Es geht uns zu gut: Bialas-Preis, Stiftungen und Freiburg – Hokuspokus Verschwindibus
Preislied – Preisleid
Ich ärgere mich. Mehrfach: über niedrige Zinsen, kapitulierende Stiftungen, junge Komponisten. Aber der Reihe nach. Besonders über das deutsche Exportweltmeistergehabe gerate ich in Wallung, treten meine Stirnadern hervor. Ob ich es genau zusammenfasse, kann ich nicht sagen. Ich verstand es in etwa so: das geht so weit, dass die EU-Kommission nun prüfen will, ob der gigantische Überschuss Deutschlands in bald mehr als vier Jahren Folge ein echter ist oder doch massiv zu Lasten eines Aufschwungs der darbenden, darniederliegenden Südeuropäer auf seltsame Mechanismen zurückzuführen ist. Findige Fachleute spielen schon mit einem neuen Schönsprech von Importdefizit. „Uns“, also der Wirtschaft in Deutschland, geht es so gut, dass selbst die Geldausgabesucht der wohl baldigen grossen Koalition, wie gerade die fünf „Wirtschaftsweisen“ monieren, das kaum ins Wanken bringen werden. „Wir“, die Normalos und die Künstler und diesen Mustermännern, werden dabei zu Waisen der Wirtschaftsentwicklung: „unser“ gigantisches Exportüberschussimportdefizit und die vielleicht dadurch sogar verschärfte Finanz-, Arbeitslosgkeits-, Aufschwungs- und Politikkrise der geschwächten südlichen Euro-Länder führen zu unverschämten Niedrigzinsen. Das mag einige unter uns zur Kreditaufnahme für sein überkommenes Wunschbild vom Eigenheim juchzen lassen. Für uns Künstler, die wir trotz höchster Steuereinnahmen aller Zeiten mit anhaltenden Kürzungen im staatlich geförderten Kulturbetrieb konfrontiert sind – dagegen für den Sport sinnlos Millionen und weitere Milliarden zu verpulvern verhinderte gerade der bayerisch-no-lympische Bürgersinn –, wird der Weg gen mühsames Crowdfunding und private Stiftungen verwiesen. Und von was leben, die letzteren? Von Zinsen. Die so niedrig wie nie sind. Womit die Stiftungen im Moment der wirtschaftlichen Hochphase so wenig wie noch nie ausschütten können.
GEMA – macht’s bald nicht mehr möglich?
So begründete Herr Brandhorst von der GEMA-Stiftung, die den Gerda- und Günter-Bialas-Preis bisher gemeinsam mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vergab. Er verkündete dies, bevor der letzte Preisträger Michael Denhoff überhaupt geehrt werden konnte. Dabei ist die Reihe der Preisträger ansehnlich: u.a. Heinz Winbeck, Nicolaus A. Huber, Peter Michael Hamel, Wilfried Hiller und wie die Stifter leider seit kurzen verstorbenen Peter Kiesewetter und Ulrich Stranz. Damit es nicht zu schmerzlich wird, redet man es sich schön: damit wären wesentliche Bialas-Schüler abgeschlossen, die sie mit Ausnahme von Babette Koblenz alle sind und waren. Was ist mit Anton Ruppert? Was ist mit all den weiteren, etwas jüngeren oder älteren Kollegen? Jetzt soll die jüngere Generation in Kooperation mit der Münchener Musikhochschule mit weniger Finanzmitteln gefördert werden, obwohl dies im zweijährigen Wechsel mit der Ehrung der älteren, bereits ein umfassendes Werk geschaffen habenden Kollegen bereits immer seit Bestehen des Preises geschah. Blickt man hinter die Kulissen, wird so ein anderes Drama abgemildert: andere Stiftungen zugunsten der Akademie mussten schon ihre Ausschüttungen so weit herabdimmen, dass die traditionellen Akademieaufträge für jüngere Komponisten wohl öfters auf den Prüfstand standen.
Somit bleibt ein Wermutstropfen. Aber seien wir mal ehrlich: wird nicht schon eine Menge für die Jüngeren getan? Mehr zu deren Gunsten klingt im Angesicht der Heerscharen an jungen Bachelor- und Master-Komponisten, wie sie in so hohen Zahlen das Land noch nie sah, immer gut. Was passiert aber mit denen, die in ihren besten Jahren mausern und dann plötzlich die Förderer knausern? Es geht nicht um einen Generationenkonflikt! Für Ältere wird aber unverhältnismäßig weniger getan als für die Jüngeren. Besonders wenn es um einigermassen eigenständiges „marktwirtschaftliches Produzieren“ geht, wenn zurecht die Berufsanfängerförderung ihr absehbares Ende findet, sieht es dank zurückgehender Förderung des rauen Berufslebens gruselig aus, obwohl andere professionelle Sparten und ihre älteren Altersgenossen, wie z.B. das öffentliche Bauen durch Selbständige, das öffentliche Lehren, Arztsein, Verwalten, Alles auch als Selbständige, subventioniert wird. Was für Wunderwerke verspricht man da der Jugend. Und unternimmt nichts, um jene himmlischsten Master-Massen aller Zeiten später versorgen zu können.
Bald wertlose Wertung
Es geht noch eine Stufe kühler für die irgendwann mitten im Berufsleben stehenden: Herr Brandhorst erzählte auch von jenem Urteil durch das Kammergericht Berlin bestätigten Urteils gegen das Wertungsverfahren der GEMA, welches besonders „kulturell“ bedeutende Werke fördern sollte: wurden die Absahner der Dauerwerbesendungen bisher mit 75% darin gedeckelt, fällt diese Kappungsgrenze nun erst einmal für die Kläger weg. Das wird aber Musterwirkung entfalten. Nachdem die GEMA-Stiftung auch einen Grossteil ihres Kapitals aus dieser Wertung bezieht, verschlechtert sich auch deren Spielraum. Das betrifft nicht nur diesen Bialas-Preis. Das trifft fast jeden Konzertveranstalter mit sogenannter zeitgenössischer Musik. Das „Konzert zeitgenössischer Musik“ des Deutschen Musikrats wird korrelierend je zur Hälfte aus GEMA-Stiftungsmitteln und Bundesmitteln bestritten, die analog zum Rückgang der Erträge der GEMA-Stiftung aus den Zuweisungen der Wertung geringer wurden. Zwar prosperierten vor einigen Jahren noch die musikfabrik und das Ensemble Resonanz. Doch dass auch für die global-player der Neuen Musik die Zugluft längst eiskalt wurde, kann man jetzt schon wohl auch am Ensemble Modern und den Kollegen jener Bedeutung absehen, die auch von diesem Stiftungsmodell bisher in Teilen gut profitierten.
Junge Komponistenüberschuss – Orchesterdefizite
Um so mehr ärgern mich gerade jene jüngeren Kollegen, die zwar von der Ensemblekultur schwärmen und profitieren. Und die gegen die Rettung von Orchestern wie dem SWR-Sinfonieorchester und seiner anstehenden Verschwindung wettern, da Orchester heute „out“ seien, Rechner aber „in“, dumpf ausgedrückt. Modisch und auch in gewissen Graden ästhetisch ist da was dran. Dabei sollten sie viel stärker die Zugänglichkeit von Orchestern für sie als Junge einfordern, so dass sie als Mittelalte dann wirklich mal ein Stück oder ein ganzes Kompendium für diesen Stern der europäischen Kultur schreiben dürften. Nur zum Vergleich: als Karlheinz Stockhausen seine Gruppen uraufführen konnte, war er 29. Johannes Kreidler, der auf seiner Homepage orakelt, 2015 ein Orchesterstück für die letzten Donaueschinger Musiktage unter Armin Köhler für gerade jenes hervorragende SWR-Orchester zu schreiben, wird dann in jenem Jahr sein 36. Lebensjahr vollenden. Setzt man Henze als Massstab an, der im Vergleich dazu 15 Jahre früher eine Teiluraufführung seiner 1. Sinfonie erlebte, wird es noch ernüchternder. Ich werde nicht meine Ausführungen zum Mangel der kompositorischen Orchesternutzung an Musikhochschulen wiederholen. Aber würde man noch mehr Orchester einstampfen, wird es auch für kleinere Ensembles enger: sie verlieren mächtige Partner des Alltags, sie werden im Kürzungskampf sogar lokal bedingt vor den Orchestern ohne Geld dastehen. Fehlen die Orchester, fehlen nicht nur Musiker, fallen auch Hörer weg, die nicht nur Mainstream hören wollen, sondern sich auch über zeitgenössische Kammermusik freuen.
Ganz prominent – s. Homepages der Ensemble und die aktuelle Saisonbroschüre des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden/Freiburg – ist z.B. der Solo-Oboist des SWR-Sinfonieorchesters auch Mitglied des Ensemble Aventure, spielen Musiker der Ensembles, wie Ensemble Recherche, als Aushilfen im Orchester, konzertieren mit diesem, vermitteln ihre spieltechnischen Erfahrungen auf dem unschätzbaren kleinen Dienstweg an diese. Dies kommt vor allem durch lokales Agieren zustande. Oder nehmen wir ein Negativbeispiel: l’art pour l’art hat es in seiner Heimat Winsen schwieriger seit Wegfall des Netzwerks Neue Musik, tritt in Nähe oder direkt in Ballungszentren auf, die eine ausgeprägte Orchesterkultur aufweisen und eine Ursuppe zur Verfügung stellen, die eben auch Neue Musik von Ensembles zulassen. So kann der Protest von 160 Dirigenten gegen die Orchesterfusion der Freiburger gar nicht so schlecht sein! Denn er befördert auch die kurzsichtigen Jung-Nerds in ihren zukünftigen Chancen. Wobei man bezweifeln darf, ob dieser Protest bei den Jungen wie den Fusionsverantwortlichen Gehör finden wird. Selbst wenn er es sollte, wird es die angedachte Stiftung der Orchesterretter schwerer denn jede andere Stiftungsgründung haben: wenn sie auf Zinserträge angewiesen sein sollten, würden sie nun besser südwestliches Häuslebauen betreiben. Aber wo, besser in Freiburg oder doch gleich in Stuttgart? Was sich da alles beisst: diese blühendste Landschaft wird irgendwann die olympischen Meisterschaften der Mülltrennung gewinnen. Doch weder Orchester noch alternative, erneuerbare Energien auf Landeszuständigkeit schafft die dortige Grünen-Regierung, wie man heute den Wirtschaftsnachrichten entnehmen konnte. Dies sei ihnen in die Tonne geritzt: „Wenn die Grünen mit ihren Ministeretagen/ in ihrer Kernkompetenz versagen/ wen wundert da ihre Unlust/ zur Intervention gegen Boudgoust.“ – Gute Nacht, oh Jugend Europas.
Komponist*in
Alexander, Dein Beitrag bringt es wieder auf den Punkt. Genau daran musste ich heute morgen auch grollend denken, als in den Nachrichten rauf und runter vom „Exportweltmeister“ und dem ewigen „uns geht-es gut wie-nie“ berichtet wurde. Uns geht es ja so intergallaktisch gut, dass es schon nicht mehr wahr sein kann… so „gut“, dass wir es uns gerade leisten können, einige Sparten unserer Kultur kaputt zu kürzen ohne einen „Verlust“ dabei zu haben, weil ja der Wirtschaftsindex dies belohnt … Deinem Beitrag, Alexander, ist nichts hinzu zu fügen als bald unsere blanke Ohnmacht. Auch angesichts dessen, dass bei DIESEN Diskrepanzen offenbar von den jüngeren (wie älteren) (noch) viel zu wenige laut aufschreiben, protestieren, einfordern! Deutschland, der ewige „Exportweltmeister“ und ehemals (in den guten alten Zeiten) nicht knausrige „Neue Musik-Weltmeister“ auch „Neue Musik-Importweltmeister“ (wieviele Komponisten aus allen Ländern werden und wurden hier in D. gefördert und fanden/finden hier Heimat) und der Weltmeister in Sachen Befriedigung der (kulturellen) Binnen-Nachfrage (könnte man salopp sagen) entwickelt sich – scheint´s – dank allgemeiner Geiz-ist-Geil- und Sparzwang-Politik und dank immer mehr Unwissenheit der Politik von oben, WAS sie gerade unwiederbringlich kaputtsparen (dabei bringen Zinsen eh nichts, auch dem Staat immer weniger) langsam (im Vergleich zu anderen Ländern!) aber doch sicher und stetig nun auch zum kulturellen Entwicklungsland (zumindest hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Prosperität und der ausgeschütteten Kulturförderung, vor allem den kl,. Sparten). Dies alles Dank des allherrschenden Prinzips: Streichen, In-Frage-Stellen, Abbauen, Kürzen, Einsparen ist „in“ und: Behutsamkeit, Nachhaltigkeit, Vertrauen in Kreativität, in die jungen UND Alten ist „mega out“…