Extremschwimmen in Hvar
Extremschwimmen in Hvar
Vor 11 Monaten habe ich verletzungsbedingt mit dem Schwimmen angefangen und schaffte damals gerade mal eine Bahn im Kraulen, bevor ich mich mit Brustschwimmen erholen musste. In einem Anfall von Wahn meldete ich mich daraufhin direkt für einen Schwimm-Ultramarathon in Montenegro an, einem der schönsten sportlichen Erlebnisse meines Lebens. Allerdings merkte ich bei diesem Wettkampf, dass ich zwar lange, aber leider nicht sehr schnell schwimmen konnte. Daher begann ich mit Krassimir Enchev zu trainieren, einer in der Münchner Schwimmszene allseits bekannten Legende des Sports, mehrfacher Meister bei verschiedenen Wettbewerben und ein weiterhin unglaublich schneller Athlet in seiner Altersklasse 70+.
Über das Training mit Krassi könnte ich ganze Romane schreiben, man kann es aber so auf den Punkt bringen: das schöne helle Olympia-Schwimmstadion in München wurde quasi mein zweites Zuhause, Nach monatelangen harten Intervallen, Korrekturen diverser Arm-und Beinstellungen bekam ich von ihm das erste Lob: „Moritz, das sieht jetzt zum ersten Mal ansatzweise wie Schwimmen aus“. Ich war also auf dem richtigen Weg!
Um mir wieder ein Ziel zu setzen, meldete ich mich wieder für den Ultraswim 33.3 an, diesmal sollten wir in Kroatien schwimmen, um die schöne Insel Hvar herum. Und meine ganze Familie sowie Krassi würden mitkommen, einen tolleren Support konnte ich mir nicht vorstellen!
Schwimmen ist eine Art Wissenschaft, bei der man jedes Mal ein bisschen mit kleinen Details experimentiert in der Hoffnung, vielleicht ein oder zwei Sekunden schneller zu werden. Finger leicht spreizen oder nicht? Arm lang oder Ellbogen hoch? Kopf gen Boden oder schräg nach vorne? Man kann wahnsinnig werden, sich auf diese Details zu konzentrieren. Meine Schwimmbrille mit eingebauter Geschwindigkeitsanzeige brachte mich stets auf den Boden der Tatsachen zurück, unerbittlich.
Das schöne beim Open Water – Schwimmen ist dann, dass all diese Theorie mit der Realität konfrontiert wird. Mit starkem Seegang, hohen Wellen, Strömungen und Quallen. Da hilft es nichts, „schön“ zu schwimmen, manchmal muss man einfach nur irgendwie vorankommen. Die Zeit schrumpft und dehnt sich gleichzeitig. Man sieht links die Küste, schwimmt und schwimmt und kommt kaum vom Fleck. Schwimmen ist eine Übung der Langsamkeit und der Geduld, auch wenn man schnell schwimmt.
Der Plan von Ultraswim Croatia sah sehr ähnlich aus wie ein halbes Jahr zuvor in Montenegro: 4 Tage, 33,3 Kilometer, aufgeteilt in mehrere Etappen, mit gleichzeitiger Steigerung der Streckenlänge bis hin zum Marathon+ (11,6 Kilometer am Stück). Wie auch in Montenegro starteten wir direkt am Hafen vor unserem Hotel, über hundert Schwimmerinnen und Schwimmer aller Altersklasse stürzten sich todesmutig in die Fluten, ihr pinkes tow float in den Armen, damit es beim Aufprall im Wasser nicht platzt.
An diesem Tag waren zwei Strecken zwischen 4 und 5 Kilometer geplant, mit Pause zwischendrin. Trotz nicht sehr warmen Wassers und einer lange anhaltenden Erkältung im Vorfeld hatte ich mich entschieden, in „Skins“ zu schwimmen, also ohne Neoprenanzug. Das sollte sich als fataler Fehler erweisen!
Die ersten Momente eines solchen Rennens sind immer ein Schock, wenn man lange im Schwimmbad trainiert hat. Arme und Beine um einen herum, man sieht nichts vor lauter Luftblasen und kriegt vielleicht auch mal einen herben Schlag auf den Kopf. Ich wusste, dass ich viel besser geworden war als in Montenegro, aber so richtig sicher war ich mir auch nicht. Würde ich diesmal mithalten können und nicht als Letzter ins Ziel kommen?
Nach einer halben Stunde stellte ich fest, dass es nicht so ganz schlecht um meine Zeit bestellt sein würde. Das merkte ich schon allein daran, dass immer andere Schwimmer um mich herum waren. Trotzdem zog sich die Strecke schon ein bisschen, da man ja im Wasser von der schönen Landschaft nicht viel mitbekommt und eventuell auch im Wasser rein gar nichts sieht, da es zu tief ist. Dann erfreut man sich an Kleinigkeiten – Sonnenstrahlen im Wasser oder die Freude, einen anderen Schwimmer „draften“ zu können, d.h. im Windschatten zu schwimmen, was gleich viel weniger Energie kostet.
Als wir die erste Etappe abschlossen, hatte ich den Beweis, dass ich mich absolut im Mittelfeld befand, was mich schon einmal enorm beruhigte. In Montenegro war ich bei der ersten Etappe angekommen und musste direkt wieder ins Wasser, diesmal hatte ich über eine Stunde Zeit etwas zu essen und zu trinken, eine enorme Verbesserung also!
Die zweite Etappe ging dann genauso gut über die Bühne, aber ich merkte, wie meine Kraulschläge etwas müder wurden. Lag es etwa am kalten Wasser und dem höheren Energieverbrauch?
Gleich nach der Ankunft merkte ich, dass mir ununterbrochen die Nase lief. Irgendetwas war nicht ok. Die Sonne schien heiß auf mich, dennoch musste ich die ganze Zeit husten. Zurück im Hotel verschlimmerte sich mein Zustand. Meine liebe Frau hatte ein Fieberthermometer dabei: Über 40 Grad Fieber, Hochalarm! Während meine beiden Kinder sich um das „beste“ Bett im Apartment stritten, lag ich delirierend und mit Schüttelfrost unter 3 Decken vergraben, mit Ibuprofen vollgepumpt. Innerlich fand ich mich schon damit ab, den Rest des Wettkampfs knicken zu können, denn so konnte ich unmöglich wieder ins Wasser. Die Nacht dauerte endlos, weder schlief noch wachte ich. Irgendwann schaute ich auf die Uhr und stellte fest, dass ich nun aufstehen musste, wenn ich die nächste Etappe schwimmen wollte. Sollte ich? Wieder Fiebermessen: erstaunlicherweise hatte ich nur noch minimal erhöhte Temperatur. Ich fühlte mich beschissen, aber nicht ganz so beschissen wie am Abend zuvor. Würde ich mich mit diesem Feeling an den Schreibtisch setzen, um zu komponieren? Wahrscheinlich schon, also sollte schwimmen auch gehen.
Kurzentschlossen machte ich mich also bereit, entschied aber diesmal, in Neopren zu schwimmen. Das brachte mich zwar in die „populärere“ Kategorie mit weniger Chancen auf einen guten Platz, gleichzeitig schwamm man mit Neopren wegen des besseren Auftriebs schneller und war natürlich auch besser vor den Temperaturen geschützt. Das sollte mich die folgenden Tage retten.
Der Start war diesmal vom Boot aus und begann mit einem „Channel Crossing“, also der Überquerung eines weiteren Kanals zwischen zwei Inseln, was oft eine Tortur sein kann, wenn es sich zieht. Krassi hatte mir vorher geraten, diesmal mit eher schnellen und schwachen Kraulschlägen zu starten, um mich aufzuwärmen, dann irgendwann in längere und kraftvollere Schläge überzugehen. Und genau so machte ich es – die Kanalüberquerung überlebte ich irgendwie in einem Pulk von Schwimmern und ohne allzu sehr abzudriften. Kaum an der Küste angelangt, legte ich mit einem wesentlich schnelleren Tempo los. Die Küste war auf meiner „guten“ Seite, also links, und es machte wahnsinnig Spaß, in die verschiedenen Buchten hineinzuschwimmen und der Küstenlinie zu folgen. Obwohl ich mich am Anfang so schlecht gefühlt hatte, ging es mir nun wunderbar, ich hatte sprichwörtlich das Gefühl, dass das Wasser mich heilte. Wie ich später sah, verbesserte ich mich bei diesem Abschnitt (8,6 Kilometer) vom anfangs 77. Platz bis zum 39. Platz, eine durchgehende Verbesserung also!
Nach dem Rennen ging es aber wieder bergab – trotz liebevoller Betreuung meiner Familie ging das Fieber wieder los, aber immerhin war ich vorbereitet und nahm direkt wieder Ibuprofen ein. Viel mehr wusste ich aber an dem Tag auch nicht mit mir anzufangen. Ich ging früh mit erneut hohen Temperaturen ins Bett, weil am nächsten Tag die Marathon+-Strecke anstand.
Am nächsten Tag das gleiche Spiel – kein Fieber mehr, aber so richtig fit fühlte ich mich auch nicht. Ich entschied mich daher für dieselbe Strategie wie am Vortag. Wieder lag eine ewig lange Kanalüberquerung vor uns. Da ich wusste, dass dieser Schwimm noch lange dauern würde, ging ich es noch ruhiger an und schwamm bewusst langsam hinter Schwimmern, die ich vielleicht hätte überholen können. Nach der ersten Verpflegungsstation erreichten wir die Rückseite der Insel südlich von Hvar. Dort waren die Bedingungen allerdings auf einen Schlag alles andere als angenehm – extreme Gegenströmung und sehr hohe Wellen. Zum ersten Mal in diesem Wettkampf schwamm ich größtenteils alleine, was nicht immer angenehm ist. Wie weit ich mich mit jedem Schlag fortbewegte, war schwer einzuschätzen, da ich mich weit von der Küste befand. Als irgendwann links von mir ein Kayak auftauchte galt mir dies als Warnung, dass ich mich der Küste wiederum zu weit genähert hatte.
Im Schwimmbad hat man unter sich Linien, an denen man sich orientieren kann und die einem helfen, geradeaus zu schwimmen. Im offenen Wasser ist dies nicht ganz so einfach, und die einzige Orientierung sind die oftmals weit entfernten aufblasbaren Bojen des Rennens oder irgendwelche Landmarken, manchmal auch einfach die Position der Sonne. So richtig gerade schwimmt niemand, man muss also immer mal wieder angleichen.
Mühsam kämpfte ich mich voran, unter mir die Schwärze. Um mich zu motivieren, zählte ich meine Schläge und schaute ab und zu mal auf die Uhr, um zu sehen, wie weit ich mich ungefähr fortbewegt hatte. Ich teilte dann jede 500 Meter in Zahleneinheiten ein, die ich wie ein Mantra beim Kraulen abzählte.
Mein Optiker hatte mir geraten, statt einer angepassten Schwimmbrille Kontaktlinsen zu verwenden. In Hvar sagten mir allerdings viele Schwimmer, das dies gefährlich sei, wenn Bakterien aus dem Wasser unter die Linsen geraten. Meine größte Angst war also, dass Wasser in meine Schwimmbrille geraten würde. Gottseidank waren diese mittels App perfekt an meine Kopfform angepasst (hilft wirklich, kann man hier kaufen). So richtig gut sehen kann man aber auch mit perfekten Augen im Wasser nicht. Und so passierte es mir zum ersten Mal, dass ich vom vorgesehenen Kurs abkam. Ich fehlinterpretierte eine weiße Yacht am Ufer als nächste Verpflegungsstation und hielt auf diese zu, dies brachte mich aber in eine Bucht, die gar nicht für die Strecke vorgesehen war.
Nachdem ich plötzlich gegen einen Kayak stieß, wachte ich aus meiner Mantratrance auf. Der Kayakpilot wies nicht wie üblich mit seinem Paddel in die richtige Richtung, sondern sagte einfach nur „You’re going completely the wrong way“, was in dieser Situation alles andere als hilfreich war. Gottseidank sah ich in der Ferne ein paar rosa Bobbel über unter dem Wasser – die Tow Floats von Schwimmern, die ich eigentlich längst überholt hatte, die aber nun weit voraus schwammen.
Richtig sauer auf mich selbst legte ich also los, um wieder ins Rennen zu kommen. Aber Zorn ist nicht der beste Motivator – als ich an der nächsten Station ankam, war ich schon ziemlich ausgepowert, stürzte mich aber erneut in die Wellen, um die letzten 4 Kilometer hinter mich zu bringen.
Diese waren vielleicht die zähesten des Wettkampfs – endlos gegen Wellen ankämpfend lieferte ich mich mir bis kurz vor Schluss ein Duell mit einem anderen Schwimmer. Als ich diesen draften wollte, hielt er einfach an, und tat so, als äße er ein mitgebrachtes Gel. Nachdem ich an ihm vorbeigeschwommen war, holte er mich weit entfernt wieder ein und überholte mich. Klingt fies, aber das sind eben so die Taktiken eines Rennens, ich nehme es ihm nicht übel.
Vollkommen fertig erreichte ich das Zielschiff und empfing dankbar von Mark Turner, dem wunderbaren Gründer und Initiator von Ultraswim, einen Schluck Wasser. Es lagen aber immer noch 500 Meter bis zum Ufer vor mir, die härtesten des Rennens, gottseidank nicht auf Zeit.
Ein harter Tag also, so hart, dass man am Abend ein größeres Abendessen erwünschte. Gemeinsam mit Krassi und meiner Familie war schnell ein wunderschönes Restaurant in einem pittoresken Innenhof gefunden. Der schöne Schein erwies sich schnell als Horror: auch nach über einer Stunde ließ sich unsere Bedienung nicht mit irgendeinem Essen blicken, anderen Gästen schien es auch so zu gehen. Endlich kamen nach und nach die Teller, aber nicht mit den erhofften Speisen – Bestellungen waren offensichtlich missverstanden worden. Meine Tochter bemerkte seltsame rote Schlieren an den Tellerrändern – diese wurden vom Kellner schnell zur „Dekoration“ erklärt. Aber wer dekoriert auf so hässliche Weise Teller, wenn der Rest des Essens einfach nur hingeschlonzt ist? Mühsam quälte ich mich durch eine Portion „Gnocchi Quattro Formaggi“, die ganz gewiss nie irgendeinen Gorgonzola gesehen hatte, und sich stattdessen einer vollkommen geschmacklosen, sämigen und nur entfernt nach Käse schmeckenden Soße bedienten.
Nachdem sich auch das Zahlen als ein Warten auf Godot erwies, wurde die Balkanseele von Krassi immer erzürnter und er rief nach den Verantwortlichen, um sich über Qualität und Service (mit Recht) zu beschweren. Um es kurz zu machen: wir verließen das Restaurant nach einem endlosen Streit mit dem ganzen Personal und ohne die Zeche voll zu bezahlen, mit dem Versprechen, den Namen des Restaurants nicht mit schlechten google-Bewertungen zu „dekorieren“. Daher sei er hier auch nicht genannt und natürlich auch darauf hingewiesen, dass es in Hvar sehr wohl schöne Restaurants und gutes Essen gibt.
Der nächste Tag sah das letzte Rennen, das von der Strecke her sehr interessant um mehrere Miniinseln herum navigierte. Ich fühlte mich wieder besonders beschissen vor dem Start, aber jetzt musste ich es einfach zu Ende bringen. Zu meiner großen Überraschung erwies sich dieses Rennen (bei dem diesmal auch Krassi gestartet war, den ich ungefähr 5 Sekunden am Anfang des Rennens sah) als das schönste des ganzen Wochenendes. Je näher man an der Küste schwimmt, desto mehr sieht man unter sich Felsen, Seegras und Riffe. Zum ersten Mal stellte sich bei mir ein echtes Gefühl der Geschwindigkeit ein – wie bei einem Autorennen schwimmt man zwischen anderen Schwimmern um Felsen herum, manchmal Abkürzungen wählend, die einem fast den Bauch aufschrammen. Aber es machte wahnsinnigen Spaß, ich konnte gut mithalten und auch das eine oder andere erfolgreiche Überholmanöver starten. Als es auf die Ziellinie zuging, dachte ich mir: schade, schon vorbei! Aber nach einer freundlichen Begrüßung durch die natürlich schon angekommenen Eliteschwimmer reihte ich mich gerne am Ufer ein, um die nach mir ins Ziel kommenden Schwimmer:innen möglichst herzlich und enthusiastisch zu begrüßen, denn diese haben es ausdrücklich verdient, sind sie doch wesentlich länger im Wasser.
Schwimmen ist insgesamt ein sehr inklusiver Sport – bei diesem Event gab es einen einbeinigen und auch einen gehbehinderten Schwimmer, die sich alle großartig schlugen. Die ganze Philosophie von Ultraswim ist gegen krankhafte Konkurrenz – es werden zwar Plätze vergeben, doch kein Geld verteilt. Es gibt auch Sonderpreise, für die Schwimmer, die am längsten im Wasser waren oder sich am besten entwickelt haben. Alle Teilnehmenden werden enthusiastisch beim Schwimmen unterstützt. Und wer einmal abbrechen muss oder will, ist immer noch ein Teil des Events und wird genauso gefeiert wie die anderen. Der Ozean macht etwas mit einem – Schwimmer erlebe ich immer als besonders herzlich und unterstützend. Vielleicht hat es irgendwie damit zu tun, dass das Leben aus dem Meer kommt und man intuitiv spürt, dass man in die Heimat zurückkehrt.
Wie auch immer: Ultraswim 33.3 Croatia war genauso schön und eindringlich wie das letzte Mal, Organisation und Herzlichkeit der Betreuung waren wie immer fantastisch und es war wunderschön, die netten Gesichter und Freunde vom letzten Mal wiederzusehen (hier auch besondere Grüße an Amy vom PR Team, die immer wunderbaren Support am Ziel leistete, und natürlich auch an Andy Donaldson, den mich immer inspirierenden Ocean’s 7 Weltrekordschwimmer). Krassi hatte auch eine gute Zeit in Kroatien und ich freue mich schon jetzt auf weitere Events, an denen ich hoffentlich teilnehmen kann. Ich war diesmal gut im Mittelfeld unterwegs, 53. Platz, 10. Platz Altersklasse und über 2 ½ Stunden schneller als letztes Mal, das ist doch was, wenn man gerade gefühlt gestern mit dem Schwimmtraining angefangen hat.
Aber vielleicht geht noch ein bisschen was, mal schauen….Jetzt aber erst einmal wieder laufen, der Berg ruft!
Moritz Eggert
Komponist