Wie Andrew Lloyd Webber mich für klassische Musik begeisterte – oder: von den Briten lernen

Wie Andrew Lloyd Webber mich für klassische Musik begeisterte – oder: von den Briten lernen

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Ich war vierzehn und im Herbst auf Schüleraustausch in Stevenage, einer grünen Vorstadt von London. Ich hatte Heimweh, fühlte mich fremd und mochte das Essen häufig nicht. Auch die Musik konnte mich nicht vollständig retten, aber sie half mir etwas, indem sie mir ermöglichte, mit meinem  zwei Jahre älteren Austauschpartner  Gespräche überhaupt zu führen.  Ich lernte dabei zum Beispiel zum ersten Mal David Bowie kennen. Das gruppendynamisch-gemeinschaftliche Betrinken der englischen Schüler und Schülerinnen lehnte ich dagegen vollkommen ab und blieb lieber für mich. In dieser Situation war Fixpunkt für mich meine englische Mama Jenny, eine attraktive blonde, resolute und mütterliche Lady, die Platz hätte in einem „Barnaby“-Krimi. Genau wie Mrs. Barnaby war auch sie umfassend tätig in der Gemeinde, beim Chor, in der Kirche, in der ganzen Community eben. Sie holte mich nicht nur zuverlässig mit dem Auto überall dort ab, wo ich in dieser Vorstadtwüste von Einfamilienhäusern strandete, sondern sie kümmerte sich auch sonst um mich und unterhielt sich gern mit mir. Als sie erfuhr, dass ich Cello spielte, reagierte sie „very amused“ und zeigte mir sogleich ein merkwürdiges CD-Cover, auf dem ein altes Bild mit Musikern  in Rokokokostümen zu sehen war,  von denen der Solocellist eine moderne Sonnenbrille trug und im Hintergrund Verstärker und Mikrofone herumstanden. „Andrew Lloyd Webber – Variations“  stand da drauf. Ja, der würde sonst Musicals schreiben, aber diese Platte würde sie mir sehr empfehlen, die sei toll – great, super – die höre sie sehr gerne!

 

Für mich war das ja nun englischer Geschmack, und wenn das so wie beim Essen läuft, dachte ich, na ja. Aber ich fand die Musik dann seltsamerweise auch gleich sehr launig. Das variierte Thema, die Paganini-Caprice Nr. 24 in a-Moll

 

https://www.youtube.com/watch?v=UcL0IsklM3M

 

dieses Thema ist ja auch wirklich so eingängig, dass es zum meistvariierten Thema der Musikgeschichte wurde ( Liszt, Brahms, Rachmaninov, Lutoslawski, Blacher sind nur die prominentesten Beispiele – alle anhörenswert  – besonders die beiden letzten … ).

 

A-Moll fand ich sowieso immer toll – und das mit dem Cello als Soloinstrument passte ebenfalls für mich. „In fact“- ich war schon dabei, englische Redewendungen auszuprobieren-  fing ich ja auch gerade an, in meinem Heimatort Hamburg-Lohbrügge, einem grünen Vorort genau wie Stevenage, irgendwie eine Band zusammen zu trommeln. Ich hörte mir dann jeden Abend die „Variations“ an, meine Gast-Schwestern Emma und Alice waren auch dabei, und spann in meinen Gedanken Pläne, wie ich das einmal aufführen könnte, wie ich das mit einer Band spielen würde. Am nächsten Morgen bei einer Besichtigungsfahrt nach Cambridge ging ich in den Plattenladen und kaufte mir, damals für 2 Pfund 95 Cent, die Schallplatte der „Variations“, sowie auch gleich die Noten, die dort ebenfalls erhältlich waren.

 

Aller Anfang ist schwer, und wie in der klassischen Musik hängt auch in der Popmusik der Himmel voller Geigen – nur dahin gelangen will nicht gelingen. In Hamburg blieb das Meiste bloßes Bemühen. Ich schrieb 14jährig verzweifelt  Notizen mit Bleistift an den Rand der Noten wie „nicht zu machen!“. Kein Wunder, würde ich heute sagen, die Band auf der „Variations“-Platte war ja auch erste britische Rock- und Jazz-Klasse: an  Flöte und Saxophon Barbara Thompson, am Schlagzeug  Jon Hisemann und… Phil Collins!, am Keyboard Don Airey, an den E-Gitarren Gary Moore – und eben am Solo-Cello Julian Lloyd Webber, der Bruder des Komponisten Andrew, der damals die Synthesizer und Keyboards auch noch selbst mit einspielte. Der Legende nach entstand das gesamte Stück nur deswegen, weil Andrew bei seinem Bruder Julian eine verlorene Wette nach einem Fußballspiel einlösen musste.

 

Und so wirkt das Ganze auch heute noch – es hat seine Qualitäten im Vorletzten, wie Adorno das manchmal zu nennen pflegte: Mit leichter Hand in flüssigem Wechsel ziehen die 23 Variationen an einem vorbei ( Achtung! Insgesamt sind es mit dem Thema also 24 Stücke – ein gewisser Anspruch war bei den Lloyd Webbers damals wohl vorhanden ). Welche sind kitschiger, welche sind funkiger, rockiger. Man hört, dass der Komponist bei dieser Produktion genau auf seine hervorragenden MusikerInnen achtete und auf sie hörte. Die Flöte hat schöne Soli, ebenso die E-Gitarre – und ja, diese alten Synthesizer-Klänge, die junge HörerInnen heute „befremdlich“ finden ( Zitat einer Kompositionsschülerin von mir ), mir jagen sie wohlige Nostalgie-Schauer über den Rücken. Das ist Trash, denke ich dann voller Begeisterung, du bist umgeben von inbrünstigem Trash aufgewachsen! Sie spielten ein „Dies irae“-Thema auf einem wimmernden Vibrato-Synthie und fühlten dabei wohliges Grausen!

 

Aber erheblich war dieser Einfluss auf mich. Ich suchte ja einen Weg, wie ich meine für mein Gefühl zurückgebliebene Ausbildung auf meinem klassischen Instrument, dem Cello, mit der Musik meiner Jugend, der Popmusik zusammenbringen konnte. Und hier fand das endlich statt! Ich übte in meinem Kämmerlein an dem Cellopart der „Variations“ herum, und bekam das auch so halbwegs in den Griff. Alles andere nicht: Ich hatte keine Ahnung von 7/8-Takten, ich hatte keine Ahnung von Synthesizern und deren Einstellungen, und ich kannte damals auch noch keine Flötisten oder Saxofonisten oder Keyboarder, die das alles spielen konnten. Aber es war ein Beispiel, wie ein Cello in einer Band mitspielen konnte! Mit seinem hehren Erbe, der klassischen Tradition, stolz hüpfend hier im Thema der a-Moll-Caprice!

 

Was hast du damals in England gelernt? Humor, Mut zum Kitsch, auch ein Maß von mehr Modernität zum damaligen Zeitpunkt. Und die Erkenntnis: Man kann auch so komponieren – und ungezwungen in der Band Musik machen.

 

Die „Variations“ sind bis heute das einzige komplette Stück von Andrew Lloyd Webber, das ich kenne – ehrlich. In der Hinsicht blieb die Platte also folgenlos. Ich kenne von Webber sonst nur die Gethsemane-Arie aus „Jesus Christ Superstar“ (toll) und „Don´t cry for me Argentina“ ( kann sich etwas ziehen ). Aber dieses Stück, die „Variations“ halfen mir, in England anzukommen damals.

 

Nicht vollständig. Im Plattenladen in Cambridge kaufte ich mir gegen mein Heimweh auch eine Aufnahme von Schumanns „Kinderszenen“. Als ich sie abends auflegte und mich wirklich zu Hause fühlte, hatten Mama Jenny und meine englische Gastfamilie auch nichts einzuwenden.

 

( Jobst Liebrecht, 8. März 2024 )

 

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