Jobst Liebrecht: Die Sommer-Corona-Geschichte, oder: Wie meine erste Oper entstand. Ein Bilderbogen.
Der Komponist und Dirigent Jobst Liebrecht ist ein langjähriger und lieber Freund von mir, dessen Musik wesentlich mehr Beachtung finden sollte. Denn fernab von jeglichem Mainstream hat er einen ganz eigenen und unverwechselbaren Personalstil entwickelt, der sich komplett von allem unterscheidet, das man so kennt. Und das ist ein großes Lob! In den letzten Jahren ist seine Musik zu einer ganz eigenen Meisterschaft herangereift, deren Weisheit und hintergründiger Witz sich auch aus der Tatsache speist, dass Jobst sein ganzes Leben lang leidenschaftlich im Bereich der musikalischen Jugendförderung gearbeitet hat und dabei Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten begeistert an zeitgenössische Musik herangeführt hat.
Es sollte auch erwähnt werden, dass Jobst einer der liebenswürdigsten und wunderbarsten Menschen ist, die ich kenne. Und er hat seine eigene Art, mit den Dingen umzugehen – während andere (wie ich) in der Corona-Krise eher verstummen, lässt er sich von der Pandemie nicht unterkriegen (ohne sie deswegen nicht ernst zu nehmen).
Vor kurzem schickte er an seine Freunde den folgenden Beitrag über sein musikalisches Schaffen im Jahr 2020 – ich fand diese kleine Bildergeschichte als EInblick in das Liebrechtsche Denken so schön und voller positiver Energie, dass ich es den geschätzten Lesern unseres Blogs nicht vorenthalten wollte. Gerade in diesen Zeiten tut uns dieser Text gut, da bin ich ganz sicher.
Es geht weiter.
Euch allen eine besinnliche Weihnachtszeit, schöne Feiertage und einen Guten Rutsch!
Euer
Moritz Eggert
Jobst Liebrecht
Die Sommer-Corona-Geschichte, oder: Wie meine erste Oper entstand
Ein Bilderbogen
Im Juni 2020 hatte Deutschland die erste Corona-Pandemiewelle hinter sich. Ich hatte viel komponiert und konnte nur für mich allein Musik machen:
Der Lockdown wurde wieder gelockert, und es bestand die Möglichkeit, zu reisen. Meine Frau und ich machten die erste und einzige gemeinsame Reise dieses Sommers, die nur eine Nacht und einen Tag dauerte, nach Mitteldeutschland. Wir besuchten zuerst das Rosarium in Sangerhausen:
Dort gab es unendlich viele Rosen, und viele hatten phantasievolle Namen, z.B. „Papagena“ oder „Henri Matisse“:
Es war sehr sonnig und sehr windig und ich trug, wie man sieht, die ganze Zeit keinen Hut:
Als wir das Rosarium nach vier Stunden verließen, war mir etwas schwindelig, und im Auto bei der Weiterfahrt war ich völlig erschöpft. Außerdem wurde es nun in der Mittagszeit sehr warm, als wir nach Bad Lauchstädt gelangten. Dort steht das berühmte Goethe-Theater mit der Büste des Dichters davor:
Alles war wegen Bauarbeiten verschlossen, und ich schleppte mich um das Theater herum in den Park. Auch die Erfrischungshäuschen waren alle verschlossen:
An dem Teich der Kuranlagen schließlich, auf dem schon Goethe und Schiller Boot gefahren waren, fand ich eine Cola, die mich etwas aufmöbelte, bevor wir durch günstige Umstände eine kleine Führung durch die Kur- und auch Theateranlagen ergatterten.
Immer noch benommen trudelte ich erleichtert in den Schatten der klassizistischen Gebäude.
In Vitrinen waren Modelle des Theaterbaus ausgestellt, den wir gleich zu sehen bekommen sollten:
In einem abgedunkelten Raum schlief ich fast ein, während aus einem Lautsprecher Anekdoten erzählt wurden, so auch die berühmte, der zufolge bei der Aufführung von Schillers „Braut von Messina“ bei einer pathetischen Rede, in der das Wort „Donner“ eine hervorragende Rolle einnahm, plötzlich ein realer Donnerschlag eines Gewitters das gesamte Publikum erbleichen ließ. Dieses geschah am 3. Juli 1803 in Anwesenheit vieler berühmter deutscher Dichter und Denker.
Mit nur vier Personen wurden wir nun in das Theater eingelassen, und ich fand mich direkt vor der Bühne auf einer einfachen langgezogenen Zuschauerbank wieder, immer noch benommen und leicht duselig:
Ich blickte wie im Nebel auf die Bühne.
Trotz der Kleinheit des Ganzen war das seit dem antiken Theater von Epidaurus und dem Teatro Olimpico in Vicenza der größte Theaterraumeindruck, den ich je hatte – oder lag das alles nur an meiner Umnebelung?
Da plötzlich wurde ich von einem Blitz getroffen, einer IDEE! —– Es wurde Licht:
Wie wäre es, wenn hier ein italienischer Theaterhallodri
auf die Bühne spränge, ein Possenreißer, Schwadroneur wie damals in Wien der wunderbare Johann Nestroy?
Und dieses noch namenlose Theaterwesen erzählte dem Publikum seine beschwerliche Irr- und Wanderfahrten durch Deutschland in Coronazeiten? Ja, so wie wir alle uns gerade hier durchschlagen? Ja, wie wäre das?
Zuhause in Berlin setzte ich mich die nächsten Tage anstandslos vor den PC und tippte in einem Schwung dieses Libretto in die Tasten:
„ Strozzi und der Donner zu Messina“
Denn der Theaterhallodri hieß jetzt Salvio Strozzi, er hatte einen Namen bekommen, und er redete wie am Fließband. Es ging gleich so los:
„Der Palast der Könige ist jetzt geschlossen,
die Gerichte haben sich von den Toren der Städte in das Innere der Häuser zurückgezogen,
die Schrift hat das lebendige Wort verdrängt,
das Volk selbst, die sinnliche lebendige Masse ist,
wo sie nicht als rohe Gewalt wirkt,
zum Staat, folglich zu einem abgezogenen Begriff geworden,
die Götter sind in die Brust des Menschen zurückgekehrt.
Der Dichter muß die Paläste wieder auftun,
er muß die Gerichte unter freien Himmel herausführen,
er muß die Götter wieder aufstellen,
er muß alles Unmittelbare,
das durch die künstliche Einrichtung des wirklichen Lebens aufgehoben ist,
wieder herstellen
und alles künstliche Machwerk am Menschen und um denselben,
das die Erscheinung seiner Innern Natur und seines ursprünglichen Charakters hindert,
wie der Bildhauer die modernen Gewänder,
abwerfen
und von allen äußern Umgebungen desselben nichts aufnehmen,
als was die höchste der Formen,
die menschliche,
sichtbar macht.“
Aber stopp mal, das ist ja Schiller! Ja genau, damit ging es los, dass dieser Strozzi sich nicht unterstand, die ganze Zeit, halbseidener Theaterbursche – Strozzi-Strizzi, der er war, die hehren Texte der deutschen Klassik im Munde zu führen. Ja natürlich, ist das immer die „Braut von Messina“! Aber Strozzi zeigt dann auch gleich sein wahres Reim-Gesicht:
Salvio Strozzi sein mein Namen
halten brav zurück den Samen,
Capuccino auch genannt,
reisen durch die deutsche Land,
spielen deutsche Dichterleben,
möchten Menschen gern zusammenkleben.
Hatten Vorfahr, Barbara genannt,
Veneziana, sehr bekannt.
Hatten Papa, Filippino –
machten Liebe Autokino –
meine Onkel, Malerfürsten,
musste dann die Sitze bürsten –
kam viel Regen, Cabrio –
war in Leben: Salvio!
Und das war er dann auch wirklich, denn ich schrieb so immer weiter bis zur letzten 12. Szene, in der Salvio Strozzi in Lauchstädt in Anwesenheit der Kanzlerin die englische Königin vor Terroristen retten muss. Eine Quelle neben vielen anderen war ein wunderbares Theaterbuch, das noch in der DDR erschienen war:
Und im heißen Sommer 2020 ging es auch schon los mit dem Komponieren! Hart ist das Leben, heiter sei die Kunst!
Freiheit in Krähwinkel!!
Nestroy als Eberhart Ultra. – Oder sieht Salvio so aus?
Oder so?
Jedenfalls legt er gleich von Anfang an los mit diatonischen Akkorden!
gmoll-FDur-BDur-CDur !
Meine Güte, ist das poppig…
Und so kann es weitergehen – flott von der Hand – Szene für Szene! Als Besetzung dachte ich neben Strozzi nur an ein Kammerensemble wie bei dem de Falla-Cembalokonzert: Fl, Ob, Klar – Streicher – Cembalo / auch Orgel-Keyboard. Und dann nahm ich noch eine Gitarre dazu , auch für kleine Brettl-Gedichtlieder als Intermezzi
„Liebst du die Leich von Lebendtieren, so achte auf Coronaviren…“ – so etwa in dem Stil:
Den Corona-Sommer verbrachte ich also in guter Stimmung trotz der äußeren Umstände:
Und am Ende liegt ein dicker Packen Noten und Skizzen auf meinem Klavier und wartet auf die Uraufführung:
Meine erste Oper!
Was wohl Leander Langfuß dazu sagen würde?
Jobst Liebrecht 9.11.2020
Fotos: Carola Bark, Dietrich Henschel, Simon Wallfisch, Jobst Liebrecht
Komponist