Die Wüste klebt
Ein paar Körnchen, die im Schuh gedrückt haben müssen, sind nach eineinhalb Stunden alles, was für Beat Furrers „Wüstenbuch“ im Basler Musical Theater an Sand verschüttet wird. Alles, was Wüste an Ödnis, Einsamkeit oder Weite zu bieten hätte, ist vom Bühnenbildner Duri Bischoff zu drei Hotelzimmern und einem darunter liegenden Keller vermarthalert worden. Einer dieser typischen Unorte in denen graue Gestalten mit Kassengestellen im Warteraum zum Glück vergessen worden sind.
Dennoch gibt es sie hier – die Momente, in denen Hoffnungslosigkeit zur Daseinsfreude wird: Eine Frau allein im Hotelzimmer. Sie öffnet ihren Koffer, legt ein Kleid an, legt es wieder ab, schließt den Koffer und verkriecht sich mit ihm unter der Decke. Mehr geschieht nicht, während sie in großen Intervallsprüngen von, ja, es muss Einsamkeit sein, singt. Jeder Ton wird von den Instrumentalisten des Klangforums Wien unisono eingefärbt und es ist eine verblüffende, starke Umsetzung einer alten Idee: Klangfarbenmelodie, Stimme und Instrument verschmelzen vollkommen. Dazu tanzt ein Stockwerk tiefer eine Frau im Blümchenkleid mit dem Feuerlöscher ein pas de deux. Kurze Zeit später wiegt sie das unhandliche Gerät wie ein Kind im Arm. Wie kann man existenzielle Verzweiflung schöner ausdrücken.
Von solchen Marthaler-Momenten lebt dieser Theaterabend, den Beat Furrer nach Texten von Händl Klaus, einem ägyptischen Papyrus, Ingeborg Bachmann und anderen konzipiert hat. Ingeborg Bachmanns Reise nach Ägypten (nach der Trennung von Max Frisch) sollte der Handlung auch das äußere Gerüst schenken – davon war nichts mehr zu spüren, denn es gibt im „Wüstenbuch“ nichts, das sich auf etwas zu oder von etwas wegbewegt. In den stärksten Momenten verglühen die Protagonisten, versinken wie in schmelzendem Asphalt. Ankommen ist das nicht. Unterwegs sein auch nicht. Eher ein Verdursten in der Wüste des Ich.
Der Abend lebt auch von den grandios intonationssicheren Sängern – den Solistes XXI (Rachid Safirs Truppe, die sich nun endlich nicht mehr „jeunes solistes“ nennt) allen voran Hélène Fauchère und Tora Augestad. In manchen Momenten fühlt man sich an die Sopran-Kultur eines Luigi Nono erinnert. Und auch in anderer Hinsicht schaut der Venezianer um die Ecke: wie dessen „Al gran sole carico d’amore“ ist auch Furrers „Wüstenbuch“ ein Pasticcio aus unterschiedlichen seiner Werke – die Wüste riecht nach Leim, sie ist geklebt.
Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch erstaunen die zahlreichen Anleihen bei Sciarrino, die hier noch stärker als in früheren Furrer-Werken zum Tragen kommen. Belcanto-Kultur importiert man offenbar immer noch am besten aus Italien.
Die besten Interpreten für diese Musik kommen aber natürlich nach wie vor aus Wien: Furrers Klangforum lässt das Wüstenbuch zittern und beben, wie sengende Sonne brennen und wie bittere Kälte bibbern. Dass die Kollegen bei Uli Fusseneggers furiosem Kontrabasssolo die Köpfe auf die Seite legen und wegnicken ist selbstverständlich inszeniert. Und das ist ja das Tröstliche an so einem Abend. Verzweiflung ist auch nur ein Gefühl wie Sand im Schuh. Man kann sie ausleeren.
Kommende Woche im Rahmen der MärzMusik in Berlin zu sehen.
Musikjournalist, Dramaturg
Am Montag fand ich ein Interview zu „Wüstenbuch“ mit Furrer in der NZZ.
Zum Thema Anleihen des Gesangstils: in meinem Kommentarzu Furrers und Eggerts neuen Professuren in München versuchte ich eine Einordnung Furrers, die bei Schönberg/Nono zu Lachenmann verläuft. Nono ist selbst ist immer auf der Suche nach einer neuen Art von Belcanto gewesen, z.T. über die menschliche Stimme hinaus, wie in seinem Spätwerk im Einsatz der unglaublichen Liveelektronik aus Freiburg. Sciarrino, ungefähr die gleiche Generation wie Lachenmann scheint unabhängig von diesem, aber durchaus in ähnlichem Klangbild, die menschliche Stimme in eine Synthese zwischen Nono(/Lachenmann) und Scelsi zu führen, wobei man Cathy Berberian und Berio nicht vergessen sollte, die ja selbst ex negativo Einflüsse auf Sciarrino ausgeübt haben könnten.
Der Weg führt eben immer wieder über Italien. Heute begegnet man dort immer noch Schulklassen oder Ragazzi in Zügen, an Stränden, auf Plätzen, die fleissig vor sich hinträllern, auch wenn es meist Italopop zu sein scheint. In Deutschland trällern die jüngsten Volksschüler noch, sonst herrscht aber das Schweigen der iPod-Ohrenstöpsel.
Da macht das Theater des Raunen, was ich Furrer zuschreibe, durchaus Sinn: leiser sprechen und singen, wie es seine Figuren machen, zwingt wieder zum Hinhören. Also Ohrenstöpsel raus und mitgeraunt!
A.S.
auch peter hagmann hat sciarrino-echos vernommen:
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/buehne/reise_an_die_grenzen_des_klangs_1.5233056.html