Klaus Lederer pennt, Pollesch inszeniert woanders, Barenboim ist verreist und der „Tagesspiegel“ irrt (wieder einmal)

So traurig können Konzertflügel schauen (c) Arno Lücker
So traurig können Konzertflügel schauen (c) Arno Lücker

Heute regt sich Rüdiger Schaper vom „Tagesspiegel“ darüber auf, dass Autor, Regisseur und Volksbühnen-Intendant René Pollesch auch am Deutschen Theater Berlin inszeniert, nicht nur an der Volksbühne: „Pollesch interessiert sich nur für Pollesch. In der Vorbereitungszeit der Volksbühnen-Intendanz inszenierte er bereits am Deutschen Theater – als gäbe es keine Konkurrenz in der Theaterstadt Berlin. Als lebte der Betrieb nicht von unterschiedlichen Profilen. Pollesch hat damit kein Problem. Er nimmt der Volksbühne, seinem Haus, das Kultursenator Lederer ihm anvertraut hat, den Wind aus den Segeln, wenn er sich anderswo verausgabt – mal abgesehen vom Inszenierungshonorar, das zusätzlich zum Intendantengehalt anfällt. So macht man Theater kaputt.“

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Zunächst halte ich es eigentlich für kein Problem, wenn Künstler:innen einer Stadt an den verschiedenen Theatern einer Stadt arbeiten dürfen. Mit der Präsenz ist es etwas ander(e)s. Denn wenigstens ist Pollesch die ganze Zeit in Berlin präsent. Seine Stücke sind entweder an der Volksbühne oder am Deutschen Theater zu sehen. Und wo wir von „Profilen“ sprechen: Worin besteht bitte das „Profil“ des Deutschen Theaters in Berlin? Darin, dass – egal, wer inszeniert – alle Regie-Handschriften gleich oder doch zumindest sehr ähnlich aussehen (außer die von Pollesch)?

Kein Whataboutism, sondern, ganz im Gegenteil, die dringliche Frage: Lieber „Tagesspiegel“, habt ihr da nicht den falschen alten weißen Mann ausgemacht?

Warum darf dagegen Staatskapellen- und Staatsopern-Chefdirigent Daniel Barenboim seit 30 Jahren machen (und vor allem: lassen), was er will? Er darf ungehindert Mitarbeiter:innen terrorisieren, sogar körperlich übergriffig werden, jede:n fertigmachen, auf die/den er gerade Lust hat. Gerät man einmal in das Negativ-Radar Barenboims, hat man keine Chance mehr. Alle kuschen. Voller Angst. (Die erste Frage aller Mitarbeitenden beim Betreten der Said-Akademie scheint zu sein: „Ist Barenboim da?“ Bei einem „Nein“ erfolgt ein entspanntes Ausatmen.) Was hat der oben erwähnte Kultursenator Klaus Lederer in der Causa Barenboim unternommen? Lederer verlängerte Barenboims Millionen-Vertrag im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Aufdeckung des Skandals. Gruselige Stimmung bei der damaligen Pressekonferenz. Lederer weiß um die Missstände der Kulturszene, müsste die fatalen Ungerechtigkeiten benennen und daraus schlichtweg nachvollziehbare Konsequenzen ziehen, gibt sich aber stattdessen – immer mit der bübelnden Geste des „mutigen“ Gegenschlags im Gesicht – als berlinernder „Künstlertyp“, wird Wowereit darin immer ähnlicher, hat(te) aber vor allem: Angst um seinen Job als Kultursenator. Den er jetzt – leider – weitere fünf Jahre machen darf. Profillos, unkritisch, ängstlich. Linke Politik? Mmh. „Linke Kulturpolitik“ ist es jedenfalls ganz sicher nicht.

 

Zwischenfrage: Welches „Profil“ hat denn eigentlich der scheidende Staatsopern-Intendant Matthias Schulz? Na? Hallo, „Tagesspiegel“! Matthias Schulz – natürlich von Barenboim geholt, damit der niemanden hat, der widerspricht; exakt wie im Falle des Pierre-Boulez-Saals, wo Ole Bækhøj gute Miene zum bösen Spiel macht – geht ja jetzt nach Zürich. Wo sind eigentlich die kritischen Stimmen, die glasklar zusammenfassen: „Matthias Schulz verlässt ein marodes Haus.“ Überhaupt: Berlin ist kulturell – (noch) völlig unabhängig von der Pandemie – so uninteressant wie seit Jahrzehnten nicht. Die drei Opernhäuser sind zweitklassig (mit gelegentlichen Ausnahmen glänzt die Komische Oper). In Philharmonie und Konzerthaus laufen konservativste, unmutigste Programme; Chefdirigenten wird tatsächlich erlaubt, Brahms-Zyklen als „spannend“ zu verkaufen. (Ich wiederhole: Brahms-Zyklen.) Nein, allein die drei Opernhäuser Berlins können den Häusern in Wien, München, Brüssel, Paris, Basel, Zürich und – kein Scherz – Hannover nichts entgegensetzen. Das beste Opernhaus Berlins ist – weiterhin – die Neuköllner Oper. Doch hier habe ich Klaus Lederer noch nie gesehen.

Lederer drückte nicht nur bei der Gorki-Affäre bis heute und lange auch beim #metoo-Skandal von Klaus Dörr an der Volksbühne beide Augen zu (Anm.: Dörr war von Lederer geholt worden), wusste wohl (siehe verlinkte Artikel) in beiden Fällen, was passiert war, sondern lässt auch Barenboim, dessen künstlerische Leistungen keineswegs unumstritten sind, weiterhin gewähren. Die Stimmung bei Barenboimschen Staatskapellen-Proben ist seit Jahren grauenvoll, so berichtet man mir. Gut, das ist nicht unüblich. (Leider.) Nur nach außen hin wird gelächelt. Klar, denn die Musiker:innen der Staatskapelle bekommen ja auch 15 bis 30 Prozent mehr Gehalt als die Mitglieder der meisten anderen Orchester Berlins. Ein von Barenboim gut verhandeltes Gehalt für „sein“ Orchester. Manche nennen es „Schweigegeld“. (Zwinker-Smiley). Ein Hornist wechselte einmal vom Konzerthausorchester zur Staatskapelle. Die gleiche Position: nur 1.000 Euro mehr. Allerdings mochte ihn Barenboim offenbar nicht. Also musste der Hornist wieder zurück ins Konzerthaus. Zum Kieksen, nicht?

Aber der Ausgangspunkt war ja: Pollesch. Dessen Stücke sind nun wirklich in Berlin sehr präsent. „Profile“: hin oder her. Aber wie steht es eigentlich mit Barenboims Präsenz? Sollte Barenboim nicht regelmäßig in Berlin dirigieren, wenn er von Berlin ca. 1,5 Millionen Euro pro Jahr bekommt? Schauen wir doch mal auf die Barenboim betreffenden Spielpläne der nächsten vier Wochen…

 

Die Staatsopern-Vorstellungen, die Barenboim nicht dirigiert, sind fett markiert.

Kursiv erscheinen Barenboims Auftritte außerhalb seiner Staatskapellen-Chefdirigenten-Tätigkeit.

Normal geschrieben sind Barenboims Dirigate der Staatskapelle Berlin außerhalb Berlins.

DURCHGEHEND GROSS GESCHRIEBEN SIND BARENBOIMS STAATSKAPELLEN-DIRIGATE IN BERLIN.

 

19.01.22: Dido & Aeneas (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Christopher Moulds) (Quelle)

20.01.22: Barenboim dirigiert die Staatskapelle in Köln (Quelle)

20.01.22 Ariadne auf Naxos (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Thomas Guggeis) (Quelle)

21.01.22: Barenboim dirigiert die Staatskapelle in Paris (Quelle) [entfällt allerdings]

22.01.22 Ariadne auf Naxos (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Thomas Guggeis) (Quelle)

22.01.22: Barenboim dirigiert die Staatskapelle in Paris (Quelle) [entfällt allerdings]

23.01.22: Barenboim dirigiert die Staatskapelle in Paris (Quelle) [entfällt allerdings]

26.01.22: Barenboim spielt mit seinem Sohn Kammermusik in Budapest (Quelle)

29.01.22: Ariadne auf Naxos (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Thomas Guggeis) (Quelle)

30.01.22: Tosca (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Andrés Orozco-Estrada) (Quelle)

03.02.22: Tosca (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Andrés Orozco-Estrada) (Quelle)

06.02.22: Tosca (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Andrés Orozco-Estrada) (Quelle)

08.02.22: Barenboim spielt Beethoven-Sonaten in Mailand (Quelle)

09.02.22: Tosca (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Andrés Orozco-Estrada) (Quelle)

11.02.22: Rigoletto (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Ivan Repusic) (Quelle)

12.02.22: Tosca (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Andrés Orozco-Estrada) (Quelle)

13.02.22: Die Sache Makropulos (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Simon Rattle) (Quelle)

16.02.22: Die Sache Makropulos (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Simon Rattle) (Quelle)

16.02.22: Barenboim spielt Beethoven-Sonaten im Pierre-Boulez-Saal (Quelle)

17.02.22: Rigoletto (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Ivan Repusic) (Quelle)

18.02.22: Tosca (Staatsoper Unter den Linden, Dirigent: Andrés Orozco-Estrada) (Quelle)

 

Wann dirigiert der Staatsopern-Chefdirigent Barenboim überhaupt einmal in Berlin? Am 2. April 2022: „Don Giovanni“ (Quelle). Das heißt, der Chefdirigent der Staatsoper Unter den Linden dirigiert zum ersten Mal im Jahr 2022 Anfang April an der Staatsoper Unter den Linden. Und das für 1,5 Millionen Euro. Wie finden das wohl die zahlreichen Musikschullehrer:innen und freien Musiker:innen, die im Schnitt innerhalb eines ganzen Jahres ca. 12.000 Euro verdienen? (Quelle) 12.000 Euro: Eine Einstiegssumme (!) für einen Klavierabend mit Daniel Barenboim; jahrzehntealtes Repertoire mit viel Pedal und halbem Tempo herunterspielend. (Ich fand Barenboim sowohl als Pianisten als auch als Dirigenten nie sehr gut, als Wagner-Dirigent allerdings ist er meist ordentlich.)

Die einen verdienen also 12.000 Euro im Jahr, Barenboim dafür 1,5 Millionen Euro. Die einen unterrichten Kinder und Jugendliche frei an Musikschulen; jeden Tag in der Arbeitswoche. Und der andere lässt sich bei seinem Opernjob für vier ganze Monate nicht sehen, um anderswo – und gelegentlich sein Orchester auf Tour (!) dirigierend – noch mehr Geld zu verdienen. Das hat mit Neid nichts zu tun. Das ist einfach unverschämt.

Klaus Lederer: Übernehmen Sie! (Wetten, nicht?)

Im März dirigiert Barenboim übrigens – Rüdiger Schaper: in Berlin! (#pollesch) – die Berliner Philharmoniker! (Quelle). In der Berliner Philharmonie. Es gibt – just: wow! – Verdis „Requiem“. Und, richtig, dafür wird Barenboim natürlich von der Stiftung Berliner Philharmoniker extra (fürstlich) bezahlt. (Vermutlich ca. 60.000 Euro dürfte er bekommen). Also nicht im Rahmen seines Vertrags als… als…

Welchen Job hat er in Berlin doch gleich?

Antworten bitte an die bekannte Adresse. Zu gewinnen gibt es – wie immer: nur Ärger.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.