„Waschzwang im System“ – Gastbeitrag von Tobias Rempe
Tobias Rempe ist Mitbegründer und aktueller Geschäftsführer des vielseitigen und erfolgreichen Hamburger „Ensemble Resonanz“, und damit direkt mit einem Thema befasst, mit denen sich auch dieser Blog oft beschäftigt: Friktionen an der Schnittstelle Publikum/Kunst.
Der folgende Beitrag wurde ursprünglich für „Positionen 102“ verfasst.
Tobias Rempe –
Waschzwang im System
Besonders klar und schön sagte es Brigitta Muntendorf in Ihrer Dankesrede bei der letztjährigen Siemens-Preis-Verleihung: »Der Finger muss auch dorthin gelegt werden, wo die Neue Musik nicht ist: IN der Gesellschaft.«
Die Erkenntnis, dass die neue Musik die Welt verloren haben könnte, setzt sich langsam durch, die Debatte labelt erste Reaktionen: Diesseitigkeit, Konzeptualismus, gehaltsästhetische Wende… und versucht, diese in die Luh- und Lehmannsche Geschichtsschreibung einzuordnen. Derzufolge man möglicherweise nun tatsächlich an der Bruchstelle einer Überwindung der Postmoderne angekommen sein könnte, vielleicht gar an einem Scheideweg stünde. Neben einer nun positiv diskutierten Orientierung an Begriffen wie Gehalt, Konzept, Qualität und Reflexion gibt es auch Begriffe, die die Debatte im Negativen, als Warnung bestimmen, und einer hat sich so erfolgreich reproduziert und manifestiert, dass er nun einem Positionenheft das Thema vorgibt: der Populismus.
Die Polarität von Subversivität und Populismus, die dabei gesetzt wird, offenbart nur noch mehr die Dringlichkeit, mit der offensichtlich in Zeiten erodierender Kriterien zur Kunstbewertung nach Geländern und Wegweisern im Dschungel der Möglichkeiten und Behauptungen gesucht wird. So debattiert eine Kunst, die den Kontakt zur Gesellschaft recht gründlich verloren hat und deren Bemühen um neuen Weltbezug zuweilen rührend tapsig wirkt, zuweilen aber auch fehlgehende Vorstellungen von der derzeitigen eigenen Relevanz offenbart.
Der Begriff des Populismus wirkt in dieser Debatte sehr seltsam. Vermutlich schon deshalb, weil „Populismus“ zumeist ein Kampfbegriff ist, geeignet, um „billige“ Erfolge eines Gegners zu diffamieren sowie die eigene Position von der des Geschmähten zu differenzieren und ins rechte Licht zu rücken. Insofern wird damit nicht nur der Adressat, sondern immer auch der Absender qualifiziert.
Aber auch wenn man den Begriff als Kategorisierung ernst nimmt und sich auf die Suche begibt, was er in der Welt der neuen Musik beschreiben könnte, bleibt es schwierig. Orientierung an einem Massengeschmack, einfache Wahrheiten, Verführung gar? Mit jubelndem Publikum, das Karten und CDs kauft oder downloaded und so weiter? Schwer vorstellbar. Oder würde er mehr innerhalb des Business gemeint sein, und das Produzieren des Erwarteten beschreiben, das im institutionalisierten System zuverlässig die nächsten Karriereschritte bringt? So etwas gäbe es immerhin, ist aber wohl kaum eine neue Entwicklung, sondern eher ein Schwank aus der alten Geschichte vom erstarrten System, dessen Wandel doch gerade nachgespürt werden soll. Außerdem: Ein solcher Populismus in der neuen Musik wäre dann gar einer, der zuweilen in der Pose der Publikumsverachtung daherkommen könnte, was den Begriff erst recht ad absurdum führte.
Also fantasieren wir uns doch noch einmal, um dem Populismus näher zu kommen, um den es hier gehen könnte, auf eine wirklich große Bühne für die neue Musik,
inklusive massenhaft begeistertem Publikum. Quasi neue Musik als Pop: unterhaltsam, verführend, vergnügt, erotisch…oder auch flach, berechnend, billig und rückständig…vielleicht sogar innovativ, subversiv, kritisch und witzig…oder eben irgendeine mögliche Mischung aus allem. Wie wäre das? Es bleibt natürlich jedem überlassen, ob er sich etwas wirklich Interessantes darunter vorstellen kann, ob er sich das überhaupt vorstellen kann, aber: wäre das gefährlich? Wäre das „unverträglich“ für welche andere denkbare koexistierende Musik auch immer?
Die Warnung vor Populismus wirkt eigenartig in einer Kunst, die sich von einer echten Öffentlichkeit so systematisch fernhält. Nicht nur, indem sie selbst das Weltliche scheut, es ist ihr schon eingebrannt durch die paradoxe Aufteilung des hochkulturellen Musikbetriebes in alt und neu, in eine so genannte klassische Musik und eine so genannte neue seit über 100 Jahren, mit größtenteils eigenen TeilÖffentlichkeiten, Künstlern, Finanzierungs- und Vertriebswegen. Hier liegen Wurzeln der Krankheiten beider Musikwelten, die bemerkenswerterweise auf beiden Seiten ähnliche Symptome, nämlich die einer Marginalisierung in der Gesellschaft hervorbringen.
Dennoch fürchtet ausgerechnet die neue Musik den Populismus und dieser Reflex gruppiert sich ein in die anderen überholten Waschzwänge des Systems: die immer wiederkehrenden Selbstbefragungen nach der Ernsthaftigkeit, der Neuheit, der Reinheit, der Widerständigkeit, der Subversivität, der kritischen Haltung. Und wenn auch in der Postmoderne noch so viele normative Sicherheiten über Bord gegangen sein mögen, diese Kategorien sind geblieben und grenzen weiter ab, was geht und was nicht. Sie lähmen aber auch den Verstand, und verstopfen die Sinne. Sie engen ein und verhindern Öffnung, Zugänglichkeit, Teilhabe und auch die Aneignung neuer Instrumente für das Ordnen, Bewerten und Streiten. Denn wenn künftig gerade in den Zwischenräumen und Begegnungen, in der Auseinandersetzung und im Wandel zwischen den Kategorien die wirklich neuen Möglichkeiten erblühen – dann ist es dringend an der Zeit, das sezessive Denken in Alt-Neu, Ernst-Unterhaltsam, Subversiv- Populistisch aufzugeben. „Wirf weg, damit Du gewinnst“.
Hat schon Adorno gesagt.
Komponist
Diese endlosen Plapperdebatten um irgendwelche selbst erfundenen oder wieder aufgewärmten Begrifflichkeiten sind nur noch umweltschädlich angesichts der Menge an Papier und an Bäumen, die dafür gefällt werden müssen. Warum schreiben die Herren Komponisten nicht einfach die Musik, die das von ihnen herbeigesehnte Publikum hören will? Mit Gerede erreichen sie keinen einzigen neuen Zuhörer. Aber vielleicht ist dies ja gerade der heimliche Zweck: No music, no future, no fun, nur mein Ego, das klug daherredet. Irgendwie sieht das alles nach Kulturmasochismus aus.
.
„Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten? …
Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen.“ (Fr. Nietzsche)
Stimme einerseits Max Nyffeler zu. Immer wieder dieselben Diagnosen und immer wieder diese seichten verheissungsvollen Ausblicke am Ende wie in einer schlechten Sonntagspredigt.
Doch bin ich gleichzeitig pessimistischer. Was zerbrochen ist, lässt sich nicht wieder kitten. Zumal das zentrale Paradigma der Neuen Musik, die Subversion, in einer immer liberaleren Welt systemisch mehr und mehr redundant wird.
Die Neue Musik wird noch eine Weile in ihrer subversiven Nische dümpeln bis die Geldhähne endgültig abgedreht werden.
Hmmm, habt ihr den Text überhaupt gelesen? Hier schreibt kein Komponist sondern ein Veranstalter, und es geht überhaupt nicht um das Herbeisehnen eines Publikums oder um die „Herren Komponisten“ (warum dürfen da keine Frauen dabei sein?)….
Zumindest ist der Text oben gut verständlich und es wird klar, was der Autor will. Dies ist oft in der Kommunikation nicht der Fall.
Die immer wiederkehrende Xerokopie dieser Kontexte oder Quisquilien führt wohl zwangsläufig zu einer Prohibition in der Definition postmodern-neoliberaler Gesellschaftsformen. Oder rühren diese konzeptualistischen Strukturen gar tendenziell alert an das letzte Tabu, quasi das Urphänomen – rein soziokulturell betrachtet – der subversiven Wahrnehmbarkeit musikalischer Parameter? Die Neue Musik/Der Neue Musik muss sich diesem Diskurs stellen:
http://www.klangzeitort.de/index.php?page=neuemusikimdiskurs.html&id=1
Mein Kommentar bezieht sich nicht auf das Posting (bin damit im g. G. einverstanden), sondern auf die Herren Komponisten. Frauen machen bei diesem Gerede zum Glück kaum mit. ( und wenn B. Muntendorf mal einen Satz gesagt hat, wird der 100x zitiert.)
Verstehe die ersten Kommentare ehrlich gesagt nicht. Sind das Entgegnungen? Auf was?
@ Tobias Rempe
Wie gesagt: Es ist keine Entgegnung, sondern ein Kommentar, und er bezieht sich via Ihr Posting auf die Komponisten.
Mein Kommentar bezieht sich auf die Herren und Damen Musiktheoretiker/INNEN im Allgemeinen.
Ich versuche mich hier ein wenig klarer auszudrücken:
In der postmythologisierten Dekonstruktion musikalischer Sinnzusammenhänge, werden Parameter – besser Klangflächenstrukturen – gleichsam entmorphologisiert. Dies bewirkt einerseits, vulgärsprachlich ausgedrückt, eine Sinnentleerung in der Kohärenz im Sinne der Ontologie; kann andererseits aber auch zu einer bewussten, radikal – subversiven Verweigerung des Komponisten gegenüber allen Hörerwartungen führen. Dass der Hörer in der Erwartung einer Verweigerung aller Hörgewohnheiten eine entsprechende Musik dann doch wieder mit Hörerwartungen hört, ist hier bedauerlich, rein ognativ betrachtet aber verständlich.
Die Neue Musik/Der Neue Musik/Das Neue Musik eröffnet konstruktiv dieses Spannungsfeld.
Alles klar?
Das Wort „ognativ“ müssen Sie erklären, Herr Klotz. Vielleicht gibt es ja außer mir noch andere, die sich darunter nichts vorzustellen wissen …
Der Begriff „ognativ“ definiert eine Metapher für die soziokulturell bedingte respektive geprägte Aufnahmefähigkeit oder Deutung juxtentativer Zentrifugationen eines fluktuierenden musikalischen Materials. Ich habe mich hier des trivial – sprachlichen Begriffs „ognativ“ bedient, um auch von Leuten, die nicht vom Fach sind, verstanden zu werden. Rein empirisch – aposteriorisch gesehen hat er natürlich Unschärfen.
Pardon, aber von welchem Fach muss man sein, um das zu verstehen?
Ich fürchte, allzuviel gibt es da nicht zu verstehen. Ein nettes, aber peripheres Spielchen, das der Kollege Klotz hier treibt – leider ziemlich off-topic, hier in den Kommentaren zu einem Artikel, der eigentlich konkreteres Feedback verdient hätte.
Stimmt schon, eine dumme Satire auf einige unserer Musiktheoretiker und Leute, die glauben ihr „Geschreibsel“ über Musik sei wichtiger als die Musik und die Partituren unserer großen Komponisten selbst. In meiner Jugend – den 70er und frühen 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts – war es in Neue Musik Kreisen üblich so zu schreiben oder zu reden. Hätte man etwa zu einer neuen Komposition gesagt „die Gesangstimme wird von einem Tremolo der Streicher untermalt“, so wäre dies viel zu banal gewesen. „Das integrative Melos der Stimme dominiert hier die zentrierten Klangstrukturen der Streicher“ klingt doch viel moderner – auch wenn es nur ein dummes Tremolo mit Tritonus ist. Und nun warte ich auf die seriösen Kommentare zum Text oben, die er tatsächlich auch verdient hätte…