»Da bin ich kein Experte!« Wir lassen uns unsere Kultur von Leuten wegnehmen, die von Kultur keine Ahnung haben
Jetzt wundern sich wieder alle! Nach den dramatischen Kultur-Kürzungen in Berlin werden – natürlich auch gerne mal vereinzelt, ohne sich wirklich wirkungsmächtig zu versammeln – Petitionen gestartet und auf Social Media wird gemeckert. Und, das darf natürlich nicht fehlen, es werden alle möglichen Horror-Szenarien an diverse Wände gekleistert (bei Kultur und dem Thema »Kürzungen« freilich immer auch gerne mit Abbildungen von Gräbern, Bestattungsinstituten und Traueranzeigen, logisch).
Aber auch ihr lasst es zu, dass große Kulturinstitutionen (oder sogar Kultursenate) von Leuten angeführt werden, die teilweise noch nicht einmal aus der (inhaltlich, nicht regional!) Kultur kommen, um die es geht. Vor allem lässt natürlich die Politik diese Personen an diese Leitungsstellen kommen, klar. Aber dann habt ihr euch zu spät drum gekümmert (oder halt gar nicht).
Drei Beispiele für Leute, die eigentlich nichts zu bestimmen haben sollten (jedenfalls in Kulturinstitutionen):
1.) Joe Chialo, seit April 2024 Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt im Berliner Senat. Bestimmt über die Millionen-Töpfe der reichhaltigen (freilich längst nicht immer »führenden«) Berliner Kulturszene, die aus dem Pool der Gleichzeitigkeit von Freier Szene und großen Traditionsinstitutionen schöpft. Sieben staatliche Theater, drei Opernhäuser, eine Philharmonie, ein Konzerthaus: Ja, das sind natürlich die Protagonisten. Und ich finde, man sollte als jemand, der über die Gelder für derlei Institutionen entscheidet, Ahnung von solchen Institutionen haben, sollte aus dieser Szene kommen, sollte dafür Leidenschaft empfinden. Aber vor allem sollte es um Kompetenz gehen! Joe Chialo hat für Rock-Labels gearbeitet und gehörte der deutschen ESC-Jury 2019 an (Deutschland wurde übrigens 2019 Vorletzter!). Joe Chialo ist kein Kulturmensch, es fehlt ihm an Kompetenz und Leidenschaft. Joe Chialo weiß nicht, ob er in der Schaubühne am Lehniner Platz ist oder ob es sich doch um das Deutsche Theater Berlin handelt. Und er weiß auch nicht, was der Unterschied zwischen beiden ist.
2.) Sebastian Nordmann, seit 2009 Intendant des Konzerthauses Berlin. Nordmann kommt aus einer schlagenden Studentenverbindung in Heidelberg, in der sich vor allem deutsche, adelige Männer tummeln, hat (wahrscheinlich durch entsprechende Kontakte) bei turbokapitalistischen Unternehmungsberatungen und Labels gearbeitet und wurde dann ziemlich überraschend Intendant eines großen Hauses (auch aufgrund adeliger Kontakte in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern). Jetzt geht er zum Lucerne Festival. (Ich zitiere einen bedeutenden Deutschlandfunk-Kritiker: »Vielleicht hätte man erst einmal in Berlin anrufen sollen bevor man ihn einstellt.«) Und man fragt sich: mit welchem Recht, mit welcher Begründung eigentlich? Ich weiß noch genau, wie abstoßend ich es fand, wie Nordmann sich mit dem damaligen Kultursenator André Schmitz 2011 bei der Pressekonferenz, auf der verkündet wurde, dass Iván Fischer Chefdirigent des Konzerthausorchesters Berlin wird, plötzlich duzte (nachdem Nordmann mit allen anderen im Haus per Sie war). Schmitz selbst schien das unangenehm zu finden. Und äußerst verwundert war ich auch, nachdem mich Sebastian Nordmann vor ein paar Jahren auf eine Inszenierung der »Zauberflöte« ansprach – wie ich es finden würde, dass Regisseur XY die Rezitative (!) als Sprechtexte ausführen lassen würde. (Wo doch das Stück ein Singspiel ist, in dem naturgemäß gesprochen wird!) Eine sehr unangenehme Situation, weil mir noch einmal bewusst wurde: Dieser Mann hat überhaupt keine Ahnung von Klassik, von Oper, von Musik. Von Leidenschaft und Herz … da schweige ich besser (sonst dürfte es juristisch heikel werden).
3.) In einem vorgestern erschienenen Interview im »VAN Magazin« wird der Leiter der Redaktion Musik und Theater des ZDFs (Tobias Feilen) interviewt. Nun, das Interview spricht irgendwie für sich … Unter anderem fragt der Interviewer Feilen, warum nicht die Verleihung des Preises der deutschen Schallplattenkritik (statt des Opus Klassik) im ZDF übertragen wird. Feilen antwortet: »Der Verein [hinter Opus Klassik] hat, anders als seinerzeit der Bundesverband der Musikindustrie, kein so stark ausgeprägtes industrielles Ziel. Ich habe den Eindruck, dass die weniger darauf aus sind, konkrete Künstlerinnen und Künstler ins Schaufenster zu stellen oder zu promoten – natürlich tun sie das auch, das ist keine Frage – sondern eher, das Genre Klassik insgesamt mehr ins Bewusstsein zu bringen. Aber ich bin da kein Experte, von daher legen Sie meine Worte nicht auf die Goldwaage, das ist auch nicht mein Job. Das ist Job der Labels.«
Wie lange lassen wir uns das gefallen – beziehungsweise: Wann schalten wir Künstlerinnen und Künstler uns endlich frühzeitig in die Politik, in politische Vorgänge ein, damit derlei politische Entscheidungen, die letztlich Glättung, Abschaffung und Kommerzialisierung (siehe eben Chialo, Nordmann und Feilen) bedeuten, nicht mehr möglich sind?
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.
Guter Artikel, richtige Meinung; ich jedenfalls teile sie rundum. Das Interview, auf das verwiesen wird, ist wirklich schockierend. Dass sich Künstlerinnen jemals vereint gegen solche Machtstrukturen auflehnt, halte ich für einen frommen Wunsch. Die Partikularinteressen bzw. die Hoffnung darauf, so illusorisch sie auch ist, selbst einmal Nutznießer dieser Zustände sein zu können, lähmt jeden aufmüpfigen Geist. Es sind immer wieder Einzelkämpferinnen, die aufbegehren, und die schnell isoliert und damit kaltgestellt sind. Und so wird die Verarmung (geistige) munter voranschreiten, die mit exkludierenden Kriterien das von einer imaginären Mehrheit angeblich Gewollte präferiert. Im Saarland kann der Endpunkt einer solchen Entwicklung bereits studiert werden.