Titel, Themen, Temperamente

Titel, Themen, Temperamente

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Wie lange gibt es eigentlich schon „Themen“ in Spielplänen und Programmen? Diese Frage stelle ich mir manchmal, wenn ich mir die übliche Prosa in Spielzeitheften und Festivalprogrammen durchlese. Wie es scheint, kommt niemand mehr ohne Mottos aus. Bei jeder Pressekonferenz gehört sie zum Pflichtgepäck, denn es könnte ja die Frage kommen: „was ist der rote Faden, der sich durch Ihr Programm zieht?“. Anscheinend eine Frage von weltumfassender Bedeutung.

Gut funktionieren dabei Themen, wie sie zum Beispiel dieses Jahr die Salzburger Festspiele hatten, deren 2023er Motto „Die Zeit ist aus den Fugen“ einfach gut knallte: Shakespeare-Zitat (Hamlet), ein großes Thema, in das so ziemlich alles irgendwie hineinpasst („Zeit“) und natürlich die dem Zitat innewohnende Feststellung, dass alles gerade irgendwie furchtbar ist, womit man ja meistens Recht hat (und dann auch Recht bekommt). Dazu gehört dann als Pflichtprogramm ein Symposion, in dem man gemeinsam (Eintritt frei) diskutiert, wie furchtbar gerade alles ist, und natürlich dient das Motto dann auch den Kritiker:innen, die dann alles Gesehene darauf beziehen und dann darüber schreiben können. Zum Beispiel darüber, ob es zum Thema passte oder eben auch nicht („in diesem Konzert war die Zeit definitiv nicht aus den Fugen“ oder „XXX machte mit seiner Inszenierung alles richtig, die Zeit war gleichsam aus den Fugen“). Das ist immer noch besser, als darüber schreiben zu müssen, wie Pollini wegen falschen Umblätterns tobt. Obwohl, unter dem Motto „Wie Blätter im Wind“ wäre das wiederum vollkommen ok.

Besonders beliebt sind auch Wortspiele bei Mottos: So heißt zum Beispiel die Konzertreihe für Kleinkinder in der Alten Oper Frankfurt „Rabauken und Trompeten“. Das ist aber eher ein Titel für die Eltern, denn ob kleine Kinder das altertümliche Wort „Rabauke“ überhaupt noch kennen, ist äußerst fraglich. Aber die Eltern zahlen halt die Tickets.

Nichts gegen Mottos und Themen. Ich habe auch schon einige erfunden, und klar, genauso wie ein rosa Post-it das man bei einem Brainstorming an die Pinnwand heftet, und auf dem vielleicht „Achtsamkeit“ oder „Kommunikation“ steht, kann es einem helfen, mit einer Sache voranzukommen. Aber müssen sie immer sein? Warum haben gefühlt 99% Prozent der Spielpläne und Konzertreihen ein „Motto“? Ist das eine Beschäftigungstherapie für die Dramaturgie? Apropos Dramaturg:innen – ich weiß, dass viele von ihnen unter der Last dieser jährlichen Themen fast zerbrechen, und lieber freier agieren würden.

Wenn etwas zum unausgesprochenen Standard geworden ist, ist es an der Zeit, es vielleicht mal zu hinterfragen, denn soweit ich die Musikgeschichte kenne, war die pflichterfüllende Mottokomposition eher die Ausnahme als die Regel. Die „Eroica“ entstand nicht, weil Graf Popanz von Mützenburg das verpflichtende Motto „Napoleon“ ausgab. Das „wohltemperierte Klavier“ entstand nicht als schnöde Themenerfüllung des Festivals mit dem Thema „Temperamente“.

Zugegeben, wenn ich einer Eigenkomposition einen Titel gebe (zum Beispiel „Außer Atem“) gebe ich dem Stück ebenfalls ein Thema, ein Motto. Aber das entscheide dann wenigstens ich, diese Freiheit finde ich etwas sehr Schönes. Ich kann es machen wie Enno Poppe („Arbeit“), Richard Ayres („25“), Morton Feldman („The Viola in My Life“) oder wie Peter Ruzicka („…(hier Celan-Zitat einsetzen)…“).

Das Problem mit übergreifenden Mottos ist, dass oft etwas passend gemacht wird, was gar nicht passt (dann wäre kein Motto besser gewesen). Oder dass Dinge ausgeschlossen werden, die zwar wunderbar sind, aber nicht zum Thema passen.

Gelegentlich bekomme ich von mein meinen Verlegern Mails geschickt wie zum Beispiel „Hast du etwas, das zum Thema Schnürsenkel/Gottesfurcht/Katerstimmung etc. passt?“ Dann durchforste ich mein Werkverzeichnis und liste Stücke auf, die vielleicht passen könnten, viele davon vielleicht nur, wenn man sie persönlich an den Haaren herbeizieht. Aber so funktioniert unser Markt eben: wir können es kaum ertragen, wenn ein Stück an sich erst einmal ein Stück ist, vielleicht sogar viele „Themen“ hat. Je besser wir es einordnen können, desto besser lässt es sich im Markt verkaufen. Das ist dann so, wie wir es alle (was unserer kapitalistischen Erziehung zu verdanken ist) aus dem Supermarktregal kennen: Zahnbürsten stehen neben Zahnpasta und Klobürsten stehen neben WC-Reinigern. Und so sind auch viele Werke der Klassik einsortiert.

In einem durchschnittlichen „Nachtkonzert“ im Radio wird man zum Thema „Nacht“ mit 100% Sicherheit Mozarts „Kleine Nachtmusik“, „Verklärte Nacht“ von Schönberg und „Mondnacht“ von Schumann hören.

Oder auch Stücke, die immer und überall zu absolut jedem Motto passen. So kann zum Beispiel ein Stück wie „Unanswered Question“ von Charles Ives fast immer gespielt werden, da jedes Thema ja auch eine „unbeantwortete Frage“ beinhaltet.

„Unanswered Question“ bei „Die Zeit ist aus den Fugen?“. Passt!

„Unanswered Question“ bei „Rabauken und Trompeten“? Passt auch (die berühmte Trompetenmelodie!)

Ives passt auch zum Motto „Klimawandel“, zu „Gottesfurcht“ ohnehin, zu „Katerstimmung“ („Warum nur habe ich gestern Nacht so viel getrunken?“), ja, sogar zu „Schnürsenkel“ passt das Stück, denn wer weiß schon, wie man Schnürsenkel richtig bindet? Ich nicht.

Dass diese Diskussion nicht nur in den Hochburgen der Kultur, sondern auch in der „Provinz“ geführt wird, zeigt dieser authentische (leicht gekürzte und anonymisierte) Auszug aus einem Internetforum für Blaskapellen:

X: Wir möchten gerne im Herbst ein „Mottokonzert“ machen. Wie z.B. „Filmmusik“ oder „Trachtenabend“. Hat jemand sonst noch Ideen?

Y: Wenn Mottokonzert, dann bitte ein richtig enges Thema, kein so Geschwurbel wie „Musikalische Weltreise“, Klangfarben“ oder so. Richtig durchziehen: „Nur Titel, die eine Zahl im Namen tragen“ beispielsweise.

Z: Das Motto dient doch eher dazu, dem Konzert einen Rahmen zu geben, an den sich zum Beispiel Moderation und Dekoration anlehnt und an den sich ein Zuhörer vielleicht im nächsten Jahr noch erinnert und sagt „ach ja, letztes Jahr das mit der „Reise um die Welt“, das war ein schönes Konzert.“

Y: Definitiv, so hat man einen „roten Faden“ (sic!), den man auch in der Moderation aufgreifen kann. Ich finde die Idee super.

Q: Wir fahren seit 4 Jahren unsere Programme nur noch als Mottokonzerte und haben seitdem sehr gut besuchte Veranstaltungen. Wir hatten als Themen „Cinema“, „Musical“, Adventure“, „Classic“, „Television“ und jetzt kommen “Jazz“ und „Christmas“.

Ich mache mich über diesen Austausch nicht im Geringsten lustig. Ich finde ihn erfrischend ehrlich und zielgerichtet. Wofür viele Festivals oder Konzerthäuser lange Erklärungen brauchen, wird hier schnell und zielorientiert besprochen. Das Motto ist für die Moderation, die Dekoration und dafür, dass man sagt, „das mit der „Zeit aus den Fugen“, das war ein schönes Festival“. Darum geht es eigentlich.

Ich freue mich daher schon jetzt auf die nächsten Mottos der Salzburger Festspiele. 2024: „Classic“. 2025 „Adventure“, 2026 „Titel, die eine Zahl im Namen tragen“ und natürlich 2026 „Currentzis Forever“.

Ich empfehle für letzteres das Stück „Unanswered Question“.

Moritz Eggert

(Hut ab übrigens vor der legendären Sendung „Titel, Thesen, Temperamente“, deren erste Folge hier zu sehen ist)

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