Kommentar: Kann man als EU-Bürger derzeit für Russland Online-Komposition unterrichten?
Aktuell findet in Russland, Tschaikowsky-Stadt, die 14. Internationale Akademie junger Komponisten (ЧЕТЫРНАДЦАТАЯ МЕЖДУНАРОДНАЯ АКАДЕМИЯ МОЛОДЫХ КОМПОЗИТОРОВ В ЧАЙКОВСКОМ) des Moscow Contemporary Music Ensemble (MCME) statt. Soweit so gut, wenn Russ:innen Russ:innen internationale Kompositionstechniken der Neuen Musik vermitteln. Oder wenn es um Personen als Kursteilnehmende und Dozierende geht, die nicht aus Staaten kommen, die Russland aufgrund des Ukraine-Krieges sanktioniert haben. Musik machen ist natürlich nicht sanktioniert oder gar in Russland aufzutreten. Kompliziert dürfte es allerdings bei der Honorierung werden. Oder man unterrichtet honorarfrei? Ich hoffe es!
Unter den Dozierenden finden sich als Online-Unterrichtende dieses Jahr u.a. Stefano Gervasoni und ganz oben auf der Dozierenden-Webseite Hannes Seidl. Unter den Kursteilnehmenden finden sich vereinzelt sogar ein Italiener, ein Kanadier und eine Britin. Gibt es keine Möglichkeiten unter den unzähligen Kursangeboten für Komposition in der EU einen Kurs zu finden, das könnte man die drei Kursteilnehmenden fragen.
Wenn diese Akademie rein privat stattfände und nicht staatlich finanziert würde oder nur im akademischen Rahmen ohne Konzerte durchgeführt würde, also mit einem Minimum an staatlicher Bildungsinfrastruktur, wäre es womöglich unproblematisch. Allerdings findet man auf der Webseite des MCME als Sponsoren das russische Kulturministerium und den präsidentiellen Fonds zur Unterstützung kultureller Initiativen. Das ist nicht direkt Putin. Aber es sind Förderinstitutionen des kriegsführenden Staates, der derzeit sogar in Lviv, knapp 1000 Kilometer von Russland entfernt, ganz im Westen der Ukraine mit Bomben ganze Familien auslöscht.
Interessant ist auch, dass laut Backstageclassical erst vor wenigen Tagen Roman Karmanov, Generaldirektor des o.g. Präsidentenfonds für kulturelle Initiativen, auf dem von Hans-Joachim Frey organisierten, auch Valery Gergiev war dabei, Petrovsky Ball sagte: „Die ersten Ovationen sind für unsere Verteidiger, unsere Helden, die jetzt in dieser Halle und an der Kontaktlinie stehen, die zweite Ovation ist für die Menschen, die unsere Verteidiger unterstützen. Und die dritte Ovation geht an St. Petersburg, der Stadt der großen Kultur und alle jenen, die sie beleben.“
Wenn Fördermittel aus solchen Hirnen, wie Karmanovs, mitverantwortet und verteilt werden, die dann der harmlosen Akademie zuteil werden, mag man auf die Harmlosigkeit der Akademie abstellen. Doch wenn diese und das veranstaltende Ensemble wirklich verantwortungsvoll handeln würden, würde man den Dozierenden aus dem Ausland nicht das Kulturministerium und diesen präsidentiellen Fonds für kulturelle Initiativen zumuten, denn der Fonds fördert auch explizit Programme in den der Ukraine mit zehntausenden Toten geraubten Gebieten. Das hat mit der Tschaikowsky-Stadt nicht direkt zu tun, doch erhält man eben Geld aus Quellen, die kein Problem mit dem Ukrainekrieg haben.
Kann man also bei allem pädagogischen Einsatz, auch wenn der nur online erfolgt, mag man das auch honorarfrei machen, als EU-Bürger:in Dozierender Bestandteil dieser Akademie sein und eine Seite weiter nach diesen toxischen Förderern ausführlich selbst mit seinem Lebenslauf genannt werden? Das muß jede:r selbst wissen. Verboten ist das nicht. Aber kann man überhaupt verantworten, dass dabei keine ukrainischen Kursteilnehmenden dabei sind? Es soll ja ein internationaler Kurs sein. Doch aus bekannten Gründen ist das eher nichts für Ukrainer:innen, wenn sie sich daheim nicht in alle Nesseln setzen wollen. Konsequent wäre, hier auch als Dozierender nicht dabei zu sein.
Komponist*in