Studierende gegen Machtmissbrauch
Studierende gegen Machtmissbrauch
Großes Aufsehen in der Musikwelt hat in der letzten Woche die Veröffentlichung dieses SPIEGEL-Artikels (Achtung: Bezahlschranke) verursacht. Die „Initiative gegen Machtmissbrauch an Musikhochschulen“ wurde – und das ist ein Novum – allein von Studierenden ins Leben gerufe und hat eine umfassende Befragung von Musikstudierenden unternommen. Die Ergebnisse sind wieder einmal ernüchternd und erschütternd.
Nach den großen #metoo-Affären in der jüngeren Vergangenheit hat sicherlich ein Umdenken an den Musikakademien stattgefunden. Dass man sich aber nicht zurücklehnen sollte, weil inzwischen einige schlimmere Fälle vor Gericht landeten, zeigt diese Umfrage überdeutlich. Es ist immer noch unglaublich viel zu tun.
Machtmissbrauch macht sich nicht nur in sexuellen Übergriffen bemerkbar, das muss man immer wieder betonen. Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Grenzüberschreitungen – von Mobbing und psychischen Grausamkeiten reicht das Spektrum bis hin zu Kontrollversuchen und verschiedenen Formen von Grooming. In den letzten Jahren ist es der unermüdlichen Arbeit verschiedener Initiativen und Einzelpersonen zu verdanken, dass das Thema aktuell blieb, besonders zu nennen wäre hier die Arbeit des Harfenduos, der Vertrauensstelle THEMIS so wie auch Analysen wie zum Beispiel dieser hervorragende Artikel des Pianisten Florian Hölscher.
Immer wieder frappiert, wie schwer sich manche Hochschulen mit dem Umgang mit Fällen tun, und wie ungeschickt sie das oft kommunizieren.
So verschwand eine erste von der Münchener Musikhochschule initiierte Umfrage nach dem Mauser-Skandal in der Schublade, vermutlich, weil die Ergebnisse die Hochschule nicht sehr gut aussehen ließ. Bei der aktuellen – von der neuen Präsidentin Lydia Grün in Auftrag gegebenen Umfrage – wird dies daher – gottseidank – ganz bewusst anders gehandhabt. Immer wieder wird auch gerne der Begriff „Einzelfall“ verwendet, wenn etwas an einer Hochschule passiert ist. Was insofern absurd ist, da mehrere „Einzelfälle“ auf keinen Fall mehr ein „Einzelfall“ sein können.
Wer sich ein bisschen umhört – und das bestätigt auch die Umfrage der „Initiative gegen Machtmissbrauch“ – merkt schnell, dass an absolut allen deutschen Musikhochschulen Fälle bekannt sind. Von manchen erfährt die Öffentlichkeit nie, denn die Presse interessiert sich eher für die ganz spektakulären Übergriffe, nicht für das tägliche Mobbing in zum Beispiel einer Instrumental- oder Ballettklasse. Studierende öffentlich herunterzumachen oder zu versuchen, komplette Kontrolle über ihr Leben zu bekommen, scheint immer noch das pädagogische Ethos mancher Kolleginnen und Kollegen zu sein, vielleicht haben sie es auch selbst in ihrem Studium so erlebt und halten es für „normal“.
Man stellt sich allmählich die Frage, was noch alles geschehen muss, damit sich endlich etwas ändert. Noch mehr Vertrauensstellen, externe Ansprechpartner? Noch mehr Empowerment für die Studierenden? Letzteres wäre sicherlich keine schlechte Idee bei einer nach wie vor stark hierarchisch geprägten klassischen Musikausbildung.
Tatsache ist: Man kann so viele Handzettel und Infoblätter verteilen, wie man will, manche Studierenden wird man damit nie erreichen- Denn wie kaum ein anderer Beruf kennt die klassische Musikausbildung schon sehr früh eine extreme Konkurrenzsituation, die Hochleistung fordert. Und da bleibt einfach nicht viel Zeit. Wie soll man sich über den Professor beschweren, der einen morgens um fünf Uhr alkoholisiert anruft, wenn genau dieser Professor später die Examensnoten gibt oder schlimmstenfalls sogar in der Wettbewerbsjury sitzt?
Vielleicht sollte man eher am Kern des Problems ansetzen, nämlich der Eignung der Lehrkräfte zur Pädagogik an sich. Diese wird in der Praxis erstaunlich wenig geprüft.
Bei der Bewerbung für eine Professur muss man üblicherweise einen Probeunterricht vor Publikum absolvieren, meistens nur eine halbe Stunde. Reicht das wirklich, um zu beurteilen, wie eine Lehrkraft über Jahre hinweg mit den Studierenden umgeht?
Wenn man sich an einer Hochschule bewirbt, muss man Empfehlungen von angesehenen Kolleginnen und Kollegen einreichen. Dieses Lob kommt aber üblicherweise von oben – warum fragt man nicht zum Beispiel ehemalige Studierende der sich bewerbenden Person? Wäre deren Urteil nicht viel wichtiger?
Hinzu kommt: Ist einmal eine Person an einer Hochschule engagiert, die pädagogisch komplett ungeeignet ist, wird man sie nur unglaublich schwer wieder los. Dabei zeigen sich die meisten Zeichen dieser Unfähigkeit schon sehr früh. Im Grunde müsste vor einer Entfristung einer Lehrkraft sorgfältig geprüft werden, wie es um ihre pädagogischen Fähigkeiten bestellt ist, auch unter Einbeziehung von Feedback der Studierenden. Meistens ist die Entfristung aber nur Formsache, man muss schon spektakuläre Verfehlungen anstellen, um sie nicht zu bekommen. Lehrkräfte wiederum, die gut lehren, sich positiv für die Studierenden einsetzen und von diesen geschätzt werden, werden in keiner Weise von den Institutionen motiviert oder belohnt. Die Erfolge der Studierenden sind das, womit sich eine Musikhochschule schmückt – wie diese zustande kamen, danach fragt niemand.
Man muss auch über das andere Extrem sprechen: ein zahnloser und übervorsichtiger Unterricht wäre nicht das Gegenideal. Wenn Lehrende aus lauter Angst nur noch loben, bringt das nichts – der Umgang mit Kritik und Misserfolgen muss auch gelernt werden. Viele Studierende merken erst im Verlauf des Studiums, wie es um ihre künstlerische Befähigung bestellt ist, hierzu ist ehrliches Feedback der Lehrenden notwendig. Aber dazu braucht es kein Heruntermachen der Studierenden oder „schwarze“ Pädagogik. Und auch kein Stalking und Grooming.
Am Ende des Tages zählt der gegenseitige Respekt. Ich muss mir als Lehrender stets bewusst sein, dass das, was ich sage, die Studierenden ein Leben lang beeinflussen wird, im Guten wie im Schlechten. Die Studierenden wiederum müssen sich in der akademischen Situation sicher und ernst genommen genug fühlen, um auch Kritik üben zu können, wenn z.B. unpassende und übergriffige Bemerkungen an der Tagesordnung sind.
Die Skandale passieren immer nur dort, wo aus Trägheit zu lange nichts unternommen wird, obwohl sich ein Fehlverhalten deutlich abzuzeichnen beginnt. Denn es ist einfach bequemer, nichts zu tun, als im stressigen Hochschulalltag Kollege X oder Kollegin Y mal zu einem Gespräch über ihr Unterrichten zu laden. Genau damit könnte man aber Eskalationen verhindern.
Die Studierenden hinter der Initiative haben genau dies getan: sie sprechen die Dinge an, die angesprochen werden müssen. Dafür gebührt ihnen der höchste Respekt.
Hoffentlich hört jemand zu.
Moritz Eggert
Komponist
Es kommen noch weitere Probleme hinzu.
Wenn jemand als pädagogisch ungeeignet (nicht im Sinne, dass er oder sie das Instrumentalspiel schlecht erklären und beibringen kann, sondern weil er oder sie übergriffig ist) nicht entfristet wird, wird keine Gründe angegeben. Dieser Mensch landet dann hinterher möglicherweise an anderen Musikhochschulen oder an Konservatorien, Akademien, Musikschulen, Musikberufsfachschulen. Damit ist das Problem letztendlich nicht beseitigt, im Gegenteil.
Jemand kann auch fachlich für manche Studierengruppen geeignet sein aber nicht für andere. Z.B. für Theorie, Klavier und Gesang gibt es eine große Bandbreite. Der Unterricht bei einem 32 jährigen Konzertexamen Kandidaten kann und muss anders aussehen als der Unterricht bei einem 18 jährigen Klavier-als-Pflichtfach-2. Instrument-fürs-Lehramt-Grundschule Studierenden. Und da geht es u.a. auch um einen Machtkampf unter dem Kollegium, wer was unterrichten soll und darf. Nicht jeder Dozent unterrichtet eine Gruppe, die er oder sie gut unterrichten kann. Manchmal bekommen die Studierenden eigentlich nur stellvertretend Konflikte zwischen Professoren ab (zum Beispiel mag A B nicht, also schikaniert A den Studenten von B).
Ich glaube, dass wenn man schon früh ansetzen will, man es auch gleich im Studium tun. Die Studierenden sind die zukünftigen Musiklehrer, Dozenten, Lehrbeauftragter, Mentoren, Professoren. Irgendwann wird man in irgendeiner Form unterrichten, viele unterrichten selber schon auch während des Studiums, und sei es „nur“ Kinder im Anfangsunterricht, ganz ohne Leistungsdruck. Missbrauch, Misshandlungen und Grenzverletzungen gibt es nicht nur im Hochleistungsbereich. (Und gerade für junge Musiklehrerinnen ist es auch sinnvoll, wenn man auch die umgekehrte Konstellation übt, z.B. wie man sich gegen zweideutige Probestundeanfragen wehren kann.)
„Die Skandale passieren immer nur dort, wo aus Trägheit zu lange nichts unternommen wird, obwohl sich ein Fehlverhalten deutlich abzuzeichnen beginnt.“
Absolute Zustimmung. Mal kann man nichts machen, weil der Vorwurf zu schwerwiegend ist, mal kann man nichts machen, weil der Vorwurf noch nicht schlimm genug ist, es gibt immer Ausreden, warum man angeblich nichts machen kann. Es ist natürlich immer schwierig, innerhalb einer Szene gegen Kollegen was zu unternehmen, die vielleicht sogar auch gute Freunde sind (und im Falle eines Präsidenten, mit deren Hilfe er ins Amt gewählt worden ist, vielleicht). Da ist es einfacher Studierenden zu opfern, für die eigene Bequemlichkeit. Dafür gibt es mittlerweile einen Begriff im Englischen: institutional betrayal. Eine Institution, die Betroffene schützen muss, verrät diese. Dadurch werden Betroffene ein weites Mal zum Opfer. Das kommt dann nur durch „Skandale“ ans Licht, und dafür müssen die Täter berühmt genug sein, um für investigative Journalisten interessant zu sein.
Mich frustriert es langsam, dass man einen „Skandal“ braucht, dass überhaupt was passiert, und wenn ein „Skandal“ nur dazu führt, dass man noch eine weitere Anlaufstelle schafft, wo keiner weiß, wie sie funktioniert, noch einen weiteren Aktionstag, wo nur darüber geredet wird, dass man mehr Komponistinnen aufführen sollte (ja, das Thema Komponistinnen ist wichtig, aber nicht als Alibi für Maßnahmen gegen Machtmissbrauch). Ich meine, solange man die Taten toleriert, solange man die Täter gewähren lässt, helfen das Gerede um Richtlinien und Strukturänderungen wenig.