Was ist Musikvermittlung? – Teil 2

Teil 1

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Das möglicherweise Vögel imitierende Geräusch begeistert zunehmend einige Höhlenmitbewohner*innen unseres sympathischen (aber erfolgsgeilen) Stammes von Schwäbinnen und Schwaben. Der Finder, Erfinder und Erstbläser der Knochenflöte ist vor eine wesentliche Situation gestellt. Eine wesentliche Situation der Musikvermittlung. Ab hier geht es in zwei Richtungen. In Richtung zweiter Leitlinien, vielleicht sogar zwei Philosophien der Musikvermittlung:

1.) Die des Elitären, Quasi-Religiösen, Bewahrenden, Marketingmäßigen (wie man damals sagte).
2.) Die des Teilens, Mitbegeisterns, der Authentizität, der Liebe.

Drücken wir erst einmal die „1“ und gehen dieser Linie nach. „1“ meint hier auch: ein bestimmtes Verhalten des Flötenfinders. Uwe. (In diesem Moment denke ich nach, ob „Uwe“ nicht für etwas stehen könnte. Also nicht nur als albernes Synonym für unseren virtuell erdachten Flötenfinder. Sondern im Sinne eines Akronyms. „Uwe“. „Unser Welt-Erfinder“, aber dadurch hätte man wieder so etwas schrecklich Elitäres projiziert. Schon der Gedanke, dass auf der Schwäbischen Alb die Musik, die Musikgeschichte und die Musikvermittlung erfunden wurde, bedarf eigentlich eines Exkurses. Ein Exkurs darüber, dass sich viele Protagonist*innen abendländischer Musikgeschichtsschreibung überlegen fühlen; weil wir die – sicher nicht ganz singuläre – Notenschrift haben, die uns ab circa 800 n. Chr. eine besondere Stellung in der Musikhistorie ermöglichte; Notenschrift als Überbringerin vergangenen Musizierens und Komponierens; Notenschrift als Gewährleisterin des Tradierens und Weitertreibens. Dieser Exkurs müsste viel länger sein. Darüber gibt es Bücher.

Die Idee mit der Schwäbischen Alb ist also latent elitär, weil hier heimlich (durch die Daimler-Benz-Hintertür) vermittelt würde: Wir haben nicht nur Bach, Beethoven und Wagner. Wir haben’s halt auch erfunden. Alles. Schon immer. Schon vor 50.000 Jahren. Eine Art der Geschichtsschreibung, mit der schon viel Politik gemacht wurde. Zum Beispiel im Nationalsozialismus. Der Arier, der seine (behaupteten) Wurzeln nur in den ältesten Bildungskulturen hat. Wagner als derjenige mit dem einzig „echten Gefühl“. Die wahre deutsche Tiefgründigkeit! Die jüdischen Komponistinnen als Imitatorinnen und Witzfiguren. Nein, das wollen wir alles nicht. Aber wir müssen es mitdenken. Sollten. Nein, doch: müssen.

Wie verhält sich nun Uwe 1? Die zwei Höhlenmitbewohner, die nach dem ersten Pfiff gleich auf ihn zueilten, wehrt er ab. Versteckt die Flöte, verbirgt sie in seiner Hand. Ja, er hält die beiden Stammesbrüder von sich weg. Einerseits scheint er immer noch überrascht von sich selbst zu sein. Andererseits ist er überfordert von so viel Zuspruch. Denn bisher war Uwe eher einer der Unauffälligen gewesen. Einer der „Mittleren“, sogar „Unteren“. Heute darf man kein Bodyshaming mehr betreiben. Und um seinen Körper geht es auch (fast) gar nicht. Aber wir sind ehrlich: Uwe ist nicht gerade der Hübscheste des Stammes. Und besonders gescheit ist er auch nicht. Will heißen: Beim Feuermachen, bei der Jagd hat er sich bisher nicht mehrheitlich geschickt angestellt. Gilt eher als mürrisch, zurückgezogen, schüchtern. Aber jetzt: Jetzt hat das Gefühl, er könne mit den Vögeln sprechen! Mit den Geistern der Natur. Und er kann sich genau erinnern. Vor ein paar Monaten donnerte es am Himmel. Es blitzte. Die Natur spielte verrückt. Es war so ohrenbetörend laut. „Ohrenbetörend“: Ja, nicht „ohrenbetäubend“, denn Uwe 1 fand die Lautstärke großartig. Dieses Archaische. Er liebte es, wenn die Frauen seines Stammes, die er interessant fand (sie ihn nicht), Angst hatten. Dann weinten sie. Und Uwe hatte das Gefühl, dass ihn das stärker macht, wenn andere weinen. Denn am liebsten würde er selbst häufig weinen. Zum Beispiel über sein fliehendes Kinn.

[Fortsetzung folgt.]

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.