelle Sozialisation unserer Hörer mitbedenken müssen (was etwas anderes ist, als sie zu bedienen – großer Unterschied!). Wenn wir diese nicht verstehen, uns nicht dafür interessieren, sind wir quasi stumm, da wir nicht verstanden werden.
    Daher halte ich die Arbeit an dem, was oft als „Gebrauchsmusik“ verschrieen wird, also Musik für Theater, Radio, Film etc. für so heilsam – und genau dies ist die Parallele von Zimmermann zu Schnittke. Sie sind natürlich völlig verschiedene künstlerische Persönlichkeiten, aber diese grundsätzliche Notwendwigkeit haben beide gleichermaßen verstanden, und sie hat ihr Werk jeweils bereichert.

  13. wechselstrom sagt:

    @all, @querstand,
    ja, mag sein, bei „Polystilistik“ ist der hintere Teil des Wortes vielleicht der uninteressantere. Zudem verleitet der Begriff zu Vorstellungen der Art „Lustiges Wühlen in der Klamottenkiste“ „Bastelarbeiten an verregneten Tagen“ etc.
    Auch das Wort „Collage“ oder „Collagetechnik“ verstellt den Blick und leitet gerne in die falsche Richtung, also ins Beliebige „anything-goes“.

    Der Vergleich mit dem Ingenieur („Montage“) ist da schon viel weiterführender, folgt doch die Frage auf dem Fuß „wie ist es möglich, dass der Roboter Fußball spielt“

    Natürlich bleibt bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit dieser Materie (Polystilistik, Collage, Montage) immer die Gefahr des unfreiwillig Komischen – Glatteisgefahr – eher etwas für mutige Leute – weniger für KünstlerInnen, die in der Badewanne des gerade aktuellen Ismus Plastikenten schwimmen lassen, oder sich unter der warmen Dusche Ihres Individualstils brausen.

    Denkt man an Collage und vergisst einmal den üblichen Vorwurf der Zusammengewürfeltseins, oder Geschmacks-Urteile a la „ich hab nichts gegen Schnittke, schätze z.B. teils seine Streichquartette und hab den sogar mal aufs Programm genommen“,
    so ist die Aufgabe eigentlich diese:
    Etwas SINNSTIFTEND zusammenzuführen aus Teilen, die, in ihrer ursprünglichen und, aus ihrer Materialität immer noch erkennbaren Funktionalität, eben nicht zusammengehören, und damit Zusammenhanglosigkeit, aber dadurch auch Unabhängigkeit vermitteln.

    Und, eggy, du sprichst es deutlich aus: die Erklärungen und Deutungen im 21. Jahrhundert werden weniger aus der Philosophie-Ecke, sondern vielmehr von der Soziologie kommen.

    Schönen Nachmittag – wo scheint die Sonne ? – an Alle

    – wechselstrom –

  14. Riko der böse Frager sagt:

    Wieso muss etwas „sinnstiftend“ zusammengeführt werden?
    Ist einfach so mal in den Wühltisch der Vergangenheit reingreifen böse?
    Gibt’s auch Komponisten die nicht ihre Leib-und-Magen-Stücke aus Kindheitstagen zitieren, sondern Musik die sie selber richtig scheiße finden?
    Wieso collagiert keiner mal unbekannte Ragtimes, Filmmusik von 70er-B-Movies und norddeutschen Orgelbarock zusammen? (Und nicht mehr, nein, drei Zitatebenen, und zwar drei non-Mainstream-Stile.)
    Kurz: Wo bleiben die (Selbst-)Irritationen?

  15. querstand sagt:

    @wechselstrom

    „Sinnstiftend“ führt uns wieder zur Hirnwäsche des Drösser-Zeit-Zu-schräg-Artikels: unser Hirn sucht ja immer den Sinn in den Dingen die man ihm serviert. Das ist ja genau das wunderbare an Collagen, daß da ganz Anti-Willy-Brandt die Dinge zusammenkommen, die eben nicht zusammengehören, zumindest aus der ursprünglichen Intention der collagierten Teile. Und da beginnt ja bei bewusstem Nachdenken darüber die Frage des Geschmacks: dem einen kann es nicht wüst und unpassend genug sein, der andere wünscht sich mehr Stil bei der Sache (was das jetzt wieder für ein Stil sein soll…), ein ganz Anderer lehnt die Collage oder nur das Collagierte total ab. Hier können sich die Geister also wirklich scheiden. Und Risiko ist gefragt. Angesichts der an jeder Straßenecke pilzartig wuchernden Spielhallen (vor Jahren fand man diese nur bei Bahnhöfen oder in tristen Gewerbegebieten!!) fragt man sich, warum uns Komponisten dann die Spielsucht noch nicht erwischt hat, wo doch Heti und Pleti bzw. Homi und Omi glauben Geld gewinnen zu können. Da lassen wir uns die Scheine mal wieder durch die Lappen gehen. Besser: die GEMA treibt ab jetzt in diesen Spielhöllen eine Abgabe zur Förderung kompositorischer Spielsucht ein!! Vielleicht traut sich dann die Komponierjugend auch mal wieder mehr ans Spielerische. Derzeit scheint der Nachwuchs doch wieder an den alten Glauben an längst überwundene ästhetische Vorschriften zu hängen. Da wundert es einem dann nicht, daß die heute 20-30 Jahre alten genau die Klamotten tragen, die die Eltern der in den späten 60er/frühen 70er trugen. Aber wo bleibt die Aufbruchbereitschaft der Alten bei den Jungen? Also müssen wir ein Programm zur Förderung der kompositorischen Spielsucht starten: ganz im Kontrast zum alten B.A. Zimmermann: Lärm und Vorwärts!!

    Nun wurde ich aber arg hirnlos. Wenn also unsere Birne sowieso alles sinnstiftend verbindet, dann sind doch all diese „wissenschaftlichen“ Zu-schräg-Versuche einfach öde. In Physik oder Biologie gar Genetik sollte man nicht nach „naturgegebenen“ Barrieren suchen. Der komischste Unfug ist doch immer das Geschwafel von den Babies, die ach so nett auf Mozart reagieren und in grosses Buhu bei Schönberg, Varese und E-Gitarren ausbrechen sollen. Erstens wie dissonant unsere Minis sein können, wenn sie schreien und schreien und man nicht herausfindet, ob es zahnt oder das Bärchen klemmt: fast könnte man denken, es dissoniert nur mal so zum Spaß, um uns so mozartferne zu schocken. Wenn man an die Anwohner von Ausfallstrassen denkt – da muß doch jede musikalische Dissonanz und Überlautstärke die reinste Wohnkultur sein. Nun, um die Soziologie zu bemühen, das Verhältnis zu Konsonanz und Dissonanz ist nie wirklich eine naturwissenschaftliche Angelegenheit, es ist immer ein gesellschaftliches Problem. Das wäre ja so, als ob man das Auftreten der A- und H-Bombe in Korrelation zum Auftreten Nonos und Stockhausens setzen möchte – einfach Unfug! Komponisten haben sich immer schon wenig um die Regeln zur Bewahrung der Konsonanz geschert. Selbst die Organa der Ars Nova müssen in den überhalligen Kirchen doch eher als Klangbrei denn als reinster Diamant gewirkt haben. Regeln sind immer dazu da, sie offiziell zu befolgen aber insgeheim doch zu umschiffen. Das galt ja erst recht für den lieben Herrn Mozart, der uns immer noch die Stile seiner Zeit wüst um die Ohren haut- schon wieder so ein Polyp, nein – Polystilist. So braucht es einfach keine Stil-Polypen, ach, Stil-Bullen, verflixt, Stil-Polizisten, ob nun nicht mal 30 Jahre alt und schon ein Doktor der Musikwissenschaft, am Besten an Harvard oder Columbia, wie so mancher unserer jungen KollegInnen nun zu sein pflegen oder eben echter Neuronenforscher, eben den besagten Musik-TÜV, denn Leute, unser Kopf gewöhnt sich an Alles und dabei meist den grösseren Spaß im Wirrsinn als in der genauen Analyse des Wirsing, was ja genauer betrachtet meint: „Wir“ und „sing“, ahhh – wir singen… da tanzen doch die Synapsen wieder Ringelreihen. Es braucht aber einen klaren Kopf beim Komponieren solcher Dinge und dazu eben, wie eggy meinte, die Neugier samt Spielsucht und das Bewußtsein um Soziologisches, und wenn es einen schönen Dramaturgen oder eine ebensolche Dramaturgin gibt, halt ein wenig was Philosophisches für den Jahreskalender der Hirnzermarterer.

  16. querstand sagt:

    @ riko

    Sie sagen „Ist einfach so mal in den Wühltisch der Vergangenheit reingreifen böse?“

    Nun – ich halte alle WühltischschlußverkaufgrapscherInnen für grundböse, da dominiert doch das reine Meins, Meins, Meins. Tja, und „einfach mal so“ ist tatsächlich ziemlich sinnfrei. Man muß schon sich Gedanken machen, warum man was zusammenbringt, was nicht zusammengehört. Und ein wenig Mörtel dabei wäre doch auch ganz passabel.

    Sie sagen: „Gibt’s auch Komponisten die nicht ihre Leib-und-Magen-Stücke aus Kindheitstagen zitieren, sondern Musik die sie selber richtig scheiße finden?“

    Ich meine, sobald man was benutzt, was man „scheiße“ findet, beginnt man es dann doch zu lieben, weil in dem komponierten neuen Zusammenhang wird zumindest dieser Zusammenhang zum eigenen Kind oder eben halt nur Mörtel.

    Sie sagen: „Wieso collagiert keiner mal unbekannte Ragtimes, Filmmusik von 70er-B-Movies und norddeutschen Orgelbarock zusammen? (Und nicht mehr, nein, drei Zitatebenen, und zwar drei non-Mainstream-Stile.) Kurz: Wo bleiben die (Selbst-)Irritationen?“

    Na, das hört man doch schon Alles in den Orgelimprovisationen zur Gabenbereitung fortschrittlicher C-Organisten. Und: Sie vergessen mal wieder die Allusion – Schimpf und Schande über Sie ;-)) In Allusionen kann man so wunderbar schlecht komponieren, vielleicht beherrscht man sogar wirklich nicht die lupenreine Technik des Quasi-Zitats, so daß man sich wudnerbar selbst durch den Kakao zieht. Nur: was man schreibt, auch wenn man es aus totalem Haß der Sache gegenüber schreibt, man wird es dann doch wieder bald lieben – dank der Sinnstiftung unserer höchsteigenen Brainpain… na ja, ein paar Tage später wird man dann nicht mal das in bester Bösartigkeit erfundenen oder zitierte wertschätzen, man wird das gesamte Stück einfach wegkippen…

  17. eggy sagt:

    Hmm, tut mir mal den bösen Frager Riko nicht ganz so ab – ich finde seinen Gedanken durchaus diskussionswürdig!

    Es ist eine interessante Frage – warum nicht mit Musik arbeiten, die man selber nicht mag?
    Ich kann nur aus persönlicher Erfahrung antworten: Ich finde, unsere Neugier sollte vor nichts halt machen. Strawinsky wurde von seinen Kritikern oft als Leichenfledderer beschimpft – er sei jemand, der eigentlich schon tote Stile wie ein Nekromant neu belebe.
    Ein Anatom weiß auch nicht so genau, was er beim Öffnen einer Leiche findet – manches ist eklig, man muß nicht alles mögen. Aber irgendjemand muß den Job machen. Insofern sollte man als Komponist vor keiner Art von Musik irgendeinen Dünkel oder gar Ekel empfinden – jedes klingende menschliche Verständigen ist an sich legitim. Es hängt vom Betrachter ab, wie interessant es werden kann. In der Hölle des Banalen den Himmel zu entdecken, das hat uns Mahler vorgemacht.
    Ich habe selber sehr viel beim Studium von von mir abgrundtief gehassten Musikstilen wie Country, Techno, Schlager etc. gelernt. Tatsächlich ist sogar gerade die Beschäftigung mit solch „widerständigem“ Material sehr fruchtbar. Und ja, es muß nicht alles „sinnstiftend“ sein, es kann auch mal völlig unaufgelöst nebeneinander stehen, das ist ja das Grundprinzip der Collage, dass Sachen eben auch mal sperrig nebeneinander stehen.

    Also würde ich Rikos Frage mit „ja“ beantworten – solche Komponisten gibt es, und soll es auch geben.
    Jeder muß selber wissen, wo er seine persönlichen Grenzen zieht.

    Bei mir ist es Dixieland.
    Aber wer weiß?

  18. wechselstrom sagt:

    @riko, @querstand,

    mit „sinnstiftend“ ist nicht Sinn in den Bedeutungszusammenhang von „das Gute“, „das Schöne“, „das Allgemeingültige und Verbindliche“ gestellt worden.

    Bei Collagen und Montagen (und damit auch polystilistischen Versuchen) tritt, mehr als bei anderen Kunstaktivitäten, der Problemkreis in den Vordergrund, dass das Kunstwerk selbst, also aus sich heraus kommunizieren muss: „ich bin ein Kunstwerk“ und „ich unterscheide mich von einem zufälligen Zusammengewürfeltsein, wie es in jeder Klamottenkiste zu finden ist“.

    Diese Kommunikation, die jedes Kunstwerk betreiben muss, ist bei Collagen, Montagen und Polystilistik deshalb so schwierig, weil (der Name „Collage“ sagt es schon) gleichzeitig kommuniziert werden muss: „ich (das Kunstwerk) bestehe aus Teilen, die NICHT zueinander gehören und NICHTS miteinander zu tun haben.“

    Und ja, Teile auswählen, die einem nicht so genehm sind – na selbstverständlich …

    Und ja, die Birne tut ein übriges; es ist aber wahrscheinlicher, dass die Birne des/der ZuhörerIn Sinn zuordnet, wenn der/die KomponistIn im Vorfeld (also bei der Arbeit) sinngerichtet dachte…
    und ob es durch den einfachen Akt des Servierens bereits getan ist, kann man bezweifeln.

    Und ja, einmal spielerisch Verschiedenes zusammenführen, um einen ersten Zugang zu erfahren – warum nicht …
    Das löst zwar das Problem nicht, ist aber ein fruchtbringender Ansatz, denn wie jeder weiß, kann man darüber, wie man Erfahrungen macht nur dann reflektieren, wenn man Erfahrungen gemacht hat.

    Beste Grüße aus dem wechselstrom-Labor

    p.s: @querstand
    spektralharmonisch fundierter Mörtel ist eine Möglichkeit;
    gibt es auch andere? Waren/sind Zimmermann, Schnittke und Estrada auch anderen Möglichkeiten auf der Spur?

  19. Erik Janson sagt:

    Servus Wechselstrom, @ all,

    uuups, das kostet Dich ein Achterl (den Bionisos oder den Veltliner, das kannst Du Dir aussuchen, den Rest Uhudler trink ich heute leer :-):

    Da bist Du mir zuvor gekommen. Vor allem im ersten Teil Deines Statements zum Thema, dass ein Kunstwerk kommunikabel und kommunikationsfähig (und willig) bleiben sollte und mehr bieten sollte, als PURES „Zusammengewürfeltsein“ oder „Spiel“ aus reinem Motiv des Nicht-Zurückschreckens oder des Experimentierens (also bloß um mal zu zeigen: ich bin als Komponist „tolerant“, „gegenüber allem offen“ etc.).

    Pack die Peitsche schon mal aus, falls ich Dich falsch verstanden haben sollte (hähe).

    Aber mal ernsthaft, liebe Leute, ich meine:
    Wozu haben denn z.B. Aleatorik oder das rein experimentell-spielerische Mal-hier-mal-da Zitieren, das Stile-Zitieren, was oft nicht aus dem INNEREN oder der Suche nach Sinnstiftung/Formbewusstsein bzw. -sensibilität verbunden war/ist (z.B. was gehört wohin? wann macht Zitieren Sinn?) oder was nicht aus innerer Notwendigkeit kommt, geführt?

    Gerade DAS ist teilweise (oder Relikte davon, so behaupte ich) zumindest ein Teil unseres Problems in der Neuen Musik und dass sie von den Leuten ewig als reine sinnfreie (postmoderne) „Spielwiese“ empfunden oder zuweilen belächelt wird (gerade von den „Laien“ oder von Menschen, die wir gewinnen möchten, Moritz – auch von den Jungen…) nicht verstanden wird, und DANN oft zu Recht. Dann auch von Zeit-Kritikern zuweilen bei den Donaueschinger Musiktagen oder sonstwo bei Festivals,
    wo sich dann die Urheber mit Freunden (machen wir uns nichts vor) selbst beklatschen und ihre „Fanclubs“ in Form von wem auch immer mit bringen).

    Das „kleine Kind“ (in dem Fall die gealterte, POSTMODERN-moderne Musik) – um frei mit Busonis Ästhetik-Manifest zu sprechen – hinkt mal wieder hinter den anderen Künsten bzgl. Aussagemöglichkeiten hinterher.
    Die Kunst/Medienkunst ist oftmals längst schon wieder woanders als die Neue Musik: bei mehr Wille zur Aussagekraft, Ausdruck, beim Wachrütteln, bei Aufbrüchen, Visionen…).

    Ich behaupte: das selbstkritische, reflektierende komponierende aber auch zuweilen kompromisslose Subjekt, jenseits allen Dünkels, Erwartungshaltungen, Eigenlob oder Vitamin B etc. ist wieder mehr gefragt und an der Zeit!

    Ich möchte auch nochmal auf Moritz eingehen:

    Insofern sollte man als Komponist vor keiner Art von Musik irgendeinen Dünkel oder gar Ekel empfinden – jedes klingende menschliche Verständigen ist an sich legitim. Es hängt vom Betrachter ab, wie interessant es werden kann. In der Hölle des Banalen den Himmel zu entdecken, das hat uns Mahler vorgemacht.
    Ich habe selber sehr viel beim Studium von von mir abgrundtief gehassten Musikstilen wie Country, Techno, Schlager etc. gelernt. Tatsächlich ist sogar gerade die Beschäftigung mit solch “widerständigem” Material sehr fruchtbar. Und ja, es muß nicht alles “sinnstiftend” sein, es kann auch mal völlig unaufgelöst nebeneinander stehen, das ist ja das Grundprinzip der Collage, dass Sachen eben auch mal sperrig nebeneinander stehen.

    Teilweise Einspruch, Moritz, denn:

    1.Es hängt nicht nur vom Betrachter ab, wie „interessant“
    eine Kommunikation wird sondern maßgeblich eben vom SENDER bzw. seinem Willen zur Kommunikation bzw. von der Form seines Kommunizierens und deren Funktionalität. Kommunikation ist immer komplex!

    2. Klar ist jedes klingende menschliche Verständigen an sich „legitim“ (in dem Sinne, dass man keinem was verbieten kann/sollte). Oder nicht vielleicht doch?
    Und man darf zumindest bezweifeln, ob jede Art dieses Kommunizierens auch funktionsfähig ist, anschlussfähige Kommunikation vom Kunstsystem heraus in die Gesellschaft zu schaffen.

    3.Die Frage, WELCHEN Stil man nun mal zitiert, ob man ihn hasst oder nicht, das ist von 1.) unabhängig.

    4. Richtig: es „muss“ nicht alles „sinnstiftend“ sein und kann es auch nicht, weil ja Komponist, Interpret und Hörer jeweils unterschiedlich Sinn stiften bzw. jeder unterschiedlich Nachrichten interpretieren. Aber im anderen Extrem: wenn es dem Autoren von vorne herein (oder ausschließlich) darauf an kommt: Ich probiere nur mit Stilen etc. Dann kann man sich fragen: was macht dann Kommunikation/Kunst für einen Sinn?
    Zumal ja schon jeder, der sich vornähme, keinen Sinn stiften zu wollen, sich selbst betrügen bzw. widersprechen würde.

    Denn: Sinn, Form entsteht irgendwie immer.

    Und nochmals Moritz:
    Jeder muß selber wissen, wo er seine persönlichen Grenzen zieht.

    Bei mir ist es Dixieland.

    Eben, ganz richtig. Und bei dem persönlich Grenzen-Ziehen-Können und WOLLEN, da fängt Kunst wesentlich erst an, so meine ich. Wir brauchen wieder viel mehr Komponistinnen und Komponisten mit starkem Charakter verbunden mit Selbstkritik und echtem Willen zum Formgefühl. Menschen, die eben kritisch in sich hinein hören (was WILL ich überhaupt?) und die auch dezidiert „nein“ sagen zum „anything goes“ oder dem:
    „ich kann ja alles nehmen/verwursten“ oder „alles ist nur ein Spiel“.

    Und „Dixieland“, Moritz, hätte ich bei Dir nicht drauf getippt, dass du DA eine Grenze ziehst. Überrascht mich und ist mir sympathisch. Was hast Du gegen Dixie? Gerade hier in Düsseldorf ist man dem oft ausgesetzt…
    Dann würd ich sagen: ich lad Dich mal zur Düsseldorfer
    Jazz-Ralley ein und gebe Dir Gelegenheit, DIESE persönliche „Grenze“ dann auch zu überschreiten :-)

    Aber jetzt muss ich wirklich – nach längerer Pause, Bloggerei, Grübelei, Organisieren etc. – mal wieder länger an den Schreibtisch. Es kann daher sein, dass Ihr mich endlich mal für eine Weile los werdet…

    „Lifelong Learning by doing“ sozusagen – vielleicht werde ich ja dann noch zum angepassten Polystilisten, der Musik liefert bei der „für jeden was dabei“ ist…

  20. Erik Janson sagt:

    UUps, sorry, damit keine Missverständnisse auf kommen.

    Ich habe dummerweise im allerletzten Absatz meines Bloggings
    NICHT Moritz in „blogquote“-Markierung gesetzt sondern
    versehentlich meine Stellungnahme zu Moritz.

    Schönen Abend noch.
    Erik

  21. eggy sagt:

    @Erik:
    Guter Beitrag, danke!
    Man kann eigene Kommentare übrigens nachträglich bearbeiten, wenn man sich verklickt hat (passiert mir übrigens auch immer wieder)

  22. querstand sagt:

    @ wechselstrom, @ erik, @ all

    Man muß bei „sinnstiftend“ gut unterscheiden, eine kleine Wortklauberei:

    1.) sind die zusammengeführten Dingen bereits als vorher allein Dastehendes von sich aus selbst sinnstiftend,
    2.) werden sie von sich allein im neuen Zusammenhang mit den anderen Dingen sinnstiftend, oder
    3.) der Komponist stiftet erst den Sinn.

    Zu 1.): Hier ist es am einfachsten, hier regiert das qualvolle „Anything Goes“. Eigentlich muß man als Komponist dabei gar nichts tun, als die Dinge sauber abschreiben. Hier werden dann Alle sagen: „das wollte ich doch auch schon immer mal in Kombination bringen“. Eine quasi aus den Denkzusammenhang herausspringende Kombination, die den verbundenen Dingen innewohnt. Ich frage mich dann immer bei solchen Faust-aufs-Auge-Klarheiten (ob man da noch klar sehen kann…), ob sie im rein gedachten Zustand nicht viel schöner, geheimnisvoller hätten bleiben sollen. Mir geht es hier natürlich oft bei im Film verwendeter Originalmusik so – die Frage also, inwiefern Filmmusik nicht generell – ob Zitat oder Allusion – was collagiertes, bestenfalls montiertes hat… so ähnlich geht es mir auch bei Zimmermanns Ekklesiastischer Aktion, gerade am Ende, wo neben dem expressiven Abgesang dann ganz krass der Bachchoral „Es ist genug“ erklingt. Man kennt diesen ja dann quasi doppelt von Herrn Bach harmonisiert wie von Herrn Berg im Violinkonzert im Bachscher Harmonisierung zitiert. Da wird es bei Zimmermann uns richtig um die Ohren geklatscht. Der Musik des Chorals das letzte Geheimnis geraubt. Da scheint mir die Literatur im Collagieren von nach Collage schreienden Dingen „seriöser“ als die Musik, eben trotz der Banalität immer noch graduell geheimnisvoller, weniger sinn-schreiend, als wirklich stiftend, wie der ungenannt bleiben wollende karitative Stifter.

    Zu 2.) Hier wird auch mancher sagen, „das wollte ich schon immer kombinieren“. Es erschließt sich aber nicht so offensichtlich von allein. Hier hat der Komponist Originalität im einfachen, grobschlächtigen Zusammenfügen bewiesen. Ich denke da gerne an die Ubu-Musik Zimmermanns oder auch die 1. Symphonie Schnittkes. Sehr klare Zitate oder Allusionen. Die Kombinationen sind offensichtlich, aber eben erst in diesem Zusammenhang.

    Zu 3.) Die wunderbarste Sinnstiftung hier, auch wenn nicht vielleicht Collage im engeren Sinne: die hinzugefügte Geigenmelodie zum o.g. Bachchoral in Bergs Violinkonzert. Auf die Urheberschaft des Älteren Kollegen wird eine leichte eigene Stimme gesetzt, vollkommene Koinzidenz. Etwas grösserdimensioniert die Kombination von Parsifal, Poème de l’Extase, Beethovens Neunter, etc. in Photoptosis von Zimmermann. Das ist natürlich Alles wunderbar, höchstwahrscheinlich Lieblingszitate der Meister

    Ob man Musiken, die man nicht mag bzw. sogar haßt als Komponist genau in diesen Zusammenhang mit seinem schönsten Diamantfüller als Sinnstifter setzen möchte, bezweifle ich. D.h., wenn man ungeliebte Musikstile kombiniert, wird man es höchstwahrscheinlich zwar perefkt getimt zusammenbringen wollen, seine eigenes Hinzukomponieren aber sehr niedrig oder ganz heraushalten.

    Nun, ich sprach in einem vorhergehenden Posting von „Liebe“ zu der fremden, gehassten Musik, die man in einer eigenen Komposition in einen neuen ästhetischen Zusammenhang bringt. Ich kann mich da nur wiederholen: auch wenn man den verwendeten Stil oder nur ein Stück in diesem Stil zitiert, in einen eigenen kompositorischen Zusammenhang stellt, schlüpft man doch rein handwerklich in diese Welt hinein, wenn man nicht nur einfach abschreibt. Komponieren in für einen selbst neuartigen Weisen heißt immer auch Aneignung. Da sehe ich auch den wesentlichen Umgang zur bildnerischen Collage, die einfach mal unzusammenhängende Dinge auf einer Fläche verklebt oder zum Ready-made macht. Sobald nun der Bildende Künstler oder auch z.B. ein Autor aber in diesen eigentlich gemiedenen Stil denkt, rutscht er doch in Persönlichkeit des neu Kombinierenden hinein. Das verlangt dann schon hohe Distanzierungsfähigkeit. Das geht vielleicht als DJ besser denn als Komponist. Ein Komponist ist in dieser Aneignung, auch das reine Abschreiben ist da schon ein Anfang, immer etwas emphatischer angelegt. Deshalb sehen wir immer etwas altbacken aus, wenn wir selbst neueste Populärmusik in unseren Stücken einarbeiten.

    So schimpfe ich zwar ein bisschen über die „reinen Abschreibecollagen“ unter 1.), die Arbeit des Kopierens und Einpassens macht die benutzte Sache aber dann eben doch rein psychologisch zu einem Ding des Verarbeiters.

    A propos Dixieland: als Jugendlicher fand ich Dixiebands immer ganz nett, fröhlich, dachte immer an Joachim Bublath und seine Knoff-Hoff-Show, die ich damals gerne konsumierte. Später, als man dann mal live mit so Dixie spielenden Menschen zu tun bekam, wünschte man die sich immer in den Schrebergarten samt ihrer Musik. Heute denke ich dann doch wieder an die Knoff-Hoff-Show. Mir geht es bisher oft so, daß ich Musiken, die ich erst mal besonders hasse dann doch irgendwie kennenlernen möchte. Fast mit Brechreizen reagierte ich auf eine Aufführung von Walter Zimmermanns „Die Blinden“ – zwei Wochen später bekam ich den Kopf nicht mehr aus der Partitur. Oder rannte „Unverschämtheit“ schreiend durch Donaueschingen nach einer UA Oehrings. Einige Jahre später machte mir ein Stück von ihm beider Musica Viva durchaus Spaß, auch wenn es etwas zu lang war. Das mit dem Haß ist immer so eine Sache. Wenn man ein Komponist im emphatischen Sinne ist, kann man selbst Fahrstuhlmusik mal was Gutes abgewinnen – im Musiktheater ist das sogar immer sehr wahrscheinlich, wenn man mehr die Berg-Zimmermann-Schiene verfolgt als die Debussy-Nono-Lachenmann-Schiene.

    Jetzt ritt ich immer auf Berg herum – ich versuche gerade rauszufinden, ob die Polystilistik nicht doch irgendwie eine russische Erfindung ist! Bei Schnittke hat man jenseits aller Theorien doch irgendwie immer den Schostakowitsch-Gebrauchsmusik-Verdacht, im besten Sinne! Gut, Schostakowitsch kommt ja stark von Mahler – ist dann doch weniger emphatisch im Einsatz des Banalen als dieser – und wurde durch Brotjobs und Parteidoktrin zu Volkstümlichkeit genötigt und klingt weniger collagiert, aber doch sehr stilkontrastierend innerhalb eines Stücks oder von unmittelbar aufeinanderfolgend entstandenen Stücken. Da musste ein Schnittke das eben nur noch in einen ganzen Abschnitt eines Stückes zusammenbringen, also dieses Schostkowitsch-Musikexistenzgefühl in einem Brennglas fokussieren.

    Bei Zimmermann haben wir dann auch den Hang zur Gebrauchsmusik, aber auch eine Herkunft aus der Strawinskytradition, dem anderen Russen! Der konnte ja in Alles hineinschlüpfen und verpasste dem Abgelegensten noch immer sein Strawinsky-Markier-Elektron. Faszinierend wird es dann nach der 12-Ton-Phase Zimmermanns, als ob er dadurch eine Selbstobjektivierung in Bezug zu seiner Strawinskynähe herstellen konnte, wie dieser ja ab den Endvierzigerjahren ebenfalls… Und dann bricht das Spielmoment der ersten Phase sich in der dritten Phase seine Bahn, es kommt zu den Collagen. Verschiedene Stile innerhalb eines Stücks zu verwenden kündigte sich ja z.B. bereits in den Metamorphosen aus den 50ern an. Höre gerade seine Monologe für 2 Klaviere: da taucht im heftigsten 12-Ton-Umfeld Barockmusik auf. Es ist spannend zu hören, wie er es einerseits strikt nebeneinanderstellt, dann aber quasi auf die „Zeitgeräusche“, also die sich ergebende Metalinie achtet und mal kürzest tonal oder breiter atonal die Dinge harmonisch verbindet. Da ist mal wieder sehr stark Sinn gestiftet. So ergeht’s einem übrigens pauschal immer bei Zimmermann. Selbst von mir Gescholtenes ist doch verbunden und bestätigt Wechselstroms Sinnzusammenhangsthese: nebeneinanderstellen genügt nicht. Und da sind wir wieder beim Mörtel!!

    Den spektralen Mörtel kann man wie einen Modulator zwischen mikrotonal über exotische Stimmungssysteme bis atonal oder einfach tonal einsetzen. Das ist aber eher ein Weg der Montage als Collage. Zimmermann und Kollege Schnittke hörten die Dinge zusammen, also das metaparametrische Changieren zwischen den Zitaten/Allusionen. Dieses Enjambement zwischen den Dingen ist nicht technisch zu fassen, es ist einfach das richtige Gefühl für Musik, das sich die Herren hart erarbeitet hatten. V.a. im Bereich der Harmonik und Rhythmik. Im Bereich von Dynamik, DIchte, Volumen, etc. kriegt man das natürlich immer elektronisch sehr leicht hin, eben durch Eriks „Copy and Paste“ Statement. Das richtige Tonhöhengefühl, geprägt v.a. aus dem Studium Bach, Spätromantik und Atonalität – denn auch diese ist eben trotz des „A“ eine Tonalität, nämlich Töne nicht zusammenhangslos, sondern zwar frei, aber doch im richtigen Moment zu verwenden (man vergesse nie die Nähe all der Quart-Tritonus-Klänge zur erweiterten Dominante des 7-13, in dem Tonikaterz und Dominantleittöne gleichzeitig sind, tonal gebunden und zugleich die Aufhebung von tonal) – macht das Geheimnis Schnittkes und Zimmermanns aus. Würde man Ähnliches für sich selbst auch nicht in Anspruch nehmen, sähe ich mit meinem spektralen Modulator alt aus.

  23. Erik Janson sagt:

    @ querstand

    sehr spannender Beitrag und Differenzierung.
    Kann mich aus Zeitgründen erst später wieder in die ausführliche Debatte einklinken. Hier nur soviel: Du hast das sehr spannend von der Komponistenseite ausdifferenziert mit dem Thema „Sinnstiftung“ bzw. an Hand analytischer Musikbeispiele. Ich meinte ja erst mal die kommunikationstheoretische Seite, bzw. wenn man vom klass. Sender – Empfänger-Modell bzw. vom Modell
    Komponist – Interpret – Hörer aus sich ansieht.

    Einer meiner damaligen Dozenten, Komponist Walter Gieseler (der zusammen mit Lombardi ja auch die sehr spannenden Bücher über Harmonik im 20.Jh. etc. und Instrumentation schrieb) hat das auch, bei allem theoretischen Denken und Denken vom Komponisen aus, immer mal wieder angemahnt. Tja apropos, im Bereich Harmonik, Rhythmik, da immer wieder die theoretischen Bücher und Analysen heraus zu kramen und auch jederzeit weiter immer wieder Fremdes und eigenes zu analysieren. Das schadet nie: immer wieder sich durch theoretische Blicke sich für die eigene Praxis und Arbeit inspirieren lassen.

    Und dann auch alleine sich die Frage zu stellen WAS IST SINN/SINNSTIFTUNG überhaupt?
    Allein darüber gibt es wieder tonnenweise Bücher und philosophische, sologische und auch sprach-/musikwissenschaftliche Abhandlungen.

    Und spannend auch die Frage: Wo hört Tonsatz/ das bloße Aufgreifen von Musiktheoretischem, das handwerkliche Ausführen von bekannten/erlernten Modellen auf und wo fängt das eigentliche KOMPONIEREN an?
    BZw. die Frage: heißt „Komponieren“ wirklich nur (von lateinisch componere) zusammen setzen im Sinne eines Zusammensetzen von Vorgefundenem?
    Die Grenzen sind da fließend, denke ich. Jedenfalls sind Reflexionen und Selbstbesinnungen auf die tägl. Arbeit ganz heilsam.

    @ moritz, danke für den Formatiertipp und das kleine Kompliment.

    Schönen Novembertag, hier regnet es immer noch.