Die Musik, die aus der Kälte kam. „Cassidy“, CIA und John Cage.

Es ist ja relativ selten, dass sich das Sprechtheater mit zeitgenössischer Musik beschäftigt – eher tauchen Komponisten in Filmen („Heimat“) oder Literatur („Tristan-Akkord“) auf, aber eigentlich nie in Theaterstücken.

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Beim „Spielart“-Festival in München lief gerade ein Stück, bei dem dies anders ist. „Cassidy“ – ein dokumentarisches Theaterstück – behandelt ein Thema, das erst seit jüngerer Vergangenheit thematisiert wurde, nämlich die diversen Verquickungen amerikanischer Geheimdienste (vor allem des CIA) mit der zeitgenössischen Kunstszene und damit natürlich auch der Neuen Musik. In dem zweiteiligen Monolog (Text: Ulrich Eisenhofer und Benno Heisel ) fallen Namen wie Cage, Boulez, Stockhausen und sogar Hindemith nicht nur einmal, sondern mehrfach.

Inzwischen kennen wir ja alle (?) die Fakten und auch die Motivation des CIA. Mit dem Aufflammen des Kalten Krieges begann auch ein Krieg der Kulturen. Der UDSSR und dem Warschauer Pakt mussten auch künstlerische Prinzipien entgegengesetzt werden. Es begann eine Stilisierung der westlichen und vor allem amerikanischen Kultur zu einer „freiheitlichen“ Kultur, die im Gegensatz zur kommunistischen Diktatur ein Land der unbegrenzt(er)en Möglichkeiten bot (was ja auch nicht vollkommen falsch ist). Ohne dass sie es vermutlich selber ahnten wurden Künstler wie Pollock, Rothko und Rauschenberg ganz bewusst gepusht mit Geldern, die der CIA zur Verfügung standen.

Um diese subkutane Förderung entstand ein seltsames Netzwerk aus Persönlichkeiten wie Michael Josselson und Nicolas Nabokov (Bruder des Schriftstellers Nabokov) die zum Teil im Verborgenen, zum Teil ganz offen die öffentliche Wahrnehmung manipulierten. Sie taten dies mit Zeitschriften, mit der Organisation von Festivals. Sie zahlten Reisen, regten künstlerische Projekte an und machten zum Beispiel auch die Darmstädter Ferienkurse möglich. Der „Congress of Cultural Freedom“ stand hinter all diesen Bemühungen, und war ein direktes Organ der CIA.
Die zeitgenössische Musik profitierte enorm von dieser Förderung, die vielleicht – wie der wunderbare und leider nicht mehr unter uns weilende Konrad Boehmer in einem sehr interessanten Interview mit der SZ bemerkte – auf einem Missverständnis beruhte:

Boehmer: Die Amerikaner hatten sich tatsächlich von Adorno einreden lassen, dass eine emanzipierte Kunst eine emanzipierte Gesellschaft zur Folge hat – und dass eine Katastrophe, wie der Nationalsozialismus eine war, so verhindert werden könne. Adorno hatte in vielem recht, aber hier nicht. Auch Zwölftonmusik hätte Hitler nicht verhindert.

Die große Ironie des Schicksals ist, dass die CIA in Darmstadt vor allem Musik förderte, die mit ihrem Dogmatismus und einer fast schon erschreckenden Humorlosigkeit eigentlich genau das Abbild von dem darstellte, das man zu bekämpfen suchte. Dieser Dogmatismus wirkt bis heute in tumberen Köpfen fort, und viele wissen nicht, dass die CIA ihn mitermöglichte.

Boehmer: (Das Publikum)… will nicht erzogen werden, nicht von Adorno, nicht von Lachenmann. Wer Musik auf Ratio reduziert, der verhindert nicht die Verblödung der Masse. Er verekelt den Menschen die Musik.

SZ: Wo steht sie heute, die Ernste Musik?

Boehmer: Sie setzen mir zu.

SZ: Bitte, wo steht sie?

Boehmer: Im Zentrum einer erstickenden Bürokratie. Das Ziel ist nicht mehr der Zuhörer, das Ziel ist die Erhaltung des Apparates um seiner selbst willen. Denken Sie nur an das Geschrei, wenn Kürzungen von Subventionen im Raum stehen.

SZ: Verlogen?

Boehmer: Natürlich. Ich bezahle meinen Zahnarzt doch dafür, dass er ein Loch stopft, und nicht dafür, dass er Zahnarzt ist! Im Anspruch vieler E-Musik-Komponisten, vom Staat erhalten zu werden, steckt viel vom Heiligenkult des 19. Jahrhunderts. Der Subventions-Komponist degeneriert zum Staats-Komponisten. Und er degeneriert zur alten Betschwester, die von den jungen Huren vom Markt gevögelt wird. Zum Beispiel von Andrew Lloyd Webber oder Phil Glass… Das hat man dann davon.

(das ganze Interview ist hier zu finden)

Natürlich würde man es sich zu einfach machen, wenn man behauptete, die Neue Musik-Ästhetik sei eine direkte Folge von Manipulationen der CIA. Es wurden sehr divergente künstlerische Persönlichkeiten gefördert, die aus freien Stücken zu bestimmten künstlerischen Entscheidungen kamen. Ein Cage war kein dogmatischer Fanatiker. Die Frage ist eher: hätte jemand wie Cage stattgefunden, wenn es diese Unterstützung der CIA nicht gegeben hätte? Würden wir ihn heute kennen?

Wir dürfen nicht vergessen, dass unter der musikalischen Dogmatisierung, bei der die CIA eindeutig beteiligt war, aus ideologischen Gründen sehr viele ästhetische Positionen besonders heftig an den Rand gedrängt wurden, für die Komponisten aus Osteuropa standen. Um nur ein paar Namen zu nennen: Bartok, Stravinsky, Schostakowitsch. Diese Komponisten werden heute als gleichwertige und einflussreiche Stimmen des 20. Jahrhunderts angesehen, absolut ebenbürtig wenn nicht sogar überlegen vielen Komponisten, die die Darmstädter Schule als einzigen richtigen Weg propagierte. Wer der Ästhetik dieser vom „Congress of Cultural Freedom“ eher geächteten und kleingeredeten Komponisten nahestand – wie zum Beispiel ein Benjamin Britten – war quasi mitgehangen und mitgefangen, ohne eigentlich dem Lager des „Gegners“ anzugehören.

Man kann sich nur ausmalen, wie der musikalische Nachkriegsdiskurs sich entwickelt hätte, wäre die Arena der Ideen eine freiere und unabhängigere gewesen. Aber das ist natürlich Spekulation: es ist wie es ist, und viele der interessanten und einflussreichen Musikentwürfe der Nachkriegszeit hätten vielleicht auch ohne die CIA eine Breitenwirkung erzielt. Vieles aber vielleicht auch nicht.

Wir sollten nur eines nicht tun: irgendwie glauben, dass die Musik des freien Westens im Gegensatz zu Osteuropa keine „Staatskunst“ gewesen sei. Nein, sie war es, und auf dem letzten Fluchtweg zu zunehmender Institutionalisierung und Akademisierung, der der Neuen Musik durch die langsam austrocknenden CIA-Gelder wahrscheinlich aufgezwungen wurde, wurde die Neue Musik mit großem „N“ vielleicht sogar mehr brave Staatskunst, als sie sich jemals selbst eingestehen würde. Nichts anderes meint Konrad Boehmer mit obigem Zitat.

Über all dies nachzudenken, bringt aber auch eine gewisse Nostalgie mit sich. Immerhin hat uns die CIA damals noch für wichtig genug erachtet, uns zu fördern. Vielleicht sollten wir mal wieder bei ihr anrufen, um uns in Erinnerung zu bringen?

Moritz Eggert

Mehr über das Stück „Cassidy“ ist hier zu finden

CIA

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Eine Antwort

  1. @Moritz: Danke für diesen anregenden und gut recherchierten Artikel :-)

    Konrad Boehmer habe ich als Komponist noch nicht erforscht, aber als Polemiker und Intellektueller (z. B. Essay-Sammlung „Das böse Ohr“) war er zweifellos großartig und zudem hoch unterhaltsam. Angesichts der kunstvollen Formulierungen in seinen Polemiken war mir oft fast schon egal, ob er in der Sache recht hatte!

    Musikhistorisch und auch musikästhetisch interessant finde ich deine Beobachtung, dass die USA das „freie Denken“ fördern wollten, indem sie die damalige „Neue Musik“ förderten – die aber ästhetisch nahezu stalinistische Züge aufwies (was ihre Rigorosität und ihren Ordnungswillen betrifft). Im Nachhinein fast zum Lachen, das Ganze, wenn, und auch da gebe ich dir recht, diese Entscheidung der USA nicht bis heute konkrete Folgen hätte für den Kunstmusikdiskurs hierzulande (vgl. die teilweise pauschale Ablehnung von J. Kreidlers Versuch, die Kunstmusik endlich basal zu konzeptualisieren [ein Vorgang, der in der Bildenden Kunst bereits vor Jahrzehnten abgeschlossen wurde] oder auch, viele Jahrzehnte vorher, Clytus Gottwalds Polemik gegen die Minimal music Steve Reichs [wen’s interessiert, hier habe das mal dokumentiert:

    https://stefanhetzel.wordpress.com/archiv-2/hauptseite-10-gedanken/uebersprungene-geschichte-gedanken-zu-lehmanns-musikphilosophie-9/

    ]).

    Ich denke mal, du hast mit deiner ausgesprochen individualistischen ästhetischen Position vor längerer Zeit schon ähnliche Widerstände erlebt (aber diese Diskussion habe ich nicht verfolgen können, zu der Zeit habe ich mich nicht so intensiv mit dem Kunstmusikdiskurs beschäftigt), nicht wahr?

    Auffällig an diesen intellektuellen Schlachten scheint mir, dass die Auslöser meist Künstler (Komponisten) sind, die „Gegner“ aber nichtkünstlerisch tätige Angehörige des Neue-Musik-Apparats, also Journalisten, Musikwissenschaftler, Publizisten, Kulturmanager. Auch dies eine Situation, die in der Bildenden Kunst undenkbar wäre: Man stelle sich vor, die wichtigen Kuratoren dieser Welt als „Gegner“ einer neuen zeitgenössischen Kunstströmung (sei diese auch noch so fragwürdig!) – das habe ich wirklich noch nie gehört! Im Gegenteil, die Big Player im Kunstbetrieb sehen es ja gerade als ihre vornehmste Aufgabe an, relevante neue Positionen und Strömungen zu fördern, weil sie natürlich wissen, dass das allein den Betrieb überhaupt am Laufen hält (denn „neue“ Kunst altert erst mal schnell, bevor sie – im besten Fall – zum Klassiker wird).

    Klar gibt es da auf intellektueller Ebene auch hier die notwendigen Debatten in Magazinen wie „Texte zur Kunst“ etc., aber auf der Ebene des Machens ist der „neueste Scheiß immer erst mal geil“ (sozusagen). Ob er Eintagsfliege bleibt oder zum neuen Standard wird, zeigt sich ohnehin erst im Lauf der Zeit, das kann sowieso keine Kuratorin, und sei sie auch noch so einflussreich, alleine entscheiden.

    Im Neue-Musik-Diskurs hingegen habe ich oft den Eindruck, dass da etwas (was eigentlich?) „verteidigt“ werden muss gegen eine immer wieder neu anrennende Barbarenhorde von „Unbefugten“ bzw. „Unkundigen“ und „Misfits“ (zu denen du dich ganz sicher rechnen darfst, aber das weißt du ja).

    Ein nicht zuletzt durch obige Missstände komplett „übersehener“ Komponist der klassischen Moderne, den ich gerade für mich entdecke, ist der Russe Samuil Feinberg, der 1962 starb. Ich mache mir grade wöchentlich Gedanken über seine 12 Klaviersonaten, immer am Montag in meinem Blog „Weltsicht aus der Nische“:

    https://stefanhetzel.wordpress.com/feinbergiana/