Wir, die Hoffnung – eine kleine Mutmusik zu Weihnacht‘ und zum Jahresende
2016: Was für ein Jahr der Ängstlichkeit! Wenn man den Mutverlierern im Lande Glauben schenken will, hilft nur eine Rückkehr zur Adenauerschern Strenggläubigkeit und Prüderie uns aus den Krisen der beginnenden zweiten Hälfte des ersten Drittels des 21. Jahrhunderts. Obwohl der Laden eigentlich ganz gut brummt, verhält sich eine große Zahl von Menschen so, als wären wir mitten in den Folgen der 1929er Weltwirtschaftskrise oder im ersten Nachmonat des 2. Weltkriegs: ein Land in Trümmern, eine Gesellschaft in Trümmern. Nur wenn ich durch das Land fahre, sehe ich bunte Häuser, Felder und Äcker in aller Pracht, LKW-Ketten ohne Ende, Schlangen von Fernreisenden an den Bahnhöfen und Flughäfen als Pendler oder Touristen. Eigentlich Alles o.k.!
Macht man die Flimmerkiste an, erwartet einen derzeit: bedrückende Nachrichten von Terroranschlägen von Nizza über Paris und Ansbach bis Berlin. Zuständigkeitsgerangel von staatlichen Stellen im Versagen von Terrorvermeidung. Bomben wenige tausend Kilometer entfernt auf Städte im Nahen Osten. Wirtschaftskrisen und Politkrisen v.a. in den südlichen EU-Staaten. Alles sehr real. Dagegen wirkt das „Live-Bild“, das ich mir im ersten Absatz machte doch ganz passabel.
Macht man das Internet an, dann ändert sich der Eindruck für’s Inland aber ganz schnell: Bürgerkrieg steht vor der Tür, die Regierung macht uns alle bitterer arm als 1929, Horden von Flüchtlingen fallen wie die Vandalen über die Reste unserer Zivilisation her. Schnell mache ich Facebook wieder aus.
Spricht man dann in Zügen, die durch blühende Landschaften rauschen, mit Menschen über das Inland, dann scheint es oft so, als sähen sie gar nicht mehr zum Fenster raus, sondern nur in das Weltfenster Internet hinein. Es werden oft genug die Ängste ausgesprochen, die zutreffen würden, wären wir z.B. in der Türkei oder in Syrien oder irgendwo in Afrika. Ja, und spricht man mit Menschen genau aus diesem Ausland, dann kommt man sich wieder wie in blühenden Landschaften vor.
Moment also, was ist da los? Die Generalantwort habe ich nicht. Aber eine schon: wir lassen uns durch das Internet zu schnell verrückt machen, wir folgen dort den Algoritmen, die unser Angstgeklicke mit noch mehr Angstnachrichten noch mehr erodieren lassen. Und wir folgen dabei Infos von Menschen, von Interessengruppen, die uns unbedingt glauben machen wollen, dass Bürgerkrieg und Weltuntergang eigentlich schon längst ausgebrochen seien. Und dies, obwohl die Kriminalität insgesamt im Lande so gering wie nie ist, obwohl wir so alt werden wie noch nie, obwohl wir selbst beim Versagen unserer Karrieren oder Familien nie so gut aufgefangen werden wie je zuvor. Ja, obwohl wir trotz all des unerwarteten Wahnsinns an schönen und schlimmen Dingen die Flüchtlinge 2015/16, die ins Land kamen, nicht wie z.B. in Frankreich wild kampieren ließen, sondern doch ganz gut registriert und untergebracht haben.
Eigentlich haben wir wunderbare Dinge geleistet: schöne Stücke komponiert, Theater meist gerettet, nicht insolvent geworden und gar endlich einen Fonds Neue Musik ins Land gesetzt habend, obwohl wir uns gerade vom „neu“ endlich entfernen.
Aber mit Angst kann man eben am ehesten mobilisieren: sei es, dass die Welt untergeht, weil die Verlage durch Urteile Probleme bekamen, die nun doch am Horizont lösbar erscheinen. Oder das Youtube uns alle auffressen würde. Das tut es ja auch. Und es bringt uns nur Geld, wenn wir dort Werbung schalten. Aber auch da hat man sich endlich geeinigt. Oder ein neuer Intendant steht vor der Tür, der wohl ganz anders an die Dinge herangeht. Wir schreien Zeter und Mordio, stoßen Shitstorms los, als würde das Colosseum durch Marsianer abtransportiert. Und klar, man hört und sieht eher hin, wenn Leute immer nach dem Ultimativen rufen. Das muß man leider auch manchmal, wenn eben Kultur nicht erneuert, sondern zwangswegrationalisiert werden soll.
Aber für den Austausch von Ideen und Kreativität ist es nicht geeignet. Denn eines muss uns Künstlerinnen und Künstlern klar sein: wir sind mit unserer Unabhängigkeit und den Möglichkeiten, Dank unseres Auftretens haushoch zu gewinnen und abgrundtief zu verlieren das Masterbild des freien Menschen in einer freien Welt. Um so zu leben, wie wir es eigentlich wollen, braucht man immer Mut, ja, mehr Mut als jeder andere. Und den sollten wir uns nicht nehmen lassen. Denn leider geht dieser all zu oft verloren, wenn sich Künstler Lehrern, Verlagen, Förderen, Verbänden oder Institutionen unterordnen, statt diesen auf die Zehen zu treten und das Richtige oder gar Rechtmäßige einzufordern, für uns zu tun: denn nicht wir sind allein für sie da, sie auch für uns.
Oder besser: wir sind eben alle füreinander da. Künstler, Institution und Publikum – das sollte nicht ein Missklang oder eine Dominanz eines der beiden Letzteren sein, sondern ein Dreiklang aus allen. Der Motor dessen wird aber nicht das Warten auf bessere Zeiten sein. Der Motor sind wir Künstler. Und als solche sollten wir selbst bei ausgewiesener Unmöglichkeit den Mut zum Verändern, zum Neuen oder auch nur zum Schönen vorantragen. Denn wenn uns letztlich der Mut fehlt, wir als Matrix des freien Menschen, dann machen wir nicht mehr Hoffnung. Und dann haben vielleicht unsere Internetschwarzmaler irgendwann mal gewonnen. Egal ob Euch Extremisten, Bankschulden oder Institutionen das Leben schwer machen. In Gedanken und Kunst immer weitermachen. Denn wir sind eben die Hoffnung dieser Welt, die ja bekanntlich zuletzt stirbt. Never surrender!
Komponist*in