Donaueschingen 2014, endlich in Fahrt und wieder vorbei

Sie sind vorbei, wo sie doch heute so richtig zu schmecken begannen: die Torten im Cafe Hengstler. Da es diätisch nicht korrekt wäre und eine Kuchensuchtpandemie auslösen würde, verzichte ich auf Fotos. Ausserdem wird es mal wieder Zeit für ein Musik-mit-Bildern-Verbot nach all den Stücken mit Filmprojektionen. Immerhin meinte gar eine angesehene Flötistin der zeitgenössischen Musik, dass ich dünner geworden sei – wie mein Ex-Lehrer, siehe „erster Abend“-Text – erspare ich Ihnen/Euch auch Donaueschingen-Selfies. Denn die grösste Erkenntnis dieser Musiktage: alle „ICE-nach-Donaueschingen-Selfies“ sind gefakt. Nicht nur wegen dem GDL-Streik, nein, aus performativen und ästhetischen Gründen, gell, lieber M.!? Aber dies ist jetzt wieder zu viel Komponisten-Insider-Getöse, wie sich meine beiden heute kennengelernten SWR-Blogkollegen in Hinsicht auf den Badblog äusserten. Rückblickend… sind das schon genügend Sätze, um sich wieder mit Mitmenschen zu überwerfen. Soll ich nun über den dritten Tag weiterreden?

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Aber es war gar nicht so krass, um wie am Vorabend und ersten Teil des zweiten Tages herumzukritteln! Statt an den Rheinfall zu fahren, erwies sich das heutige Vormittags-Ensemblekonzert als alles andere als einen Reinfall wie der umgestellte Beginn des gestrigen. Das bestens aufgelegte Ensemble Modern mit Jonathan Stockhammer als Dirigenten gönnte sich zwar marginale Zählschnitzer in heikel-ruhigen niederwertigen Obertonaufzählern in Peter Ablinger „points & views“. Was aber insgesamt aus den instrumentierten Formantanalysen von alten, verrauschten Sprachkurs-do-it-yourself-Kassetten herauskam, war 15 von 20 Minuten durchaus unterhaltsam. Beides erklang parallel. Zum Verdeutlichen konzeptuell unbedingt notwendig. Exemplarisch warf dieses reizende Stück aber die Frage auf, ob aus Sprache abgeleitete Musik nicht mal selbst zu sprechen anfangen dürfte, mit ihren eigenen Mitteln, losgelöst von Audio- und Textvorlagen, wie es eben das Kunstlied auch ab und an vollzog. Wenn aus den Obertonaufzählerintermezzi z.B. eigene Obertonmelodien gekreuzt mit streng enttextualisierten, nur z.B. alphabetisch angeordnete Restformanten wären, hätte Ablinger garantiert das Thema „Melodie“ prickelnder beantwortet, als das Klavierkonzertlein „Melodictionnaire“ von Krystof Maratka. Das suchte seinen Pfad zwischen Rachmaninow und Messiaen, wollte eine lockerere, fröhlichere Herangehensweise an Handwerk als die gestrengen Werke von Rihm oder Poppe, letzterer z.B. letztes Jahr. Die Doppelbegabung viriler Pianistenkomponist wurde Maratka aber zum Verhängnis, so dass man mal wieder den Eindruck hatte, ein wichtiger Verlag lässt einen seiner Verlegten verlegen die wichtigsten Festivals abgrasen um dann irgendwann einmal damit die zeitgenössische Relevanz ihres Komponierenden gegenüber Opernhäusern oder Philharmonien nachzuweisen. Hätten die Musiktage zum Beispiel spontan ein open-air für die Normalverbraucher des verkaufsoffenen Musiktage-Sonntags an der Donauquelle durchgeführt, wäre es ein reizvolles Stück für die Einkaufsbummler gewesen. Brian Ferneyhoughs grandioses Concerto grosso „Inconjunctions“ rettete die gute Stimmung nach Ablingers Anfang, auch wenn ein Drittel des Saales, das Ferneyhough zujubelte zuvor den Kottan-ermittelt-ähnlichen Österreicher im Trenchcoat ausbuhte.

Ähnlich volkskonsumerabel wie Maratka waren die Gummihandschuh-Bauernhof-Gebläse-Installationen von Ondrej Adamek: wirklich unterhaltsame Klangkunst, die sich von ganz allein vermittelt. Sie klaute all den Bildern, Texten und Objekten von Tsangaris, Sciarrino, Kreidler, etc. von dies- und nächstjährigen Musiktage-Komponisten in der musealen Anordnung der Alten Bibliothek die Show. Als diese „Air-Machine“ dann im Abschlusskonzert als Abschlussstück Bestandteil des um das Publikum verteilten Orchesters und Chores wurde, trafen sich zwar Pan-Tau, Carl Orff und Blasmusik aus Kusturica-Filmen mit in meinem Hirn frei mitgesungenen Endlosketten aus dem Kinderlied „Was braucht man auf dem Bauernhof“. Klar, das quieckende Gummiferkel ist herzzerreissend und lustig zugleich, die vertonten isländischen und indischen Texte feiern den zermalmten Körper wie den des lieben Viehs, das wir schlachten und essen. Eine vegetarische Prodana nevesta ist aber noch lange kein Musikfleisch!

Ebenfalls verteilte Brice Pauset das Orchester um das Publikum, was dräuende Wagnerisme-Klänge uns um die Ohren schickte. Dazu spielte akkurat der Komponist auf seinem von daheim mitgebrachten Cembalo, dazu rezitierte eine Frau Zotter gewichtige Texte. Als sie dann anfing überdehnt und tragödisch Arabisch lautmalerisch zu dekonstruieren, traf sich die unfreiwillige Komik von „Un-Ruhe (Heft 1)“ mit der freiwilligen des Gummischweinderls. Hätte der selige Robert Lembke mich in der Musikshow „Was soll das?“ als Variation des Beruferatens „Was bin ich?“ gefragt welches Cembalo oder Schweinderl ich haben möchte, ich hätte beide ablehnen müssen, da ich bereits Spiesserware genau aus der gleichen Töpferwerkstatt mal von einer ebenfalls seligen Sparstrumpftante erhalten habe. Und natürlich aus ästhetischen Gründen, ganz unerklärt aus dem Bauch heraus, dem tortigen.

Fragte man sich nach Manos Tsangaris Verhältnis zu Tönen nach der Gong-Mistel im ersten Konzert als zweites Stück, war die SWR-Antifusions-Mistel in Hinblick auf Tonhöhe und Konzept quasi genial, sofern die Töne nicht einer anderen Komposition vom Band eingespielt angehören sollten. Die Textprojektion sagte, dass die Fusion scheiterte, da das Freiburger SWR-Orchester davor schlichtweg aufgelöst worden sei, was ja de facto die Fusion mit den Stuttgartern und der Wegzug bedeuten wird. Das war sehr politisch gemeint und sym-badisch. Aber doch ein wenig platt, wie eben selbst Andriessens Streikmusik war. Warum hat man die nicht zumindest als Pausenmusik mal eingespielt? Gab es die von Trossingern Musikstudierenden vielleicht am Bahnhof für die Heimreisenden? Das weiß ich nicht.

Was ich aber weiß: Simon Steen-Andersens „Piano-Concerto“ heimste zurecht den Orchesterpreis ein. Die Mischung aus Videoarbeit des auf einen Lagerhallenboden aufschlagenden Flügels, dem darauf spielenden Nicolas Hodges, der als filmisches Alter Ego dem richtigen Hodge auf einer Kartonprojektionsfläche vor dem Dirigentpult Francois-Xavier Roths gegenüber sass, das Durchwirken von deformierten Oktaven und Glissandi zwischen beiden Klavieren und dem Orchester, die daraus irgendwie simpel aber doch ganz klar resultierende Sound- und Gestenmorphologie gingen Hand in Hand wie bei keinem anderen Stück dieses Musiktagejahrganges. Als dann romantische Klaviermusik gar nicht auf dem kaputten Projektionsinstrument gelingen wollte, das Orchester aber sehr wohl diese altbekannte Emotionalität einfing, der herabfallende Flügel im Rückwärts- und Vorwärtsspulen des Videos zu tanzen begann, war ein intermedialer Kontrapunkt erster Güte erreicht. Hätte das Stück dann mit der Bodenkameraeinstellung des weder slow- noch high-motion real abgespielten Zerstörungsvorgangs des Flügels geendet, der lebensbedrohliche Stahteile schrapnellartig durch die Lagerhalle sausen ließ, wäre das Stück wirklich als genial zu bezeichnen. Die schnelle Rückwärtsfahrt der Zerstörung, des Aufbaus der Versuchsanordnung, des Hertransports des corpus delicti aus dem Klavierlager, als ratterte ein zurückgespulter Super-8-Film durch den Projektor war immerhin ein schönes Understatement als Making-Of, so dass Steen-Andersens Konzert auch so ganz und gar für sich einnahm.

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2 Antworten

  1. Strieder sagt:

    Danke für deine Berichte und und! ;) Frag mich gerade aber, warum bei 22 Komponisten nur 2 Frauen dabei sind: http://www.swr.de/swr2/festivals/donaueschingen/programme/komponisten/-/id=2136962/nid=2136962/did=14239232/o9tcoh/index.html

  2. Unter 18 im 2014er Heft angekündigten Komponierenden für 2015 befindet sich auch nur eine Frau: Olga Neuwirth. Es gibt zwar noch ein „etc.“. Das dürfte aber im „prominenten Programm“ kaum noch für weibliche Zahlen-Überraschungen sorgen.