Klug kürzen
Klug kürzen
Gerade eben schrieb ich einen Brief zur Rettung des ACHT BRÜCKEN – Festivals, dessen weitere Existenz durch massive Kürzungen im Kölner Kulturhaushalt bedroht ist. So wichtig uns allen ACHT BRÜCKEN sein sollte, sie sind beileibe nicht die einzigen, denen Kürzungen drohen. In Berlin stehen über 10% Kürzungen an, die Künstlerinnen und Künstler protestierten auf der Straße. Auch in anderen Bundesländern geschieht ähnliches.
Was ich zu ACHT BRÜCKEN geschrieben habe, trifft auch auf andere zu, die in ähnlicher Situation sind. Es ist ein Appell dafür, KLUG zu kürzen, wenn man schon kürzen muss. Dass, was lange gewachsen und schnell gestrichen wird, wächst nicht genauso schnell wieder nach. Wir müssen diese Zeiten möglichst intakt überstehen, damit dem Kulturleben in Deutschland kein bleibender Schaden entsteht.
Daher veröffentliche ich diesen Brief auch hier, und lasse offen, für wen er ist. Empfängerinnen und Empfänger wird es bald zuhauf geben.
Briefkopf des DKV
Sehr geehrte Frau/ geehrter Herr XXXXXXXXXXXXXXX
XXXXXXX ist eine/s der renommiertesten Musikfestivals/Institutionen/Konzertreihe/ Deutschlands. Es ist in XXX hervorragend mit wichtigen Partnern wie dem XXXXX, der XXXXX, dem XXXXX und vielen weiteren Institutionen vernetzt und von großer Bedeutung für die städtische Kultur. Gleichzeitig wird XXXX aber auch überregional als bedeutendes Kulturereignis wahrgenommen, bringt zahlende Gäste in die Stadt und trägt zum Renommee XXXX als bedeutende Musikmetropole bei. All das mit einer schnellen Kürzung mitten in einer schon bestehenden Planung bis XXXXX wegzuwischen, wäre nicht für die Stadt XXXX eine katastrophale Maßnahme, sondern kurzsichtig und leichtsinnig.
Wir leben in einer Zeit großer Herausforderungen. Wie zu erwarten war, sind im Haushalt erst jetzt die Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren, hinzu kommen weitere globale Krisen, die auch Auswirkungen auf unser Land haben. Es überrascht daher nicht, dass überall zunehmend gespart werden muss. Wir als Künstlerinnen und Künstler leben keineswegs in einer realitätsfernen Phantasiewelt, in der wir annehmen, dass unendlich Geld fließt, selbst wenn keines da ist. Wir sehen es aber auch als gesellschaftliche Verantwortung, in einer Zeit des aufkommenden Populismus auf die Wichtigkeit von Kultur als Grundpfeiler von Bildung und Aufklärung hinzuweisen.
Wir stellen uns in jeder Hinsicht der Herausforderung, Kunst nicht nur als Unterhaltung für Eliten zu begreifen. Wir sind inklusiv, erschließen neue Publikumsschichten und möchten Raum für die gesellschaftlichen Debatten bieten, die unsere Gegenwart erlebt. Diese Diskussion darf nicht konzerngesteuerten sozialen Medien überlassen werden, sie muss an den Orten stattfinden, an denen Menschen tatsächlich noch real und von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen und miteinander kommunizieren: z.B. in Konzerthäusern und in Theater- und Opernhäusern, aber natürlich nicht nur dort, sondern an allen Orten, an denen Kultur stattfindet, von der freien Szene bis zu den etablierten Institutionen. XXXXX ist hier als wichtiger Vermittler zu verstehen.
Wir Künstlerinnen und Künstler waren in der Corona-Zeit kooperativ und leidensfähig, obwohl wir viel schwerer als andere Sparten von den Lockdowns betroffen waren. Wir haben auch jetzt Verständnis dafür, dass Fördermodelle diskutiert und überdacht werden, warnen jedoch auch vor den Auswirkungen von Kürzungen, die nicht genügend durchdacht sind.
Ich selbst habe über viele Jahre ein Musikfestival in München aufgebaut (aDEvantgarde) und weiß daher aus eigener Erfahrung, dass das immer ein Prozess ist, in den erst einmal sehr viel investiert werden muss. Energie und Enthusiasmus allein reichen nicht aus, es braucht auch Anschubförderung, da man etwas aufbauen muss, das vorher nicht existierte. Irgendwann lohnt sich aber die Investition – man hat sich irgendwann etabliert und kann auf bestehenden Kontakten aufbauen, man muss nicht mehr bei allem von Null anfangen. Was ich damit sagen will: eine Gründung kostet eine Menge Energie, die komplett verschwendet wird, wenn man das Gegründete wieder in die Tonne kippt. Man verschwendet sogar noch mehr Geld, da man dann etwas anderes erst wieder aufbauen muss, denn XXXX wird irgendwann fehlen.
Man kann das mit einem fahrlässigen Verhalten beim Aktienmarkt vergleichen. Wenn man immer wieder Aktien kauft und gleich wieder verkauft, wird man kein seriöses Portfolio aufbauen, denn die meisten Investitionen zahlen sich erst nach einiger Zeit aus. XXXXX ist so eine längerfristige Investition, und sie hat schon lange bewiesen, dass sie sich lohnt.
In Zeiten der Kürzungen muss man vor allem eines tun: klug kürzen. In solchen Zeiten kann man sicherlich weniger in Neues investieren, sondern sollte eher die Synergien des schon Bestehenden nutzen, um möglichst viel zu erhalten. Wenn es weniger Wasser für den Garten gibt, will man auf keinen Fall, dass ganze Beete austrocknen, stattdessen wird man versuchen, den Vorrat klug aufzuteilen, um möglichst viel zu erhalten.
In dieser Situation ist im Moment XXXXX, aber XXXX ist damit nicht allein – überall in Deutschland sind bestehende Kulturinstitutionen bedroht, die lange gewachsen und nicht ersetzbar sind. Gerade eben erst wurde z.B. die Ensembleförderung beim Musikfonds komplett gestrichen – eine Kürzung, die auch Auswirkungen auf XXXX hat.
In XXXX ist zu hoffen, dass Sie, die diesen ganz speziellen Kulturgarten pflegen, nicht fahrlässig, sondern so klug wie möglich handeln. Ich bin sicher, dass Sie das können, wenn Gespräche geführt werden, neue Synergien entstehen und man sich austauscht und solidarisch handelt.
Auf diese Ihre Klugheit hoffe und baue ich. Und natürlich auch darauf, dass dieser ganz besondere Garten – unsere Kultur, die unser aller Reichtum ist und das Leben erst lebenswert macht – dank Ihrer Initiative erhalten werden kann.
Mit herzlichem Dank und einer dringenden Bitte für den Erhalt von XXXX,
Ihr
Prof. Moritz Eggert
Präsident des Deutschen Komponist:innenverbandes
(Unterschrift)
Komponist