Nono und Nonino
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Nono und Nonino
Oder: Träume eines Großdichters
Michael Krüger bekam jüngst seinen 543. Preis überreicht, den „Internationalen Meloni-Literaturpreis“ in Italien. Oh, sorry, Freudscher Verschreiber, ich meine natürlich den „Internationalen Nonino-Literaturpreis“. Nonino, so wie der gute Grappa.
Warum mir das passiert? Weil Krüger in seiner Dankesrede folgende Worte wählte:
„Stellen Sie sich einmal vor, Frau Giorgia Meloni läse ein Gedicht von Eugenio Montale, bevor sie die Debatte über die Einwanderung eröffnet, oder Frau Christine Lagarde Verse von René Char, bevor sie die Senkung des Grundsteuersatzes ankündigt, oder Olaf Scholz beschließt, bevor er zurücktritt, ein Gedicht von Ingeborg Bachmann aufzusagen: Die Atmosphäre im Raum wäre sofort eine andere. Die scharfe Rhetorik, die darauf abzielt, dem Gegner Gewalt anzutun und übrigens auch der Sprache selbst, würde zivilisierter oder zumindest akzeptabler werden“, so zitiert nach dem FAZ-Artikel über das denkwürdige Ereignis.
Ein hervorragender Vorschlag, lieber Michael Krüger. Kunst macht einfach alles besser. Und was Sie fordern, wurde ja schon längst spektakulär umgesetzt.
So wurden die eher deprimierenden Kriegsnachrichten vom russischen Feldzug im Radio des Jahres 1941 stets mit den schmetternden Fanfaren von Liszts grandiosen „Les Préludes“ begleitet. Ob deutsche und russische Soldaten, die im Winter von Stalingrad kämpften, ihr Ableben während dieser Klänge dann deutlich „zivilisierter“ fanden, kann man nicht mehr genau feststellen, denn sie sind elendig dabei verreckt. Durch Kugeln oder die Kälte, nicht etwa durch „scharfe Rhetorik“.
„Akzeptabel“ im Krügerschen Sinne sicherlich auch, dass jüdische KZ-Häftlinge gelegentlich dazu gezwungen wurden, schöne klassische Musik zu spielen, wenn die Gasöfen befeuert wurden. Übrigens nicht etwa, um den Tod ihrer Leidensgenossen erträglicher zu machen, sondern um dem ganzen perversen Unternehmen einen grauenhaften Anstrich von „Zivilisiertheit“ zu geben. Hat Michael Krüger über diese Parallelen zu seiner Idee nachgedacht? Vermutlich eher über den guten Grappa und das Preisgeld.
Denn wie wäre es, wenn man seine Vorschläge exakt so umsetzt? Würde es den nach Albanien verschifften abgewiesenen Asylbewerber freuen, wenn ihm Frau Meloni vorher ein Gedicht von Eugenio Montale vorliest? Oder vielleicht das Lied „Sag beim Abschieb, äh, Abschied leise Servus“ von Peter Alexander vorsingt? Am besten die Zeilen:
„Nicht Lebwohl und nicht Adieu
Diese Worte tun nur weh
Doch das kleine, Wörter’l, Servus
Ist ein lieber letzter Gruss“
Würde einem dann warm ums Herz?
Ob ein möglicher und dringend wünschenswerter Rücktritt von Alice Weidel wirklich aufgewertet würde, wenn sie dabei Ingeborg Bachmann zitiert, sei ebenso dahingestellt. Ich fände es für Bachmann entwürdigend, wenn Weidel – vermutlich dabei wieder die Augen wild rollend – Texte von Bachmann vortragen würde. Am Ende sogar die „Anrufung des grossen Bären“, als Verneigung vor ihrem Dienstherrn Putin:
„Großer Bär, komm herab zottige Nacht,
Wolkenpelztier mit den alten Augen,
Sternenaugen,
durch das Dickicht brechen schimmernd
deine Pfoten mit den Krallen,
Sternenkrallen,
wachsam halten wir die Herden,
doch gebannt von dir, und mißtrauen
deinen müden Flanken und den scharfen
halbentblößten Zähnen,
alter Bär.“
Aus dem Munde von Olaf Scholz wirkten solche Zeilen einfach nur befremdlich, was ja wenigstens noch irgendwas hätte.
Das alles ist also eine Schnapsidee, im wahrsten Sinne des Grappas. Apropos Grappa, hätte man nicht einfach während Krügers Rede ein Streichquartett von Nono spielen können, um das Ganze „akzeptabel“ zu machen? Nono und Nonino – eine winning combination, ohne Frage. Die Atmosphäre im Raum wäre sofort eine andere gewesen.
Aber unter uns: ich bin sicher, dass Krüger sich der wahren Bedeutung seiner Worte nicht wirklich gewahr war. Er wollte nur etwas Drolliges über die von den meisten Menschen schändlich missachtete Poesie sagen. Im Publikum wurde vermutlich jovial dazu genickt.
Dennoch muss man seiner Idee dezidiert widersprechen – der Missbrauch von Kunst durch die Mächtigen fand zu allen Zeiten und zu allen Epochen statt. Machtmissbrauch und Kunstmissbrauch, es ist ein und dasselbe. Das könnte Krüger auch bei seiner Kollegin Petra Morsbach nachlesen. Oder bei seinem Amtskollegen Winfried Nerdinger nachfragen, der mangels Gegenkandidaten nach der anstehenden Wahl vermutlich noch die nächsten hundert Jahre die Geschicke der Bayerischen Akademie der Schönen Künste leiten wird, wenn nicht irgendjemand in der schon komplett wegdämmernden Akademie mal aufwacht und Mut fasst.
Nein, Michael Krüger, die Aufgabe von Kunst ist es nun wirklich nicht, irgendetwas „akzeptabel“ oder „zivilisiert“ zu machen. Vielmehr sind Künstlerinnen und Künstler vor allem damit beschäftigt, verzweifelt irgendeinen Sinn in den meistens inakzeptablen und unzivilisierten Aktionen der Menschheit zu finden. Kunst sammelt die Scherben aus dem Scherbenhaufen und versucht sie irgendwie mühsam zusammenzusetzen, tröstend, mahnend oder vielleicht auch träumend. Und das kann sie nur, wenn sie wirklich frei ist.
Aber Krüger, der ja nun wirklich ein guter Dichter ist, hat es ja selbst schon sehr schön beschrieben, was hier das Problem ist:
„Das Böse war anwesend, das stand fest,
aber immer, wenn man es greifen wollte,
hatte man den Ärmel der Jacke eines Dichters
am Wickel, also nichts in der Hand.“
Besser könnte ich es nicht sagen.
Moritz Eggert
Komponist