Tartari e Numi – wohlbehalten zurück aus der Orfeo-Hölle
Die letzten Wochen war ich fast jeden Tag in einem Kuriosum: im Museum für Abgüsse Klassische Bildwerke. Gegenüber dem Münchener Königsplatz gelegen, hält man es für einen Teil der Antikensammlung vis a vis der Glyptothek. Aber falsch geraten! Das Abgüsse-Museum ist zwar in dem Zwillingsgebäude der Musikhochschule untergebracht, es war einmal Teil der NSDAP-Parteizentraleninfrastruktur, wobei den grössten Platz die Verwaltungen der berühmten Museen am Königsplatz und einige Institute der kunstwissenschaftlichen Fakultät der Universität einnehmen. Allerdings sind die beiden Lichthöfe und einige Gänge mit besagten Abgüssen meist antiker Statuen besetzt: wo ein Zeus, ein Imperator, eine Nymphe steht, da ist Museum im Verwaltungsbau. Denkt man an die NS-Geschichte des Baus, wird das noch seltsamer. Aber die künstlerische Nutzung beider Gebäude in einer guten Nachkriegstradition: die Musikhochschule gegenüber war, bevor sie dazu wurde, nach dem 2. Weltkrieg der wichtigste „Collecting Point“ für Raubkunst war, also das Lager der Kunstwerke, die die „Monuments Men“ wiederfanden und den ehemaligen Eigentümern oder deren Erben wieder übereignen sollten. Ein bis heute unbewältigtes Problem, wie man es urplötzlich im Falle der Gurlitt-Sammlung letztes Jahr wieder erlebte.
Das Musiktheater „STYX – Orfeo’s Past Now“ machte mich auch in gewisser Weise zu einem Räuber. Immerhin mahnten mich im Abgüssemuseum viele Variationen des gehäuteten musikalischen Apollo-Konkurrenten Marsyas daran, es mit dem Material nach Claudio Monteverdis „La Favola d’Orfeo“ nicht zu weit zu treiben. Das Benutzen barocker Vorlagen, antiker Stoffe, historischer Instrumente-Nachbauten – das sind bis zu einem gewissen Grad absolute No-Go’s im derzeitigen Neue-Musik-Kosmos, das klingt nach Rihmschen Dionysos, Darmsaiten statt Darmstadt. Das kann aber auch Spass machen. Denn mir wurden durch das Konzept alle Hirtenchöre, Balli, Interludien und Ritornelle genommen. Von der Story blieb ein altgewordener Museumsmitarbeiter, der mit den Verlust seiner Frau nicht zurecht kommt. Ob sie ihn verliess, er sie sogar umbrachte, ob das gerade eben oder vor Jahrzehnten passierte, das ist ungeklärt. In wirren Momenten hält er die Postfrau für seine Ex, selbst der skurrile Putzmann wird für ihn zur Charon-haften Bedrohung. D.h., es bleiben nur die „Jammer“-Rezitative Orfeos übrig, in Styx mit einem Countertenor statt einem Tenor oder Bariton besetzt, begleitet zudem von rein barocken Continuo-Instrumenten.
Ich machte anfangs einen weiten Bogen um diese Aufgabenstellung. Mittel für etliche heutige Instrumente waren auch nicht da. Die Lösung lag schliesslich im Weglassen der originalen Basso-Continuo-Stimme, was zu einer fremdartigen Harmonisierung mit E-Gambe und Vierteltonsynthesizer führte, einen sehr freien Umgang mit spektraler Harmonik. Rettung war dann die Partie der Frau, der ich eigene Linien geben konnte. Richtig Spass machte dann der Putz-Charon, der eine entfernte Hommage an Kollege Gordon Kampe wurde mit seinen Kamm-Papier-Kazoo-Untergebenen. Ensembles sind bei Monteverdi nicht vorgesehen. Durch Montage von Orfeo-Original-Partie und eigenen Teilen der beiden anderen Rollen schaufelte ich mich komplett frei, so dass gegen Ende keine Note Monteverdi übrig blieb. Das härteste war eine Nummer für Cembalo und Sopran – eigentlich kein Kunststück. Und Zink. Aus fünf Minuten erklingender Musik wurde fünf Wochen Schwitzkasten. Das wichtigste war am Ende, einmal einen längeren Text in Italienisch bearbeitet zu haben. Es singt sich selbst beim Komponieren geschmeidiger als Deutsch. Selbst wenn man manche Betonung verkehrt setzen mag, mit Nicht-Muttersprachen, wenn sie nicht vom anderen Ende der Welt kommen, geht Komponieren hemmungsloser von der Hand. Lasst uns deutsche Texte nur noch von Puppenplatten abspielen!
Eine ganz eigene „ewige Schallplatte“ war in diesem Haus die Ansage der anderen Verwaltungen, ja nicht tagsüber zu proben. So ging erst ab 20 Uhr los, musste jeden neuen Tag das gesamte Equipment auf- und am Ende wieder abgebaut werden. Und wenn man am Wochende auch nachmittags Lärm machen durfte, marschierte ein Foto- oder Malkurs plötzlich über die Spielfläche oder irgendein Department der Universität machte einen Umtrunk. Immerhin war es nicht so krass wie in anderen Museen, wo selbst Führungen nonchalant eine musikalische Generalprobe des Münchener Kammerorchesters unterbrachen: zu später Stunde ist in diesen Häusern kein Arbeiten neben den Kunstwerken mehr möglich, da die Sicherheitsanlagen scharf geschaltet sind. Nur zum Abendkonzert selbst machen die mal eine Ausnahme, was aber Unsummen von Geld verschlingt.
Ganz anders die Mitarbeiter des Museums für Abgüsse um ihre Chefin Frau Kader: die brachten sich allesamt ein und schoben Gipsabgüsse durch die Szenerie. Wie verwandelt war dann die Halle, als Licht- und Videotechnik eingebaut waren, nun selbst die Instrumente und die Musikelektronik nicht permanent zeitraubend heran- und weggeschafft werden musste. Die beiden Jungs, Torge und Momme von fettfilm brachten selbst die kopflose Nike zum Atmen, liessen aus dem Putzlumpen des Baritons den Styxfluss entspringen. Da zeigte sich mit einem Male, dass sehr wohl neuer Bühnenzauber möglich ist, nicht jedes Bühnenbild mit der heute geläufigen arte povera, maximal mit Powerpointprojektionen angereichert, dekonstruiert werden muss, dass doch Magie mit einfachen Mitteln möglich sein kann, Raum und Video einen Traumraum bilden können. Was soll ich sonst noch sagen, bevor es endgültig in Selbstbeweihräucherung umschlägt? Unsere Musiker, die mit ihren Instrumenten bisher vor allem Alte Musik pflegten, meisterten all meine Unregelmässigkeiten dank des Einstudierungwunders Nicholas Kok, mit der Regisseurin Martina Veh arbeitete ich bereits öfters, so dass es vor allem künstlerische statt menschliche Reibungen gab. Was eine ausserordentliche Sache ist, dass die drei Sänger Christopher Robson, Florence Losseau und Marios Sarantidis nicht nur nicht über die zum Teil sehr schweren Linien Stirnrunzeln zeigten, sondern dezidiert mit viel Spass und Ausdruck ihre Partien sangen. So müsste ich entgegen dem Titel eigentlich sagen: heute Abend zum letzten Mal im Orfeo-Himmel. Das wäre ein Mythos glättendes Ende. Aber viel lieber sollte ich mich von Mänaden zerreissen lassen. Irgendwie lustvoller!
Komponist*in
Klingt sehr interessant…
Der oben erwähnte Kunstsammler Gurlitt der „Gurlittsammlung“ ist im übrigen ein naher Verwandter des berühmten Musikwissenschaftlers und Freiburger Professors Wilibald Gurlitt.
Er war einer der ersten in Deutschland, die sich schon in den 20er Jahren intensiv mit alter Musik und deren Aufführungspraxis befassten – also lange bevor „historische Aufführungspraxis“ in (zum Teil zweifelhafte) Mode kam.
Danke für den Gurlitt-Hinweis. Die unterschiedlichen Cousins und Brüder sind schon ein faszinierender Kreis, gerade wie unterschiedlich sie sich im NS-Staat arrangieren konnten oder das Land verliessen. Es lässt sich auch ein gewisses Gefälle an Bedeutungen von Berufen in der Kunst ablesen: ganz oben der Kunsthändler, in der Mitte der Professor. Die konnten im Lande bleiben, die beiden Händler auch unter Problemen, doch unter Erhalt und Sicherung ihres Vermögens. Der Akademiker wurde von seinem Lehrstuhl gejagt, hatte massive Existenznöte, konnte nach dem Krieg wieder Fuss fassen, auf seiner alten Stelle aber später ausgerechnet vom berüchtigt-berühmten Eggebrecht beerbt. Der Komponist floh als einziger ausser Landes, dann nach 1945 in Japan erfolgreich, in Deutschland vergessen. Irgendwo hier schrieb oder kommentierte ich einmal, wie faszinierend der Fall des Komponisten Manfred Gurlitt auch künstlerisch war: die beiden Hauptstoffe der deutschen Opernavantgarde, Wozzeck und Soldaten, komponierte er ebenfalls, wobei erstere mit Bergs namensgleicher Oper den UA-Marathon nur um wenige Monate verpasste. Und frappierend ähnliche Momente, zumindest am Anfang im Szenario, im Sound und v.a. in den Formen des Neoklassizismus aufweist: die Anbindung der Bergschen Formschemata der einzelnen Szenen an Sonate und Suite ist ja zumind. im ideellen Rückgriff auf klassische Muster nicht soweit z.B. von all den Concerti von Hindemith bis Strawinsky entfernt… Womit sich die Frage stellt: ist man heute „neoklassisch“, wenn man wie z.B. auch H. Parra auf alte Instrumente zurückgreift? Denn heute ist es noch mehr der Sound als die Form, an der man Stilistik festmachen könnte…
Hier ein interessanter Link zu W.Gurlitt und Eggebrecht:
NS-Vergangenheit: Unheimliches Abendland Zeit Online
P.S. : Hindemith ist tatsächlich ohne die „Alte Musikbewegung“ in den 20 er Jahren in dieser Form nicht denkbar…
In den Jahren 1936 bis 1938 war Friedrich Metz (siehe Wikipedia) Rektor an der Freiburger Universität. Er dürfte also auch im Jahr 1937 für die „Entfernung “ des Musikwissenschaftlers Wilibald Gurlitt als Professor der Freiburger Universität verantwortlich gewesen sein. (?) Gurlitt galt als jüdisch „belastet“. Von 1933 bis 1934 war Martin Heidegger (Sein und Zeit) dort Rektor. Heideggers Rolle wird bis heute noch heftig diskutiert, da er zumindest am Anfang eine grosse Nähe zur NS- Ideologie hatte und das „Führerprinzip“ auch an der Uni einführen wollte.
Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht, dass die „normale“ universitäre und studentische Öffenlichkeit sich bis 1968 herzlich wenig um solche Vorgänge gekümmert hat. Ich hatte zu der Zeit gerade mein Studium an Musikhochschule und Uni Heidelberg beendet und erst danach so richtig begriffen, dass ich bei alten Nazis studiert habe. Dazu gehört der mit Müller-Blattau zusammen als Kampfliedersänger aufgetretene Reinhold Hammerstein. Müller-Blattau hat übrigens bei den Vorgängen um Willibald Gurlitt heftig mitgemischt. Auch bei Hans Graul habe ich studiert. Dieser war wie Metz Geograph und arbeitete für die Nazis in Krakau. Ja, und dann war da Ernst-Lothar von Knorr, der Direktor meiner Hochschule. Oh je, da fällt mir auch noch Max Gebhard ein, einer von den fränkischen Nazi-Brüdern Gebhard, der einer meiner Lehrer am Konservatorium in Nürnberg war.
Noch mehr solche Leute könnte/müsste ich anführen.
Ist es fatal, dass ich bis auf Knorr und Hammerstein all diese Leute wegen ihres Wissens und Könnens und der persönlichen Zuneigung zu mir verehrte und bewunderte?
Na, wenigstens die Rolle Hammersteins konnte ich 1967 zusammen mit seiner von mir geliebten Frau in einer langen Café-Session klären.
Bis in die 70er Jahre hinein gab es noch etliche solcher Leute im akademischen Betrieb und auch in den Schulen. Interessant erscheint hier, mit welcher Aggressivität sie sich zuweilen nach 1945 wieder in die wichtigsten Positionen gedrückt haben. Siehe hierzu den erwähnten Müller-Blattau, der im „tausendjährigen Reich“ einer der dubiosesten und intrigantesten Burschen der Musikwelt war. Sie legten sich ab 1945 dann eine neue Identität zu und machten später oft auf „links“, da sie bemerkt hatten, dass man damit nun besser nach oben kommt und bei den Studenten beliebter ist. Eine Aufarbeitung der Rolle der Universitäten und Musikhochschulen im NS-Staat hat kaum stattgefunden.
Es geht hier nochmals um die Vorgänge um die Entfernung von Wilibald Gurlitt im Jahr 1937 an der Universität Freiburg. Ich zitiere aus einem sehr empfehlenswerten Buch, „Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich, 1933 – 1945“ herausgegeben von Frank – Rutger Hausmann: „Noch heute ist der Wissenschaftsbetrieb – gerade in einem kleinen Orchideenfach (wie der Musikwissenschaft) nicht frei von Intrigen, und es bedarf keiner besonderen Phantasie, um sich vorzustellen, welche grausame Effizienz Intrigen in einem totalitären Terrorsystem entfalten konnten, das überdies von miteinander rivalisierenden Machtzirkeln geprägt war. Allein die Entscheidung darüber, ob ein Wissenschaftler in den Kriegsdienst gerufen wurde oder als „unabkömmlich“ galt, entschied nicht nur über Karrieren, sondern über das nakte Leben. (…) Viele Entscheidungen, die auf den ersten Blick politisch motiviert erscheinen mögen, dürften mindestens zu gleichen Teilen den menschlich-allzumenschlichen Implikationen in einem von Eifersucht und Missgunst geprägten Universitätsbetrieb geschuldet sein. Dieser Punkt scheint mir vor allem deshalb so wichtig, weil mir bei einem Vergleich mit anderen Fächern die universitäre Musikwissenschaft als erstaunlich wenig ideologisch kontaminiert erschien – mit Ausnahme einiger Positionsbezüge Heinrich Besselers, Werner Kortes und Josef Müller – Blattaus, eines besonders intriganten Karrieristen, der in Freiburg aktiv die Entlassung seines Mentors Wilibald Gurlitt betrieb.“ (Ende Zitat) Ob ein Wissenschaftler oder Künstler in den Kriegsdienst gerufen wurde oder als unabkömmlich galt, darüber entschieden oft Listen, wie die berüchtigte „Gottbegnadeten Liste“. Auch der oben von Guntram Erbe zitierte Ernst – Lothar von Knorr hat eine solche von Hitler unterzeichnete Liste von Musikern verfertigt. Allerdings wird sie im Zusammenhang seiner Vita oft positiv erwähnt, denn dadurch seien Künstler gerettet worden. Dass solche Listen für diejenigen Künstler, die nicht die Gnade hatte darauf zu erscheinen – und dies war die überwiegende Mehrheit – nicht nur das Ende der Verdienstmöglichkeiten, sondern auch, besonders wenn sie jüdisch waren, den sicheren Tod bedeutet haben, wird dabei übersehen. Der Ersteller solcher Listen konnte also willkürlich über Leben und Tod von erwünschten Kollegen oder unliebsamen Konkurrenten entscheiden.
Nochmals zu Ernst-Lothar von Knorr:
Er hat etliche Nazilieder geschaffen, das perfideste auf einen Hermann-Claudius-Text, der den naiven Gottesglauben des „Volkes“ missbraucht:
Herr Gott, steh dem Führer bei,
daß sein Werk das Deine sei,
daß Dein Werk das seine sei.
Herrgott steh dem Führer bei.
Herrgott steh uns allen bei,
daß sein Werk das Unsre sei.
Unser Werk das seine sei.
Herrgott steh uns allen bei.
Pfui! Und was konntet ihr als Studenten bei von Knorr lernen?
Wie man solche Lieder schreibt? (?)
Bei von Knorr konnte man nichts lernen, er repräsentierte und saß wohlwollend blasiert bei Prüfungen und beim Vorspielen dabei und ja, er hatte dann auch Stimmrecht – immer zu meinen Gunsten übrigens (mein Vorname und meine blonde Haartolle kamen an!).
Nach 1933 schrieb von Knorr zahlreiche Werke für das Regime, unter anderem:
Kantate „Von Männern, die ihre Pflicht getan“, Kantate „Brüder, wir halten Totenwacht“, „Festliche Kantate am Tage der politischen Leiter“, Kompositionen zu „Rundfunksendungen der HJ“ sowie zahlreiche Märsche und Kampflieder. (U.a. als Herausgeber eines „Liederbuchs für die Wehrmacht“ mit Titeln wie: „Die Wacht am Rhein, Der Soldat, Der Preussenkönig, Flammen empor…,Gebet vor der Schlacht, Heilig Vaterland, Sonnenwendlied, Marschieren!, Tod und Schlaf, Schwertlied“ etc.) 1942 trat er der NSDAP bei. Nach 1945 soll er sich aber – nach Auskunft verschiedener Biographien vom NS – Gedankengut distanziert haben.