„Hitler, du verpupste Sackratte…“

„Hitler, du verpupste Sackratte…“

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So fängt einer der erstaunlichsten literarischen Texte des ausgehenden 20. Jahrhunderts an. „Kathartische Hitlerbeschimpfung“ ist der nüchterne Titel eines 76 Seiten langen Textes des 1997 verstorbenen argentinischen Komponisten Athanasio Khyrsh, gefunden in seinem Nachlass. Dass dieser Text – der sich fest in der großen Tradition der literarischen Schimpftirade befindet und darin einen historischen Höhepunkt darstellt – nicht genauso bekannt ist wie z.B. die dagegen fast harmlos wirkenden Texte eines Thomas Bernhard, ist eines der größten Versäumnisse der jüngeren Literaturwissenschaft.

Der Grund hierfür mag in der Person Athanasio Khyrshs liegen, der kaum als Komponist und noch viel weniger als Autor in irgendeiner Form je die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen hat, die er eigentlich verdient hätte. Selbst die wenigen intimen Kenner seines Werks waren mehr als überrascht, in seinem Nachlass tausende von Seiten literarischer Texte zu finden – mehrere Romane, Gedichte, Erzählungen und Libretti für „Imaginäre Opern“ befinden sich darunter, ebenso wie Glossen, Miniaturen, Karikaturen (Khyrsh war ein begabter Zeichner), und hunderte von Tonbändern mit selbstgeschriebenen Hörspielen, deren Auswertung nach wie vor andauert.

Doch selbst aus diesem Konvolut sticht die „Kathartische Hitlerbeschimpfung“ noch einmal besonders hervor, handelt es sich doch um ein gewagtes literarisches Experiment, das den „Gesängen des Maldoror“ in keiner Weise nachsteht. Auf den 76 engbeschriebenen Seiten kennt Khyrsh nur ein einziges Thema: Hitler auf alle menschenerdenklichen Weisen zu beschimpfen und zu verhöhnen. Nun mag man meinen, dass eine Figur wie Hitler – deren große Abscheulichkeit mehr oder weniger Konsens ist- ein einfaches Ziel für Beschimpfungen sein könnte. Doch Khyrshs Text besticht in seinem einfachen und klaren Ansatz durch eine entscheidende Idee: Wenn das so einfach ist, warum hat es noch nie jemand getan?

Kritische historische Literatur über Hitler und seine Gräueltaten gibt es nämlich zuhauf. Aber wer hat je das direkt ausgesprochen, was man sich manchmal denkt, wenn es um den Verbrecher Hitler geht? Wer hat je die rohen Emotionen so genial in Worte gefasst, die sowohl Zeitgenossen wie auch Nachfahren dem Diktator gegenüber empfunden haben mussten, so wie zum Beispiel der amerikanische Soldat, der in den Tunneln unter dem von den Amerikanern eroberten „Führerbau“ in München folgendes lapidares Graffiti hinterließ: „Fuck Hitler“? Ist das nicht wesentlich befreiender, als jede wohlfeile Analyse darüber, wie die Nazis einst an die Macht gekommen sind?

In welchem Geschichtsbuch findet man befreiende Sätze wie: „Hitler, Du erbärmliche braune Kackwurst. Scheiß Dich weg mit Deinem verranzten Kampf, Krampf, wie auch immer, sei vollgepisst von der Geschichte, Du verfickter Lutscher. Hitler, Shitler, es ist einerlei, keine Beschimpfung und keine Verhöhnung kann dich je veredeln, denn einem jämmerlichen Wurm gleichst du, der sich durch vollgewichste Äcker windet auf der Suche nach einem Stück Kot. Würde man Dir auf den Kopf scheißen, dann wäre selbst der flüssigste Durchfall wie Champagner im Vergleich zu Deiner gesamten Existenz. Ein Furz hätte mehr Gehalt, ein Rülpser mehr Intelligenz als alles, was Du in Deinem gesamten jämmerlichen Leben getan, gedacht oder gewirkt hast. Hitler Du schamloser Treppenwitz der Geschichte, Du Winzling, Du impotenter Hanswurst, dem eine Ziege den halben Schwanz abgekaut hat, Du Urinpritsche, Du mit Gonorrhöe befallener Zappelgnom…“ (Seite 17, 3. Absatz)

Was auf den ersten Blick vulgär wirkt, hat literarische Absicht.  Nicht nur erweist sich Khyrsh als Kenner eines ganzen Lexikons von deutschen Schimpfworten und zynischem Sprachwitz, er baut seine Tirade in dramaturgisch genau geplanten Wellen auf, die einem strengen und fast musikalischen System folgen.

Heißt es am Anfang des Textes noch fast zurückhaltend: „Wer bist du eigentlich, Hitler? Sollte man dich irgendwie kennen, außer als Warnung für die Nachwelt? Wäre es nicht besser man vergäße dich, löschte dich aus allen Geschichtsbüchern? Wäre es nicht besser, dich grundsätzlich zu verneinen, dem Vergessen zu übergeben, damit auch nicht die Spur einer posthumen Heldenverehrung jemals auch nur aufzukommen sich wagen würde?“ (Seite 1, 2. Absatz), so geht es nur wenige Seiten später schon sichtlich derber zu:  „Ach Hitler, ich kotze auf dein verkacktes Grab, dass gottseidank unbekannt ist. Zwei russische Soldaten (denen ewiger Ruhm gebührt) räumten deine halb verkohlten Überreste weg und pissten darauf, ich würde es gerne auch tun, wenn es nicht eine Veredelung deines Kadavers wäre. Nein, ich kotze, kotze, kotze auf deine elendigen bleichen Gebeine, dann locke ich einen Elefanten aus dem Berliner Zoo und lasse ihn sein Geschäft auf Deinem Schädel verrichten, bis jede kleine Öffnung mit Scheiße gefüllt ist. Dann hole ich die wenigen Straßenkinder, die deinen Arschlochkrieg überlebt haben, und lasse sie mit deinem erstaunlich kleinen und lächerlichen Schädel Fußball spielen, lasse sie ihn so lange gegen eine Häuserwand kicken, bis sich absolut alles an ihm in Staub aufgelöst hat. Dann warte ich auf den Regen und schaue, wie deine letzten Überreste in den Gully gespült werden, wo die Ratten und Kakerlaken, die dir in jeder Beziehung überlegen sind, darin waten beziehungsweise krabbeln werden…“ (Seite 5, 1. Absatz).

Jede dieser „Beschimpfungswellen“ steigert sich zu einem Höhepunkt, verebbt dann wieder, nur um dann in einer neuen Steigerung sich selbst zu übertreffen. Jede „Welle“ ist einem bestimmten Aspekt Hitlers gewidmet. So widmen sich allein drei Seiten Hitlers „Fliegenschissschnurrbart“, zwei Seiten Hitlers Händen („…wie zwei kleine Klodeckel, von denen unansehnliche Kackreste hängen“) und ganze 8 Seiten Hitlers Hintern („Du warst ein so gewaltiges Arschloch, dass selbst dein Arsch ein Arsch war„).

Zwischendrin gibt es immer Abschweifungen und Arabesken. So sind immer wieder mehrere Zeilen Hitlers willfährigen Schergen gewidmet, an denen Khyrsh kein gutes Haar lässt („Göring, du gallertartiger Güllepapst, du ungünstig mutierte Wildsau…“; „Goebbels, vergas dich doch selbst, du hanebüchener Handlanger des Bösen, dreimal sei auf dich geschissen…“; „Meine Güte, Göth, wie armselig du doch warst, was für ein pathetischer Versager, was für ein billiger Hanswurst…“). Doch nie verliert Khyrsh sein Hauptziel aus den Augen: Hitler.

Hierbei erweisen sich einige, eher kryptische Zeilen als geradezu prophetisch, was die Gegenwart angeht. Es ist zum Beispiel unmöglich, die Zeilen  „PUT IN, PUT IN, PUT IT IN, PUT IT INTO YOUR ASS, Fucking Hitler, let’s put the thorniest dildo we can find up your tight little ass AND TWIST IT“ (Seite 50, 4. Absatz) nicht ohne Russlandbezug zu lesen. Dies ist übrigens eine der vielen Passagen, in denen Khyrsh ohne Übergang ins Englische übergeht, vermutlich, um die Abnutzung bestimmter Schimpfwörter zu umgehen.

An anderer Stelle heißt es (seite 67, 1. Absatz) in einem fast Joyce oder Burroughs gleichen Moment: „I pump, I TRUMP up the volume next to your ear. I want to burst your eardrums with a fart. You are nothing but a fucking twat, it still smells funny where your mother just sat! TRUMPAHOONEY YAHOE, where will I find Adam’s little pickles? Nothing to see here“ (Seite 70, 2. Absatz)

Im Verlaufe des Textes werden Khyrshs Beleidigungsschleifen immer labyrinthischer und rätselhafter. Nicht weniger als die komplette Auslöschung und Vernichtung des Namens Hitler hat Khyrsh im Sinn. Hitler soll aus der Geschichte gelöscht und überschrieben werden, auf ewig soll sein Name „stinken wie eine abgehangene Unterhose eines 80jährigen Bettnässers“, damit ja niemand auf die Idee kommt, ihn zu verherrlichen oder zu glorifizieren. Denn „verflucht seist du, du madiger Molch, verflucht seist du auf alle Zeiten, alle Generationen, alle Epochen, die vergangenen, die gegenwärtigen, die zukünftigen, verflucht auf alle Zeiten seist du, brenn in der Hölle, du Hackfresse, du Michelinmännchen aus benutzten und weggeworfenen Kondomen, dein Schicksal sei das totale Vergessen, sei der Fluß Lethe, sei eine Jauchegrube eines Bauernhofs mit 500-jährigem Inzest…“ (Seite 75, 2. Absatz).

Dieser vielleicht längste Fluch der Literaturgeschichte (er erstreckt sich über allein drei Seiten, ohne einen einzigen Punkt) beendet dann auch den vielleicht radikalsten Text Khyrshs.

Ein Text, der uns schaudern lässt. Warum? Weil es heute, in diesen zunehmend verdummten Zeiten, in denen ganze Generationen nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, die Konsequenzen ihres Wahlverhaltens zu Ende zu denken, nicht ganz undenkbar wäre, dass irgendjemand durch diesen Text…

…beleidigt sein könnte.

Diese Herausforderung hat uns Khyrsh heute, 2024, mit seinem Text als Provokation hinterlassen. Es ist vielleicht seine größte. Umso wichtiger ist es, dass sein radikaler, und beunruhigender Text mehr Menschen erreicht, als es bisher geschehen ist.

Eine Buchveröffentlichung ist in Vorbereitung (Erscheinungsdatum 2025). Der Bad Blog wird darüber berichten.

 

Moritz Eggert, Präsident der Athanasio-Khyrsh-Gesellschaft

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