BR und SWR-Rundfunkrat – Ständevertretungen jenseits bürgerschaftlichen Engagements
Es wird Zeit, einmal generell einen Blick auf die Strukturen der Rundfunkräte zu werfen: „Donnerstags- und Freitagsmaler“, das sind die Rundfunkräte des Südwestdeutschen (SWR) und Bayerischen Rundfunks (BR)! Nicht wie die längst abgeschalteten „Montagsmaler“ mit Frank Elstner als Moderator, nein, modern ko-geleitet von beiden Intendanten Peter Boudgoust und Ulrich Wilhelm, die Teilen ihrer öffentlich-rechtlich Sendeanstalten gerade wieder K.O.-Schläge verpassten, mit ganz langsamen zu-Boden-gehen: 2016 nun endgültig die SWR-Orchesterfusion, weil nach Meinung des SWR nur ungenügend Stiftungsmittel des Freiburger/Baden-Badener Sinfonieorchesters aufgetischt werden konnten. Verstehe ich Boudgoust richtig, dass die Freiburger Orchesterretter dann eine Mitschuld hätten, wenn ihr Orchester durch eine Stiftung gesichert sei, aber das dann nicht mit ihnen fusionierte Stuttgarter Radiosinfonieorchester ohne ein ähnliches bürgerschaftlich erarbeitetes Finanzierungsmodell dastünde? Und 2018 statt bereits 2016 die Verbannung von BR Klassik weg vom massenmöglichen UKW-Empfang ins sondergerätspflichtige DAB-Plus-Nirwana, auch wenn bis zu 60.000 Klassikhörer protestierten, erheblich mehr als vor Jahren zu ähnlichen Plänen?
Basta! Von den Rundfunkkönigen sind beide Entscheidungen ohne Wenn und Aber durchgefochten worden, wurde die Boudgoust unangenehme Öffnungsklausel für andere Lösungen als die allein seligmachende Fusion letzten Freitag huldvoll vom Rundfunkrat hinfort beschlossen. Was bei BR Klassik wie ein Zeitgewinn erscheint, die Verlegung des Wellentauschs um zwei Jahre nach hinten, ist letztlich ein Kompromiss ins Leere. Der Präsident des Bayerischen Musikrats (BMR), Dr. Thomas Goppel, den man bisher als Mit-Initiator der „BR Klassik muss bleiben“ Petition kannte, stimmte im Gegensatz zu seinem nach wie vor prinzipientreuen Rundfunkratskollegen Prof. Helmschrott vom Deutschen Komponistenverband (DKV), für den Wellentausch. In Goppels Erklärungsversuchen, ein Statement des BMR und ein Briefwechsel zwischen ihm und einer Rücktrittsforderung Helmschrotts an ihn als BMR-Präsident und einer Klarstellung Enjott Schneiders, ebenfalls DKV, schwadroniert er von potentiellen DAB-Plus-freundlichen Autoindustrieentwicklungen und verhinderten Generationsabriss, der ein Problem der riesigen U-Musik-Sender des BR sein mag, wohingegen die Klassikhörer generationsübergreifend sind. Und macht sich so die Argumente der Gegenseite zu eigen bzw. vielleicht sogar die Ansichten des ehemals unter dem Minister Goppel als Ministerialdirigenten dienenden, jetzigen Intendanten Wilhelm.
Sind die Rundfunkräte von SWR, vor allem des BR nichts anderes als genehme Abnickvereine ihrer Senderintendanten? Im Falle des ZDF entschied das Bundesverfassungsgericht, dass zu viel Parteipolitik im dortigen Rundfunkrat vertreten sei. Im Falle der möglichen und wohl faktischen Nähe von BR-Rundfunkrat Dr. Goppel und seinem ehemaligen Untergebenem, jetzigen BR-Intendanten Wilhelm, beide Mitglieder der in Bayern seit Jahrzehnten unangefochten bis auf ganz wenige, kurze Intermezzi alleinregierenden CSU, kann man das getrost bejahen. Grundsätzlich soll ein Rundfunk ein konstituierendes Organ seines Senders sein, muss er den Intendanten und sein Team wählen, den Haushalt beschliessen, die Wahrung der Interessen Allgemeinheit kontrollieren und bei der Programmgestaltung beraten. Wie man an den unveränderlichen Positionen Boudgousts und Wilhelms sieht, sind sie beide beratungsresistent, wenn auch nur eine kleine Minderheit, aber mit all ihrer Kompetenz auf die gravierenden Probleme von Fusion und Tausch hinwiesen. Aber mit Goppels Wende ist dies zumindest im Falle des BR sowieso hinfällig. Trotz ihrer Organmacht stimmten beide Rundfunkräte in blinder, sich selbst verkennender Ohnmacht, bedingungslos ihren Duodezfunkfürsten zu, wie eine willfährige Standeskammer im Absolutismus.
Denn wie ein Ständevertretung und nicht wie eine breit gewähltes Parlament sind diese Rundfunkräte organisiert. Wer in Geschichtsbüchern blättert, findet so etwas ähnliches in der Maiverfassung des österreichischen Ständestaates kurz vor der Einverleibung durch Deutschland Ende 1930er Jahre. Oder man liest vom „Bayerischen Senat“, der Dank eines Volksentscheids 1999 zum letzten Male tagte: in ihm waren aus Kirchen, Wirtschaft, Sozial- und Sportverbänden, Gewerkschaften und Kulturdachvereinen berufene Mitglieder, die von ihren Entsendern mal gewählt, mal einfach benannt worden waren. Im Gegensatz zum entscheidungsbefugten Rundfunkrat, hatte er nur gutachterliche, legislative aufschiebende und protokollarische Aufgaben. Dennoch ist der Rundfunkrat genauso mit seinen Mitgliedern beschickt: all die Verbände wählen ihre Vertreter oder ernennen sie nur. Zu diesen 35 kommen dann noch 12 Mitglieder des bayerischen Landtags, die zwar formal dazu gewählt sein mögen, doch vor allem nach der Sitzverteilung des Parlaments bestimmt werden. Das erinnert an die immer mal wieder bürgerfernen Gremien der Europäischen Union und wirkt darin demokratisch ziemlich verstaubt. Auf alle Fälle hat bürgerschaftliches Engagement kaum eine Chance, da wirkungsvoll Einzug zu halten, besonders wenn es als Minderheit auftritt.
Die Entscheidungsträger kennen sich letztlich aus anderen Kammern und Gremien. Man mag einwenden, dass bei einem z.B. tatsächlich nur durch das Wahlvolk bestimmten Rundfunkrat Mindermeinungen erst Recht untergehen. Was es also vor allem bräuchte: Möglichkeiten, dass bürgerschaftliche Vernunft nicht nur als Lippenbekenntnis durchdringt und durch rein finanzielle Erwägungen oder kompromissfreie Programmentscheidungen beiseite geschoben wird. Gerade weil der neue Rundfunkbeitrag nun von jedem zu leisten ist, sollten die von Programm- und Finanzentscheidungen Betroffenen ein Anhörungsrecht oder eine Art Hörerbegehren initiieren können. Oder die Sendeanstalten besinnen sich wieder mehr auf ihren gesetzlichen Kulturauftrag, der sie verpflichtet, auch Minderheiteninteressen in ihren allgemein zugänglichen Kanälen bereitzustellen.
Ich schrieb schon einmal, dass besonders im Falle des BR eine Umstellung von BR Klassik auf nur digitale Wellen eigentlich nur im Rahmen einer Gesamtumstellung des Programms denkbar ist. Denn für die kleine Welle allein werden so sehr hohe Kosten anfallen, die die verbliebenen Spielräume des BR z.B. für Aufzeichnungen von hausfremden Produktionen endgültig zunichte machen und neuen Entscheidern neue Argumente für einen weiteren Kulturrückbau an die Hand liefern werden. Wer den o.g. Briefwechsel liest, wird lesen, dass diese Kulturvernichtung trotz aller Bekenntnissen zum Kulturauftrag anscheinend sowieso kommen wird. Nachdem sogar immer noch strittig ist, ob entgegen dem Rundfunkstaatsvertrag ein Wellentausch aus dem Digitalen ins Analoge überhaupt erlaubt ist, sollten die vom Rundfunkrat und dem BMR-Präsidenten gelackmeierten Musikdachverbände überlegen, Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgericht einzulegen.
Komponist*in