Donaueschingen 2013, der dritte Tag: Motivationen, Rückblick, Geheimes

Für wen schreibe ich? Der auf den Donaueschinger Musiktagen im Hauptprogramm gespielte Durchschnittskomponist, diesmal durch die Bank nur Männer Ü 35, dürfte mit vorwiegend französischen Akzent antworten: Für mich selbst. Ich gebe zu, zuhause würde ich genauso antworten. In Donaueschingen bloggte ich aber vor allem für junge Frauen, die die Nacht im Schlafsack in ihrem Auto in den Suburbs der Fürstenstadt nächtigten. Da staunen die jungen Heterokollegen, die liebend gerne diesen Damen den Bettvorleger ihrer billigen Pensionen angeboten hätten. Die Damen waren meine ersten Leserinnen der langatmigen Ausführungen: entweder sind sie erfroren oder selig die Kälte dadurch vergessend eingeschlafen. Einig Stunden vor dem ersten Konzert samstags oder sonntags traf man sie in der Lesetischlounge der Donauhallen an, ihre frostigen Körper und Smartphones aufladend. Das ließ zudem folgende Generationenbeobachtung und Morgenzeiterfahrung zu: am Samstag begannen das Hauptprogramm um 12 Uhr, die Leute trafen über alle Altersgrenzen hinweg vermischt fröhlich ein und stolperten nicht über die Ladekabel der aufladenden jungen Damen.

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Ganz anders am Sonntag um 10 Uhr, eine Stunde vor Beginn: vor allem die Generationen über sechzig Jahre trafen ein und stolperten über Damen und Kabel, als gäbe es Brad Pitt in World War Z nicht. Aber nein, die alten Herrschaften sind keine Zombies. Fröhlichkeit kehrte erst mit Eintreffen des Next-Generation-Busshuttles ein: Hipsterbrillen und Hopsterhosen samt Rollkoffern – im Gegensatz zu den vorigen Rollatoren und Gehhilfen – bevölkern das Foyer, ein Meer an silbergrauen Apples ersetzte die Schminksets der nun aufgewärmten nächtlichen Blog-Lese-Damen.

Wenn ich mich Recht erinnere, war ich im gleichen Alter wie jene Next Generation 1998 zum ersten Mal zu Gast bei den Musiktagen. Ob es Studentenseminare gab, kann ich nicht mehr sagen. Wenn, dann wohl nur ein Dritteltonseminar mit Klaus Huber. Es gab keine Generations-Shuttles. Die Studenten reisten per Interregio oder mit klapprigen Golfs an, man wohnte in gefängniszellengleichen Einzelzimmern in Bräunlinger Pensionen, war einfach Teil einer Kompositionsklasse, entweder Spahlinger, Zender, Kyburz oder was weiß ich. Aber dies ist nur nebensächlich.

Wirklich andersartig waren die Stücke. Zwar wurden in der Hauptsache auch nur gefühlt die gleichen Namen wie bis vor wenigen Jahren gespielt. Zugleich hatte man den Eindruck, dass bei aller Struktur- und Texturabsicherung die gespielten Komponisten souveräner ihr Ich vom Material dissoziieren konnten, sprich, ohne Angst vor irrationalen Bauchentscheidungen das Material auch mal woanders hinführten als es der Spieltechnikkatalog oder die Ablaufsskizze erlaubte. Zwar betrieb toute le monde Sternenschau über den Einsatzgrad der rechnergestützen Setzweisen in Hanspeter Kyburz‘ „Malstrom“ und zerbrach sich den Kopf über die Freiheiten in Rolf Riehms „Tränen des Gletschers“ oder wunderte sich über den hohen Grad an Sinnlichkeit im unendlich konsequent strukturierten „akt/eine treppe herabsteigend“ von Mathias Spahlinger oder schmunzelte über die zufälligen Tonalismen in Christian Wolfes Klavierkonzert. So unterschiedlich jene Stücke auch gewesen sein mögen, waren sie doch durch die Bank emotionaler und darin viel mehr riskierender als die Abstreichlisten und krampfhaften Längen des Jahrganges 2013.

Georges Aperghis „situations“, durch das bestens aufgelegte Klangforum Wien unter der Leitung von Emilio Pomarico knüpfte in meiner Vorstellung am ehesten an jenen alten Werken an. Die Musiker wurden durch stilsicher ausgewählte Zimmer- und Stehlampen warm ausgeleuchtet. Darin legten sie mit ihren abgehackten, luftig kratzenden und hauchenden solipsistischen instrumentenspezifischen Figurationen los, kamen mal zusammen, blieben mal allein, wagten Pausen und Ballungen, klangen wie vor sich sabbernd her brabbelnd oder auffauchend, aufschreiend, wie eben jene sonntäglichen Zehn-Uhr-Senioren im Foyer, im Extremfall wie eine pyjamatragende lachende und streitende Pantoffelteezeremonie im Erker eines Pflegeheimes für leicht demente Insassen. Ein wenig litt auch dieses Stück unter der Längenkrankheit wie fast alle Stücke am Samstag, das Publikum outete sich aber nicht als neuzeitlich pflegeplangestresstes Abrechnungspersonal, sondern hatte vollstes Verständnis für jene „situations“, sofern es nicht scharenweise zuvor bereits den Saal verlassen hatte.

Wer die Installationen und weitere Veranstaltungen an sich vorbeigleiten ließ, sich in Ochsen, Linde oder Hirschen stärkte, fand sich später wieder zwischen Foyer und Notenausstellung der Donauhallen ein, machte sich jenseits von Facebook endlich persönlich bekannt und schloss sich dann endlich um 16 Uhr der Pro-SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg-Demo an und flanierte so ernsthaft gen Baarsporthalle, nachdem vor dieser noch eine Aktion mit Boudgoust-Puppe und TV-Schwarzwald-Dolly-Parton-Dragqueen stattgefunden hatte.

Es begann mit „Kerguelen“ von Alberto Posadas: das Orchester spielte unter der Leitung seines Chefs Francois-Xavier Roth, der Soloflötist, die Solooboe und Soloklarinette des Freiburger Ensemble Recherche waren das mit ihnen konzertierende Trio. Es krachte gewaltig in Gongs, Becken und Bässen, trillerte in Mittellagen und höchsten Tönen, mal leiser, mal lauter, baute sich effektvoll auf und ab, gönnte sich eine plane Kadenzphase im letzten Drittel und rumste nochmals heftig, bevor es flugs verklang. Das Stück brachte nichts besonders Neues oder altes Aufregendswertes, es machte einfach nur Spass beim Hören, ein Kracher für das traditionell breite Publikum des Abschlusskonzerts.

„Kantate Nr. 3“ von Bruno Mantovani dagegen machte keinen Spass, auch wenn es ähnlich effektvoll sich aufbauschte. Es erinnerte an die frühen Oden und Kantaten, die akademischen Abschlussarbeiten der französischen Impressionisten. Das Maximum an Gestik waren spektrale Orchesterschläge, simple, immer wieder wiederholte Skalenausschnitte. So fein das SWR Vokalensemble auch sang, den zugrundeliegenden Schillertext nonoartig aufteilte, so brav war die Textvertonung selbst, die sich keine minimal ausmalende Nuance gönnte, so aber unendlich spröde und irgendwie textunbegabt blieb. Einzig einen Durterz-Mollterzwechsel auf „Trauer“ blieb mir hängen – Textbehandlung für VHS-Komponisten und überflüssiges zweimaliges Wiederaufgreifen des Anfangstextes. Bei der Musenstrophe zu „mit jungfräulichen Wangen,
Erröten im verschämten Angesicht,
Tritt sie vor dich, ihr Urteil zu empfangen“ hatte ein Grossteil des Publikums das ungeschickte, Frauen nicht als Dirigentinnen sehende Interview des Pariser Konservatoriumsdirektors Mantovani vor Augen. Kurzer Applaus und wohltuend viele Buhrufe. Auch ich konnte mich leider nicht zurückhalten – eigentlich lasse ich das nur im Traume Kollegen widerfahren.

Philipp Manourys „In situ“ verteilte das Orchester im gesamten Raum, kombinierte es mit dem Ensemble Modern, so dass vorne und hinten je ein geteiltes Doppelorchester sass, an den Seiten dann kleine Combos aus Streichern und Holzbläsern. Das Ergebnis waren perfekt um das Publikum wandernde Klänge, Linien und Nachhalle, wie eine endlich geglückte Kreuzung aus dem bereits zuvor genannten kyburzschen „Malstrom“ und Isabel Mundrys „Flugsand“, beide auch Raumkompostionen, wilde Strategien im ersteren, in der Weite verebbendes und wiederkehrendes Rauschen und Wiegen im letzteren. Zudem noch grössere Spannungsbögen als bei Posadas. Auch nichts grundlegend Neues, aber eigentlich der Einstieg, der dem Thema Großform zugrundeliegen sollte im Gegensatz zu den anderen Werken besonders der Jüngeren. Große Begeisterung und irgendwie wohlverdientermassen erhielt Manoury den Preis des Orchesters für das beste Stück. Darüber läuft man Gefahr, die sechs „Clinamen“ Walter Zimmermanns zu vergessen. So imperfekt zerbrechlich diese erschienen, so rätselhaft geistern sie mir noch eher im Kopf als „In situ“ herum. Das zarte Wehen und Weben gerade des zweiten, vierten und sechsten „Clinamen“ lassen mich an die doppelsonnebeschienen Gestade in der Mitte von Jodie Fosters Zeitreise in „Contact“ denken – allerdings ohne das Schluchzen und den Kitsch jenes Filmes.

Und am Ende? Einige Abschiede und Vorfreuden auf die nächsten Jahre. Man munkelt, dass einige der jungen Nadar-Stars 2015 endlich für Orchester schreiben werden…

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