Sechzehntel verpflichten (Zum Tod des Komponisten Volker David Kirchner) – Gastbeitrag von Franz Ferdinand August Rieks

Am 4. Februar verstarb Volker David Kirchner, ein Komponist, der sicherlich als eine der faszinierendsten „Außenseiter“-Figuren der deutschen zeitgenössischen Muksikszene bezeichnet werden kann. Definitiv nie ein Teil des Mainstreams (was sich in den zum Teil sehr distanziert klingenden Nachrufen in den größeren Printmedien niederschlägt) hat Kirchner dennoch viele Komponisten unterschiedlicher Generationen beeindruckt durch seine eigenwillige und die Tradition nie negierende musikalische Haltung, die auf jeden Fall einen genaueren Blick wert ist.
Dies ist der zweite von zwei dem Bad Blog als Gastartikel zugesandten Nachrufen, die ich hiermit gerne veröffentliche. (Moritz Eggert)

Sechzehntel verpflichten

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Zum Tod des Komponisten Volker David Kirchner

Wird ein Foto aus einem zugewachsenen Teil des Stadtparks mit dem Hashtag „naturephotography“ geteilt, liegen schon so viele Filter darüber, dass subtropisches Klima aufkommt. Auf diese Weise werden 14-jährige Schüler*innen zu Social-Media-Berühmtheiten. Komponiert man ein Werk und verkündet in einem dazugehörigen Essay, man sei sich nun über den in der Zukunft einzig möglichen Weg der zeitgenössischen Musik gewiss, erhält man Relevanz und Aufführungsraum.

Im Kontakt mit dem während des zweiten Weltkriegs als jüdisches Kind 1942 in Mainz geborenen Komponisten Volker David Kirchner ging es immer um Inhalte. Etwas, was heutzutage, wenn man für einen Inhalt in idealistischer Weise einsteht, zu oft als „Härte“ missverstanden wird, zumal man im Diskurs über die „Sache“, nämlich die Musik, den persönlichen Gemütszustand erst einmal zurückstellen sollte.

Komponist-Sein – sowohl das Leben als auch das künstlerische Schaffen betreffend – ist eine Haltung, in der mich Volker David Kirchner als mein früher Mentor immer bekräftigte. Diese Haltung erfordert Authentizität und eine gewisse Kompromisslosigkeit im künstlerischen Schaffensprozess als Wertvorstellung, ohne diese zum Dogma zu erheben.

Dass ein Komponist, der unter anderem durch Opernaufträge für die Bayerische Staatsoper München oder die Weltausstellung „Expo 2000“ in Hannover ein solches Renommee genoss, fast schon „auf Abruf“ für mich als damals etwa 13-jährigen stand, könnte man durchaus als selbstlos bezeichnen. So gab er mir seine Erfahrung mit Orchestern weiter (siehe Foto), als ich mit 15 Jahren mein erstes Orchesterwerk für einen Meisterkurs bei Jörg Widmann und Lothar Zagrosek komponierte, und coachte mich mit seiner Erfahrung als Dirigent, als ich anschließend die Uraufführung meiner Symphonischen Dichtung mit dem Tonkünstler Orchester Niederösterreich im Grafenegg Festival dirigieren sollte.

Volker David Kirchner komponierte mir als Uraufführungsinterpreten des Deutschen Musikrats („Impulse – Junge Interpreten!/Neue Musik!“) das so energetisch wie tiefgründige Klavierstück „Diskurs“ auf den Leib und studierte es mit mir ein; dies wurde unter anderem beim Bundeswettbewerb Jugend musiziert, „WESPE“ und dem „upgrade Festival“ Donaueschingen sehr gewürdigt.

Auch in seiner Komposition „Evocation II“ für meinen Duopartner (Horn) und mich spricht ein Melos und gleichzeitig eine unmittelbare figurative Rhythmik zu dem Zuhörer. Dieses musikalische, authentische Empfinden und die dadurch entstehenden Abgründe in seiner Musik, die nicht selten wie der späte Brahms anmuten, haben mich in meinen kompositorischen Anfängen geprägt: Die Bewältigung und das Vereinbaren von Pol und Gegenpol – wie etwa Ganze Noten und Sechzehntel – auf musikalischer Ebene, nicht auf der semantischen Ebene des dazugehörigen Essays. Dies bedeutet allerdings nicht, sich seiner Verantwortung als Komponist nicht bewusst zu sein: „Sechzehntel verpflichten!“ – eine Devise, die Volker David Kirchner mir auf meinen Lebensweg mitgab. Sechzehntel zu komponieren ist einfach – die Frage ist nur: Was passiert dann?

In etwas hinein- und dann wieder herauszukommen, ist ein allgegenwärtiger Prozess – wie etwa im harmonischen Verlauf eines Beethovenschen Sonatensatzes -, den man auf musikalischexistenzielle Weise in der Musik Kirchners sehr oft nachfühlen kann. Jeder Mensch hat zwei Gesichter, eine Dialektik, die Volker David Kirchner in seiner Musik zu vereinbaren wusste.

Franz Ferdinand August Rieks

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