Sträflich einseitige Berichterstattung: BR-TV-Nachrichten verschweigen „BR-Klassik-Muss-Bleiben-Petition“
Sonntagabend: beim Verlassen der U-Bahn fällt mir ein Plakat ins Auge, das die „BR-Klassik-Muss-Bleiben-Petition“ bewirbt. Stumm und mahnend hängt es in der Station Implerstrasse und fällt hoffentlich genügend Menschen auf. Immerhin haben bis jetzt die vom Komponisten und emeritierten Hochschulpräsidenten und Kompositionsprofessor sowie BR-Rundfunkratsmitglied Robert M. Helmschrott mit ins Leben gerufene Initiative bis zu 50.000 Petenten mitunterzeichnet. Lieber Herr Helmschrott, Bravo dafür, wie Sie an der Sache bleiben!
Ein dickes Buh geht dafür an den Bayerischen Rundfunk höchstselbst.
Daheim angekommen schaltete ich um 18:45 Uhr die Abendnachrichten, „Rundschau“ genannt, an. Nach Politik und Sport dann ca. bei Minute 10:45 ein Bericht in eigener Sache, sinngemäß: BR-Klassik solle ab 2016, wie bekannt, nur noch digital auf DAB+ verbreitet werden. Die Petition bzw. all der Protest dagegen wird mit einem Atemzug nicht einmal richtig gestreift. Kein Wort, kein Satz, kein Absatz, nur dürr und vom Sprecher im verhaspeltem Umfeld, als wolle wenigstens doch die Wahrheit aus seinem Munde springen: einige Hörer seien durch die Digitalisierung verunsichert. Hä? Mehr nicht?!? Der Beitrag selbst verkündet dann, dass BR Klassik sowieso schon die höchste Digitalisierung aufweise.
Ja, es stimmt. Die Welle wird über Netz und DAB+ ausgestrahlt. Doch die Mehrheit der Hörer empfängt sie nach wie vor per UKW. Dass allerdings Zusatzgeräte ab 50 Euro für das heimische Empfangen oder im Auto oder gar ganz neue Empangsgeräte notwendig wären, wird nicht jeden in Unkosten stürzen, aber für den Empfang einer besonders geliebten Welle manchen zögern lassen und so nicht den im Beitrag unterstellten Hörerzuwachs durch Digitalisierung eintreten lassen. Sollte der auch schon lange Zeit bei UKW-Empfang verwöhnte mit hoher Tontechnikqualität heutige Normalhörer durch all die im Beitrag dazu gezeigten trashigen Radiowecker und Küchenempfänger mit einem Lautsprecher nachhaltig zum Umstieg auf DAB+ animiert werden? Oder die „verunsicherten“ Hörer mit Billigangeboten geködert werden?
Weiter hüllt sich der Beitrag in Schweigen, was der eigentliche Hintergrund des Wellenwechsels ist: Die bisher im Netz und per DAB+ zu empfangende Jugendwelle „Puls“, die vor allem aktuelle Popmusik für Jugendliche aussendet, soll auch analog, also per UKW empfangbar werden. Natürlich muss man was für die junge Hörerschaft machen. Nur fällt auch dabei das in den letzten Jahren massiv ausgebaute Jugendprogramm auf BR Klassik, das generationsübergreifend gehört wird, unter den Tisch bzw. wandert es auch vielleicht in die Extra-Jugendwelle. Wenn man das nur aus der Warte der Popkultur und U-Musik betrachtet, dann wäre es vielmehr angesagt, auch auf B1 und vor allem B3 ein breiteres Jugendprogramm zu installieren, als die Generationen neo-liberal zu separieren. Natürlich werden die nun vorwiegend älteren Klassikhörer weniger. Aber gerade ein öffentlich-rechtlicher Sender hat da nicht auf die Quote zu sehen, sondern sollte schlicht und einfach seinen Bildungs- und Kulturauftrag erfüllen. Stattdessen wird der Popkultur lieber mehr Raum gegeben.
Denn wie beim WDR, der erst kürzlich seinen Vertrag mit Christine Lemke-Matwey kündigte, scheinen beim BR neue Sitten zu herrschen, die niemals zugeben würden, dass sie mit der verpönten bürgerlichen Bildung nichts mehr anfangen können und somit Klassik-Wellen nur ätzend und uncool finden. Und eines scheinen sie gar nicht zu können: ihren Rundfunkstaatsvertrag lesen zu können! In diesem heisst es in § 11b Absatz 5: „Die analoge Verbreitung eines bislang ausschließlich digital verbreiteten Programms ist unzulässig.“ Also hilft all das einseitige werbenden Berichterstatten nicht, womit ja auch wieder gegen eine breite Abbildung der Meinungsvielfalt im Hauptnachrichtenprogramm verzichtet wird, all die Aufregerei. Es geht nur darum, die Vertreter eines universellen Kultur- und Bildungsstandards mürbe zu schiessen und erinnert darin entsetzlich an die Winkelzüge, die man derzeit den Mächten im Ränkespiel um die Ukraine unterstellen könnte. Man fragt sich, wie man in den Rundfunkanstalten nur Personen fördern konnte, die kein Gran Zuneigung oder zumindest Verantwortlichkeit für eine der ureigensten Säule des Funks empfinden: der klassischen Musik mit all ihrer alten und neuen Vielfalt!
Komponist*in
B4 Klassik, das ist doch dieser Sender, der laut ma2014 die überragende Reichweite von 1,8 Prozent hat, oder?
Herr Münz, wenn Sie ma2014 hübsch querlesen, ist BR Klassik DER erfolgreichste ö.r. Klassik-Sender in Bayern wie in ganz Deutschland. Ausserdem ist seine Hörerschaft extrem treu, verändert sich kaum entspr. dem Zahlengewirr, gerade wegen der Übertragung auf UKW. Eine Reduktion dessen nur auf Internet oder/und DAB+ würde gerade dieses Potential einschränken. Es macht auf sowieso keinen Sinn Klassik gegen Pop auszuspielen, wie es der Funk nun gleichsam tut. Letztlich geht es weder um Übertragungswege oder Quoten, sonstige Daseinsberechtigungen. Es geht um die berufliche und vllt. auch politische Karriere der Entscheidungsträger, die sich somit als brachiale Veränderer auf Kosten einer sehr kleinen von Leidenden profilieren wollen, um in einem immer diversifizierten und kaum das „Gross“ zulassenden Politbetrieb als Männer für das „Grosse“ zu erscheinen, was sie aber eben trotz all dem Gewackel doch nicht bewegt haben. Wollten Sie was „Grosses“, könnten Sie ihrem Namen ja z.B. noch am Ende ein „-er“ anfügen und dann in die Fussstapfen von Thomas Münzer treten…
Ich wollte nur anmerken (und das ohne weitere Aussage/ Stellungnahme zur Thematik des Posts), dass PULS Sendefenster auf Bayern 3 hat und deshalb kein ausschließlich digital verbreitetes Programm ist.
Kritik am DAB+-Unsinn, den niemand braucht und der in ein paar Jahren wegen mangelnden Markterfolgs endgültig verschwinden wird, wird rundfunkmäßig nicht nur vom BR, sondern ARD-weit und flächendeckend totgeschwiegen. Dass man ausgerechnet den Klassik-Hörern diesen datenreduzierten Restmülls aufnötigen will, das ist allerdings schon eine singuläre Entgleisung.