donaubad 6 – konzeptkunst und slapstick
der letzte tag, das publikum hat sich noch einmal verändert. die ersten sind bereits mit koffer erschienen, andere gar nicht mehr, wieder andere sind eigens für den letzten tag angereist. und ich komme hier gar nicht mehr hinterher.
also thema ablinger. entweder er ist ein genie oder er ist ein scharlatan. er hat zu viele intelligente stücke bereits geschrieben, als dass man zweites annehmen darf, doch mit diesem konzept ist er eindeutig einen schritt zu kurz getreten. eine uraufführung in eine prima vista-leseprobe zu verwandeln ist eigentlich ein schöner scherz, er funktioniert auch, solange das publikum nicht weiß, ob es nun einstudiertes instrumentales theater ist oder eine echte probensituation, der er beiwohnt. sobald diese bewustseinsoperation aber einmal gemacht ist, wird es zur reinen verhohnepiepelung des publikums. und schlimmer noch: der musiker. diotima machte aus der not eine tugend und veranstaltete eine schöne show. jack quartet blieb absolut privat und zog damit noch eine gardine mehr um sich rum. herr ablinger war glücklich.
er war wahrscheinlich auch glücklich, als die papierflieger flogen, als das publikum mit aller gewalt versuchte, die öffentliche probe auszuklatschen. hämische buhstürme muss es bei der letzten vorstellung ind er christuskirche gegeben haben. bei derart heftigen reaktionen fragt man sich dann doch, ob der mann nicht ein genie ist und obe er damit nicht – „nolens volens“ (brian ferneyhough) – die gesamte festivalsituation ad absurdum, das publikum in eine festivalausstellung verwandelt und etwas sehr wahres über streichquartettspielen gestern und heute zum ausdruck gebracht hat. ielleicht wäre auch alles ganz anders geworden, wenn die ardittis den ablinger auch gespielt hätten. wenn man also tatsächlich dem allmählichen interpretiert werden eines streichquartetts beigewohnt hätte. und sich so nach und nach etwas herausgeschält hätte. aber so: neinneinnein. eine gedankliche kurve zu kurz gedacht. und sehr ärgerlich.
es ist ja eigentlich auch unwürdig, so viele worte zu verlieren über diese KONZEPTKUNST. sprechen wir einmal über musik. zum beispiel über alan hilarios streichquartett, das gleichfalls ein heftiger stoß vor den kopf war. vierzig minuten beinharte musik. vier streicher, alle um einen tisch herum aufgestellt. der tisch ist mit gepäckseilen bespannt, linale darunter, spieluhren drau montiert, holz klötze, einige schon arg ramponiert vor der dritten vorstellung. die streicher bearbeiten den tisch mit schlägen, sobald der erste holzklotz wie ein steg unter das gepäckseil gespannt ist wird klar: dies ist eine stellvertreterhandlung. eine „surrogate-violin“, die büßen muss, für alles, was die abendländische musikkultur dem ehemaligen geiger alan hilario angetan hat. es ist über weite strecken quälend, dem ablaufenden prozess beizuwohnen. und man erreicht die gewalteruption eines auf der bühne zerschlagenen instruments auch nicht einfach, indem man möglichst lange auf totes holz eindrischt. zwischendrin werden auch die streichinstrumente als zupfinstrumente gebraucht. entgegen der ersten annahme sind die hände der jacks nicht derart getaped, weil sie sich so oft auf die finger geschlagen hätten, sondern vorsorglich, um der belastung stand zu halten. spätestens als die säge zum einsatz kam, fragt sich, ob die berufsunfähigkeitsversicherung für solche auftritte überhaupt noch einspringt. oder was, wenn der ari den john bei der b-movie schlägerei oder den julioestradagedächtnis-bogenhieben tatsächlich erwischt hätte?
aber der entscheidende unterschied von hilario zu anderer musik, auch zu jener die gerade läuft ist wohl der, dass man als zuhörer nicht umhin kann, eine existenzielle situation auf der bühne wahrzunehmen. hier geht es jemandem wirklich um etwas und nicht bloß um schickes sounddesign. als für einen moment die strenge der komposition in slapstick und irrsinn umschlägt kommt das einer rauschhaften erfahrung nahe.
Musikjournalist, Dramaturg