Raub der Sabiner*innen – oder: Die Franziska Giffeys des Musikjournalismus [Geändert am 1. Juli 2023]

Man hat es wohl hier und da mitbekommen: Seit 2019 schreibe ich eine Serie über Komponistinnen für die Kolleginnen und Kollegen vom VAN Magazin. Das Ganze erscheint Mitte November 2023 als Buch beim Aufbau Verlag. Und darauf freue ich mich.

Werbung

Das Thema „Komponistinnen“ wird derzeit – endlich – stark diskutiert. Manche Orchester und Konzerthäuser füllen ihre Programme nun teilweise flächendeckend (und aufregend) mit den Werken von Komponistinnen. Da, wo aber vermeintlicher musikjournalistischer „Erfolg“ ist, da sind aber auch Leute am Start, die ganz einfach dreist klauen.

Neben Leuten eines Komponistinnen-Instagram-Kanals, die meine Artikel anfangs noch als Quelle dann und wann nannten, dies dann aber offenbar als „zu anstrengend“ empfanden, bin ich unlängst auf einen YouTube-Kanal gestoßen, den offenbar eine Gruppe von Personen nutzt, um Komponistinnen-Biographien nachzuerzählen. Eigentlich eine schöne Sache. Aber … Schon eine einzige Stichprobe ergab, dass diese (jungen?) Menschen offenbar von Wissenschaftlichkeit bisher wenig gehört haben.

In einem [inzwischen gelöschten, 1. Juli 2023] Video zu der Komponistin Josepha Auernhammer (veröffentlicht am 3. Dezember 2022) hieß es unter anderem (im genauen Wortlaut, bei Minute 00.40): „Schließlich galt es beispielsweise, die Mannheimer Familie Weber nicht zu irritieren (aus der heraus Wolfgang Amadeus Mozart bekanntlich im August 1782 Constanze heiratete).“ Unglücklich nur, dass dieser nachweislich von mir stammt – und zwar aus meinem am 5. Oktober 2022 veröffentlichten Artikel zu eben jener Komponistin Auernhammer (Quelle).

Okay, ich habe in meinem Leben schon viel geschrieben. Manchmal musste es auch (sehr) schnell gehen. Aber ich schwöre, dass ich noch nie, nicht ein einziges Mal irgendeinen Satz irgendwoher „geklaut“ habe. Ich zitiere gerne, gebe gerne Quellen an. Ich finde, die Angabe mehrerer Quellen kann auch durchaus ein Zeichen für die Intensität der Beschäftigung mit einem speziellen Thema sein. Umso weniger verstehe ich es, dass Leute einfach so exakte Formulierungen (die, das ist ja dann noch besonders bedauerlich, noch nicht einmal brillant, sondern „stinknormal“ sind, wie mein oben zitierter Satz zeigt) stibitzen.

Weiter ging es in einem am 6. Dezember 2022 veröffentlichten Video zu Nadia Boulanger [ebenfalls gelöscht, 1. Juli 2023]. Da hieß es (bei Minute 00.22): „Sie war die älteste Tochter der aus Russland stammenden adeligen Sängerin Raïssa Mychetskaja (1858–1935) und des Komponisten Ernest Boulanger (1815–1900).“ Der Satz (ebenfalls, hä?, doch nun wirklich nicht pulitzerpreisverdächtig) stammt ebenfalls aus einem meiner Artikel (vom 21. September 2022).

Immer bedien[t]en [Stand: 1. Juli 2023] sich die Kanalbetreiber auch der Musik, die ich jeweils individuell rausgesucht habe und bespreche. Und daraus wurde dann (mangels Ambition?) zitiert. In dem Nadia-Boulanger-Video hieß [Stand: 1. Juli 2023] es (bei Minute 03.44, übrigens virtuos kontrapunktiert von einem nicht herausgeschnittenen Versprecher): „Die Mutter selbst ist alleine – traurig, und muss doch das Trostlied für ihr Kind weiter und weiter singen. Wie sich bald herausstellt […], handelt es sich um ein Lied, das sich auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs bezieht – und das im Angesicht des Weihnachtsfestes. […]“ Und so weiter – und so weiter …

Das klang so, als würde das im Hier und Jetzt gerade lebendig anmoderiert werden. Eigentlich schön, aber: in entscheidenden Teilen von mir. (Entschuldigung.)

Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert