No Pegida – Syrien und Byzanz als Chance für Kultur, Soziales und Wirtschaft
Wir hatten es hier im Laufe des Jahres schon einmal mit PEGIDA zu tun, als der Dresdner Musikchef der Sächsischen Staatskapelle seine offenen Briefe zu diesem Phänomen veröffentlichte, als er zuerst um Verständnis warb und dann einen Fallrückzieher in der Sache mit Bauchlandung versuchte. Mitunter war das Verhalten der Hausverwaltung der Semperoper der Grund, die montags während der Aufmärsche ihre Festbeleuchtung abschaltete. Anlässlich der Wiederaufnahme des Stücks „Montags auf’m Theaterplatz“ durch PEGIDA wurde die Semperopernverwaltung deutlicher und hängte ein grosses Schild vor ihre Türe mit der Aufschrift: „Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass – Ihre Semperoper“. Hoffentlich hält jetzt die corporate identity und kein Musikchef verkündet wiederum öffentlich, dass er diese Aktion nicht befürwortet.
Über dies Aktion berichtete die „Huffingtonpost“, die NMZ teilte es auf ihren Facebook-Auftritt. Das wurde vielfach gelikt, gekillt hat es aber wohl die herbstliche Idylle weniger anderer Leser, O-Ton: „Lass diesen Politscheiß bitte weg.“ Interessant war dagegen folgende Theorie: die Flüchtlinge belasten den Bundeshaushalt, der deswegen umgeschichtet wird. Eine Folge könnten Kürzungen für Kulturausgaben des Bundes sein. Im Zuge dessen erinnert der Kommentator Christian Lehmann, u.a. Autor von „Der genetische Notenschlüssel: Warum Musik zum Menschsein gehört“, an Richard von Weizsäckers wichtige Aussage, Kultur sein kein Luxus. Sie sei der nichtkürzungsfähige geistige Boden unserer inneren Überlebensfähigkeit. Wenn nun Menschen gegen Flüchtlinge demonstrierten, wie hier PEGIDA zur Rettung des Abendlandes gegen die Islamisierung aufriefen, da diese sogenannte „Masseneinwanderung“ weder sozial, ökonomisch noch kulturell zu stemmen wäre, dürfe man denen wie z.B. die Semperoper nicht das Licht ausknipsen. Nein, es würde jener Widerstand desavouiert, der an die „Pflicht des abendländischen Menschen“ erinnere, „das Eigene zu verteidigen, auch wenn dieses Eigene die historische Errungenschaft einer privilegierten Region sei“, denn man habe viel zu verlieren.
Verkürzt gesagt: alles Menschenmögliche zu tun, um humanen Verpflichtungen nachzukommen, könnte die Kultur des Abendlandes, das humanistische Erbe ruinieren. Darauf verkürzt geantwortet: sehr wohl gilt es immer wachsam zu sein, dass Kulturausgaben für sich allein genommen nicht gekürzt werden. Denn ich würde behaupten, dass sie zum Paket gelingender Integration dazugehört, ja, Ausgaben für sie zu erhöhen sind, um ihre Schlüsselfunktion zu unterstützen. Denn wie Ausgabebeschränkungen für Infrastruktur und Soziales der letzten Jahrzehnte, litt sie unter ähnlichen, gar drastischeren Kürzungen. Allerdings kann man Kultur nicht gegen Steigerungen in anderen Bereichen aufgrund der höchsten Flüchtlingszahlen seit noch mehr Jahrzehnten als die Kürzungen ausspielen, Widerstand gegen diese Flüchtlingszahlen dafür instrumentalisieren. Denn Kürzungen in allen Bereichen sind bereits seit Jahren ein Problem, das nur durch die extrem gute ökonomische Lage verschleiert wird. Ja, diese Ökonomie funktioniert auch nur deshalb, weil sie auf anderen Kontinenten Systeme verhindert, die freie Entfaltung und funktionierende Wirtschaft und Wohlfahrt ermöglichen würden.
Oder diese z.B. während des arabischen Frühlings versprach und nun realpolitisch die nicht überwundenen alten Kräfte direkt wie in Ägypten stützt oder verdeckt zulassen muss, wie jetzt wohl wieder in Syrien, wo man weder türkische Interessen und seit Kurzem nun russische nicht verletzten will. Oder man die anderen Staaten Arabiens nicht mit der Forderung nach mehr Engagement nicht destabilisieren möchte, um weiter mit diesen starken Geldgebern Geschäfte machen zu können. Zusammengefasst sind Flüchtlinge einerseits ein Ergebnis dieser Politik und andererseits hierzulande nun ein Indikator für die Dringlichkeit der Lösung von wohnungswirtschaftlichen, sozialrechtlichen, bildungs- und kulturpolitischen Versäumnissen, die jahrelang bereits offenbar sind. Flüchtlingen nicht zu helfen, darauf hinzuweisen, dass dies inhuman sei, man eben dafür wie um Zuge dessen Geld zur Lösung all dieser Problemlagen in die Hand nehmen muss, ist human wie im Ausbau aller Ebenen klassisch abendländisch humanistisch.
Apropos Humanismus: hätte das damals noch-katholische Abendland nicht um 1453 die Flüchtlinge des verlorenen Byzanz aufgenommen, hätte sich unsere Kultur, im Speziellen auch die Musik, nicht zu dem entwickelt, was sie heute ist. Am Anfang standen Bemühungen, Byzanz zu retten, damals realpolitisch unter Ausnutzung von dessen Schwäche das Schisma zwischen Ost- und Westkirche zu überwinden und dafür Geld zur Verteidigung fliessen zu lassen. Einerseits fand dies aber in beiden Lagern keine breite Zustimmung und half letzten Endes auch das Engagement Venedigs und Genuas nicht, die mit Byzanz ihren Asienhandel absicherten, weil eben kurz darauf andere prosperierende Mächte in deren Scheitern ihre Chance sahen. Kulturell bedeutend war aber das dazu abgehaltene Konzil von Ferrara-Florenz dennoch. Denn es brachte die Intellektuellen von Byzanz und Westeuropa direkt in Kontakt.
Der Neuplatoniker Plethon aus Mistras, dem Thinkthank Konstantinopels auf dem damals bereits fast zur Gänze an den Westen verlorengegangenen Peloponnes, beeindruckte unter anderem Cosimo de Medici so nachhaltig, dass dieser die Florentiner neuplatonische Akademie ins Leben rief, welche bislang nur indirekt bekannte griechische Philosophie und Literatur ins abendländische Wissen und Denken integrierte. Deren wichtigster Protagonist war Angelo Poliziano zum Beispiel war Schüler von Johannes Argyropulos, der 1453 nach Italien floh. Mit Poliziano war Demetrios Chalkokondyles am Einspeisen der klassischen griechischen Literatur beteiligt, indem er die erste Druckausgabe Homers in Westeuropa betrieb. Aufgrund dieses Wissenstransfers herrschte gerade in Florenz ein kulturelles Milieu, das hundert Jahre später die Initialzündung zur hybriden Kunstform Oper legte. Damit ist die Oper par excellence die Kunstform, die aufgrund von Experimenten zur Nachschöpfung der Musik der griechischen Tragödie entstand, deren Kenntnis insbesondere auf dem Asyl der byzantinischen Gelehrten in Italien beruht und die Stoffe der griechischen Mythologie die ersten der neuen Kunstform waren. Nachdem Oper selbst eine andere Künste integrierende Kunstform ist, wie heutzutage der Film es nachmacht, ist sie auch ein Sinnbild für gelungene Integration. Eine Integration, die durchaus lange Zeit brauchte, aber zu guter Letzt was vollkommen Neues ermöglichte.
Man wird mir nun entgegenhalten, dass Gelehrte, gar Intellektuelle unter den aktuellen Flüchtlingen nur einen Bruchteil ausmachen. Es sei geantwortet: ist das Verhältnis denn hierzulande so viel anders? Mir selbst erging es wundersam, als ich 2012 Neda komponierte: neben der Musik bin ich im Sozialbereich tätig und hatte da zuerst mit einem Menschen zu tun, dem es um essentielle Bedürfnisse eines anerkannten Flüchtlings ging, der drei Monate später über von mir nicht beeinflusste ganz andere Umwege sich als Theaterstudent aus Teheran entpuppte, der im Team von Neda mitwirkte. Oder blicken wir auf den in Pianisten von Jarmouk, Ayham al-Ahmad, dessen Klavierspiel zum Hoffnungssymbol der in Syrien bedrängten Palästinenser wie aller Bedrängten wurde, dem Extremisten zwar das Klavier anzündeten, dessen Fluchterzählung aber wiederum genauso Kraft spendete, wie sie auch medial ausgenutzt sein mag. Der mag von PEGIDA und anderen befürchtete Nachahmer zur Flucht animieren. Aber er zeigt eben auch, dass sehr wohl kulturelle Bereicherung erfolgt. Verknüpft mit der Geschichte der Kunstformen aus der byzantinischen Flucht der Renaissance gibt es Hoffnung auf Neues. Und kurzfristig zeigen uns die Flüchtlinge eben, was kulturell, sozial und ökonomisch das Wesentliche ist, was wir bei uns selbst seit Jahren vernachlässigt haben. Also kein Fremdenhass, kein Untergang des Abendlands: neun, Aufbruch zu etwas Neuem, gestärktes, nicht verängstigtes Bewusstsein zum Eigenem.
Komponist*in