Über Elektronik auf der Bühne und den Performance-Appeal eines Verwaltungsfachangestellten

Unix_Server_Attic_Hideaway, by Rudolf Schuba [CC BY 2.0
Unix_Server_Attic_Hideaway, by Rudolf Schuba [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Wir sitzen im Konzertsaal. Unter freundlichem Applaus betritt ein Typ die Bühne. Er steuert zielsicher auf einen Tisch zu, auf dem ein Laptop platziert ist. Daneben sieht man eine Computer-Maus und ein kleines Kästchen, aus dem Kabel herausragen.

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Der Typ setzt sich nun an den Tisch, schaut auf den Laptop, dann noch mal kurz hoch in Richtung Mischpult im Off, dann wieder runter auf den Laptop. Dann erklingt elektronische Musik. Wahlweise stereo oder gerne auch in virtuoser Raumklang-Bewegung auf ein Multi-Kanal Lautsprechersystem aufgefächert. Das Stück läuft, und läuft, …und läuft, und man könnte langsam wirklich anfangen, sich zu fragen, was der Typ da oben auf der Bühne eigentlich genau macht. Denn auf der Basis dessen, was uns vorgeführt wird, müsste er dort eigentlich gar nicht sitzen. Zumindest scheint es keinen Sinnzusammenhang zu geben zwischen dem Klangereignis und seiner Präsenz auf der Bühne.

by Rudolf Schuba [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Man könnte also meinen, der Typ sei vielleicht vorbeigekommen, um heute zur Abwechslung mal anspruchsvolle, elektronische Musik über eine richtig fette Anlage zu hören, während er seine Emails checkt. Gelegentliches Kopfnicken zur Musik bestätigt diese Annahme. Ebenso lässt seine Kleidung weniger auf einen Konzertauftritt schließen, als auf die LAN-Party, auf die er vielleicht später noch geht.

Irgendwann ist dann das Stück zu Ende. Der Applaus setzt ein, der Typ steht auf und verbeugt sich. Aha! Moment mal, das war also nicht irgendein User, der seine Emails gecheckt und oder auf der Social Media – Seite seines Vertrauens die neuesten Uploads seiner Freunde geliket hat. Das war also der Komponist der eben gehörten elektronischen Komposition, der gleichzeitig auch Performer war, weil er nämlich die Elektronik in Echtzeit auf der Bühne gesteuert hat! Ja, Mensch, …was ‘ne Performance!

Als KonzertbesucherIn frage ich mich in solchen Momenten ernsthaft: Möchte ich DAS sehen? Welchen Mehrwert hat mir diese „Performance“ für die Rezeption des Stückes gegeben?

Und als Elektronik-PerformerIn frage ich mich: Muss das denn immer noch sein, liebe Kolleginnen und Kollegen? Gibt uns die kommerzielle Audio-Industrie nicht genügend Devices an die Hand, mit denen wir auf vielfältigste Weise Live-Elektronik so steuern können, dass man auch merkt, dass da etwas live auf der Bühne manipuliert wird?!

[…by the way: Dass ich oben über den Typen am Laptop schreibe, hat nichts mit weiblichem Chauvinismus zu tun. Frauen erlebt man in solchen Situationen ebenso, allerdings nicht so oft, denn im Bereich der Elektronik sind die männlichen Kollegen immer noch in der Mehrheit.]

Also, zurück zum Thema. Natürlich kann man Samples mit der Computer-Tastatur triggern oder einen Zahlenfluss mit dem Trackpad oder einer Computermaus am Laufen halten. Das kann man zu Hause im Komponierstübchen auch prima und ganz ungestört tun. Allerdings sollte man dies nicht unreflektiert auf einer Konzertbühne präsentieren! Wer eine Bühne betritt, befindet sich auf einem öffentlichen Podium. Da ist ein Publikum, welches das Geschehen auf der Bühne beobachtet und kontextuell einordnet.

Leute, ihr werdet gesehen!! Und da hilft auch kein Verstecken hinterm Bildschirm.

Wer sich nur mit Laptop und am besten noch mit Computermaus ( = absolutes No-Go!) auf eine Bühne begibt, hat ungefähr so einen Performance-Appeal wie der freundliche Verwaltungsfachangestellte aus dem Bürgerbüro nebenan. Nur dass dieser vielleicht noch interaktiver rüberkommt, weil er mit seinem Gegenüber in einen Dialog tritt.

Das Konzerterlebnis ist immer mit einer gewissen Erwartungshaltung an die MusikerInnen auf der Bühne verknüpft. Man möchte den MusikerInnen dabei zuschauen, wie sie die Musik spielen, wie sie mit ihren Bewegungen Töne produzieren, wie sie sich der Musik hingeben, den Herausforderungen einer Komposition stellen und wie die Musik sie zu körperlichen und mentalen Höchstleistungen anspornt. Also kurz gesagt, wie die Musiker auf der Bühne einfach mal abrocken. Denn wenn uns diese performative Energie nicht interessieren würde, könnten wir ja auch gleich zu Hause bleiben und uns die 1A-Einspielung einer Komposition auf einer High-End Stereoanlage, bequem auf dem heimischen Sofa sitzend, anhören.

Wenn wir nun mit elektronischen Instrumenten auf der Bühne stehen, werden wir allerdings in dem eben beschriebenen Kontext mit einem sehr speziellen Phänomen konfrontiert: Spielt man nicht gerade Theremin, dessen Bewegungsabläufe ein immer größer werdendes Publikum mit der Klangerzeugung kausal in Verbindung bringen kann, dann ist es unter Umständen schwer bis unmöglich, zu verstehen, in welchem Verhältnis die Bewegungen eines Interpreten mit der Klangproduktion stehen. Bei traditionellen Instrumenten haben wir dieses Problem nicht. Den Bogenstrich beim Geigespielen versteht man ebenso wie die Armbewegungen beim Schlagzeugspielen. Auch ein großes Repertoire an Ausdrucksbewegungen innerhalb des Instrumentalspiels ist dem Publikum geläufig. Doch sehen wir auf der Bühne jemanden ein Gamepad spielen oder Fader an einem MIDI-Controller rauf- und runterziehen zu Klängen, die wir noch nicht mal einer sichtbaren Quelle zuordnen können, sind wir erstmal ziemlich aufgeschmissen. Und noch viel problematischer wird es, wenn auf solche Controller komplett verzichtet wird, und dann sogar nur ein Laptop auf der Bühne steht.

Live-Elektronik in einem Stück zu verwenden, ist immer damit verbunden, dass man sich als KomponistIn vorher überlegen sollte, wie die Elektronik gesteuert wird. Also ob es eine inhaltliche Notwendigkeit gibt, dies auf einer Bühne auszustellen oder ob man es besser aus dem Off, neben dem Mischpult sitzend, machen sollte. Falls man sich nun dafür entscheidet, die Steuerung auf der Bühne auszustellen, dann sollte einem klar sein, dass sie dadurch zu einem Teil der visuellen Performance wird. In diesem Fall funktioniert der Controller wie ein (elektronisches) Instrument, das übrigens mit ebenso viel Sorgfalt und Ausdruck gespielt werden sollte, wie jedes traditionelle Instrument. Wie das dann genauso ernstzunehmend aussehen kann, wenn man wii remote statt Geige spielt, muss man sich halt überlegen. Und was man ebenso nicht vergessen sollte: Traditionelle Instrumente und klassische Konzertsäle sind kontextuell miteinander verbunden. Ein Controller ist in einem klassischen Konzertsaal erstmal ein Fremdkörper, der kulturell anders verlinkt ist.

Gibt man einem/r InterpretIn z.B. lauter Game-Controller an die Hand, entsteht optisch eine Verknüpfung zur Computerspiel-Kultur. Steht man mit verschiedenen MIDI-Controllern auf der Bühne, weckt man leicht Assoziationen zu einem DJ-Set. Das alles ist auch absolut legitim, denn aufführungspraktische Grenzen sollten im Sinne einer Weiterentwicklung der zeitgenössischen Spielkultur durchaus überschritten werden. Jedoch sollte man solche ästhetischen Entscheidungen einfach mal bewusst treffen. Aber der Controller-Frage so komplett aus dem Weg zu gehen und einfach nur den Laptop hinzustellen und sich als Voll-Nerd dahinter zu verstecken, führt nur dazu, dass Elektronik weiterhin das belächelte Stiefkind oder allenfalls das nette Beiwerk der Neuen Musik bleiben wird, welches man eh nicht wirklich versteht. Abgesehen davon, muss man ja als KomponistIn elektronischer Musik oder als Elektronik-PerformerIn nicht gleich noch dem Klischee vom weltfremden Kellerkind entsprechen, welches 100 Stunden am Stück programmierend vor‘m Rechner sitzt, die Sonne nie zu sehen bekommt und glaubt, die Realität sei nur irgendwo dort draußen, wo der Pizzamann herkommt….

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Julia Mihály. Foto: © Ela Mergels

Julia Mihály definiert sich als composer-performer, sprengt mit Freude alle Schubladen, in die man sie stecken möchte, arbeitet gelegentlich als Radioautorin und engagiert sich im Vorstand der DEGEM.