Libera te – das Verdi-Requiem mit MusicAeterna und Currentzis in Baden-Baden und mehr 2022

Über Teodor Currentzis und sein Orchester und Chor MusicAeterna im Herbst 2022 zu schreiben heißt, das Geschehen in Russland und in den sozialen Medien zu untersuchen, die von dem Ensemble und seinen Mitgliedern genutzt werden. Das bedeutet aber auch, nach den dem Schreibenden zugänglichen Möglichkeiten, bei Gelegenheit MusicAeterna live zu betrachten. Besonders interessant war die Tage hierfür die Auftrittserie im Festspielhaus Baden-Baden.

Werbung

Besonders interessant war hier die Veränderung vom zuerst angekündigten Tristan und Isolde Debüts Currentzis‘ hin zum dann dieses Programm ersetzendem Verdi-Requiem. Im August kündigte MusicAeterna auf seiner Webseite vor den geplanten Wagner-Oper Auftritten plötzlich Termine damit in Moskau und St. Petersburg an, sogar mit westlichen Solisten. Nach Online-Protesten zuerst auf sozialen Medien und dann in Zeitungen sowie Absagen aus dem Westen, da im von der sanktionierten VTB-Bank gesponserten St. Petersburger Dom Radio geprobt worden wäre bzw. die Teilmobilmachung einem der Sänger mit Verbindungen in Russland wie im Westen einen Auftritt nun endgültig unzumutbar erscheinen ließ, wurde das Tristan-Projekt in Russland wie in den Konzerthäusern in Baden-Baden und Dortmund abgesagt. Kritische Stimmen dachten nun, dass ein Mindestmaß an Transparenz einkehrt und das sich abzeichnenden geänderte Programm für Deutschland auch nur ausschließlich in Deutschland geprobt und aufgeführt würde.

Dann wurde der Schwenk zum Verdi-Requiem angekündigt, mit Aufführungen in Russland und Deutschland, allein Alt, Tenor und Bass würden im jeden Land andere Namen sein, in Deutschland dann die aus Russland mitgebrachte Sopranistin Zarina Abaeva, die das auch in Russland mitprobte und Moskau wie St. Petersburg mitaufführte. Die ursprünglich für Tristan und Isolde geplanten Sänger Eve-Maud Hubeaux, Andreas Schager und Matthias Goerne in den weiteren Partien. Das Festspielhaus Baden-Baden stellte das dann so dar, dass ein paar wenige Tage vor den Aufführungen am 17. und 20.11.2022 das Projekt in Deutschland ausführlich geprobt würde. Allerdings sagte man nicht, dass der wesentliche Teil der Produktion, nämlich Dirigent, Sopranistin, Chor und Orchester im VTB-Bank gesponserten Probenort probten und durch zwei Aufführungen in Russland bestens vorbereitet in Baden-Baden ankamen, das Festspielhaus eben direkt davon künstlerisch und organisatorisch profitiert, wenn die basalen Proben für 150 Musiker in Russland erfolgen, ohne die kein Ton im Westen möglich wäre, es sei denn, man hätte dies aus Transparenzgründen genauso im Westen proben lassen. Doch so lief nicht. Man findet vielmehr in sozialen Medien Proben des Requiems im Dom Radio. Besondere Dreingabe der Aufführung in St. Petersburg war die Anwesenheit des Chefs der Erimitage, mit der Musicaeterna bereits öfters kooperierte und deren Chef zuletzt auch von der positiven Bedeutung von Bomben für die russische Kultur schwadronierte. Und ganz besonders bemerkenswert war die sichtbare Anwesenheit von Alexander Miller, dem Gazprom-CEO, der uns im Westen sukzessive das Gas abdrehte und zynisch mit seinem Konzern uns einen kalten Winter prophezeite. Nicht zu vergessen, dass er Currentzis und MusicAeterna im Frühjahr eine Russland-Tournee finanzierte, als man eigentlich hier im Westen hoffte, dass ein unproblematischer Förderer am Horizont auftauchen sollte.

Die Konzerthäuser und Fans von MusicAeterna tun immer so, als sei das Ensemble durch und durch samt Currentzis gegen den Ukraine-Krieg und eine russische Friedenstaube. Dass im Kuratorium des Ensembles enge Putin-Abhängige wie der Gouverneur Beglov von St. Petersburg sitzen, die Chefin der russischen Nationalbank Nabuillina, der VTB-Bank-CEO Kostin, wird gerne übersehen. Man mache mit Currentzis und seinen deutschen Vertretern Verträge, nicht mit dem Kuratorium, das aber kongenialer Bestandteil des Ensembles ist und explizit in seiner Sitzung im Dezember 2021 über Strategien der Verankerung von MusicAeterna mit westlichen Partnern nachdachte.

Zudem wurde bekannt, dass sich einzelne Mitglieder des Ensembles kaum in Baden-Baden angekommen, über die Deutschen und ihre Energiekrise lustig machten. Als dann der entsprechende Geiger von den Auftritten in der Bäderstadt suspendiert wurde, regte sich darüber eine Chorsängerin auf ihrem inzwischen stillgelegten Telegram-Kanal auf. Als der Schreibende daraufhin den Kanal ansah, wurde offenbar, dass die Frau dort z.B. Kreml-Narrative bediente, die den ukrainischen Präsidenten als Kokain abhängig oder Marionette der USA darstellen oder sogar den Ultranationalisten Schirinowski teilte. Natürlich gibt es in jedem Ensemble auch unangenehme Leute, die auch vor allem via soziale Medien auffällig werden. Doch zeichnet das auch ein Bild davon, wie unstimmig die PR-Narrative von Fans und Veranstaltern sind, dass trotz kremlnaher Finanzierung MusicAeterna und Currentzis unproblematisch seien.

Also genug Gründe, nach Baden-Baden zu fahren. Ich kam am Samstag an, zum sogenannten Carte Blanche Abend. Wer genau hingesehen hat, bemerkte längst, dass z.B. Proben im VTB-Bank-Dom-Radio auf Instagram geteilt wurden. So kam es zu einem Ouvertüren- und Chöre-Konzert aus Wagner-Opern, wie man es alle Nase lang von regionalen Orchestern hierzulande gewohnt ist. Ein Abenteuer an neuartiger Dramaturgie, wie es genauso viele deutsche Orchester inzwischen bewerkstelligen und Wagner über die Epochen mit Älterem, damals und heute je Zeitgenössischem konfrontieren, das war nicht zu erleben, obwohl MusicAeterna früher öfters so z.B. auf der Ruhrg-Triennale zu erleben war. Eine Dringlichkeit für solch ein Programm und den teuren Aufwand ein russisches 150 Ensemble mit via Eriwan mit 25 Stunden Reisezeit einzufliegen, besteht eigentlich unter all den Präliminarien nicht.

Natürlich hat vor allem der Mittellagenklang der Streichinstrumente wie zu Beginn des Tristanvorspiels seine Magie oder die Holzbläser im Mittelteil der den 2. Akt vorausnehmenden Elemente des Meistersinger-Vorspiels. Doch wenn im zweiten Abschnitt des Lohengrin-Vorspiels die Bassklarinette den Wagner-Violinschlüssel eine None oder Dezime tiefer im G-Saiten Register der Celli spielt, liegt ein doch größerer Lesefehler vor, der dem Dirigenten auffallen sollte. Dass Wagner den Part sonst im Bassschlüssel notiert und hier das obere Register, nicht die Tiefe meint, ergibt sich auch aus dem Kontext, der nach den hohen Geigen hier die mittleren Holzbläser setzt und erst später die tiefen Streicher und Blechbläser einführt. Genauso wurde den Hörenden am Ende des Liebestodes aus Tristan und Isolde in der Fassung ohne Sopranistin das überhängende Solo-Dis der Oboe verweigert. Unverzeihliche Interpretationsfehler, die nur absoluten Anfängern unterlaufen. Der zu Zweidritteln volle Saal mit vielen im russischen Akzent Sprechenden war begeistert, obwohl manche Stimme meinte, dass zwei Tage zuvor das Verdi-Requiem interessanter gewesen sei.

Der Kontrast zwischen billigen russischen Tutti-Musikern, die zwar teuer anreisen müssen und dem Gourmetpublikum zeigte sich dem Schreibenden nach dem Konzert, als MusicAeterna sich sehr ärmlich und sparsam beim Supermarkt um die Ecke eindeckte, wo sogar der Chorleiter zu sehen war und „uns“, die wir ohne zu zögern 20 Euro danach allein für eine Pizza ausgeben. Zwar trifft man beizeiten auch auf Berliner Philharmoniker dort im Supermarkt. Der Spalt aber zwischen den Russen und dem deutschen Normalbürger wurde sehr deutlich, ganz zu schweigen der Unterschied zum hier wie in St. Petersburg privilegierten Currentzis, dem die Stadtregierung z.B. im Februar diesen Jahres eine Erweiterung seiner Wohnung auf Kosten des Ateliers eines Bildenden Künstlers ermöglichen wollte, was erst nach lokaler Kritik unterblieb.

Ich hielt mich in einem Hotel auf, in dem auch der Chor untergebracht war. So konnte man ganz banal alltäglich russische Leute wie ich und du beim Frühstück und Chat mit zuhause erleben, daneben Fans, die über St. Petersburg und das Utopia-Orchester kritiklos sprechen und genauso dort schliefen. Dennoch ist es eben nicht so banal, wenn man weiß, wie wenig Russen eigentlich immer schon überhaupt beruflich oder wirtschaftlich ihr Land verlassen können. Natürlich sind MusicAeterna-Mitglieder auch Leute wie du und ich. Doch für russische Verhältnisse sind sie privilegiert. Und um wie ihr Dirigent Currentzis das Privileg der Westreisen zu erhalten, trifft man keine Aussagen zum Krieg ihres Landes. Ja, wiederholt sogar vereinzelt Kreml-Narrative. Zeigt den Daheimgebliebenen wie toll es einem dennoch geht mit allen Sehenswürdigkeitenbildern, Beste Freunde beim auch gutem Essen und teuren Getränken, Supermarkt hin und her, wie man das Privileg auslebt. Eigentlich würde man ein wenig Depression erwarten, wo weitere Auftritte in Baden-Baden und Dortmund in Zukunft offen sind. Doch stattdessen nur nettes Feiern auch in Realität oder Jammern über suspendierte Kollegen wegen ihres Verhaltens gegenüber dem Gastland.

Gestern dann endlich das Verdi-Requiem. Dass Goerne kein Bass, sondern ein Bariton ist und daher seine Einschwingungen im tiefen Register im Forte problematisch waren und Schager sich extrem mit seinem Wagner-Heldentenor zurückhalten musste, was ebenfalls nicht unproblematisch war, geschenkt. Auch Abaeva hatte im letzten Libera me im Chor statt vorne platziert in den a cappella Abschnitten mit dem Chor nicht ihre intonatorischen Sternstunden. Da Solo-Sänger gewisse kleine Unschärfen einsetzen, um sich vom Tutti abzusetzen wäre hier sicherer mit der Platzierung neben dem Dirigenten gewesen. Immerhin war der letzte Ausbruch aller mit Libera me unglaublich eindrucksvoll. Ja, lieber Gott, befreie Currentzis aus seinen Widersprüchen. Doch ist davon auszugehen, dass es bei unterschwelligen Tutti-Seufzern bleiben wird.

Das Publikum lieferte dann Standing Ovations, die Mitglieder von MusicAeterna lagen sich wie gewohnt in den Armen. Natürlich sind das grandiose Musiker mit ihren tollen Pianissimi und wuchtigen Forti. Vielleicht sind sie sogar darin wichtiger als ihr Currentzis, der auch durch sie vor allem groß ist. Denn seine Tempi und Klangvorstellungen sind dann eben doch jenseits der dynamischen Überdeutlichkeit, die hier trotz extremer Leisestellen gehobener Durchschnitt, vor allem Dank seiner Probenvornehmheit und noch mehr dem Können seiner Musiker geschuldet. Bleibt man bei der Interpretation und all dem lauten, unmotivierten Aufstampfen auf dem Dirigierpodest, bleiben sehr schöne Stellen, ein flotter Zugriff, was aber ein doch weitaus verbreitetes Vademecum ist. Die hiesigen Orchester haben das auch, wenn auch zugegebenermaßen hierzulande die hinteren Pulte doch zu oft unmotiviert aussehen und Kleidung und Rituale eingestaubt sind wie das eigene Publikum. Wenn bei MusicAeterna dann im Libera me der vornehme französische Nachbar die Brille zum Tränen abwischen abnimmt, zugleich nochmal ein Parfümrestduft im Seufzen der alten Damen durch den Saal weht, ist das selbstmitleidige Befreie mich von Publikum und russischen Musikern angesichts von 15 Millionen ukrainischen Geflüchteten aufgrund des russischen Angriffskrieges etwas unangebracht.

Danach ergab sich in einem Restaurant die Chance, nachdem ich und ein Musiker des Ensembles die letzten Gäste waren, die Chance, ihm für seine Soli zu gratulieren und zugleich zu fragen, ob denn nun das Konzert ein Statement gegen den Angriffskrieg war. So kündigten konzertierte Pressemitteilungen aus Baden-Baden und Dortmund den Wechsel von Tristan zum Requiem an. Gerade weil ich Geflüchtete aus Mariupol tatsächlich selbst in der Flüchtlingsarbeit erlebt habe, musste ich das fragen. Er sagte dann mit seinen beiden ihn begleitenden Nicht-Ensemble-Mitgliedern, dass es imm tragisch sei, wenn Menschen sterben. Brutal gesagt, kann sowas sogar Putin von sich geben. Vielleicht ist das Indifferente auch als Antwortmöglichkeit per Anweisung verordnet worden. Eine Frau war doch noch anwesend und rief dann, ich solle so etwas nicht in Baden-Baden Russen fragen. Als dann die Russen sogleich weg waren, fragte ich sie, warum. Sie sagte, sie habe jahrelang mit Russland zu tun gehabt und man muss davon ausgehen, wer aus Russland offiziell hier gastiert, ist schon auch vom Regime dafür bestimmt und vorbereitet. Und ich muss mich um mich selbst sorgen. Denn solche Fragen würde man mir bei Einreise nach Russland negativ auslegen. Dann sagte ich, dass ich den Mann für einen Künstler halte. Sie: wer so wie die aussieht, die hierher reisen dürfen, das seien doch keine wahren, richtigen, widerständigen Künstler. So ging ich komplett verwirrt nach dem gescheiterten oder merkwürdigen Kommunikationsversuch.

Im Bett sah ich dann Kent Nagano mit Concerto Köln und dem Dom Vokalensemble Köln, oder so ähnlich. Naturhorn spielte sogar jemand, der auch in älteren Arte-Produktionen mit MusicAeterna zu hören ist. Nach Unschärfen der Solisten und vor allem des Chores im Kontrast zum unglaublich guten MusicAeterna-Chor trotz der schlimmen Telegram-Ausfälle, nach dem doch sehr gemäßigten Dirigat von Nagano der Beethovschen Missa Solemnis, dachte ich, mit den Russen wäre das vor ein paar Jahren viel spannender geworden. Ich muß sagen, dass ich mir heutzutage aber weder das eine noch aber die untertourige Mäßigung dieses Beethovens trotz Originalklang vorstellen will. Bliebe MusicAeterna nun doch plötzlich hier, nachdem man z.B. in Dortmund unerwartet die ukrainische Hymne gibt, da wäre alles auf Null und ich begeistert. Doch nach all den kontrastreichen Erfahrungen ist ausgerechnet das am allerwenigsten zu erwarten.

 

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.
Komponist*in

Komponist*in