Öffentlichkeit und Sexualität – Mr. und Mrs. Haas und Herr Brug
Wie befreit ist doch die Welt der Popmusik, wenn es um das Sexualleben ihrer Protagonisten geht. Beziehungsdramen und sexuelle Vorlieben werden in der Regenbogenpresse lanciert und weidlich ausgekostet. Solange dies nur moralische und keine kriminellen Schieflagen erzeugt, ist es jedem echten Fan vollkommen egal, was sein Star an Fehltritten und Fettnäpfchen hinlegt. Von Fall zu Fall steigert dies sogar die Treue, da sich diese vermeintliche Lichtgestalt so verhält, wie man es auch unter seinen eigenen Freunden erlebt. Klar, im Pop gibt es auch Künstler, die diese Öffentlichkeit nicht ertragen können, daran zerbrechen. Oder die im Sinne ihres Images eine jungfräuliche Kunstfigur bleiben müssen. Es gibt aber auch Popmusiker, die sich besonders in ihren Musikvideos als sexuell ausschweifend und darin plural gelagert darstellen lassen. Klatsch, Verbergen wie Zeigen gehört dabei natürlich auch zum Aufheizen von Verkaufszahlen.
Und davon ist die Welt der Klassik, der Neuen Musik ganz weit weg? Mit Hochglanzfotos und Sexappeal ferngesteuerte Karrieren besonders stromlinienförmiger Geiger, Komponisten und Sängerinnen kennt man auch hier. Was man aber nicht kennt, nicht kennen will, ist das Sexualleben dieser Personen. Schwulenikone, Punkgeiger, Wasserasiatin, glückliche Ehe und liebe Kinder, deren Zustandekommen bitte nicht zu lange die Karriere der Musikerin unterbrechen mag, das nimmt man noch gerade so hin. Oder Musiktheaterstoffe, die zwar sexuelle Abgründe zeigen, aber im Bezug auf die Vorlieben ihrer Schöpfer sublim bleiben, werden wohlig gruselnd konsumiert.
Ein absolutes „No Go“ in unserem ach so aufgeklärten Europa ist, wenn sich ein Komponist zu seiner Sexualität, seinen sado-masochistischen Vorlieben bekennt. Zumindest ist es dies für Manuel Brug in seiner Klassiker-Welt-Kolumne. Georg Friedrich Haas und seine frische Ehefrau Mollena Williams-Haas legten in der New York Times ihr Bekenntnis zu ihren Vorlieben offen. Sie taten es zuvor schon auf Deutsch und sehr ausführlich Einblick in Leben und Schaffen eröffnend im VAN-Magazin. Die Times verbindet dies wundervoll wertfrei mit einem Porträt der wichtigsten Werke von Haas. Eben ganz und gar New York, wo orthodoxe Kirchen neben Schwulenbars nebeneinander egalitär existieren können, wo ein Popmusiker oder ein zeitgenössischer Musik privat oder öffentlich ihr Intimstes ausleben können, ohne dass ihre Kunst darauf reduziert werden würde.
Manuel Brug kann von nun an Haas‘ Musik nur noch mit Assoziationen von BDSM-Kellern anhören: „Schon die Madrigale des Gesualdo di Venosa haben daran gelitten, dass wir dabei immer dessen Doppelmord, begangen inflagranti an Ehefrau und deren Liebhaber, mithören müssen… Oder möchte Georg Friedrich Haas, dass wir uns jetzt bei seinem Konzert für vier Alphörner wirklich nur noch über Phallus- und Potenzfantasien Gedanken machen?“ Zuvor argumentiert Brug wie ein wertkonservativer Fürchtegott des späten 20. Jahrhunderts, der sich vor Dragqueens und sonstigen Christoper-Street-Day Emanationen gruselt: „Und mag das tolerante Paar privat machen, was es will, aber muss das wirklich die Öffentlichkeit in so penetranter Form mitgeteilt bekommen? Coming Out als Fremdschämen?“
Brug stellt selbst fest, dass unsereins sehr wohl Interesse an den erst posthum bekannt gewordenen Leidenschaften und Schmerzen von Komponisten wie Lully, Tschaikowsky, Schumann und Vivier zeigt. Aber dies in Bezug zum schöpferischen Output eines Künstlers zu setzen? Für Brug auf keinen Fall bei Lebenden. Allerdings bezeugt Haas z.B. in Bezug auf Schubert und Tschaikowsky ganz deutlich, wie wichtig für ihn die Erkenntnis seiner Leidenschaft war, deren persönliches Eingestehen, bis hin zu seinem Outing: „Was man erkennt, ist nicht, dass sie sich Männer wünschten. Aber es ist die Traurigkeit über die Unmöglichkeit von vollzogener Liebe als Realität. Und ich meine, dass dies ein Teil meiner Arbeit war. Der grundlegende Pessimismus. Man erreicht niemals das, was man will, weil es unmöglich ist es zu bekommen. Das ist es, was mein Leben so intensiv veränderte.“
Kunst aus Pessimismus zu schöpfen, das ist nicht für jeden etwas. Aber wie im Falle Haas‘ ein starker Anstoss des Schöpferischen. Erstaunlicherweise führt Brug auch Richard Strauss „Intermezzo“ an, mit dem Strauss sein eigenes Privatleben auf die Bühne brachte. Das wäre nach heutigen Massstäben zwar kein veritables Coming-Out. In den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts war es dies aber sehr wohl! Um so schöner ist es, wenn Mollena selbst zu Wort kommt: Es gäbe für sie nichts großartigeres, als „Herrn Meister“, wie sie Haas nennt, als ihm das Leben so bequem wie möglich zu machen, damit er 14 bis 15 Stunden konzentriert arbeiten könne.
Wie fein nun, wenn Haas seiner Gattin „Drei Stücke für Mollena“ widmet, die nächste Woche in München und Berlin zu hören sein werden. Nochmals zurück zu Strauss‘ Intermezzo: nach der Uraufführung muss seine Pauline ihm das Leben zur Hölle gemacht haben, die ihm sonst genauso den Rücken freihielt für konsequentes Komponieren wie Mollena eben ihrem Georg Friedrich. Was für ein Fortschritt, wenn man nun seine Ehefrau nicht frotzelnd in einer Oper durch den Kakao ziehen muss wie Strauss, sondern schlichtweg Dankbarkeit in Musik ummünzt. Und letztlich wird hoffentlich auch Herr Brug seine Augentomaten ablegen können und wieder Musik hören, wo so wundervolle Musik erklingt wie die von Haas.
Komponist*in
Selten bin ich auf so bornierte, engstirnige und verklemmte Reaktionen selbst bei sonst ernstzunehmenden Gesprächspartnern im sog. Klassik-Betrieb gestoßen wie nach dem VAN-Interview und dem New York Times-Artikel zu G.F. Haas und Mollena Williams. Geradezu rührend wirkt dabei der mühsam vor die moralische Empörung geschaltete Vorwand, man wolle ja nur die Musik gegen diese privaten Perversionen in Schutz nehmen. Keiner scheint zu bemerken, dass das Ressentiment gegen den Komponisten – gerade wieder ganz explizit bei Manuel Brug – immer auch die Musik mit denunziert. Dazu passt natürlich der reflexhaft geäußerte Generalverdacht, der Komponist könne gar nichts anderes im Sinn haben als Kasse zu machen. „Sex sells“ – das ist ja für die selbsternannte Klassik-Polizei kein fröhlicher Appell, das sind im Gegenteil gleich zwei existentielle Tabubrüche auf einmal (außer natürlich, es ist der verklemmte Blümchensex, der gerne die Plattencover weiblicher Klavierhoffnungen ziert). Dass es sowohl in dem Interview, das Georg Friedrich Haas VAN gegeben hat, als auch in seinem musikalischen Output um mehr und anderes gehen könnte, dass ästhetische, politische und sexuelle Implikationen sich nicht so selbstverständlich trennen lassen, ist tatsächlich ein fast schon überstrapaziertes Klischee in anderen Musik- und Kunstformen. Nur das kleine gallische Dorf des Klassik-Betriebs wehrt sich hartnäckig gegen solche profane Tendenzen – nur leider fehlt der Druide mit dem Zaubertrank…
Ich hoffe, Du meinst damit nicht mich, lieber Florian :-)
Ich glaube, die ganze Geschichte war viel weniger absichtlich als Hype geplant als es jetzt aussieht und vielleicht zu Unrecht kritisiert wird. Mollenas Facebook-Postings als Sklavin machten ja erst einmal ziemlich die Runde, ich wurde lange vor diesen ganzen Artikeln von Dutzenden von Leuten darauf hingewiesen, wäre aber nie auf den Gedanken gekommen, darüber zu schreiben (eben weil es mich nichts angeht und ich nicht Norman Lebrecht bin). Weil die Gerüchteküche aber kochte, hat sich Haas sicherlich entschlossen, lieber die Flucht nach vorne anzutreten, was sicherlich auch der richtige Weg war. Im obigen Video äußern sich die beiden sehr humorvoll über die ganze Angelegenheit, wogegen die ganze Musikwelt das Ganze hochschaukelt als wahnsinniges politisches Statement und alle sich betroffen auf die Schulter klopfen. Und darüber wollte ich mich ein wenig lustig machen, denn alle Artikel über diese Geschichte nehmen sich wahnsinnig ernst, keiner traut sich, darüber auch Mal was Freches zu schreiben. Ich bin sicher: Mollena und Haas könnten das respektieren.