Kommentar zur Eröffnung der Donaueschinger Musiktage mit dem neuen SWR-Chefdirigenten

Heute beginnen die Donaueschinger Musiktage mit ihrem Vorprogramm. Unter der Leitung von Lydia Rilling hat das Festival in den vergangenen zwei Jahren eine feministische Perspektive aufgenommen, die weithin wahrgenommen und positiv kommentiert wurde. Das Eröffnungskonzert des Hauptprogramms am Freitagabend wird vom neuen SWR-Chefdirigenten François-Xavier Roth geleitet.

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Roth war 2024 Gegenstand medialer Berichterstattung in Frankreich und Deutschland, nachdem ihm vorgeworfen wurde, unaufgefordert private, intime Fotos an Mitglieder seiner Ensembles – insbesondere bei Les Siècles – versandt zu haben. Laut Presseberichten räumte er ein Fehlverhalten ein und entschuldigte sich öffentlich. Im Zusammenhang mit seiner damaligen Tätigkeit beim Gürzenich-Orchester Köln kam es zu internen Untersuchungen und anschließend zu einer einvernehmlichen Vertragsauflösung. Medienberichten zufolge erfolgte diese unter Zahlung einer Abfindung in Höhe von rund 200.000 Euro. Strafrechtliche Ermittlungen führten zu keinem Verfahren. Teile des Orchesters äußerten dennoch Unverständnis über die Vorgänge und über die Tatsache, dass Roth beim SWR in leitender Position fortsetzt.

Zum Vergleich: Auch der Dirigent Daniele Gatti sah sich in der Vergangenheit ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt, was zu einer Vertragsbeendigung mit dem Concertgebouw-Orchester führte. Nach einer Pause seiner Tätigkeit in Mitteleuropa übernahm er später erneut leitende Positionen, unter anderem in Rom und bald in Dresden.

Der SWR erklärte, man habe nach eingehender Prüfung entschieden, an Roth festzuhalten. Man habe interne Beschwerdeverfahren etabliert, um bei möglichen Vorfällen dieser Art umgehend reagieren zu können, und bislang keine neuen internen Hinweise auf problematisches Verhalten erhalten. Im September 2025 tauchten erneut Anschuldigungen auf, die jedoch später zurückgezogen wurden. Nach Angaben des SWR geschah dies nicht auf dessen Veranlassung.

Diese Entwicklungen sorgten innerhalb der Szene der Neuen Musik, insbesondere unter jüngeren Komponistinnen, für Diskussionen. Manche sehen darin einen Widerspruch zum feministischen Anspruch, den das Festival in den letzten Jahren bewusst gepflegt hat. Zwar geht man das Thema offen an – unter anderem mit Panels zu Fragen von Machtmissbrauch –, doch bleibt der Eindruck, dass die Aufarbeitung noch nicht vollständig transparent erscheint.

Gerade Stimmen von Betroffenen, die aus rechtlichen oder finanziellen Gründen oder aufgrund eingestellter interner Verfahren nicht öffentlich sprechen können, bleiben bislang ungehört. Dabei wäre ihre Perspektive entscheidend, um die nach wie vor hohe Dunkelziffer bei sexualisierten Grenzverletzungen im Musikbetrieb sichtbar zu machen – trotz gesellschaftlicher Fortschritte durch #MeToo und betriebliche Schutzmechanismen.

Dass Roth bereits vor der Fusion der SWR-Orchester in Freiburg tätig war, dürfte seine jetzige Berufung erleichtert haben. Nach der Bild-Affäre jedoch stellt sich die Frage, ob persönliche Loyalitäten und Netzwerke innerhalb des Senders bei der Entscheidung, ihn in leitender Position zu belassen, eine Rolle spielten. Solche Näheverhältnisse können, so der Eindruck, die Glaubwürdigkeit von Transparenz- und Gleichstellungsbemühungen schwächen.

Vor diesem Hintergrund wäre eine Position Roths als Gastdirigent möglicherweise ein angemessenerer Weg gewesen – ein Kompromiss zwischen künstlerischem Anspruch und dem sensiblen Klima, das die Donaueschinger Musiktage in ihrer feministischen Neuausrichtung prägt.

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