Ist KI bereit für Klassik-Innovationen?
Erst vor ein paar Wochen ging es im Podcast von Axel Brüggemann um Konzerteinführungen. Meiner Meinung nach sind die Themen »Konzerteinführungen« und »Programmtexte« im musikalischen Leben hierzulande komplett unterschätzt. Man polemisiert gerne dagegen, verkennt aber in typischer (und langweiliger) Hybris, dass diese vermittlerischen Angebote gerne von jenen im Publikum wahrgenommen werden, die in ihrem Konzertbesuchverhalten besonders nachhaltig (sprich: treu!) sind. Ja, manch einer lästert sogar offen auf Social Media über das Lesen/Schreiben von Programmhefttexten. Das sind meist jene selbst als Musiker tätige Zeitgenossen, die ihre gute Konzertbesprechung aus dem Schwarzwälder Boten auf Facebook mit »It was such a great pleasure to sing this wonderful Winterreise in Denzlingen!« kommentierend alle zwei Tage wiederholt posten (obwohl kein englischsprachiger Mensch bei dem Liederabend in der Herz-Jesu-Kirche bei Waldkirch dabei war …), die aber gleichzeitig ernsthaft immer noch Georg Kreislers Lied vom »Musikkritiker« und dieses hässliche Max-Reger-Zitat über Kritiker bemühen, wenn man mal eine negative Zeitungskritik einstecken muss. Das ist so vorausschaubar, bieder und klein. Hört doch einfach mal auf damit.
Zugegeben: Konzerteinführungen und Programmtexte sind nicht immer gut. Ich selber mache beides mit Leidenschaft (und Humor, aber auch anderen Emotionen, die ich einfließen lasse). Unlängst schrieb ich für ein Berliner Orchester einen Text für ein Konzert mit Werken von Dvořák, Grieg und Strawinsky. Ich wählte einen etwas juvenilen, aber – wie ich finde – einladend-lustigen Einstieg:
Ein Böhme, ein Norweger und ein Russe treffen sich. Sagt der Böhme: »Sag mal, sollte ein Programmtext zu einem Konzert in der Berliner Philharmonie wirklich so beginnen wie ein schlechter Witz?«
Die Antwort kann nur lauten: »Jein«. Denn immerhin haben wir schon einmal – unter der Hand – festgestellt, dass wir drei Werke von drei Komponisten aus drei verschiedenen Ländern hören werden: vom Böhmen Antonín Dvořák, vom Norweger Edvard Grieg und vom Russen Igor Strawinsky.
Drei Komponisten mit einem ganz unverwechselbaren Klang, drei Virtuosen der Instrumentation, drei, die das Tanzen verbindet – und nicht zuletzt drei Komponisten, die stolz fettgedruckt in den goldenen Kulturgeschichtsbüchern ihrer jeweiligen Herkunftsländer stehen.
Anschließend ließ ich den gesamten Programmtext mal wieder von ChatGPT (die mit Abstand bekannteste Text-KI, die sich echt immer weiter zum Positiven entwickelt) checken. Verbunden mit der Frage: Ist das ein guter Programmtext?
Die Antwort war erfreulich wie dann doch überraschend (siehe unten). Und ich frage mich, ob »wir« (also, mit Verlaub: ihr!) vielleicht genauso wenig bereit sind (seid) für einen lockereren, zugänglicheren Ton, wenn es gilt, über Ernste Musik vor einem Nicht-Fachpublikum zu sprechen (oder für dieses Texte zu schreiben) wie eben ChatGPT … Wie die Institutionen so auch die »Artificial Intelligence«, nicht? »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« Ja, dann ändere doch mal deine Sprache, um die Grenzen der (Musik-)Welt nicht so eng zu setzen!
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.