Moldawisches Stichwörterbuch (2)

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Heiraten

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Bei Chisinau handelt es sich um eine Stadt von um die 500.000 Einwohner. Das weiß ich jetzt nur aus wikipedia, denn unsere Assistentin Anastasia konnte uns die Frage nach der Einwohnerzahl nicht beantworten. Kennt ihr dieses merkwürdige Phänomen, dass Frauen sich Einwohnerzahlen von Städten nicht merken können und sich auch nie für diese interessieren? Dabei finde ich das schon interessant, vor allem bei Städten die weniger Einwohner haben als man denkt. Frankfurt (am Main) wird von vielen Touristen als die größte deutsche Stadt empfunden, mit mindestens 10 Millionen Einwohnern, weil sie so viele Hochhäuser hat. Dabei beschränken sich diese auf ein Gebiet von ungefähr 100 Quadratmetern, drumherum sind natürlich nur Äppelwoikneipen und Offenbach. Die größte Stadt in Deutschland ist dagegen natürlich Bielefeld, nur gibt es das leider nicht.

Moldawien hat wie viele osteuropäische Länder ein massives Problem mit Auswanderung und Bevölkerungsschwund. Das Land hat eine bizarre Arbeitslosenquote von um die 50-60% und wer jung und talentiert ist muss quasi das Land verlassen, um irgendeiner Tätigkeit nachgehen zu können. Daher gibt es relativ wenig junge Leute. Umso merkwürdiger ist die Tatsache, dass es unglaublich viele Läden mit Spezialbedarf für Hochzeiten in Chisinau gibt, wesentlich mehr als die Einwohnerzahl und das statistische Hochrechnen auf einen Durchschnittswert von täglich stattfindenden Hochzeiten vermuten lassen würden. Tatsächlich sieht man auch an jeder Straßenecke Hochzeiten und ständig düsen Luxusautos laut hupend durch die Stadt. Ein seltsamer Brauch ist der sogenannte rosa Hochzeitsbär, der bei Fotos unbedingt mit drauf muss (ein Mann in Kostüm). Ob es sich bei diesem Brauch um ein weithin verbreitetes Phänomen handelt, konnten wir nicht beurteilen, aber er war bei zwei beobachteten Hochzeiten anwesend und gab diesen eine leicht unheimliche Note – denn wer will schon einen rosa Hochzeitsbären bei seiner Hochzeit?

Wie auch immer, der Heiratsrausch der Moldawier ist unerklärlich, vor allem, woher die ganzen jungen Leute zum Heiraten kommen. Oder lassen die sich alle paar Monate gleich wieder scheiden?

Ludmila

Russische Namen sind nach wie vor in Moldawien weit verbreitet. Es leben auch noch viele Russen dort und mit russisch käme man überall durch. Als wir zum Beispiel im Komponistenverband Rede und Antwort zur Musikszene in Deutschland standen, hatten wir eine Übersetzerin, die nicht etwa vom Englischen ins Rumänische sondern vom Englischen ins Russische übersetzte. Das schienen auch alle ganz normal zu finden. Sicherlich hieß sie auch Ludmila, so wie 99% aller Frauen in Moldawien.

Inzwischen werben aber Fremdsprachenschulen vor allem mit 3 Sprachen: Englisch, Deutsch und Griechisch.

Auf dem Weg zum Konzertsaal kamen wir täglich an einer Schautafel der Universität vorbei, die exakt so aussieht wie ein Holiday-Inn-Hotel, aber eben doch die Hauptuniversität in Chisinau ist. Auf diesen Schautafeln sind ganz viele Fotos der Dozentinnen und Studentinnen (Männer scheinen an dieser Universität nicht zu arbeiten, ist auch besser so), und die heißen alle ausnahmslos Ludmila. Ich scherze nicht – absolut alle! Vielleicht bekommt man als Studentin oder Dozentin sofort automatisch einen neuen Namen verpasst – das könnte wiederum auch an deutschen Universitäten eingeführt werden, wo ja im Moment die traditionell männlichen Bezeichnungen stark in der Kritik sind und man ernsthaft überlegt, männliche Professoren ab sofort mit „Professorin“ anzusprechen. Da kann man doch gleich alle „Ludmila“ nennen, und die Studenten und Studentinnen gleich dazu. Das hätte dann auch den Vorteil, dass man sich die ganzen komplizierten Namen nicht mehr merken muss.

Ihr glaubt mir nicht? Hier der Beweis:



Sprache

Zur rumänischen Sprache (moldawisch ist identisch mit rumänisch, am ehesten kann man es als Dialekt bezeichnen) bliebe noch zu sagen, dass sie wirklich sehr schön und wohlklingend ist. In Osteuropa erwartet man ja immer eher viele Konsonante und Zischlaute, vor allem in Polen, wo Vokale inzwischen als ausgestorben gelten. Aber in Moldawien ist man stets aufs angenehmste überrascht, dass selbst Universitätsprofessoren so klingen, als würden sie einem an der Adria braungebrannt und mit Goldkettchen einen Drink servieren, während im Hintergrund sanftes Wellenrauschen zu hören ist und man im warmen Sand liegt. Tatsächlich ist ja rumänisch noch viel eher am alten Latein als selbst Italienisch, und damit vielleicht sogar die südländischste Sprache überhaupt. Und die erwartet man eben nicht zwischen Transsilvanien und den Karpaten!

Daher leidet der Moldawier an sich auch an der Tatsache, dass er einfach keinen Zugang zum Meer findet. Denn dort würde seine Sprache einfach super hinpassen!

Positoinen zeitgenössischer bildender Kunst in Moldawien (1)

Benefizkonzert

Nach dem Eröffnungskonzert des Festivals (von dem noch zu berichten ist) verbrachten wir den zweiten Tag vor allem mit Proben und verpassten daher auch das zweite Konzert des Festivals, das überraschenderweise nur 40 Minuten dauerte, und für das sich alle Organisatoren auch beständig entschuldigten, denn es seien ja ganz amateurhafte Kompositionen gewesen, die nur aufgeführt wurden, weil die Komponisten darum dringend gebeten hatten und man ja keinen ausschließen wollte. Warum man sich derart beschwatzen lässt von unbegabten Komponisten blieb unklar, vielleicht war das Konzert aber in Wirklichkeit ganz genial, wer weiß?

Auf jeden Fall fand danach im selben (sehr großen) Saal ein Benefizkonzert statt, dass uns dann doch irgendwie interessierte, denn es war als Benefizkonzert für krebskranke Kinder angekündigt für einen in Moldawien beliebten aber leider verstorbenen Filmemacher, Autoren, Sänger, Piloten, Komponisten, Aktivisten für krebskranke Kinder, Lebemann, Sportler und Frauenverführer. Zumindest reimte man sich diese Berufe zusammen anhand der ständig eingeblendeten Filmausschnitte, die während des Konzertes „live“ aus mehreren Laptops hochgeladen wurden.

Zuerst trat ein sehr dicker Mann auf und redete sichtlich gerührt 10 Minuten lang. Dann trat ein weiterer Mann auf und hielt eine weitere Rede. Dann trat – zu kargem Applaus – irgendein wichtiger Politiker auf, und deutete mit großer Geste auf die überall aufgestellten Spendenboxen. Dann begann endlich das Konzert: es traten erst einmal 6 Akkordeonisten auf, was für viele eine Schreckensvorstellung ist, tatsächlich waren die aber ganz prima, und spielten recht ansprechende und virtuose Eigenkompositionen und Piazzola-Bearbeitungen. Danach trat eine hübsche Sängerin auf und sang eine Schnulze in Playback während hinter ihr ein Video eingespielt wurde, in dem sie diese Schnulze auch singt, allerdings 10 Jahre jünger. Anscheinend war dieses Video auch vom Verstorbenen gedreht, denn es wurde später auch immer wieder eingespielt, zusammen mit privaten Fotos aus seinem Familienalbum, Filmausschnitten, Interviews, etc.. Nun trat eine Familie auf und sang eine Art positivistischen Familienrap, was vor allem dem 15-jährigen Sohn unendlich peinlich zu sein schien. Wer will schon mit 15 auf der Bühne stehen und auf cool mimen, wenn rechts neben einem die kleine Schwester mit Zöpfchen rumhampelt, und  links von einem der Vater auf einer Wanderklampfe Schrummelakkorde spielt! Da wird die Coolness doch quasi aus der Luft gesogen, und zurück bleibt nur so eine Art dumpfes Peinlichkeitsgefühl, das sich wie eine Wolke um einen legt.

Im Hintergrund war wieder der Filmemacher zu sehen, stets in weißen Anzügen und mit weißem Künstlerschaal, stets umgeben von schönen Frauen oder Wasserflugzeugen, bei Besuchen in New York, Paris, London – überall war er, überall wurde er bewundert. Irgendwann begannen sich die Bilder zu wiederholen (zum Teil unglaublich private Bilder vom letzten Weihnachtsfest oder dem letzten Besäufnis, fast war es einem peinlich, die zu sehen), und ebenso die Schnulzen, so dass wir diese nicht unskurrile Veranstaltung irgendwann verließen. Bleibt nur noch zu sagen, dass moldawische Popmusik sehr ähnlich klingt wie türkische Popmusik, nur eben in temperierter Stimmung.

 

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. 25. Juni 2013

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