Existieren mit Komponieren – willkommen im real existierenden Kapitalismus
Während die Darmstädter Ferienkurse inspirierend um Diesseitigkeit, Konzeptualismus-Urständ‘ und Scelsi-Rezeption oszillierten, ging es jenseits des Ärmelkanals diesen August vor allem finanziell ernüchternd zur Sache: die „nationale Agentur für Neue Musik“, griffiger als „sound and music“ bekannt, brachte es mit den Ergebnissen ihrer Befragung zur Einkommenssituation im Jahre 2013 in die Schlagzeilen des „Guardian“. Um die 460 Komponistinnen und Komponisten der zeitgenössischen, neuen und aktuellen Musik antworteten:
– Durchschnittlich 2,65 Aufträge pro Komponistin und Komponist wurden mit umgerechnet ca. 1750 Euro pro Auftrag honoriert, insgesamt um die 4600 Euro im Jahr – wo von man weder in Grossbritannien noch auf Westeuropa simplifizierend extrapoliert länger als ein Quartal sparsam existieren könnte, unbeachtet der Tatsache, dass z.T. KünstlerInnen in Deutschland mit monatlich nicht einmal 1000 Euro auskommen müssen.
– Laut „sound and music“ konnten in den letzten fünf Jahren viele die Anzahl der Aufträge vergrössern, kassierten aber von 2008 bis 2013 pro Auftrag immer weniger. Ähnliches kann man auch in Deutschland beobachten, sogar ohne eine Studie: wenn die Honorare nicht gesunken sind, dann sind aber in den meisten Fällen keinesfalls gestiegen.
– Ein Prozent der Befragten stand aber dann doch besser als die restlichen 99 % da, denn sie erhielten allein über 25 % der ermittelten Gesamthonorare, damit ca. 320.000 Euro von gesamt ca. 1.285.000 Euro.
Der letzte Punkt ist der Hammer! Dagegen wirkt die Einkommensverteilung in Deutschland beinahe sozial: immerhin zehn Prozent der Haushalte können über 60% des erwirtschafteten Vermögens auf ihren Konten verbuchen. Wie es dann unter Komponierenden zeitgenössischer und neuer Musik in Deutschland aussieht, wäre natürlich erst einmal zu ermitteln. Aber wie die Zahlen der KSK vermuten lassen, dass die meisten von uns eben im Monat mit weniger als 1000 Euro auskommen müssen, dürfte sich im Vergleich zu den Ergebnissen der „sound and music“-Befragung kein allzu grosser Unterschied ergeben. Wäre das Biotop Neue Musik ein eigener Staat, wäre in ihm die Einkommensverteilung die eines Entwicklungslandes. Wie ist nun die Situation zu verbessern? Ein Kommentar des „Guardian“-Artikel schlägt vier harte Wege vor: das Komponieren einstellen, die Nachfrage nach Kompositionen erhöhen, alle Komponistinnen und Komponisten vereinen sich zur Erhöhung der Honorare oder Komposition weiter als Hobby betreiben. Abgesehen vom Einstellen des Schreibens ist der Weg die Mischung aus den letzten drei Punkten. Gelegenheiten und Finanzierungen für Aufträge erhöhen, wo es kollektiv geht, peu a peu die Honorare erhöhen und zur Sicherung der Grundkosten entweder Abkommen mit den Lebenspartnern treffen oder einen Brotjob anstreben, ja nicht aufgeben.
Ehrlich gesagt, geht es heute doch vor allem darum, überhaupt die vorhandenen Auftragsmöglichkeiten zu erhalten, wo vielerorts die Kulturhaushalte in deutschen Bundesländern und Kommunen konsolidiert werden, beziehungsweise Mittelerhöhungen vor allem in tariflich gebundene Festanstellungen fliessen. Ernüchtert heisst dies, sehe, dass Du wenigstens die Einnahmen aus Deinem Brotjob tariflich verbessern kannst und komponiere mehr, wenn Du mehr mit Deiner Berufung verdienen möchtest. Der Effekt des Mehrkomponierens führt aber zu guter Letzt auch nicht zur finanziellen Aufstockung des einzelnen Auftrags.
Meine Vision ist diese: statt nur das Diesseits, die klingende Realität zu benennen oder vergnüglich an grösseren Gehalten vorbeizuspassen, wie es sinngemäß Daniel Biro dieses Jahr während eines Diskussionsrunde in seiner Konzeptualismus-Widerrede den in Deutschland wirkenden Neue-Musik-Aktuellen ins Buch schrieb, verweigert sich die junge Generation bewusst den mageren Aufträgen der grösseren Institutionen, wie es zum Teil die Bühnenkünstler bereits versuchen. Statt dankend einen Auftrag entgegenzunehmen, sollte man verlangen, dass dieser für nachfolgende Begünstigte auf keinen Fall sinken oder gestrichen werden darf.
Wer einen dotierten Preis erhält, sollte in seiner Dankesrede dessen Erhöhung verlangen, dass sie und er ihn eigentlich doppelt benötigen würden, um ernsthaft weiterarbeiten zu können. Entgegen dem Usus, Brotjobs nur im akademischen Bereich anzugeben, die z.B. als Lehraufträge auch kaum das Leben absichern, um den Lebenslauf honett zu verzieren, sollte man aufzählen, wodurch man wirklich sein künstlerisches Schaffen finanziell ermöglicht. Vielleicht wird dann deutlich, wie all die schönen Stücke überhaupt möglich sind, die heute geschrieben werden: nicht durch Förderer und Stiftungen, nein, durch den Verzicht der Komponierenden auf Lebensqualität und Karrieren in den Bereichen, die ihnen die künstlerische Arbeit ermöglichen.
Das sind natürlich steinzeitsozialistische Anliegen. Denn egal ob Kranichsteiner Musikpreis, Villa Massimo-Stipendium oder irgendein grösserer oder kleinerer Auftrag, so will man allen ästhetischen Inhalten zum Trotz sich doch darin höheren Dingen widmen, wird vielleicht für Anliegen anderer, aber kaum für existentielle eigene die Stimme erheben, widmet sein Schaffen ganz allgemein dem Kulturerhalt. Dennoch sollten diese Foren auch genutzt werden, nicht nur gegen Fusionen oder für politisches Komponieren zu werben. Es sollten klare Forderungen ausgesprochen werden. Aber wie ich die Kollegenschaft einschätze wird man den Tipps von „sound and music“ folgen, wie man ein angepasster Komponist werden kann: „Whatever your additional jobs are ensure that you keep your different working identities separate“. Die Dinge also trennen, nicht zusammenfügen. Nur wenn man „verschiedene Job-Rollen“ problemlos erfüllen kann, damit die Auftragsanzahlen potenziert, sollte man als „portfolio-composer“ auftreten.
Ich meine aber, dass es an der Zeit sein sollte, gerade die nicht zusammenpassenden Rollen aufzuzeigen, die nicht in erster Linie der Karriere nutzen, wenn diese Karriere selbst nicht Professoren ermöglicht, auf ihre Beamtenstellung zu verzichten. Oder geht es beim künstlerischen Fortkommen letztlich nur darum, sich eben eine solche Verbeamtung zu sichern? Liest man die Cvs, scheint dies mehrheitlich das Ziel zu sein. Dabei dürfte die Kunst an sich selbst nur weiterbringen, was eben nicht nur den hörbaren Alltag, wie z.B. bei einigen „diesseitigen Werken“, sondern auch den lebenserhaltenden einbringt. Da bietet der Neue Konzeptualismus in seinen numerischen Spielereien z.B. den konkreteren Ansatz. Traut sich aber eben noch nicht ganz daran, denn dann wird eben doch E-Musik daraus, Existenz-Musik!
Doch diese schreiben wohl momentan am ehesten russische Komponisten wie z.B. Ilya Demutsky. Mit seiner süffig-tonalen Musik vertonte er z.B. die Schlussrede von Maria Alyokhina, eine der Angeklagten und Verurteilten des Pussy-Riots-Prozesses. Derweil in England pädophile Verbrechen an Musikschülern aufgedeckt werden, tarnen sich sogenannte Pädophilenjäger in Russland, die durch fingierte Dates Schwule an Orte locken, wo sie vor ihren Kameras diese als Kinderschänder darstellen wollen, obwohl diese auf der Suche nach Gleichaltrigen sind, und auf das Übelste quälen, im Namen der Errettung der russischen Nation. In seiner neuen Oper „New Jerusalem“ wollte dies Demutsky mehr oder minder thematisieren. Prompt bekam er Probleme mit der Administration des Mariinsky Theaters in St. Petersburg, wurde er sogar dafür bedroht und verprügelt. Das ist nun nicht Existenzmusik im oben beschriebenen Sinne. Dies zeigt aber, dass mit härteren oder zarteren, moderneren oder konservativeren Tönen durchaus weniger angepasst und marktkonform Kunst zu machen ist, als es die Mehrheit, gerade im jetzt en Vogue seienden Betrieb aktueller Musik, sich nicht weiteres traut, sondern sich im Spielen verliert oder selbst die Ansätze zu wirklicher Diesseitigkeit über akustische Cluberfahrungen oder nachbarliche Umzugskisten nicht herauswachsen lässt.
Komponist*in