Valery Gergiev & Menschenbilder – USA & UK: Proteste, BRD & mucphil: kein Mucks
Bekanntermassen ist der Klassik-Weltstar Valery Gergiev ein Unterstützer, Walhlwerber und Freund von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Und er gab seiner Sympathie für das russische Gesetz der Putinregierung zur Anti-Homosexualitäts-Propaganda Ausdruck: „In Russia we do everything we can to protect children from paedophiles. This law is not about homosexuality, it targets paedophilia. But I have too busy a schedule to explore this matter in detail.“ (The Guardian, 6.11.13). Entgegen Gergievs Äusserung richtet sich das Gesetz sehr wohl gegen Homosexuelle, siehe allein die Berichterstattung zur letzten Leichtathletik-WM in Moskau und zu den kommenden olympischen Winterspielen in Sotchi. Selbst Tschaikowsky soll nach Ansicht von russischen Kulturpolitikern und Filmemachern nicht mehr als Schwuler, sondern einfach nur als allein lebender Mann dargestellt werden. Putin gibt sich dazu entspannter: „They say that Pyotr Ilyich Tchaikovsky was a homosexual. Truth be told, we don’t love him because of that, but he was a great musician, and we all love his music. So what?“ (BBC, 10.9.13) Und zeigt sogleich mit diesem relativierenden Satz die dunkle Fratze: in Russland ist alles Homosexuelle in der Öffentlichkeit unerwünscht.
Zur Eröffnung der MET-Saison dirigierte Gergiev ein Tschaikowsky-Programm. Amerikanische Komponisten, Musiker und Musikfans starteten eine Petition, dass die MET sich zu ihren schwulen Operngängern bekenne. In der Aufführung selbst kam es zu Protesten. Dies wiederholte sich nun im Londoner Barbican-Center, als er mit seinem London Symphony Orchestra einBerlioz-Programm präsentierte, mit dem er am 10.11.13 in Essen gastieren wird. Ob auch mutige Essener protestieren werden? Grund des Londoner Protests war das o.g. Zitat, dass das russische Anti-Homosexualitäts-Propaganda-Gesetz nichts mit Homosexuellen zu tun habe. Gergiev versuchte auf seiner Facebook-Seite Schadensbegrenzung: „I have said before that I do not discriminate against anyone, gay or otherwise, and never have done… It is wrong to suggest that I have ever supported anti-gay legislation and in all my work I have upheld equal rights for all people.“ Verständlicherweise kann man über diesen Fallrückzieher nur den Kopf schütteln. Solange er insgesamt Putin unterstützt, und somit auch das Detail „anti-homosexuelle Gesetzgebung“, ist dies Makulatur.
Das Hauptproblem ist und bleibt, dass der weltreichste Dirigent – er ist es mit seinen russischen „Evrodon“ Truthahnaktien – vom aktuellen russischen Regime abhängig wie jeder andere russische Oligarch. Das erlaubt natürlich ein mächtiges und langjähriges Schalten und Walten am St. Petersburger Marijnksi-Theater. Das lässt andererseits die Grenzen zwischen Dankbarkeit und Meinungsfreiheit zerfliessen. Aber muss man Gergiev darum bedauern, damit seine Ausrutscher entschuldigen? Er war als Ossete nach dem georgisch-russischen Konflikt um Südossetien so eifrig, für die Osseten und die russischen Eroberer ein Konzert in der südossetischen Hauptstadt zu geben. Dazu hat ihn keiner gezwungen! Mit seinen ausländischen Chefposten hätte er sich im Falle gegenteiliger Auffassungen zur russischen Politik längst in den Westen absetzen können. Aber aufgrund seines Einsatzes als Wahlwerber für Putin und seiner Freundschaft zu ihm aus Zeiten, als Putin KGB-Mann in St. Petersburg war und letztlich aufgrund seiner Verteidigung der russischen anti-homosexuellen Politik, die er nun kleinlaut abstreitet, um nicht all seine politikfernen und kulturnahen schwulen Opernfans zu verlieren, wird die Person und der Künstler Gergiev immer unglaubwürdiger. Wie will er den schwulsten aller schwulen Komponisten, eben Tschaikowsky, und Dimitri Schostakowitsch, politisch in seiner besten Zeit im Stalinreich in seiner Existenz bedroht, glaubhaft geistig und analytisch interpretieren und nicht nur musikantisch abfackeln? Was für ein unschönes Menschenbild ist eigentlich hinter der Maske des Bleistiftschwingers, Zuspätkommers, jeden Job-Abräumers Valery Gergiev zu finden? Man will es gar nicht genauer wissen.
Unwissend scheint auch die münchnerische Hochkulturstadtpolitik zu sein. Gergiev soll ab 2015 Chef der Münchener Philharmoniker werden. Dem Votum des Orchesters folgte der von SPD, Grünen und Rosa Liste dominierte Stadtrat. Man möchte sagen: typisch! Wie bei James Levine und Christian Thielemann verspricht man sich CD-Aufnahmen und giert nach einem Renommee wie zu Zeiten unter Sergiu Celibidache. Allerdings ist man nicht mehr bereit, sich so knechten und schulen zu lassen wie unter dem rumänischen Guru. Als Vernunftmensch wünscht man sich, dass der Stadtrat jetzt endlich, spätestens nach der Kommunalwahl im Frühjahr 2014, aufwacht und den Vertrag mit Gergiev kündigt. Dies würde politisches Rückgrat und künstlerische Verantwortung bedeuten.
Wie kann es sich die Stadt München überhaupt erlauben, einen erklärten Freund des russischen, schwulenfeindlichen Präsidenten, ja insbesondere einen Verteidiger dieser in Gesetze gegossenen diskriminierenden Eigenschaft Putins, zu beschäftigen? Verkündet sie nicht Toleranz gegenüber allen sexuellen Orientierungen? Unterstützt sie nicht die Schwulenbewegung der Partnerstadt Kiew, da in der Ukraine ähnliche anti-homosexuelle Gesetzesinitiativen laufen wie in Russland nun seit diesem Sommer in Kraft gesetzt? Lässt sie nicht seit Jahren die Städtepartnerschaft mit Harere ruhen, der Hauptstadt des simbabwischen Schwulenfressers Mugabe? Führte München trotz der in Bayern zuerst nur notariell möglichen Eintragung von Lebenspartnerschaften nicht die standesamtliche, eheähnliche Eintragung vorzeitig ein? Ist München nicht stolz auf die Musikbiennale des bekennenden Schwulen Hans Werner Henze, der unter anderem aufgrund der damaligen Diskriminierung dieser Orientierung in den 50ern Deutschland verließ? Wie geht das mit der Einstellung Gergievs zusammen? Werden seit kurzem nicht bedrohte homosexuelle Menschen aus Russland in Deutschland als Asylsuchende anerkannt und begrüsst?
Wie können die für homosexuelle Gleichstellung eintretende Rosa Liste und die mächtigeren Grünen das hinnehmen? Oder ist dies der Fallrückzieher gegenüber das grüne Ansuchen nach einem Führungszeugnis für James Levine, nachdem Gerüchte über angebliche Probleme mit der New Yorker Polizei aufgrund von Grenzen überschreitenden Umgang mit Knaben die Runde machten? Das Engagement des Retters Gergiev, der vor allem die russischen Kinder und deren Eltern vor schwulen Lebensformen bewahren möchte, könnte man als Persilschein für die grüne Berufungspolitik von Celibidaches Nachfolger missverstehen.
Lieber Stadtrat, liebe Kulturpolitik: befreit Euch vom Putinverteidiger und veranstaltet lieber jedes Jahr Various Voices in der städtischen Philharmonie. Oder reisst diesen ungeliebten Saal ab und schickt das Orchester und Gergiev bis zum Ablauf seines ersten Vertrages auf Dauer-Weltreise. So oder so ist eine kathartische Kehrtwendung vonnöten. Spätestens als ernstgemeinten Aprilscherz am 1.4.14 – welch schöne Zahl für eine solche Entscheidung – , nach der Kommunalwahl!
Komponist*in