Improvisation – ein Rant aus enger Komponistensicht

Der Alltag der komponierten Neue-Musik-Szene wirkt manchmal gerupft, wenn genauso viele Personen im Publikum wie auf der Bühne sind. Der Alltag von Improvisation, die sich als Neue Musik versteht, ist allerdings oft nicht anders. Ein Klassiker: das Konzert soll um 20 Uhr starten, doch es geht erst eine halbe Stunde später los. Ob es sich um eine öffentliche oder private Veranstaltung handelt, ist dabei egal. So wie das Publikum notorisch verspätet eintrudelt, so unendlich schrauben Musiker mit elektronischen Instrumenten ohne Ende ganz offen vor den bereits anwesenden Hörern an diesen herum, nur um nochmal weiterzuschrauben, obwohl man gerade mit dem Musizieren beginnen will. Bevor Spannung entsteht, ist sie schon dekonstruiert.

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Oft sieht man improvisierende Musiker mit selbstgebauten, merkwürdigen Instrumenten. Da steigt die Hörlust wieder ein wenig. Schläuche mit Mundstücken, Antennen mit Schlägel, Drähte zwischen Kalimba oder antiker Harfe, etc. sehen zuerst fantastisch aus. Werden dann Klänge darauf produziert, wirken die ein wenig unbefriedigend, manchmal natürlich auch zauberhaft. Allerdings entsteht weder eine interessante Melodik, Rhythmik oder Harmonik. Das hat nicht unbedingt mit dem Instrument zu tun, das liegt leider am Spieler selbst, der schon froh ist, wenn überhaupt was aus dem Gerät herauskommt.

Bei aller Bewunderung für die Baukünste: vielleicht hat der Musiker jenseits dessen gar nicht soviel Musik mitzuteilen. Er bewegt sich in erwartbaren Mustern des An- und Abschwellens, Steigerns, simpel gehandhabter Parameter. Wie gesagt, der Einsatz seiner Instrumente ist wohl schon an sich die eigentlich Kunst. Bestätigt wird er darin im Schmunzeln des Publikums oder eines laut rausrutschenden „wie geil“ von dessen Seite.So kommt man sich weniger als Teilnehmer einer musikalischen Veranstaltung vor als einer Kaffeefahrt für sonderbar klingenden Schrott. Das ist gar lieblich. Aber mehr Performance als Musik.

Oder werfen wir einen Blick auf den Saxofonisten. Dieser leistet atemtechnisch Schwerstarbeit. Doch auf Dauer sind die verdrucksten Töne, das Klappenklappern und Pizzicato mit diesen sowie Mundstückschmatzen und Multiphonics auch sehr eng gefasst, zumal es sich von Stück zu Stück nicht verändert, nur leicht anders angeordnet, meist mit Tempo 60-80, statt einmal ganz kurz Geschwindigkeit und Linie zu riskieren. Dem jungen Mensch wird das selbst zu eng. So steht er auf und beginnt eine Art imaginärer Polonaise zwischen den Säulen des Saales – das ist dann so wie das infantile Guckguckspiel, die Aktion zieht die Aufmerksamkeit auf sich, die Musik selbst spielt keine Rolle mehr.

Der E-Gitarrist hat endlich seine Kabel geordnet und beteiligt sich mit intensiven Eboweinsatz und Saitennachstimmen, manchmal ein hektisches Tremolo in hoher Lage, ganz selten Flageoletts, immer brav den Verzerrer hochgefahren, wenn das Material ermüdet. Dann beginnt wieder langes Suchen, bis er endlich das Gesuchte findet: einen Handpropeller, den er zeigt, als hätte man noch nie einen in einem Konzert mit improvisierter Musik gesehen. Das Lachen der Zuschauer ist ihm gewiss.

Das folgende Stück bringt dann zum ersten Mal einen Hauch von Drive, Linie und musikalischen Überraschungsmomenten. Da reisst dem Bastler ein Draht, dem E-Gitarristen versagt ein Effektgerät, die dauerklappernden Bläserklappen klemmen.

Also Pause.

Man unterhält sich leise und zurückhaltend, findet das Gehörte „sehr frei“ und rettet sich so hindurch. Da taucht jemand neben einen auf und muss diesen unbedingt jemand vorstellen, als Komponist. Der Person, der man vorgestellt wurde, weiß schnell nur zu sagen, dass es notierte Musik bei solch performancegestättigter Improvisation und Klangforschung doch gar nicht mehr brauche. Vollkommen platt tituliert man höflich das Gehörte als ganz interessant, da bekommt man zu hören, dass das „interessant“ zeige, dass man mit dieser wahren Musik nichts anzufangen wisse. Womit sie ja leider unfreiwillig wieder Recht hat.

Endlich geht es nach der „kurzen Pause“ nach 25 Minuten weiter. Tatsächlich flowt es freier, doch statt nach dem dritten Stück aufzuhören, kommt noch eines und noch eines und noch mehr, ohne dass sich substantiell was ändert. Redet man dann mit einem der Musiker nach dem Konzert, heisst es, dies sei kein idealer Tag gewesen. Doch kramt man in seiner Erinnerung, war es das letzte Mal genauso.

Die Flucht in die Performance ist für mich das Hauptproblem freier, improvisierter Neuer Musik. Gleich gefolgt von der Tendenz, ja nicht mal konkret, gar ekstatisch zu werden, das gefühlte Dauer-Mezzoforte für alle Parameter. Oder aber es wird sofort laut, schnell und ekstatisch und meidet das Ruhige, wovon die anderen zuviel haben. Die einen Musiker beschäftigen sich damit, überhaupt mal anzufangen, die anderen zeigen ihre Virtuosität und Kraft.

Zwischentöne zwischen diesen Welten sind ganz selten. Zudem handelt es sich meist um Bogenformen, wo überraschende Tempowechsel, Pausen, gar mal ein gegenseitiges antiphonal, entwickelndes Zuwerfen musikalischer Gedanken vermieden werden. Die Klanglichkeit würde nicht mal auf regionaler Ebene bei Jugend forscht beeindrucken.

Wunderschöne Gegenbeispiele, dass Improvisation mit Instrument oder Elektronik doch Spass machen kann: Dror Feiler, der es auf seinem Saxofon mit Elektronik krachen lässt und auch mal ganz konventionell Melodisches wagt. Oder zwischen Verfremdung von Bekanntem und Elektronik Maximilian Marcoll mit seinen Amproprifications. Oder die Mädels und Jungs des decoder-ensembles. Was fällt daran auf? Hervorragende Musiker, die zugleich versierte Komponisten sind.

Bei durchaus passablen Musikern kommt es einem manchmal vor, als würden sie mit ihrer Improvisation die Flucht vor dem Notentext und seinen sehr hohen Anforderungen im Bereich der Neuen Musik ergreifen. So machen sie Neue Musik, aber ohne die lästigen Komponisten.

Letzthin horchte ich erfreut auf, als ein Kollege eine ganz neue Strategie vorschlug: Musiker sollten sehr lange, sehr oft herausragende und herausfordernde Werke der letzten 20, 40 Jahre für ihr Instrument studieren, bestenfalls auswendig lernen. Wenn so an die 50, 100 Werke eingeübt seien, dann solle man eigentlich erst mit Auftritten als Künstler der Improvisation beginnen.

Eigentlich gar nicht so ungewöhnlich: iranische und arabische Musiker z.B. lernen jahrelang Standards ihrer Tradition, müssen Stücke ganz exakt dem Meister nachspielen. Können sie das, sind sie noch lange selbst keine Meister. Sie beweisen sich dann als Könner, wenn sie eigenständig zwischen den Standards switchen und sich ihre Seele offenbart, ganz ohne Guckguckspiel oder Handpropeller.

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Eine Antwort

  1. Markus sagt:

    Buchtipp: John Corbett, „A Listener’s Guide to Free Improvisation“, University of Chicago Press, 2016, ISBN 978-0226353807