Moldawisches Stichwörterbuch (3)

Das nationale Kammerorchester Moldawiens bei der Probe mit Franz Schottky

Stimmen

Werbung

Die Instrumente zu stimmen, z.B. vor einer Probe oder einem Konzert wird ja weltweit gerne zelebriert, wobei die Meinungen darüber auseinandergehen inwieweit es a) überhaupt hilft und b) auf der Bühne oder c) hinter der Bühne geschehen solle. In Moldawien wird über diese Problematik nie diskutiert, denn man hat sich dazu entschlossen, das Problem auf ganz einfache Weise zu lösen: Es wird überhaupt nie gestimmt!

Tatsächlich war unser Dirigent Franz Schottky bass erstaunt, als die bei Proben übliche Aufforderung an die erste Geigerin, jetzt doch bitte das Stimmen einzuleiten einfach nur in einem fragenden Gesichtsausdruck resultierte. „Tuning not necessary“ kam die kurze Information, dann wurde mit der Probe begonnen.

Etwas später erfuhren wir auch, warum es diesen merkwürdigen Widerwillen gegen die Praxis des Stimmens gibt: die Streichinstrumente in Moldawien sind nämlich sehr widerspenstig! In meinem Stück „Adagio“ (das mit dem nationalen Kammerorchester aufgeführt wurde, das fast ausschließlich aus Frauen bestand, wahrscheinlich alle Ludmila mit Namen) gibt es eine Passage, bei der die tiefsten Saiten heruntergestimmt werden sollen. Bei den ersten Proben wurde diese Aufforderung beharrlich ignoriert, bis ich vorsichtig darauf hinwies, dass man es doch zumindest einmal versuchen könnte. Daraufhin stand die erste Cellistin auf (Typ Hammerwerferin, Oberarme aus Stahl und ca. 1,90 groß), hielt mir ihr Cello hin und sagte nur: „try it“. Ich folgte ihrer Aufforderung, und tatsächlich: Die Stimmschrauben ließen sich beim besten Willen und auch bei höchster Kraftaufwendung nicht im geringsten bewegen. Und wenn es der Hammerwerfercellistin nicht gelingen konnte, dann mir auch nicht, und sonst auch niemandem. „We use fine tuning and fingers“ war dann die lapidare Antwort auf die Frage, wie man überhaupt irgendeine Form von Intonation erzielen konnte.
Das Orchester spielte dann übrigens ziemlich gut!

Bleibt aber weiterhin die Frage: Wie ziehen moldawische Musiker die Saiten auf? Ich fürchte die Antwort wird lauten: „we never change strings“.

Verdi auf rumänisch klingt wie eine Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft

Eröffnungskonzert

Ich wollte euch vom Eröffnungskonzert erzählen. Dies fand im „Großen Orgelsaal“ Chisinaus statt, einem Gebäude das von weitem aussieht, als ob es entweder gerade in Bau befindlich ist oder jeden Moment einstürzt. Wahrscheinlich ist beides der Fall, denn immer wieder wurde die Straße um den Konzertsaal abgesperrt, um zu verhindern, dass man von einer einstürzenden Mauer erschlagen wird. Große Attraktion des Saals ist die „große Orgel“, die durften wir aber nie hören. Stattdessen ein Konzert mit Orchesterwerken. Es begann mit ENTREE SI DANS CU FOCURI PE ZAPADA, was ich mal experimentell mit der Aufforderung zu irgendeiner Form von Tanz übersetzen würde. Auf jeden Fall ein wilder Tanz. Komponist des wild pulsierenden Werkes: Ghenadie Ciobanu. Ihr erinnert euch: Das ist der, der gleichzeitig Professor an der Musikhochschule und Vorsitzender des moldawischen Abgeordnetenhauses ist, sowie natürlich Komponist, Dirigent und wahrscheinlich auch Schriftsteller und hochwichtiger Funktionär in allen Komponistenverbänden Moldawiens. Und natürlich der künstlerische Leiter des Festivals, bei dem wir zu Gast waren!

Dem ENTREE folgte ein weiteres Orchesterstück, MOMENT BACOVIA, ein kleines Klavierkonzert, komponiert von niemand anderem als….Ghenadie Ciobanu! Das Konzert war insofern eindrücklich, als dass eine experimentelle Aufführungsform verwendet wurde: die Pianistin saß einsam auf der leeren Bühne, das Orchester spielte allerdings VOR der Bühne. Das hatte natürlich zur Folge, dass sich die Klaviersoli akustisch nicht direkt aufdrängten, um es vorsichtig zu formulieren.

Als nächstes trat eine Marimbaphonistin auf (wie alle Musiker in Moldawien natürlich eine Frau!) und spielte BRIZA LATITUDINILOR SUDICE. Komponist dieses Werkes – für uns vollkommen überraschend: Ghenadie Ciobanu!

Es folgten ODA DEVENIRII (Komponist: Ghenadie Ciobanu), CODUL ENESCU (Musik von Ghenadie Ciobanu) und – zum krönenden Abschluss, SIMFONIA (ein Werk von….Ghenadie Ciobanu). Am Ende trat Ghenadie Ciobanu auch selber auf und bedankte sich dafür, dass das Konzert eines internationalen Festivals für Neue Musik (Leitung: Ghenadie Ciobanu) einzig und allein dem wichtigsten moldawischen Komponisten gewidmet war, nämlich ihm. Danach wurde er von ca. 20 Frauen bestürmt, die ihm jeweils riesige Blumensträuße überreichten.

Ghenadie Ciobanu, ein Name, den man sich sicherlich merken muss.

Steven Seagal zu Besuch beim größten Bierbauch der Welt

Die Weinminen von Moldawien

WEINPROBEN UND TISCHREDEN

Nach dem Konzert wurden wir in einen Bus gesetzt und darüber informiert, dass wir nun von Ghenadie Ciobanu und dem Festival zu einer „Weinprobe“ eingeladen würden. Natürlich freuten wir uns über diese Gelegenheit, vielleicht mehr über die Musik von Ghenadie Ciobanu zu erfahren. Die Busse verließen schnell die Stadtgrenzen und fuhren über ländliche Straßen voller Schlaglöcher. Nach ca. 1 Stunde wurde uns klar, dass es sich wohl um eine Weinprobe in Bulgarien oder Rumänien handeln musste, oder zumindest an der äußeren Grenze Moldawiens. Irgendwann kamen wir auf einem riesigen, von Schäferhunden bewachten Weingut an, malerisch an einem Berg gelegen. Riesige Brunnen aus Rotwein- und Weissweingläsern begrüßten uns – anscheinend ging es hier tatsächlich um: Wein! Zu unserem Erstaunen wurden wir nun in einen weiteren Bus verladen, der – mit einer speziell für uns zuständigen Übersetzerin versehen – nun direktemang in den Berg fuhr, und zwar durch endlose Tunnel voller riesiger Weinfässer (die, wie wir später erfuhren, täglich von moldawischen Frauen namens Ludmila von innen gereinigt werden). Die Übersetzerin erzählte uns währenddessen etwas von „Guinness-Record“ und der Tatsache, dass wir uns nun im größten Weinkeller der Welt befinden wüden, quasi dem „Hub“ der modawischen Weinproduktion (die vor allem nach Asien exportiert). Uns wurde schnell klar: Tolkien hat die Minen von Moria nicht erfunden, es gibt sie schon – in Moldawien!

Irgendwann hielten wir vor einer Tür an und wurden gebeten, auszusteigen. Unsere Übersetzerin zeigte uns eine Karte des Tunnelsystems: 200 Kilometer (!) unter dem Berg, davon momentan 50 Kilometer Tunnelsysteme für moldawische Weinlagerung genutzt. Würde der moldawische Wein aber weltweit populärer werden (günstig ist er ja!), könnte man die restlichen 150 Kilometer auch noch nutzen.

Bevor unser Gehirn diese geradezu unglaublichen Zahlen verarbeiten konnte, wurden wir durch eine Geheimtür in einem Weinfass in einen unterirdischen Bankettsaal geführt, wo uns Bilder internationaler Prominenz wie zum Beispiel Steven Seagal begrüßten, der wohl auch mal diesen Saal besucht hatte. Bevor wir aber auf den Gedanken kommen konnten, hier etwa zu dinieren, wurden wir in einen wesentlich kleineren Nebensaal geführt, wo wir an einem kreisförmigen Tisch platziert wurden. Kredenzt wurden in Folge die exakt 3 verschiedenen Arten moldawischen Weins: „Weiß“, „Rot“ und „klebrig süß“, wobei eigentlich nur die mittlere als empfehlenswert bezeichnet werden konnte. Allerdings waren wir Deutschen die einzigen, die den Rotwein tranken. Bei umgerechnet 50 cent pro Flasche ein echtes Schnäppchen, Leute!

Kurz danach wurde die Stimmung munter und weinselig. Anwesend bei der „Weinprobe“ war quasi die Elite des Landes: der Kultusminister, der Theaterdirektor (gleichzeitig Vorsitzender des Theaterverbandes), natürlich Ghenadie Ciobanu, ihre Frauen und Nebenfrauen, und viele andere auch noch! Und spätestens als der Kultusminister ein unvergleichlich entzückendes Pfeifkonzert begann (will sagen: er pffif gar vorzüglich zu den Klängen der anwesenden Begleitkapelle) wurde uns klar, dass nun die in Osteuropa unvermeidlichen Tischreden beginnen würden. Gepriesen wurde in Folge nun alles: die Musik von Ghenadie Ciobanu („von kosmischer Qualität“), die Gastfreundlichkeit des größten Weinkellers der Welt, die Qualität des Dirigenten des vorangegangenen Konzertes („eine Aufführung von überwältigender Prägnanz, wie man sie bisher noch nie erleben konnte“), der sich daraufhin wieder mit einer weiteren Dankesrede an Ghenadie Ciobanu bedankte („Ich habe die Zukunft der Musik gesehen, und ihr Name ist Ghenadie Ciobanu“).

Wir hatten aber auf jeden Fall die Zukunft der Gastfreundschaft gesehen und ihr Name ist: Moldawien!

Moritz Eggert

Der große Rotweinbrunnen von Chisinau

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

2 Antworten

  1. @Moritz: Witzig, hintergründig, boshaft, unterhaltsam – ein echter Eggert, der ganze Reisebericht :-)

  1. 25. Juni 2013

    […] Moldawisches Stichwörterbuch (3) Abschluss des moldawischen Reiseberichts (mit Carola Schaal und Franz Schottky… […]