»Seit wann ist Christian Thielemann links?« Über das Erstarken der Rechten infolge der Kultur-Kürzungsorgien

Vor ein paar Tagen kam eine neue Ausgabe des lohnenswerten Podcasts »Die Neuen Zwanziger« heraus (Titel: »Merkel & Manosphere, Trump & Scholz, Meinungsfreiheit, Antisemitismus-Resolution, Schuldenbremse«), den man hier anhören kann. Ein Podcast von Stefan Schulz (Journalist und Podcaster, schrieb für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und »Die Zeit«) und Wolfgang M. Schmitt (Filmkritiker, Podcaster, schrieb für die »Neue Zürcher Zeitung«, für »der Freitag« und andere).

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In der besagten Folge diskutiert man über das Erstarken der Rechten, des Rechtspopulismus und kam nach etwa vier Stunden auch auf das Thema »Kulturpolitik« und die aktuellen Berliner Kultur-Kürzungen zu sprechen. Das fand ich interessant und will diese Stelle einfach mittels einer Transkription mit euch teilen.

[Transkription ab 3:48:37]

»[Wolfgang M. Schmitt] […] was hier [mittels der Kultur-Kürzungen] passiert, ist, dass man jetzt Kürzungsorgien hat, die zugleich auch noch von den Rechten beglückwünscht, assistiert werden. Dass man sagt: ›Ja, das war eh immer so linkes Terrain!‹ Wo ich dann auch sagen würde: Seit wann ist jetzt Oliver Reese vom Berliner Ensemble oder ist Christian Thielemann links? [Stefan Schulz] Sie machen Kunst, also sind sie links! [Wolfgang M. Schmitt] Das wird jetzt von den Konservativen da unterstützt – und ich will auch mal … und jetzt merkt man natürlich: Wenn die Töpfe kleiner werden, werden alle versuchen, zu kuschen. Damit nicht noch was geschieht. Und dann werden jetzt im Vorhinein … wird diese Selbstzensur immer stärker stattfinden. Und die Resolution ist der Anfang. Was ist, wenn die nächste Regierung auf die Idee kommt: ›Also, ja, diese linke Politik … da hat der Ulf Poschardt und die [Beatrice] Achterberg [NZZ-Redakteurin] … die haben da doch recht, diese linke Kultur: Das müssen wir doch mal einhegen! Also es geht doch nicht, dass wir unsere Eigentumsordnung auf den Kopf stellen lassen! Wie? Jetzt noch weiter Bertolt Brecht im Theater bringen? Und sollten wir überhaupt noch Geld geben, wenn Stefan Schulz an eine Volkshochschule eingeladen wird? Denn der will ja Milliardäre abschaffen! Das heißt: Der bedroht die bürgerliche Eigentumsordnung und bedroht doch damit eigentlich schon die bundesrepublikanische Demokratie und den Frieden!‹ [Stefan Schulz] Den sozialen Frieden. [Wolfgang M. Schmitt] In diese Richtung geht das alles. Deswegen: Ich bin ja ein absoluter Free-Speech-Anhänger und das zeigt sich hier noch einmal so deutlich, weil die Leute, die sonst für Free Speech sind, wie Ulf Poschardt oder Elon Musk, sind die, die sofort zensieren, sobald ihnen etwas nicht in den Kram passt.«

Das ist nicht extrem zusammenhangsvoll, deshalb kommentiere ich mal relativ frei weiter: Ich selbst halte Joe Chialo, der die Kürzungen des Berliner Senats zu verantworten hat und nicht oder nur halbgar kommuniziert hat, ebenfalls für einen Populisten. Chialo schielt auf den nächsten Posten – und was man von ihm hört, ist (Original-Zitat aus verlässlicher Quelle): »Der weiß bei einem Empfang im Deutschen Theater nicht, dass er im Deutschen Theater ist!« Weil er das Deutsche Theater nicht von der Schaubühne unterscheiden kann. Weil es ihm egal ist. Und die eigentliche Frage ist, warum wir derart eklatant ahnungslose, karrieristische Typen (Claudia Roth ist keine Spur besser) überhaupt in solche Positionen kommen lassen. Meine Antwort: Weil wir uns nicht kümmern, weil die Künstlerinnen und Künstler sich zu schade sind, um Kulturpolitik selber zu machen. Weil sie sich für links halten, sich aber bei links-grünen Parteien nie durchsetzen konnten – weil sie nicht links, sondern werte-konservativ bis naiv-unpolitisch sind. Und weil sich die Kunstschaffenden, die (wenn überhaupt) etwas näher an der Politik dran sind, von der Politik ausnutzen/korrumpieren lassen. Die spielen dann bei Partei-Events in Berlin-Mitte ein hübsches Beethoven-Stückchen und alle fühlen sich soooo nach Hochkultur.

Und es ist selbstverständlich zu erwarten, dass Musikerinnen und Musiker, sollte der Rechtspopulismus (was stark anzunehmen ist) weiter erstarken, sich völlig lässig auf die jeweilige politische Gewinner-Seite stellen werden. (Nicht zufällig hat ein gewisser – durch Twitter bekannt gewordene – Pianist vor einigen Jahren, noch im Studium befindlich, versucht, bei der Jungen Union in Hannover aktiv zu werden. Übrigens erfolglos. Heute lässt dieser Musiker sich auf Empfängen mit Robert Habeck – hat der nicht selbst gerade eine Krise – sehen, um an dem Schnuller der breiten Öffentlichkeit nuckelnd das Lieblingskulturbaby der Grünen zu mimen.) Weil Musikerinnen und Musiker Angsthasen geworden sind – und im Zweifelsfalle mit dem Strom schwimmen.

Und da ist es ganz egal, in welche Richtung dieser Strom tendiert. So wird es kommen. Und spätestens dann wird man sich eventuell fragen (siehe oben): »Wer hat die Klassik-Szene (beispielsweise in Gestalt von Christian Thielemann) eigentlich jemals als per se links definiert? Und huch, hat nicht der besagte Lieblingskultur-Grüne neulich erst mit Christian Thielemann (wie man hört: wohl mittelmäßig) konzertiert?«

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

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